web 2.0 vs. geek hype |
Samstag, 5. November 2005
Kollaborateure..?
robert.thurnher.Uni-Sbg, 22:46h
Ich möchte mich im Rahmen dieses Beitrags mit Entwicklungen rund um die vielgenannte und eigentlich auch gar nicht so neue Blogosphäre [1] herum (schließlich gibt es die ersten Weblogs bereits seit Ende der 1990er-Jahre) auseinandersetzen. Hierzu kann ich zunächst einmal persönliche Erfahrungen einfließen lassen: Ich habe diesen Sommer bei pol-di.net, einem unabhängigen Verein "für eine demokratische und digitale Entwicklung der europäischen Informationsgesellschaft", bzw. genauer gesagt bei politik-digital.de, deren Portal zu den Thematiken rund um Internet+Politik, in Berlin verbracht. Hierbei habe ich das Website-Projekt ich-gehe-nicht-hin.de aufgesetzt, betreut und weiterentwickelt. Es handelt sich um eine blog-artige Community-Site (Stichwort: Social Software [2]), auf der Nichtwähler [3] ihre Gründe angeben konnten, warum sie bei der deutschen Bundestagswahl 2005 nicht zur Wahl gehen werden. Die Idee des Projekts stammt ursprünglich von der Organisation mySociety aus Großbritannien, die sozusagen die Vorgänger-Website entwickelten und bei der britischen Unterhauswahl '05 erstmals einsetzten. Sie wurde von uns/mir für den deutschen Einsatz adaptiert und erweitert. Das Projekt wurde am Tag nach der Verkündung von Neuwahlen (d.h. also der diesbzgl. Fernsehansprache des deutschen Bundespräsidenten Köhler zu seiner Entscheidung den damaligen Bundestag aufzulösen) online-gestellt und stand bis zum Wahltag im September für Einträge und Kommentare offen. Es konnten dort somit, ähnlich wie bei einem Weblog, Nutzer Einträge verfassen (chronologisch nach Bottom-up-Prinzip sortiert) und diese konnten dann wiederum kommentiert werden. Somit kann man die Website in gewisser Weise als (ziemlich) offene Kommunikationsplattform für potenzielle Nichtwähler sowie die Auseinandersetzung damit ansehen. Ein Screenshot: Abb. 1: Das Eintragsformular von ich-gehe-nicht-hin.de Was wir (politk-digital) mit dem Projekt in erster Linie bezweckten, war es den Nichtwählern sozusagen eine Stimme zu geben. Eine Stimme, der im übrigen politischen Diskurs (auch in Wahlkampfzeiten), insbesondere auch von Seiten der klassischen Gatekeeper [4], viel zu wenig Gehör geschenkt wird (wie wir fanden). Hierzu ein Radiobeitrag als MP3-Mitschnitt, der sich auch noch mit einem weiteren partizipativen Internet-Projekt (kandidatenwatch.de) im Zuge der Bundestagswahl '05 in Deutschland beschäftigt (weitere Interviews, Berichte, Artikel sowie ein Beitrag in der TV-Nachrichtensendung tagesthemen der ARD finden sich in der ausführlichen Presseschau von ich-gehe-nicht-hin.de, die das recht starke Echo der Website in den "traditionellen" Medien dokumentiert): Radio Deutschlandfunk (mp3, 941 KB) Als das Projekt für beendet erklärt wurde, d.h. als am Tag nach der Wahl das weitere Erstellen von Einträgen und Kommentaren gewissermaßen abgeschaltet und somit die Site sozusagen "eingefroren" wurde, zählte man auf ihr insgesamt rund 2900 Einträge sowie ca. 9700 Kommentare. Alleine hieran läßt sich schon erkennen, dass offenbar ein relativ großes Interesse (und anscheinend wohl auch ein Bedarf) bestand dieses kooperative Kommunikationsangebot zu nutzen. Vor allem aber, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es dieses für insgesamt lediglich um die 2 Monate gab. Was sich allerdings leider nach ungefähr einmonatigem Betrieb der Site zeigte war, dass bei einem derart freien Angebot scheinbar zwangsläufig auch "Missbraucher" des selbigen angelockt werden. So hatten wir dann auch mit Leuten zu kämpfen, die probierten die Plattform regelrecht zu zu spammen. Wir versuchten also der Lage her zu werden, indem wir zunächst den Dialog mit den potenziellen Missbrauchern suchten und dann auch an die Community der Site appellierten. Schließlich sahen wir uns jedoch leider gezwungen härtere Maßnahmen einzusetzen und bauten eine Art Spamfilter ein. Dies erwies sich aber letzten Endes auch als nur suboptimale Lösung, da man so gewissermaßen immer den Spammern "hinterherhechelt". Somit zeigte sich wiederum, dass es bei solchen Social Software Angeboten wohl auch gutgemachte Voraussetzungen zur Fördererung von Selbstorganisation [5] benötigt. Ein noch relativ junges diesbzgl. Beispiel aus dem Umfeld des (vor allem in "Geek-Kreisen") vielgehypten sog. Web 2.0 ist die Website digg.com. Es handelt sich um eine Art News-Portal (hauptsächlich technischer Ausprägung) und das Prinzip dahinter ist eigentlich recht simpel: Nutzer können News bzw. "Stories" aus dem Netz (welcher Form auch immer; sei es nun ein Blog-Eintrag oder ein Bericht auf einer News-Site etc.) angeben und damit sozusagen "nominieren". Diese können dann von anderen Usern durchsucht und bewertet werden (mittels Vergabe sog. "diggs"). Wird ein bestimmter Betrag an solchen diggs erreicht, so wird die jew. News/Story offiziell auf der Startseite angezeigt. [6] Abb. 2: Ein kleiner Ausschnitt von digg.com Dies ist nur ein Beispiel für die Versuche, Anreize für Selbstorganisation auf solchen kooperativen Plattform-Sites zu schaffen. Wer sich näher damit auseinandersetzen möchte, dem sei an dieser Stelle als ein weiteres Beispiel, das mitunter probiert gewisse Mechanismen hierfür zu etablieren, das Projekt PledgeBank ans Herz gelegt. Es ließe sich nun auch noch der Bogen über Blogs an sich sowie Podcasts usw. spannen, aber dies würde wohl jetzt etwas zu weit führen. Somit möchte ich mich hier gewissermaßen zunächst damit begnügen, dass es sich hierbei um weitere Ausprägungen, der sich anbahnenden bzw. endlich tatsächlich möglich werdenden, freien, "grassrootigen" [7] Kommunikation handelt oder zumindest handeln kann. In diesem Sinne bin ich sehr bei Herrn Kuhlen [8], der ein r2c (also ein Recht auf Kommunikation) fordert. Ich glaube, dass es notwendig wird (u.a. meiner Einschätzung nach) veraltete Strukturen zu überdenken, wenn zudem nötig, sozusagen auch zu durchbrechen, und dementsprechend adäquate Rahmenbedingungen hierfür sowie eben dann auch für die neu entstandenen Kommunikationswege und -formen zu schaffen. Als Beispiel sei hier noch das Creative Commons Lizenzmodell [9] genannt, das in gewisser Weise als einer der ersten wichtigen Meilensteine auf diesem Weg, der wohl vor uns liegt, betrachtet werden kann. Ich hoffe mit diesem Beitrag ein paar interessante Perspektiven dargestellt und vielleicht auch Denkanstöße angeregt zu haben und würde mich über eine (gerne auch kontroverse) Diskussion freuen. Literatur: [1] Wikipedia-Eintrag zu Blogosphere, zuletzt besucht am: 5. Nov. 2005 [2] Wikipedia-Eintrag zu Social Software, zuletzt besucht am: 5. Nov. 2005 [3] Wikipedia-Eintrag zu Nichtwähler, zuletzt besucht am: 5. Nov. 2005 [4] Wikipedia-Eintrag zu Gatekeeper, zuletzt besucht am: 5. Nov. 2005 [5] Wikipedia-Eintrag zu Self-organization, zuletzt besucht am: 6. Nov. 2005 [6] Digg - FAQs, zuletzt besucht am: 6. Nov. 2005 [7] Wikipedia-Eintrag zu Grassroots, zuletzt besucht am: 6. Nov. 2005 [8] Wenn Autoren und ihre Werke Kollaborateure werden – was ändert sich dann?, Rainer Kuhlen. Erschienen in: C. Bieber; C. Leggewie: Interaktivität – ein transdisziplinärer Schlüsselbegriff. Campus-Verlag, Frankfurt 2004 [9] Creative Commons - FAQs, zuletzt besucht am: 6. Nov. 2005 zurück zum Anfang ... ... link (0 comments) ... comment ... older stories
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