Schattenseiten
 
Freitag, 19. Mai 2006
You talking to me? You talking to me?

Plötzlich war ich in einer Box, einem telefonkastenförmigen Gebilde und fühlte den Drang in mir aufsteigen, zu reden. Und ich wusste, dass viele Menschen hören würden, was ich zu sagen habe.

Was sich ein bisschen so anhört, wie der Auszug aus einer therapeutischen Sitzung bei Professor DDr. Stöcklein (Wien, 4. Bezirk, Hausnummer 28, 2. Stock, 3. Tür, bitte Termin vereinbaren!) könnte sich zu einem durchaus legitimen Verhalten von Leuten entwickeln, die sich dazu berufen fühlen, den jeweils gegenwärtigen Vorgängen in der Welt eine Fußnote hinzuzufügen.

„Auf in die Box!“ könnte es dann im besten heldenhaften Jargon heißen, um dort gegen das Böse anzutreten. Wenn auch nur verbal. Telefonzellen und andere Einrichtungen ähnlicher Größe aber mit einem völlig anderem Verwendungszweck spielten in der Geschichte der Erderretung ja bereits mehrmals eine entscheidende Rolle. Wo riss sich denn Superman das biedere Journalistenkostüm vom gestählten Körper? Na? Eben!

Ich sage es wie es ist – Ich bin unsicher!

Eine „Speakers Box“ die über Internet den offenen Meinungsaustausch ermöglicht, muss, wenn sie funktionieren soll, verteufelt gut geplant werden, denn sie wildert in Revieren, die prinzipiell bereits besetzt sind. Nämlich vom Internet selbst. Und da fällt der Startschuss für die Probleme erst.


20 – 100 Sekunden Redezeit.

Verfolgt man die aufgeheizten Redeschlachten auf dem Radiosender Bayern 2, wo Ichduersiees mitmachen kann, gelangt man peinlich berührt zu der Erkenntnis, dass 100 oder gar 20 Sekunden irdischer Zeit ein gar kleines Stückchen Universum sind, um fundierte Aussagen zu treffen. Peinlich berührt insofern, weil man oft mitanhören muss, wie der genervte Moderator überaus mitteilungsfreudige Anrufer abwürgt.

Um in kurzer Zeit eine fundierte Meinung unterzubringen, braucht man ein Skript. Mann muss sich vorher überlegen, was man denn eigentlich sagen will. Einfach mal in die Box zu hüpfen um dort dann 20 Sekunden zu hmmmen und äähhhhen ist nicht zielführend. Bei einem Skript gibt es dann jedoch wieder ein großes Fehlerpotential. Also muss man einen Clip bearbeiten können.

3 Knöpfe, „Aufnahme“, „Ansehen“, „Veröffentlichen“ müssten also durch weitere Optionen ergänzt werden. „Vorspielen, „Zurückspielen“, „Löschen“, „Einfügen“.

Schlägt man wiederum diesen Weg ein und folgt ihm bis zu seinem Ende, findet man sich dort in einem Flugzeugcockpit wieder. Dann wird jeder der Benutzer der „Speakers Box“ sich fragen „Nanu? Ein Telefonbuch?“

Nein – Die Bedienungsanleitung... Das INHALTSVERZEICHNIS der Bedienungsanleitung.

Ich sehe hier drei Wege.
  • 1. Entweder ein wesentlich größeres Zeitfenster für die Sprecher, damit sie unbearbeitet, aber dafür sehr authentisch Zeit dazu haben, zu sagen, was ihnen auf dem Herzen liegt.
  • 2. Ein sehr geringes Zeitfenster mit Bearbeitungsmöglichkeiten. Damit ein Clip soweit „perfektioniert“ werden kann, damit er das, was der Sprecher intendiert, auch ausdrückt.
    Vielleicht mit einer beschränkten Anzahl an Korrekturmöglichkeiten.
  • 3. Die Beibehaltung des 20 – 100-Sekunden-Konzepts ohne Bearbeitungsmöglichkeit. Das führt in meinen Augen dazu, die Speakers Box zu kastrieren. Denn dann kommt es zwar zu Wortmeldungen, wofür jemand ist, jedoch nicht warum. Aber gerade das WARUM interessiert. Wenn 100 Leute meinen, sie seien für A, wird derjenige, der sich für B entscheidet, sicher gerne kundtun, warum das so ist.

Man könnte – oder müsste – vielleicht „Themenrubriken“ einführen. Z.B „Was mich aufregt“. „Was ich mir für die Zukunft wünsche“, „Was ich bei x und y ändern würde“, „Was ich von Tempo 160 halte“.

Vorschlag:
Man wählt zu Beginn der „Sitzung“ eine Themenrubrik aus und tut nun kund, was davon zu halten ist. Und wenn 20, 50, 100 oder eine bestimmte Zahl davon vorhanden sind, fügen sie sich zu einem File oder Video zusammen und werden als solches veröffentlicht. So bekommt man bei tagesaktuellen Themen einen Eindruck, was die Leute davon halten.

Ich bin mir bewusst, dass das eine Eingrenzug oder Einschränkung der Möglichkeit der "freien Rede" ist, weil ein Thema schon vorliegt.

Eventuell hilft hier die Aufspaltung in zwei Genres "ShortComment" und "LongComment".

"Short Comments" werden mit 20 - oder wie viel auch immer - anderen Comments der gleichen Kategorie zusammengefasst und bilden Kurzfilme, die sich als Stimmungsbarometer zu einem gewissen Thema verstehen.

"Long Comments" sind längere Beiträge, bis 100 Sekunden - oder wenn es nach mir geht, 300 Sekunden - die eine völlig freie Themenwahl ermöglichen. Hier wird nichts zusammengefasst.

So wäre es sogar möglich eine "Hierarchie" aufzubauen. Zu Beginn gibt es nichts. Da ist es biblisch leer. Mitteilungsfreudige Leute kreieren dann "Long Comments". Im Internet und wo man diese Kommentare sehen kann, kann man abstimmen, ob das ein interessantes Thema ist, oder nicht.

Wenn das Thema von der Mehrheit als interessant empfunden wird, wird die Möglichkeit der "Short Comments" freigeschalten. Wenn das "Long Comment" als nicht interessant empfunden wird, gibt es die Möglichkeit der Short Comments nicht.

Wenn man diese Strukturierung weiterführt, könnten wichtige Themen sehr differenziert "bearbeitet" werden, während absolute Einzelmeinungen die vermutlich Extreme sind, herausgefiltert werden. Ob man das will, ist freilich wieder eine andere Frage.

Es ließe sich so aber der Crime-Filter umgehen. Es darf ALLES gesagt werden. Und zwar wirklich alles. Ob anschließend diese Thema jedoch weiter diskutiert wird, bestimmt die Bewertungsfunktion. Wenn ein "Long Comment"einen gewissen Prozentsatz an Ablehnung erzielt, wird er gelöscht und auch nicht archiviert.

Der Crime-Filter kann höchstens bei den "Short-Comments" Verwendung finden. Da muss man schauen, dass die nicht zur Plattform für Spinner werden.

In jedem Fall wird so, was "Tagesrelevant" ist, nicht von irgendwem vorherbestimmt, sondern über die Bewertungsmöglichkeit der "LongComments" von den "Menschen", bzw. der Mehrheit dieser.

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Thomas.Payer.Uni-Sbg, Sonntag, 21. Mai 2006, 10:08
Der perfekte Zeitvertreib für Arbeitslose und Rentner!
Alles schön und gut, aber wer hat für diese Geschichten, wie du sie im letzten Abschnitt beschreibst, auch die Zeit? Ich kann mir höchstens vorstellen, dass Arbeitslose und Rentner, die ja ohnehin bei jedem Thema immer bestens informiert sind (zumindest behaupten sie dies von sich) für diese Spielerei die Zeit finden. Diese Personengruppen können sich dann eine Tag Zeit nehmen, sich in solch ein Häuschen stellen und dann daran feilen, was sie der Welt unbedingt zu sagen haben. Und im Anschluss daran darf dann - ach, was bin ich glücklich - mir anhören, was Opa Huber zu Tempo 160 auf der Autobahn zu sagen hat. (Sofern er dazu in der Lage ist, die technische Schranke, vor die ihm die Bedienung einer solchen Speakers Box stellt, zu überwinden).
Im Grunde halte ich dies alles zwar für eine nette technische Spielerei, aber die Frage nach dem Sinn bleibt unbeantwortet. Ist vielleicht aber auch gut so, denn wenn wir immer die Sinnfrage stellen würden, könnten wir auch nicht auf unserem 1-Zoll-Handybildschirm das ORF - Programm verfolgen!

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