web 2.0 vs. geek hype
Samstag, 5. November 2005
Kollaborateure..?

Ich möchte mich im Rahmen dieses Beitrags
mit Entwicklungen rund um die vielgenannte und
eigentlich auch gar nicht so neue Blogosphäre [1]
herum (schließlich gibt es die ersten Weblogs bereits
seit Ende der 1990er-Jahre) auseinandersetzen.


Hierzu kann ich zunächst einmal persönliche
Erfahrungen einfließen lassen: Ich habe diesen
Sommer bei pol-di.net, einem unabhängigen Verein
"für eine demokratische und digitale Entwicklung der
europäischen Informationsgesellschaft", bzw. genauer
gesagt bei politik-digital.de, deren Portal zu den
Thematiken rund um Internet+Politik, in Berlin verbracht.

Hierbei habe ich das Website-Projekt
ich-gehe-nicht-hin.de aufgesetzt, betreut und
weiterentwickelt. Es handelt sich um eine blog-artige
Community-Site (Stichwort: Social Software [2]),
auf der Nichtwähler [3] ihre Gründe angeben konnten,
warum sie bei der deutschen Bundestagswahl 2005
nicht zur Wahl gehen werden.

Die Idee des Projekts stammt ursprünglich von der
Organisation mySociety aus Großbritannien, die
sozusagen die Vorgänger-Website entwickelten und
bei der britischen Unterhauswahl '05 erstmals einsetzten.
Sie wurde von uns/mir für den deutschen Einsatz
adaptiert und erweitert.

Das Projekt wurde am Tag nach der Verkündung von
Neuwahlen (d.h. also der diesbzgl. Fernsehansprache
des deutschen Bundespräsidenten Köhler zu seiner
Entscheidung den damaligen Bundestag aufzulösen)
online-gestellt und stand bis zum Wahltag im
September für Einträge und Kommentare offen.

Es konnten dort somit, ähnlich wie bei einem Weblog,
Nutzer Einträge verfassen (chronologisch nach
Bottom-up-Prinzip sortiert) und diese konnten dann
wiederum kommentiert werden. Somit kann man die
Website in gewisser Weise als (ziemlich) offene
Kommunikationsplattform für potenzielle Nichtwähler
sowie die Auseinandersetzung damit ansehen.
Ein Screenshot:

Hier konnten die User der Site Eintraege erstellen.
Abb. 1: Das Eintragsformular von ich-gehe-nicht-hin.de

Was wir (politk-digital) mit dem Projekt in erster Linie
bezweckten, war es den Nichtwählern sozusagen
eine Stimme zu geben. Eine Stimme, der im übrigen
politischen Diskurs (auch in Wahlkampfzeiten),
insbesondere auch von Seiten der klassischen
Gatekeeper [4], viel zu wenig Gehör geschenkt
wird (wie wir fanden).

Hierzu ein Radiobeitrag als MP3-Mitschnitt, der sich
auch noch mit einem weiteren partizipativen
Internet-Projekt (kandidatenwatch.de) im Zuge
der Bundestagswahl '05 in Deutschland beschäftigt
(weitere Interviews, Berichte, Artikel sowie ein Beitrag
in der TV-Nachrichtensendung tagesthemen der ARD
finden sich in der ausführlichen Presseschau von
ich-gehe-nicht-hin.de
, die das recht starke
Echo der Website in den "traditionellen" Medien
dokumentiert): Radio Deutschlandfunk (mp3, 941 KB)

Als das Projekt für beendet erklärt wurde, d.h. als
am Tag nach der Wahl das weitere Erstellen von
Einträgen und Kommentaren gewissermaßen
abgeschaltet und somit die Site sozusagen
"eingefroren" wurde, zählte man auf ihr insgesamt
rund 2900 Einträge sowie ca. 9700 Kommentare.

Alleine hieran läßt sich schon erkennen, dass
offenbar ein relativ großes Interesse (und
anscheinend wohl auch ein Bedarf) bestand dieses
kooperative Kommunikationsangebot zu nutzen. Vor
allem aber, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es
dieses für insgesamt lediglich um die 2 Monate gab.

Was sich allerdings leider nach ungefähr einmonatigem
Betrieb der Site zeigte war, dass bei einem derart
freien Angebot scheinbar zwangsläufig auch
"Missbraucher" des selbigen angelockt werden. So
hatten wir dann auch mit Leuten zu kämpfen, die
probierten die Plattform regelrecht zu zu spammen.

Wir versuchten also der Lage her zu werden, indem
wir zunächst den Dialog mit den potenziellen
Missbrauchern suchten und dann auch an die
Community der Site appellierten. Schließlich sahen
wir uns jedoch leider gezwungen härtere Maßnahmen
einzusetzen und bauten eine Art Spamfilter ein.

Dies erwies sich aber letzten Endes auch als nur
suboptimale Lösung, da man so gewissermaßen immer
den Spammern "hinterherhechelt". Somit zeigte sich
wiederum, dass es bei solchen Social Software
Angeboten wohl auch gutgemachte Voraussetzungen
zur Fördererung von Selbstorganisation [5] benötigt.

Ein noch relativ junges diesbzgl. Beispiel aus dem
Umfeld des (vor allem in "Geek-Kreisen") vielgehypten
sog. Web 2.0 ist die Website digg.com. Es handelt sich
um eine Art News-Portal (hauptsächlich technischer
Ausprägung) und das Prinzip dahinter ist eigentlich
recht simpel:

Nutzer können News bzw. "Stories" aus dem Netz
(welcher Form auch immer; sei es nun ein Blog-Eintrag
oder ein Bericht auf einer News-Site etc.) angeben
und damit sozusagen "nominieren". Diese können dann
von anderen Usern durchsucht und bewertet werden
(mittels Vergabe sog. "diggs"). Wird ein bestimmter
Betrag an solchen diggs erreicht, so wird die jew.
News/Story offiziell auf der Startseite angezeigt. [6]

Anzeige von News/Stories auf digg.com
Abb. 2: Ein kleiner Ausschnitt von digg.com

Dies ist nur ein Beispiel für die Versuche, Anreize für
Selbstorganisation auf solchen kooperativen
Plattform-Sites zu schaffen. Wer sich näher damit
auseinandersetzen möchte, dem sei an dieser Stelle
als ein weiteres Beispiel, das mitunter probiert
gewisse Mechanismen hierfür zu etablieren, das
Projekt PledgeBank ans Herz gelegt.

Es ließe sich nun auch noch der Bogen über Blogs an
sich sowie Podcasts usw. spannen, aber dies würde
wohl jetzt etwas zu weit führen. Somit möchte ich
mich hier gewissermaßen zunächst damit begnügen,
dass es sich hierbei um weitere Ausprägungen, der
sich anbahnenden bzw. endlich tatsächlich möglich
werdenden, freien, "grassrootigen" [7] Kommunikation
handelt oder zumindest handeln kann.

In diesem Sinne bin ich sehr bei Herrn Kuhlen [8], der
ein r2c (also ein Recht auf Kommunikation) fordert.
Ich glaube, dass es notwendig wird (u.a. meiner
Einschätzung nach) veraltete Strukturen zu
überdenken, wenn zudem nötig, sozusagen auch zu
durchbrechen, und dementsprechend adäquate
Rahmenbedingungen hierfür sowie eben dann auch
für die neu entstandenen Kommunikationswege und
-formen zu schaffen.

Als Beispiel sei hier noch das Creative Commons
Lizenzmodell
[9] genannt, das in gewisser Weise als
einer der ersten wichtigen Meilensteine auf diesem
Weg, der wohl vor uns liegt, betrachtet werden kann.

Ich hoffe mit diesem Beitrag ein paar interessante
Perspektiven dargestellt und vielleicht auch
Denkanstöße angeregt zu haben und würde mich über
eine (gerne auch kontroverse) Diskussion freuen.


Literatur:

[1] Wikipedia-Eintrag zu Blogosphere,
      zuletzt besucht am: 5. Nov. 2005

[2] Wikipedia-Eintrag zu Social Software,
      zuletzt besucht am: 5. Nov. 2005

[3] Wikipedia-Eintrag zu Nichtwähler,
      zuletzt besucht am: 5. Nov. 2005

[4] Wikipedia-Eintrag zu Gatekeeper,
      zuletzt besucht am: 5. Nov. 2005

[5] Wikipedia-Eintrag zu Self-organization,
      zuletzt besucht am: 6. Nov. 2005

[6] Digg - FAQs,
      zuletzt besucht am: 6. Nov. 2005

[7] Wikipedia-Eintrag zu Grassroots,
      zuletzt besucht am: 6. Nov. 2005

[8] Wenn Autoren und ihre Werke
Kollaborateure werden – was ändert sich dann?
,
Rainer Kuhlen. Erschienen in: C. Bieber; C. Leggewie:
Interaktivität – ein transdisziplinärer Schlüsselbegriff.
Campus-Verlag, Frankfurt 2004

[9] Creative Commons - FAQs,
      zuletzt besucht am: 6. Nov. 2005

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