Web der Zukunft Browserzwerge: Alternativen mit Zukunftsaussichten?

robert.markus.uni-sbg, 8. Jänner 2012, 21:35

Wenn über den heiß umkämpften Browsermarkt oder die neuen Webstandards berichtet wird, stehen meist nur die aktuell fünf größten Protagonisten im Mittelpunkt. Aber neben Firefox, Safari, Opera, Google Chrome und dem Internet Explorer existieren auch noch andere Browser, obwohl viele davon ein Schattendasein fristen. Zu Unrecht, denn darunter befinden sich interessante Trendsetter, die gezielt auf soziale Netzwerke ausgerichtet sind oder bequeme Arbeitsflächen für Webentwickler generieren. Außerdem füllen sie wichtige Nischen, wenn es darum geht, das Internet blinden Menschen zugänglich zu machen und schnelle Textrecherche zu betreiben. Allein diese Beispiele zeigen, dass es sich durchaus lohnt, einmal zu den Randbereichen des Browser-Universums zu blicken. Dabei möchte ich aber nicht nur einige Konzepte vorstellen, sondern auch herausarbeiten, in welcher Weise diese Browseralternativen das Web zukünftig beeinflussen könnten und ob sich sogar ein potentieller Newcomer darunter befindet.

 

(K)eine Chance für Zwerge?

 

Am Anfang steht natürlich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die marktschwachen Browserzwerge mit ins Boot zu holen. Reicht es nicht aus, von den Branchengiganten auf die zukünftigen Webtrends zu schließen? So verglichen Jo Bager und Herbert Braun in ihrem Artikel Surf-Rennen lediglich die fünf größten Konkurrenten miteinander, wobei sie bereits Opera und Safari als Exoten bezeichneten (vgl. 2010: 124f). Einige Monate später konzentrierten sich die beiden Autoren sogar nur noch auf Firefox, Chrome und den Internet Explorer (vgl. 2011: 18f). Das ist nicht weiter überraschend, schließlich halten sie laut der Analyse von Webmasterpro zusammen 87,8% des deutschsprachigen Browsermarktes (Stand: 29. Mai 2011). Hinzu kommt, dass die in der WHATWG engagierten Hersteller den neuen HTML 5-Standard aktiv mit entwickeln. Auf den ersten Blick erscheinen also die 4%, die sich alle übrigen Browser teilen, als relativ unwichtig. Trotzdem trügt dieser Eindruck, wie ich nun im Folgenden darstelle.

 

Flock - Im Geist der Zeit


Was liegt heute eigentlich näher, als einen Webbrowser zu kreieren, der sich speziell auf die Verknüpfung von sozialen Netzwerken konzentriert? Diesen Versuch haben Bart Decrem und Geoffrey Arone 2005 mit Flock unternommen. Ihr zunächst auf der Codebasis von Firefox 2 (später Google Chrome, vgl. Liedtke 2010) basierender Browser verband gängige Web 2.0-Dienste miteinander und könnte somit auch als Vorform des Betriebssystems Google Chrome OS gesehen werden. Zum Beispiel speicherte Flock Lesezeichen automatisch in den Delicious-Account des Nutzers, verfügte über einen integrierten Upload für Flickr und visualisierte mittels einer Timeline die neuesten Einträge auf Facebook oder Twitter (vgl. Wyner 2010). Außerdem war es möglich, eine personalisierte Startseite einzurichten, durch die man alle Feeds, Bilder und Videos im Blick hatte. Damit erreichte der Webbrowser 2008 in einem von PC World herausgegebenen Ranking sogar den sechsten Platz. Obwohl dieses Konzept - meiner Meinung nach - vor Innovation strotzte, wurde die Entwicklung am 11. April 2011 eingestellt, da das Team zu Zynga wechselte.

 

Flock

Quelle: http://www.nela.in/review-of-flock-browser-the-social-web-browser/ (Die personalisierte Startseite von Flock)



Zusammenfassend ist dieser Webbrowser also ein Beweis dafür, dass sich innovative Ideen nicht immer durchsetzen. Hier könnten das fehlende Budget und der kleine Entwicklerkreis Auslöser gewesen sein. Trotzdem hat Flock bis heute einen wesentlichen Einfluss auf andere Hersteller: So geht RockMelt ähnliche Wege und die personalisierte Website findet sich beim Web 2.0-Dienst Netvibes wieder.

 

Wer Flock ausprobieren möchte, kann es hier downloaden (Version 2.5.6).

 

Textbrowser - Mehr als ein verstaubtes Relikt

 

Grafiken, Tabellen und Flash-Animationen sind überhaupt nicht mehr aus aktuellen Browsern wegzudenken, trotzdem verzichtet Lynx komplett auf diese Features. Die Anzeige beschränkt sich auf reinen Text, Links und Hervorhebungen. So werden beispielsweise in HTML als fett gekennzeichnete Stellen in einer anderen Farbe dargestellt. Anstatt der Bilder zeigt Lynx den im <alt>-Attribut des <img>-Tags vorhandenen Alternativtext. Damit wirkt der immerhin seit 1992 entwickelte Browser reichlich angestaubt, aber genau diese Eigenschaften machen ihn zu einem wertvollen Nischenprodukt: Da er lediglich Text verarbeitet, ist er rasend schnell und verursacht kaum Traffic. Außerdem sieht man sofort den eigentlichen Inhalt der Seite, ohne eventuell störendes Design. Desweiteren führt er keinen Code aus, weswegen Viren kaum eine Chance besitzen.

 

Lynx in Action

Quelle: Einer meiner Blogbeiträge im Textbrowser Lynx

 

Daraus ergeben sich auch im Zeitalter der grafischen Multifunktionsbrowser klare Vorteile. Einer der wichtigsten ist, dass Lynx einen essentiellen Schritt zu einem barrierefreien Web darstellt, weil er blinden Menschen den Zugang erleichtert. Diese müssen sich Internetseiten logischerweise von Sprachausgaben vorlesen lassen oder ein Ausgabegerät für Blindenschrift (Braille-Zeile) nutzen (vgl. Rehbein 2011). Da die Hilfsmittel nur ein Browserfenster erfassen können, wird es schnell problematisch, wenn Frames, Flash oder andere Elemente ins Spiel kommen. Das macht die Nutzung der Webseite für einen Blinden oft unmöglich. Da Lynx aber nur den eigentlichen Inhalt wiedergibt, schließt es diese Personengruppe nicht potentiell aus. Damit bleibt der Textbrowser auch in Zukunft eine wichtige Ergänzung.

Daniel Rehbein verweist auch auf einen weiteren Vorteil: Der Textbrowser kann Webmastern bei der Suchoptimierung helfen, weil die meisten Crawler (Google Bot, ...) die eigene Seite ähnlich wie Lynx analysieren. Wenn man also sicher gehen möchte, dass sie auch unter den richtigen Schlüsselwörtern gefunden wird, sollten diese im reinen Inhalt aufscheinen, abseits von Flash oder JavaScript. Desweiteren hat man mit Lynx ein mächtiges Werkzeug zur Recherche. Da Weblogs (beziehungsweise durch ehemals passive Rezipienten generierte Inhalte) eine immer wichtigere Quelle für Journalisten werden (vgl. Gillmour 2004: VIII), bietet sich ein rascher Textbrowser, der unwichtige Designs ausblendet und kürzere Ladezeiten beansprucht, geradezu an, besonders wenn man bestimmte Adressen öfter frequentiert.

Auf den zweiten Blick ist Lynx also gar nicht so angestaubt, wie es zunächst wirkt. Er könnte sich sogar als Geheimtipp in medialen Berufszweigen etablieren, in denen Inhalte möglichst schnell recherchiert werden müssen. Leider konnte ich keine reguläre Twitter-Seite damit öffnen, die mobile Version soll aber funktionieren. Eine dahingehende Kompatibilität würde die journalistische Nutzung aus meiner Sicht begünstigen, auch wenn Textbrowser zukünftig sicher trotzdem nur als zweite Alternative zu einem multifunktionalen Vertreter Verwendung finden. Dort könnten sie aber - auch in Hinsicht auf das barrierefreie Web - einen kleinen Boom erleben.

 

Lynx steht unter einer freien GNU-Lizenz, weitere Textbrowser sind Links und w3m.

 

Entwickeln leichtgemacht - Lunascape


Als wahrer Tausendsassa entpuppt sich der von Lunascape Corporation entwickelte Browser, der gleich drei Engines unter einem Dach vereint: Gecko (Firefox), Trident (Internet Explorer) und WebKit (Chrome/Safari). Das heißt, dass man „für jeden Tab wählen kann, „in welcher Engine die Seite geöffnet wird” (Frank 2010). Diese Eigenschaft katapultiert Lunascape zu dem perfekten Tool für Webdesigner schlechthin, da sich Internetseiten somit um vieles leichter für verschiedene Browser optimieren lassen. Ausprobieren kann man den Browser hier.

 

Lunascape

Quelle: Auswahl der Engines in Lunascape

 

Browseralternativen für iPhone, iPad und Android

Abseits vom Desktop öffnet sich mit der mobilen Kommunikation ein großer Markt für die Browserhersteller. Mitunter stellen sich dem Surferlebnis aber einige Hindernisse entgegen, wenn der zum System gehörende Browser passen muss - bei Flash etwa. Allerdings gibt es auch hier zahlreiche - manchmal gänzlich unbekannte - Alternativen. Eine davon ist Skyfire, das auf der in Apple- oder Android-Geräten installierten Webkit-Engine basiert (vgl. Bager, Braun 2011: 140). Wenn der Browser ein Flashvideo erkennt, schickt er die Video-URL automatisch an einen Server, der den Film HTML 5-kompatibel zurückgibt. Laut der c’t-Ausgabe 3/2011 funktionierte das zwar noch nicht überall, aber bereits bei großen Portalen wie Sevenload.

 

Dolphin

Quelle: http://blog.dolphin-browser.com/gallery/ (Der Dolphin Browser HD, Bild frei für andere Websites verfügbar)

 

Begeistert zeigten sich Jo Bager und Herbert Braun in ihrem Artikel Zweiter Blick auch von dem für Android verfügbaren Dolphin Browser HD, der für sie bei weitem komfortabler als der beigefügte Standardbrowser ist:

„Ein angedeuteter Pfeil nach links lädt die letzte, einer nach rechts die nächste Seite. Neun solcher Gesten sind vorgegeben, in einem Editor kann der Benutzer eigene definieren [...] Einen privaten Browse-Modus realisiert Dolphin Browser HD, indem er immer beim Schließen fragt, ob er Cache und Verlauf löschen soll. App und Cache kann der Surfer auf die SD-Karte auslagern lassen.” (Bager, Braun 2011: 138) Dazu kann man den Browser noch mit bis zu fünfzig Erweiterungen aufrüsten, darunter nützliche Tools wie Web To PDF (Internetseiten werden als PDF gespeichert), ein Passwortmanager oder eine Youtube-Suche.

 

Fazit

Obwohl Browserzwerge wie Lynx, Flock, Lunascape oder Skyfire nur schwerlich die Zahlen der großen Hauptakteure erreichen werden, hat der Ausflug gezeigt, dass sie trotzdem ein wichtiger Teil der Netzlandschaft sind und diese beeinflussen - durch innovative Konzepte, sinnvolle Ergänzungen oder verbesserten Komfort. Desweiteren nehmen sie Nischen ein, in denen sie sogar Branchenriesen ausstechen. Ich hätte anfangs selbst kaum gedacht, dass Lynx so viel leisten kann und mehr als einige Marktführer für ein barrierefreies Web sorgt. Auch Lunascape bietet interessante Möglichkeiten. Während die Sache bei den traditionellen Desktop-Browsern aber eindeutig wirkt, bietet der Mobilfunk offensichtlich ein Eldorado für kleinere Anbieter. Dolphin Browser HD beweist zumindest anschaulich, dass es sich nicht vor den Hauptakteuren verstecken muss - hier halte ich es durchaus für möglich, dass eine bis dato eher unbekannte Software die Riege der üblichen Verdächtigen aufmischen könnte.

 

Quellenverzeichnis:

 

1 comment :: Kommentieren

Screenshots zu den vorgestellten Browsern

robert.markus.uni-sbg, 27. Juni 2011, 09:34

...Für die kurze Themenbesprechung am 27. Juni.

 

Flock

Lynx

Lunascape 6

Dolphin Browser HD

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