Web-Log Michael Köck
Donnerstag, 10. Mai 2007
"Right to Communicate" und "Wissen entsteht kollaborativ" nach Kuhlen
Dieser Artikel behandelt die Arbeit des deutschen Informationswissenschaftlers Rainer Kuhlen.

Kuhlen behandelt in seiner Arbeit (2004) zwei große Themen:

* Kollaboratives Erstellen von Wissen auf der einen Seite und
* Ein Recht auf Kommunikation, das right to communicate, kurz r2c




1. Die Hypertextidee als Basis

„Aber natürlich ist Grundlage der folgenden Überlegungen der grundlegende Wandel in den Formen unseres Umgangs mit Wissen und Information und in den Formen, wie wir miteinander kommunizieren, der durch das gekennzeichnet ist, was ich die fortschreitende Telemediatisierung auch der intellektuellen Lebenswelten nennen möchte, also die tendenziell vollständige Durchdringung dieser Lebenswelten mit Verfahren, Produkten und Diensten von Informatik, Telekommunikation und Hypermedia (Hypertext+Multimedia).“ (Kuhlen, 2004, S. 4)

Kuhlens Basis: Die Folgen der „Hyptertextifizierung“ von Wissen und Information (siehe Zitat), Ausgangspunkt bildet also Ted Nelsons Idee des Hypertexts (vgl. Nelson, 1987) und Tim Berners Lees Visionen des WWW (vgl. Baumgärtel, 2000).


Zentrale Aspekt bei Ted Nelson (1987), auf denen Kuhlen aufbaut:

* „Kooperatives Publizieren“ aufgrund der Hypertextstruktur stellt ein für die Gesellschaft notwendiges Instrumentarium dar.
* Es soll ein weltweiter Zugriff auf alles Wissen einer Gesellschaft ermöglicht werden
* Ein sog. „Historical Backtrack“ ist notwendig, d. h. wenn Dokumente sich verändern, wie verändern bzw. entwickeln sie sich.



2. Wissen entsteht kollaborativ

Kuhlen (2004) gibt zu Beginn seiner Arbeit zu bedenken, dass unsere Kultur in erster Linie auf das individuell erzeugte Werk ausgerichtet ist, es gilt dabei immer, den individuellen Autor vor Urheberrechtsverletzungen zu schützen. Letztlich kommt aber alles Wissen kollaborativ zu Stande, Kuhlen spricht sogar vom „fiktiven individuellen Autor“. Und namhafte wissenschaftliche Erkenntnisse bräuchten heute Kooperation. Dazu wäre aber ein gesellschaftliches Umdenken nötig, weg vom Denken an den individuellen Autor, auch das strenge Medienrecht müsste geändert werden.

Aber es sind nicht nur die Autoren, die sich kollaborativ verhalten, sondern die Texte, durch die reale synchrone Vernetzung mit anderen „Texten“ (vgl. Kuhlen, 2004).

Kuhlen (2004) stellt dann aber auch die Gretchenfrage: Wer ist dann noch der Autor dieses aktuell entstandenen und nur eine Weile gültigen Netzausschnitts? Wer besitzt die Urheber- oder Verwertungsrechte?

Was folgt also nun aus den neuen kollaborativen und kommunikativen Verhaltens- und Umgangsformen in elektronischen Umgebungen? Was ist zu beachten? Die neuralgischen Punkte sind für Kuhlen (2004):

* Begriff der Autorenschaft, individuelle Zurechenbarkeit und Schutz
* Verteilung/Publikation der Ergebnisse
* Formen des Wissensmanagements, Lehren und Lernen
* Rolle der Medien, die bislang weitgehend Monopolist in der Erstellung politischer Öffentlichkeit waren
* Entwicklung neuer partizipativer Formen des politischen System

Kuhlen sieht einen Paradigmenwechsel als unverkennbar. Als Stichworte führt er „Napsterisierung“, free-and-open-software-Bewegung, General Public License, Creative Common Software an (vgl. Kuhlen, 2004).

Bestes Beispiel ist allerdings die freie Enzyklopädie Wikipedia, basierend auf dem Wiki-Prinzip. Jeder hat das Recht auf Umformulierung und Ergänzung des Bestehenden. Die Vorstellungen individueller Autorenschaft und individueller geschlossener Werke werden aufgegeben zugunsten der Rationalität von Kollaboration und transparenter Öffentlichkeit (vgl. Kuhlen, 2004).

Der Paradigmenwechsel hat begonnen, wir stehen aber ganz am Beginn dieses Prozesses, unser Rechtssystem ist weit entfernt, dem schon Rechnung tragen zu können. „Die jetzigen Copyright-/Urheberrechtsreformen, regulieren (strangulieren) die neuen medialen Möglichkeiten auf Grundlage von Wertvorstellungen für den Umgang mit Wissen und Information, die in ganz anderen medialen Umgebungen entstanden sind.“ (Kuhlen, 2004)

In der Wissenschaft müssen neue Formen der Anrechnung, der Belohnung, der Anreize gefunden werden, die nicht mehr exklusiv auf die individuelle Leistung abheben (vgl. Kuhlen, 2004).



3. Recht auf Kommunikation

Das 2. zentrale Thema von Kuhlen, das eng mit dem „Kollaborativen Erstellen von Wissen“ zusammenhängt, widmet sich der Fragestellung, ob es ein Recht auf Kommunikation, ein „right to communicate“ (r2c), gibt.

Kuhlen (2004) stellt erstmals klar: Niemand würde Menschen das Recht auf Kommunikation absprechen, wir können ja auch gar nicht anders. Nun, warum führt diese Thematik dann dennoch zu höchst kontroversen Meinungen?

In Anspruch genommene Kommunikationsrechte können durchaus mit Rechten Anderer, aber auch mit kollektiven Interessen (zB Staat) in Widerspruch geraten. Global gesehen verschärfen sich diese Divergenzen – v. a. aus kulturellen Gründen – selbstverständlich (vgl. Kuhlen, 2004)

Für Kuhlen (2004) ist Kommunikation als Paradigma des Verhaltens in vernetzten elektronischen Umgebungen mehr als Mitteilungs- und Rezipientenfreiheit. Deshalb verlangt er, das r2c verbindlich zu kodifizieren. Er fordert die Aufnahme des „r2c“ in die Menschenrechts-Konvention.

„Kommunikationsrechte, das r2c, sind als universal und fundamental anzusehen. Kommunikationsfreiheit ist in diesem Verständnis das Recht eines Jeden, in einen freien Austausch von Wissen und Informationen eintreten und sich kollaborativ, teilend, unbeschränkt durch Autoritäten oder technische Restriktionen an der Produktion von neuem wissen und neuer Information beteiligen zu können.“ (Kuhlen, 2004, S. 12)

Kuhlen (2004) führt politische, medienbezogene und menschenrechtliche Gegenposition in seine Überlegungen ein. Das politische Argument sieht eine Gefahr von Zensur bzw. Medienkontrolle und damit Gefahr für die öffentliche demokratische Gesellschaft, wenn der Staat individuelle Informations- und Kommunikationsrechte als kollektives Stellvertreterrecht reinterpretiere und so die Kontrolle über Informationen reklamiere. Das medienbezogene Argument spielt auf die Rolle der Medien als „öffentlicher Wachhund“ ab: Nur die Medien könnten ihre politische Aufgabe der Sicherung demokratischer Öffentlichkeit wahrnehmen. Freilich ist hier eine große Portion Eigeninteresse dabei.

Mit den elektronischen Diensten vollzieht sich ein medial bedingter Wechsel vom Distributions-, über das Interaktions- zum Kommunikationsparadigma im engeren (eigentlichen) Sinne. Die offizielle Medienwelt war und ist bis heute – Einweg-Kommunikation (vgl. Kuhlen, 2004).

Forderung nach r2c im medialen Umfeld bedeutet mit Blick auf die demokratische Öffentlichkeit das Recht, „durch direkten Austausch mit im Prinzip jedem anderen dazu beizutragen, dass eine politisch relevante Öffentlichkeit direkt entsteht, die also nicht über das professionelle mediale System vermittelt ist“.

Kein Wunder dass politische Systeme dagegen sind: Gefahr für bestehende Herrschaftsverhältnisse und Besitzansprüche bestehen.

Was bedeutet r2c also für Kuhlen (2004):

* Die Forderung nach r2c ist keineswegs eine Kampfbotschaft an das bestehende mediale, politische und ökonomische System. Aber es kann helfen, deren Schwächen wie Monopolisierung oder starke Kommerzialisierung zu mindern.
* R2c bedeutet das Recht, alternative, nicht ersetzbare Formen der Bildung demokratischer deliberativer Öffentlichkeit auszuprobieren und an ihr aktiv im Austausch mit anderen teilzunehmen.
* R2c steht in direktem Zusammenhang mit der Open-access-Initiative und der Creative-commons-Lizenzierung.

Zum Abschluss seiner Arbeit stellt Kuhlen (2004, S. 16) folgende Frage in den Raum: „Bleibt es bei einer Gesellschaft der Status-quo-Sicherung, bei der Kommunikation nur bedeutet, Zugang zu den technischen Netzen zu haben, um konsumierend das Wissen und die Information derjenigen aufzunehmen, die, wie derzeit die großen Medien- und Informationskonzerne, die globalen Märkte dominieren und manipulieren?“

Und quasi als Mission Statement zum Schluss dieses Zitat von Kuhlen:

„Was wir heute in den Umgebungen vernetzter elektronischer Räume brauchen, sind offene Kommunikationsräume, in der jeder die Chance hat, nicht nur nach Informationen zu suchen (seek) und diese zu empfangen (receive) oder diese zu verbreiten (impart), sondern sich kommunikativ verhalten. Das bedeutet das Recht eines jeden, in einen freien Austausch von Wissen und Information einzutreten und sich kollaborativ, teilend, unbeschränkt durch Autoritäten oder technische Restriktionen an der Produktion von neuem Wissen und neuer Information mit Chancen auf Anerkennung beteiligen zu können.“ (Kuhlen, 2004, S. 17)



4. Persönlicher Kommentar

Letztlich haben Kuhlen und seine Vorgänger Recht, wenn sie behaupten, dass alles Wissen letztlich kollaborativ zu Stande kommt. Selbst die Genialität Goethes kann bis zu einem gewissen Grad relativiert werden, wenn man bedenkt, dass auch seine großen Werke Anlehnpunkte zu zB Rousseau oder Voltaire aufweisen. Fazit ist also dass jedes Werk kollaborativ, also vernetzt und zusammenhängend, entstanden ist.

Namhafte wissenschaftliche Erkenntnisse brauchen heute bestimmt Kooperation. Das ergibt sich schon allein aus der immer komplexer werdenden (Um)Welt. Dazu wäre aber ein gesellschaftliches Umdenken nötig, weg vom Denken an den individuellen Autor, auch das strenge Medienrecht müsste geändert werden. Ich denke aber, dass dieses Umdenken nicht so schnell stattfinden wird. Zudem muss irgendwo eine individuelle Zurechenbarkeit möglich sein, wie dies geschehen könnte, bleibt fraglich.

Grundsätzlich stimme ich Kuhlen, was das r2c betrifft auch zu: Es kann uns große Chancen ermöglichen, vielleicht beginnen die Menschen dann wieder unbeeinflusster zu agieren. Es besteht aber auch die Gefahr, dass sich dann bestimmte Gruppen besser in Szene setzen können und so die Meinung relativ unkontrolliert beeinflussen können.



5. Literatur- und Quellenverzeichnis:

Baumgärtel, Tilman (2000): Wie das Web gewebt wurde. Online-Artikel. Verfügbar unter http://www.heise.de/tp/r4/artikel/5/5853/1.html (22.05.07)

Kuhlen, Rainer (2004): Wenn Autoren und ihre Werke Kollaborateure werden – was ändert sich dann? Oder: wenn Kommunikation ein Recht, gar ein Menschenrecht wird – was ändert sich dann. Verfügbar unter http://www.inf-wiss.uni-konstanz.de/People/RK/Publikationen2004/20040706_autoren_kollaborateure.pdf (22.05.07)

Nelson, Ted (1980-1987): Literary Machines. Foliensatz. Zusammengestellt für Collabor von H. Mittendorfer. Verfügbar unter http://newmedia.idv.edu/collabor/literary_machines.ppt (22.05.07)



6. Linksammlung zum Thema

http://www.uni-potsdam.de/u/mrz/coe/emrk.htm

http://www.kuhlen.name/

http://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Menschenrechtskonvention

http://de.wikipedia.org/wiki/Rainer_Kuhlen

http://de.wikipedia.org/wiki/Konstruktivismus

http://wiki.idv.edu/Wiki.jsp?page=KooperativesLernenUndPublizieren
UndPublizieren

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Julia.Habich.Uni-Linz, Dienstag, 15. Mai 2007, 19:17
hallo michael,

wollte dir nur schnell mitteilen, dass wir dasselbe thema "right to communicate" haben. dann musst zumindest eine person weniger suchen ;)

lg, julia

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