Peters Blog - LV Web der Zukunft
Sonntag, 29. Mai 2011
Die Machtverschiebung im Internet und das neue Phänomen "shitstorm"
In meinem Posting möchte ich auf die von Prof. Dr. Peter Kruse erläuterten gesellschaftlichen Veränderungen durch das Internet eingehen. Kruse spricht von einer Machtverschiebung vom Anbieter zum Kunden.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Phänomen "shitstorm" eingehen. Es handelt sich hier um Protestaktionen einer großen Anzahl von Onlinern gegen Unternehmen. Internetnutzer tun auf Blogs oder in diversen Foren ihre Meinung kund und versuchen so, Fehlverhalten von Unternehmen abzustrafen. Dadurch können Unternehmen beispielsweise zu Handlungen getrieben werden.

In meinem Posting gehe ich nach einer kurzen, einführenden Erläuterung des in der Lehrveranstaltung besprochenen Themas auf den Begriff "shitstorm" ein, nenne hier einige Beispiele und versuche die Frage zu beantworten, wie man solchen "shitstorms" entgegentreten kann - hier gibt Peter Kruse in einem Interview einige interessante Punkte an. Zum Schluss möchte ich darauf eingehen, was solche "shitstorms" wirklich bringen - ob man hier also von einer "neuen Macht" der User sprechen kann.

Der Begriff "shitstorm" ist wenig bekannt - daher stellte sich meine Literatursuche als eher schwierig heraus. Ich habe trotzdem versucht, aus unterschiedlichen Quellen verschiedene Gesichtspunkte herauszuarbeiten. Ich glaube, dass dieses Thema sehr gut zur aktuelle Thematik der Lehrveranstaltung passt, deshalb wollte ich dieses Phänomen unbedingt näher behandeln.

Als Einstieg ins Thema möchte ich auf die Entwicklungsstufen von Kruse eingehen. Prof. Dr. Peter Kruse teilt die Entwicklung des Internets in drei Stufen ein. In Stufe 1 bezeichnet er das "Internet als Zugang zu Information". Das Medium Internet wurde in Stufe 3 schon dafür genutzt, um "sich selbst darzustellen und eine Spur zu hinterlassen". In Stufe 3, in der wir uns laut Kruse heute befinden, kann das Internet dafür dienen, "Machtverhältnisse zu verändern und sich zu Bewegungen zusammenzuschließen." Es kann also hier gesagt werden, dass das Internet auch dafür genutzt wird, Bewegungen zu organisieren. Internet kann nicht nur als ein Medium zur Informationsbeschaffung angesehen werden - der Onliner wird in der Entwicklung des Internets immer mehr zum aktiven Nutzer. Kruse spricht von einer Machtverschiebung vom Anbieter zum Kunden. (1)
Als ein Beispiel, welches diese "neue Macht" der Onliner aufzeigt, wäre in diesem Zusammenhang die Rolle des Internets in der politischen Revolution in der arabischen Welt zu nennen. Das Internet ermöglichte hier die Vernetzung von Gleichgesinnten - Regimegegner konnten ihre Ideen und Anliegen weltweit verbreiten und andere zum Aufstand aufrufen. Hier wird ersichtlich, dass sich Interessensgruppen im Internet organisieren und diese, wie im arabischen Raum ersichtlich, sogar politische Revolutionen auslösen können. Man kann also von einer Machtverschiebung zu Gunsten der Bevölkerung sprechen. Inwieweit aber das Internet für die Revolution ausschlaggebend war, kann nicht eindeutig festgestellt werden. Kollege Phillip Sinner setzt sich in seinem Blog aber mit dieser Frage auf kritischer Weise auseinander.

Hier muss angemerkt werden, dass diese "neue Macht" der Internetnutzer nicht nur für politische Agenden genutzt wird, sondern auch in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft und des alltäglichen Lebens. User können im Internet auch Einfluss auf Unternehmen und deren Verhalten nehmen. Produkte können im Netz bewertet werden, Images von Unternehmen werden beeinflusst. (1) "Menschen berichten im Netz über den Nutzen eines Produktes, sie empfehlen gute Produkte weiter und strafen unseriöse Anbieter im Internet ab." (1)
Genau auf solche Abstrafungen von Seiten der Internetnutzer möchte ich im Folgenden eingehen. War es früher dem Kunden nicht oder nur eingeschränkt möglich, Meinungen über Unternehmen Kund zu tun, ist dies nun dank Medium Internet und diversen Web 2.0 Angeboten möglich geworden. Der Kunde kann nun Positives, aber auch eben Negatives ins Netz stellen.(1) Verhalten sich Unternehmen in irgendeiner Weise falsch, unethisch oder unfair, hat nun jeder die Möglichkeit, diese Informationen zu veröffentlichen - in Blogs, in Foren oder Social-Media Plattformen.
Eine Verbreitung von negativer Stimmung im Internet kann natürlich dem Image eines Unternehmens schaden - und zwar gerade dann, wenn sich eine große Anzahl von Onlinern dem Protest anschließt. Genau hier kommt der Begriff "shitstorm" ins Spiel:
Auf der diesjährigen "republica", (eine Konferenz mit den Themen Blogs, soziale Medien und digitale Gesellschaft (3)) bezeichnete der deutsche Blogger und Journalist Sascha Lobo einen "shitstorm" "als einen Prozess, in dem in einem kurzen Zeitraum eine subjektiv große Anzahl von kritischen Äußerungen getätigt wird, von denen sich zumindest ein Teil vom ursprünglichen Thema ablöst und stattdessen aggressiv, beleidigend, bedrohend oder anders attackierend geführt wird. Damit unterscheidet sich ein Shitstorm zwar von harscher Kritik, doch ist die Grenze zwischen Shitstorm und Kritik nur schwer zu ziehen." (2)
Solche "shitsorms" könnte man mit terroristischen Aktivitäten vergleichen: als Gemeinsamkeiten wären "das Interesse, Aufmerksamkeit auf ein inszeniertes Ereignis zu lenken", "möglichst große Reichweite zu generieren", "eine bestimmte Botschaft zu transportieren, die zum Schaden von bestimmten Personen oder Personengruppen führt" sowie "die Ausführung im Schutze der Anonymität" zu nennen. (2)

Einen "shitstorm" im Netz musste beispielsweise das Lebensmittelunternehmen "Nestle" über sich ergehen lassen. Nestle war es vorher immer gewohnt, die eigene Unternehmenskommunikation völlig zu kontrollieren - doch in diesem Fall war "Nestle" machtlos - die Macht hatten andere inne: die Internetnutzer. Auslöser eines solchen "shitstorms" war eine von "Greenpeace" durchgeführte Kampagne gegen "Nestle". Diese Kampagne wieß darauf hin, dass das Schweizer Lebensmittelunternehmen in vielen Produkten Palmöl verwendet, welches aus dem Holz von indonesischen Regenwäldern stammt. Nestle trage demnach eine Mitschuld an der Rodung der Regenwälder und zerstöre den Lebensraum der Orang Utans.
Diese Botschaft wurde von Greenpeace mittels eines Videos in diversen Internetkanälen verbreitet. Als dann Nestle die Löschung diese Films vom Portal "Youtube" erzwang, wurde dieses Video erst richtig "viral". Der Film wurde auf verschiedensten Portalen hochgeladen, diverse Nachrichtenwebseiten und Blogs nahmen das Thema auf.
Auch auf der "facebook"-Fanseite des Großunternehmens gingen einige tausend Protestpostings ein. Nestle löschte viele solcher unangenehmen Postings, löste aber auf Grund von Zensurvorwürfen weitere Protestaktionen im Internet aus. Nach mehreren Wochen kündigte das Unternehmen schließlich an, einen umstrittenen Palmöllieferanten abzusetzen - die User hatten durch deren Proteste etwas bewirkt und ihre "neue Macht" aufgezeigt. (4)
Auch viele andere Unternehmen mussten solche "shitstorms" über sich ergehen lassen. Neben Nestle wurde beispielsweise auch die "Deutsche Bahn"das Unternehmen "Pril", das Bekleidungsunternehmen "Wolfskin" oder auch der Stromanbieter "TelDaFax" von so genannten "shitstorms" getroffen.
Auslöser bei "TelDaFax" war ein Beitrag des Unternehmens im Social Network "facebook". Hier hieß es von Firmenseite, dass die Fanpage "nicht der geeignte Platz für Beschwerden und Kundenanliegen" sei. Dieser Beitrag führte zu ausufernden Protesten und einer Welle von negativer Stimmung gegen das Unternehmen im Internet. Die Facebook Fanseite von "TelDaFax" wurde regelrecht mit Postings "bombardiert". (8)
Dies ist für das Image von Unternehmen sicherlich alles andere als positiv - negative Meldungen werden auf Grund der Vernetzungen auch auf "Google" leicht gefunden und erreichen so immer mehr Internetnutzer. (5)

Wichtig in diesem Zusammenhang wäre, dass Unternehmen gerade im Social-Web eine große Dialogbereitschaft aufweisen. Ist dies nicht der Fall, lassen Proteste wahrscheinlich nicht lange auf sich warten.(6)
Prof. Dr. Peter Kruse rät in einem Interview, Unternehmen sich trotzdem dem "Kulturraum Internet" zu öffnen. Er geht darauf ein, dass die Risiko-Nutzen-Relation für Unternehmen seiner Meinung nach positiv ist. Er warnt aber Unternehmen davor, mit einer taktisch-strategischen Idee ins Internet zu gehen - Internet darf nach Kruse nicht gleich behandelt werden wie Massenmedien. Wenn Unternehmen ins Netz gehen, geht es nicht darum intelligente Botschaften zu verbreiten, mit welchen Menschen überzeugt werden sollen. (7)
Kruse vergleicht im Interview den Eintritt ins Netz mit einem Besuch auf eine Party. Wenn man auf einer solchen möchte, dass alle Gäste einem zuhören, sollte man das Podium betreten - dies würde nach Kruse aber alle irritieren. Stattdessen sollte man offen für Gespräche sein, ein "gleichberechtigter Dialog" muss stattfinden. Es geht hier nach Kruse um einen authentischen, transparenten und ehrlichen Umgang mit Kunden. (7)
Kruse erklärt, dass große Unternehmen (er nennt hier Nestle) auf Grund derer Strategien im Internet gescheitert sind. Jedem muss klar sein, dass es im Internet "unkalkulierbare Dynamiken" gibt.
Kruse geht darauf ein, dass es für Unternehmen in diesem Zusammenhang nicht darum gehen sollte, nur zielorientiert zu handeln, sondern darum, "Teil gesellschaftlicher Dynamik zu sein." (7)

Zum Schluss stellt sich hier noch die Frage, wie wirksam solche beschriebenen "shitstorms" eigentlich sind. Ziel solcher "shitstorms" ist der Imageschaden sowie die darauf erhoffte Verhaltensänderungen von Unternehmensseite.
Auch wenn manche Unternehmen auf Grund solcher Proteste einlenken und deren Verhalten ändern, zeigen sich wahrscheinlich bei den meisten Anbietern keine wesentlichen Veränderung ab. "Shitstorms" und die damit verbreiteten Botschaften werden rasch wieder vergessen. Nur noch den wenigsten sind beispielsweise der Protest gegen Nestle - wenn sie ihn überhaupt mitbekommen haben - in Erinnerung. (5) Einige Zeit haben User bei einem solchen "shitstorm" das Gefühl den Machthebel in der Hand zu halten, wesentliche Auswirkungen solcher Protestbewegungen fallen aber im Großen und Ganzen wahrscheinlich bescheiden aus. Welche Macht also dem Onliner in dieser Hinsicht zugesprochen werden kann und inwieweit hier eine Machtverschiebung vom Anbieter zum Nachfrager stattfindet, bleibt also fraglich.


Litarturquellen:
(1): http://danielkilian.com/web-news/das-internet-veraendert-machtverhaeltnisse-der-user-erobert-die-macht.html
(2): http://www.online-affairs.com/2010/06/shitstorm-leben-im-pr-desaster-zum-beispiel-koehler/
(3): http://re-publica.de/11/die-konferenz/
(5): http://off-the-record.de/2011/01/19/shitstorms-und-die-selbstgerechtigkeit-des-mob/
(6): http://bastiandietz.tumblr.com/post/1364947109/3-tage-shitstorm-die-deutsche-bahn-auf-facebook
(7): http://www.youtube.com/watch?v=j_sv8nPLtnU&feature=related
(8): http://t3n.de/news/social-media-fails-heute-teldafax-298784/

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