Schattenseiten
 
Sonntag, 2. April 2006
Licht am Ende des Tunnels?
Jeder Depp kann sich Journalist nennen.
Einen Blinddarm rausnehmen kann nur der Chirurg, ein Auto zusammenflicken nur der Mechaniker und eine Milliarde Euro in japanischen Zinsspekulationen verheizen nur ein Bawag-Investmentbanker. Ganz recht, wir sprechen über Qualifikation. Wenn man den Laien bittet, er solle doch bitteschön einen operativen Eingriff führen, hat das ernste Konsequenzen. Auch das Auto weiß man gerne in kompetenten Händen, damit die Bremsen bei der nächsten Bergkurve auch funktionieren. Schreiben hingegen kann jeder. Der eine kann’s gut, der andere nicht so, aber weil’s sonst auch keiner richtig kann, fällt’s eh keinem auf.

Weblogs haben das Tor zu ungehemmter Publizität weit aufgerissen. Die Hürde des Webpage-Gestaltens ist weggebrochen und das Pandämonium von dahinter wartenden potentiellen Journalisten erbricht nun den gesamten Gedankeninhalt einer Generation ins Web.

Das kann eine Bereicherung für die Medienlandschaft sein, wenn dann z.B. Dinge ans Licht kommen, denen die klassischen Medien mangels Interesse oder Fähigkeit keine Aufmerksamkeit schenken können oder wollen. Auf der anderen Seite wird die Sache unüberschaubar, wenn plötzlich jeder meint, sein Alltag sei dermaßen interessant, dass es ein Verbrechen an der Menschheit wäre, diesen den Neugierigen dieser Welt vorzuenthalten.

Was ist von einem Weblog zu halten, das sich das Wohlergehen einer Horde von freifliegenden Papageien in Brooklyn (NY). auf die Flagge geschrieben hat? Und zwar haben sich dort freigelassene und/oder entflogene Mönchssittiche dermaßen unchristlich verhalten, dass die Nachkommen mittlerweile in die Tausende gehen. Die einen freut das, weil’s so nette Vögel sind, die andere haben etwas dagegen. Und Gewehre.

Sicher – Ein Interessantes Thema und die possierlichen Flattermänner in grün sind lieb anzuschauen. Aber welche Relevanz hat das Thema im Nachrichtenalltag von Mitteleuropa? Wenig bis gar keine. Außer George Bush erklärt den Sittichen den Krieg weil sie ABC-Waffen gegen Brooklyn einsetzen. Wenn man sich die beliebtesten Plätze der Vögel ansieht, könnte sich dieser Eindruck durchaus aufdrängen.

Weblogs sind eine wertvolle Ergänzung des Alltags und der Medienwelt, aber das Mehr an Qualität, welches sich hier erschließen lässt, wird mit 90 % SENF erkauft. Ich bin überzeugt, ein paar wenigen Weblogs, die wirklich interessant für eine breite Öffentlichkeit sind, stehen dutzende Weblogs gegenüber, für die sich kein Mensch interessiert und die sich vom Niveau her irgendwo zwischen Daily-Soap und Big-Brother angesiedelt haben.

Von daher bin ich mir über das Ausmaß der „Revolution“ unsicher. Das Weblog ist wahrscheinlich in der Lage begnadete Journalisten zu „erwecken“ und sie vom Zwang des Erlernens von HTML & Co zu befreien. Eine Hürde zum freien Publizieren wird eingerissen. Das Gros an Weblogs wird aber nur für ein kleines, regional begrenztes Publikum von Interesse sein. Das liegt in der Natur der Sache.

Die Wichtigkeit der Funktion des Gatekeepers der Journalisten nimmt dadurch zu. Durch einen um das Vielfache erhöhten Faktor an bereitstehender „Information“ – wie immer diese auch geartet sein mag – braucht es Leute, die professionell das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden wissen. Die Journalisten von Heute sind die Aschenputtels oder Türsteher von morgen und vielleicht weniger damit beschäftigt Content zu erzeugen, als ihn zu bewerten und gutzuheißen. Die Idee einer Welt der freien und alles durchdringenden Information ist eine sehr idealistische, aber sie scheitert bereits an den Unzulänglichkeiten des Menschen.

Kann es sinnvoll sein, das Zusammenstellen von Nachrichten und wissenswerter Information dem Einzelnen zu überlassen, oder ist dieser schlichtweg mit dieser Aufgabe überfordert? Jetzt wird es natürlich heißen, „Niemand zwingt das Individuum sich eine eigene Nachrichtensendung zusammenzustellen“. In Zeiten der absoluten Glorifizierung der Individualität – die gar keine ist – und der Selbstentfaltung, wird dies aber bald gang und gäbe sein. Wie mag eine solche Nachrichtensendung aussehen? Promis, Klatsch und Tratsch, Wetter. Das ist die schöne neue Welt von der Huxley gesprochen hat.

Der Kompromiss. Es gibt jeden möglichen Inhalt. Es gibt stellenweise Interessenten dafür, aber es gibt auch die Gatekeeper, die bestimmen, was für die breiten Öffentlichkeit von Interesse ist.

Heute ist die „herkömmliche“ Nachrichtensendung, in der Thema für Thema aufgearbeitet wird noch die Regel. Bisher gibt es jedoch auch nur marginal interaktives Fernsehen. Was, wenn man selber Regisseur ist und bestimmen kann, welche Rubrik einen interessiert und welche nicht? Bei der heutigen Politikverdrossenheit, wird sich diese Kategorie wohl im Unterfeld der Beliebtheitsskala befinden.

Ich bin – um zum Schluss zu kommen – der Ansicht, dass Weblogs eine, möglicherweise gefährliche, Entwicklung in eine Richtung fortführen, die endlich zu einem totalen Desinteresse und zu einer maximalen Uninformiertheit des Menschen führen kann.

Und diesem Gedanken werde ich im Rahmen dieses Weblogs nachgehen.

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