Schattenseiten
 
Mittwoch, 5. April 2006
Biedere Zeiten
Weiß noch jemand, wie schön’s im Biedermeier war? Was keiner mehr? Alle tot? Verdammt!

Los ging’s so ca. 1815, als man aus Napoleon endgültig einen kleinen Robinson machte. Verbannt auf St. Helena war er so „Lost“ wie man damals nur irgendwie hätte sein können.
Weil der kurze Magenkrebsler Zeit seines Lebens viele Jahre damit zubrachte, halb Europa bis nach Moskau rauf zu brandschatzen und zu verwüsten, wollte man nach dessen Absetzung erst mal ein Weilchen Ruhe und Beschaulichkeit. Man brauchte Urlaub. Ergebnis war der Wiener Kongress. Der lief bereits, als Napoleon – eben 1815 – noch einmal ein Comeback startete. Nix war’s.

Unter Fürst Metternich zuckte man die Bundstifte und malte ein paar Linien auf die Landkarten, lachte herzlich und teilte sich Europa – wieder mal – auf. Anschließend gab’s Sekt. Irgendwann war man dann wieder soweit nüchtern, um zu erkennen, dass Revolutionen ‚ne blöde Sache sind. Da gibt’s Unruhe, Krieg und Probleme. Toll! Nur dumm, dass sich das immer gegen die Königshäuser und die Obrigkeit wendet. Das geht natürlich gar nicht. Schweinerei! Pöbel! Hinfort!

Und weil man das so schön erkannt hatte, gab’s Pressezensur und Polizeistaat. Erst mal Ruhe ins Spiel bringen. Den Ball flachhalten. Nur keine blinde Hast, Tempo kommt im Lauf des Tages. Wenn kein kritischer Mensch, die kritischen Gedanken des anderen lesen und sie mit den eigenen Vorstellungen kombinieren kann – so die Rechnung – gibt’s auch keinen Ärger mit dem Volk. Und so war’s. Der Bevölkerung war’s erst mal herzlich wurscht. Da hatten die Franzosen nun den König gestürzt, bekamen dafür einen Kaiser und schließlich noch ordentlich was auf die Mütze. Kein sehr erstrebenswertes Modell zur Nachahmung.

Sie wollten Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Gekriegt haben sie Napoleon. Na ja, gut, immerhin, okaaay, hätte sicher schlechter kommen können, ja.... sicher *hust*. Nein, nein, Dann schon lieber einen fürsorglichen Patriarchen. Soll der doch schauen, dass es läuft. Bolidig..., oder wie das heißt... PAH! Das Bürgertum hatte endlich eingesehen, dass es schlicht zu doof war für Politik. Der royale Inzuchtstadl hatte Jahrhunderte Zeit, sich das Regieren kreuz und quer durch die Verwandtschaft in die Gene zu meißeln, dagegen gab’s nun mal kein Mittel.

Und – EI – was war das Leben fortan schön. Man vergnügte sich, ließ es sich gut gehen. Man gestaltete sich die Freizeit, richtete sich zu Hause nett ein. Bloß kein Ärger, führt doch zu nix. Die Unterdrückung lief unter der Formel „Hey! It’s not a bug, it’s a feature“. Obwohl, damals artikulierte man sich da wahrscheinlich anders.

Schwupps – 1848 war’s. Märzrevolution. Die Ideen „Demokratie“, „Freiheit“ und „Selbstbestimmung“ waren wieder virulent geworden. Schon wieder herrschte Hungersnot, die Kaufkraft sank. Der Teller blieb weitestgehend leer. Mit leerem Brauch protestiert sich’s gern, dachte man und zog wieder ins Gefecht. Und in Lauerstellung – nur auf ihre Chance wartend – lagen alle Ideologien, die wir heute kennen, bereits in Warteposition.

Schwupps – 2006 ist’s! Der Spiegel erklärt in Ausgabe 14 interessierten Lesern, dass in Deutschland kein Mensch daran glaubt, dass die große Koalition irgendetwas bewirkt.
Das macht aber nix, denn die Leute sind des Zankens ohnehin müde. Man schätzt die ruhige Merkel und dass man kaum etwas von ihr hört. Mann WILL nichts von Politikern hören. Ex-Kanzler Schröder macht durch obskure Öl-Deals von sich reden und bei uns kommt ans Licht, wie der Filius vom ehemaligen BAWAG-Chef in Rekordzeit eine Milliarde Euro verhunzt. Der ist zwar kein Politiker, aber auch einer von „denen da oben“. Und die mag man nicht.
Nein wirklich. Wenigstens was Deutschland betrifft, gilt; Mann hat sich eine kleine Verschnaufpause vom Reformkurs verdient. Ruhe ins Spiel bringen. Den Ball flachhalten. Erst mal gucken, was geht. Schau mer mal, dann seh mer schon. Dabei schwillt ein nicht mehr wegzuleugnender Hass auf die Obrigkeit, der nur noch durch ein sehr breites mediales Angebot an Vergnügungen und Ablenkungen davon abgehalten wird, in gefährlichere Stadien überzugehen.

Die Welt ist kompliziert geworden, Gut und Böse so verworren wie nie. Die alten Märchengeschichten, wo der gute Hänsel, die böse Hexe ins Feuer schubst, verlieren an Glaubwürdigkeit. Hänsel vertickt Drogen, die böse Hexe ist nur kannibalisch, weil die Rente selbst fürs Wesentliche nicht langt und Gretel säuft und ist zum zweiten Mal schwanger. Mit 16.

Die ehemals guten USA führen Angriffskriege, foltern sich quer durch die muslimische Welt und planen munter weitere Eroberungsfeldzüge. Gut, der Irak hatte keine biochemischen Waffen, aber der IRAN muss niedergeworfen werden, weil da schließlich haufenweise geisteskranke Mullahs mit Turban oder Fez um die Wette beten und lieber heute als morgen vor Allah erscheinen würden, damit der ihnen eine unbestimmte Zahl von Jungfrauen zur freien Verfügung stellt. Darum munter Selbstmordanschlag gemacht, was ein Märtyrer sein will. Wenn der böse Iran am boden liegt und die Segnungen einer westlichen Demokratie erfahren hat, geht’s weiter nach Nordkorea. Dass in diesem Land WIRKLICH ein Despot regiert, der sogar zugibt – oder eher behauptet – Atomwaffen zu haben, interessiert die USA wenig bis ganz wenig. Am Ende hat’s da nicht genug Öl.

Schwierig zu sagen, wer gut ist und wer böse. Schwierig aufzubegehren. Aufbegehren, DAS weiß man wenigstens, ist ganz pfui. Uns geht’s ja gut. Wir haben ja Demokratie. Wird ja niemand unterdrückt. Was will man denn? Zwei Parteien stehen zur Wahl. Mittig links die Sozialdemokraten, mittig rechts die Konservativen und drumherum noch ein paar Satellitenparteien.

Was sich da jedoch genau „Demokratie“ schimpft, ist nebulös. Die Politik ist durch Globalisierung und Kapitalismus kastriert. Die zu gehenden Wege und Möglichkeiten sind gering. Die Machtverteilung verschiebt sich gravierend in Richtung Wirtschaft. Nur – Deren Vorsteher kann niemand wählen. Jedenfalls sicher nicht das Wahlvolk. Die Demokratie verliert ihren Stellenwert.

Sinnbildlich:
Das Schaffende, das Gestaltende ist die Hand, der Handschuh der Wille des Volkes, den man mit einer demokratischen Wahl „festlegen konnte“. Nun – Wir können noch immer über den Handschuh bestimmen. Die gestaltende Hand ist jedoch gar nicht mehr drin. Die, die Macht haben, sind mit einer demokratischen Wahl nicht zu erwischen. Und so wird JEDE demokratische Wahl zur Farce. Wahlen sind für die WAHREN Träger der Macht nicht bindend. Wann kommt jemand drauf, dass keine Hand mehr im Handschuh ist?

Und was hat das jetzt mit Weblogs zu tun?

Zerstreuung!

Weblogs sind wesentlich einfacher zu gestalten als Websites, ergo gibt es auch immer mehr davon. Und immer feiner werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Themen, Ideen, Einstellungen und Gedanken. Jeder Mensch kann sich immer noch schöner aussuchen, was ihm gerade passt. Und wenn ich die Menschen richtig einschätze, werden alle möglichen Reibungspunkte vermieden. Je weniger Medien es gibt, desto mehr Reibungspunkte muss es geben, da durch breit gegliederte und teilweise grundverschiedene Zielgruppen ein mannigfaltiger Inhalt geboten werden muss. Je mehr Medien es gibt, desto eher kann man es jedem Einzelnen recht machen.

Interessengruppen werden so immer weiter und immer noch weiter homogenisiert. Für jede kleinste Nuance einer Idee gibt es einen eigenen Weblog oder Contentstream; Was auch immer. Wer macht, oder liest denn schon etwas, das er nicht mag? Alles Aufrührerische wurde aus uns herausgekocht, wir sind harmoniesüchtig und GEFÄHRLICH opportunistisch.

Ich stelle mir Weblogs als Auffangbehälter für etwaiges, vorhandenes Konfliktpotential dar. Ideen und Ansichten verschwinden in Weblogs, die nur von absolut gleichgesinnten rezipiert werden. Es entstehen keine Reibungseffekte und vermutlich auch keine neuen Ideen. Woher denn auch? Jedes Konfliktpotential muss so ungenutzt verdampfen, weil es nicht mit anderem Konfliktpotential reagieren kann. Es wird sorgsam getrennt.

Es bleibt noch festzustellen, dass Konfliktpotential keine Vorstufe zu revolutionären Handlungen irgendeiner Art sein muss. Konfliktpotential erhöht jedoch die Bereitschaft, sich mit dem Alltag und dem System, in dem wir leben auseinander zusetzen. Und diese Bereitschaft verschwindet. Und mit ihr, die Demokratie, wie sie sein sollte.

In diesem Kontext, können Weblogs ein Schritt auf dem Weg zum absoluten Ameisenstaat sein. Wenige Bestimmende, viele, viele Dienende. Eine dazwischenliegende Intelligenzija wird es über kurz oder lang nicht mehr geben. Orwell hatte dafür einen Begriff: Proles. Huxley sah die mögliche Gesellschaft der Zukunft mit Alphas, Betas, Gammas, Deltas und Epsilons noch etwas differenzierter, an der krassen Schichtung hatte jedoch auch er keinen Zweifel. Ebenso Bradbury

Wir befinden uns vielleicht an der Schwelle eines neuen Biedermeiers. Eines Biedermeiers, das wir nie wieder verlassen werden.

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Sonntag, 2. April 2006
Licht am Ende des Tunnels?
Jeder Depp kann sich Journalist nennen.
Einen Blinddarm rausnehmen kann nur der Chirurg, ein Auto zusammenflicken nur der Mechaniker und eine Milliarde Euro in japanischen Zinsspekulationen verheizen nur ein Bawag-Investmentbanker. Ganz recht, wir sprechen über Qualifikation. Wenn man den Laien bittet, er solle doch bitteschön einen operativen Eingriff führen, hat das ernste Konsequenzen. Auch das Auto weiß man gerne in kompetenten Händen, damit die Bremsen bei der nächsten Bergkurve auch funktionieren. Schreiben hingegen kann jeder. Der eine kann’s gut, der andere nicht so, aber weil’s sonst auch keiner richtig kann, fällt’s eh keinem auf.

Weblogs haben das Tor zu ungehemmter Publizität weit aufgerissen. Die Hürde des Webpage-Gestaltens ist weggebrochen und das Pandämonium von dahinter wartenden potentiellen Journalisten erbricht nun den gesamten Gedankeninhalt einer Generation ins Web.

Das kann eine Bereicherung für die Medienlandschaft sein, wenn dann z.B. Dinge ans Licht kommen, denen die klassischen Medien mangels Interesse oder Fähigkeit keine Aufmerksamkeit schenken können oder wollen. Auf der anderen Seite wird die Sache unüberschaubar, wenn plötzlich jeder meint, sein Alltag sei dermaßen interessant, dass es ein Verbrechen an der Menschheit wäre, diesen den Neugierigen dieser Welt vorzuenthalten.

Was ist von einem Weblog zu halten, das sich das Wohlergehen einer Horde von freifliegenden Papageien in Brooklyn (NY). auf die Flagge geschrieben hat? Und zwar haben sich dort freigelassene und/oder entflogene Mönchssittiche dermaßen unchristlich verhalten, dass die Nachkommen mittlerweile in die Tausende gehen. Die einen freut das, weil’s so nette Vögel sind, die andere haben etwas dagegen. Und Gewehre.

Sicher – Ein Interessantes Thema und die possierlichen Flattermänner in grün sind lieb anzuschauen. Aber welche Relevanz hat das Thema im Nachrichtenalltag von Mitteleuropa? Wenig bis gar keine. Außer George Bush erklärt den Sittichen den Krieg weil sie ABC-Waffen gegen Brooklyn einsetzen. Wenn man sich die beliebtesten Plätze der Vögel ansieht, könnte sich dieser Eindruck durchaus aufdrängen.

Weblogs sind eine wertvolle Ergänzung des Alltags und der Medienwelt, aber das Mehr an Qualität, welches sich hier erschließen lässt, wird mit 90 % SENF erkauft. Ich bin überzeugt, ein paar wenigen Weblogs, die wirklich interessant für eine breite Öffentlichkeit sind, stehen dutzende Weblogs gegenüber, für die sich kein Mensch interessiert und die sich vom Niveau her irgendwo zwischen Daily-Soap und Big-Brother angesiedelt haben.

Von daher bin ich mir über das Ausmaß der „Revolution“ unsicher. Das Weblog ist wahrscheinlich in der Lage begnadete Journalisten zu „erwecken“ und sie vom Zwang des Erlernens von HTML & Co zu befreien. Eine Hürde zum freien Publizieren wird eingerissen. Das Gros an Weblogs wird aber nur für ein kleines, regional begrenztes Publikum von Interesse sein. Das liegt in der Natur der Sache.

Die Wichtigkeit der Funktion des Gatekeepers der Journalisten nimmt dadurch zu. Durch einen um das Vielfache erhöhten Faktor an bereitstehender „Information“ – wie immer diese auch geartet sein mag – braucht es Leute, die professionell das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden wissen. Die Journalisten von Heute sind die Aschenputtels oder Türsteher von morgen und vielleicht weniger damit beschäftigt Content zu erzeugen, als ihn zu bewerten und gutzuheißen. Die Idee einer Welt der freien und alles durchdringenden Information ist eine sehr idealistische, aber sie scheitert bereits an den Unzulänglichkeiten des Menschen.

Kann es sinnvoll sein, das Zusammenstellen von Nachrichten und wissenswerter Information dem Einzelnen zu überlassen, oder ist dieser schlichtweg mit dieser Aufgabe überfordert? Jetzt wird es natürlich heißen, „Niemand zwingt das Individuum sich eine eigene Nachrichtensendung zusammenzustellen“. In Zeiten der absoluten Glorifizierung der Individualität – die gar keine ist – und der Selbstentfaltung, wird dies aber bald gang und gäbe sein. Wie mag eine solche Nachrichtensendung aussehen? Promis, Klatsch und Tratsch, Wetter. Das ist die schöne neue Welt von der Huxley gesprochen hat.

Der Kompromiss. Es gibt jeden möglichen Inhalt. Es gibt stellenweise Interessenten dafür, aber es gibt auch die Gatekeeper, die bestimmen, was für die breiten Öffentlichkeit von Interesse ist.

Heute ist die „herkömmliche“ Nachrichtensendung, in der Thema für Thema aufgearbeitet wird noch die Regel. Bisher gibt es jedoch auch nur marginal interaktives Fernsehen. Was, wenn man selber Regisseur ist und bestimmen kann, welche Rubrik einen interessiert und welche nicht? Bei der heutigen Politikverdrossenheit, wird sich diese Kategorie wohl im Unterfeld der Beliebtheitsskala befinden.

Ich bin – um zum Schluss zu kommen – der Ansicht, dass Weblogs eine, möglicherweise gefährliche, Entwicklung in eine Richtung fortführen, die endlich zu einem totalen Desinteresse und zu einer maximalen Uninformiertheit des Menschen führen kann.

Und diesem Gedanken werde ich im Rahmen dieses Weblogs nachgehen.

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