Statement Vom Tod des Datenschutzes

Fabian.Prochazka.Uni-Sbg, 31. März 2011, 23:05

Das Zeitalter der Privatsphäre ist vorbei. Zumindest wurden im vergangenen Jahr Aussagen des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg so interpretiert. Zuckerberg hatte in einem Interview mit dem TechCrunch-Blogger Michael Arrington die Privatsphäre als eine "alte Konvention" bezeichnet, die sich im Wandel befindet - hin zu mehr Offenheit, mehr Teilhabe, mehr Preisgabe. Facebook, so Zuckerberg, reagiere nur auf den gesellschaftlichen Wandel. Doch wohin wird sich die Privatsphäre entwickeln? Sind in zehn Jahren alle Informationen über uns online verfügbar, und werden wir es als normal ansehen?

 




(Das Interview mit Zuckerberg zum ansehen)

 

Das Konzept der Privatsphäre

Zunächst ist festzuhalten, dass Privatsphäre bzw. Vorstellungen von Privatheit nur in Abgrenzung zu Öffentlichkeit diskutiert werden können. "Privatheit und Öffentlichkeit sind durch ihren Bezug aufeinander bestimmt" (Weiß 2002: 29).

Der Begriff der Öffentlichkeit ist facettenreich und wird in einer Vielzahl von Bedeutungen gebraucht (vgl. dazu ausführlich Habermas 1990 [1962]: 54-85). Für unseren Kontext relevant ist die Bedeutung von Öffentlichkeit im Sinne von Publizität, d.h. "[z]um Öffentlichen gehört all jenes, was der allgemeinen Kommunikation uneingeschränkt zugänglich gemacht wird bzw. was uneingeschränkt zugänglich ist" (Pscheida/Trültzsch 2010: 261).

Privatheit und Privatsphäre wird so als "Gegenereignis" zu Öffentlichkeit verstanden. Zum Privaten gehört all das, was nicht öffentlich zugänglich ist, was dem unmittelbaren Zugriff anderer entzogen ist. Im privaten Raum gelten dann auch andere soziale Regeln und Codes, die die Kommunikation und das Alltagshandeln an sich strukturieren (vgl. Pscheida/Trültzsch 2010: 262).

Das Verständnis, welche Handlungen und Informationen welcher der beiden Sphären zuzurechnen sind, verändert sich allerdings beständig. Privatheit und Öffentlichkeit sind nicht festgeschrieben und genau getrennt. Sie sind vielmehr kulturell, zeitlich und durch spezifische Situationen bestimmt (vgl. Schmidt 2009: 115). Was heute der Privatsphäre zugerechnet wird, kann nach wenigen Jahren oder in einem anderen Kulturraum wie selbstverständlich zur Öffentlichkeit gerechnet werden. Ging 1987 noch ein Sturm der Entrüstung durch Deutschland, weil eine Volkszählung angesetzt war, bei der persönliche Daten erhoben wurden, war es bereits wenige Jahre später allgemein akzeptiert, intimste Details in Talkshows auszuplaudern. Diese Entwicklung gipfelte schließlich mit "Big Brother" im ultimativen Entzug der Privatsphäre und seiner medialen Inszenierung.

Mit der Entwicklung des Social Web befindet sich unsere Vorstellung von Privatheit und Öffentlichkeit abermals im Umbruch. Es gibt einen erkennbaren Trend, private Dinge wie Fotos, personenbezogene Daten oder sogar Aufenthaltsorte in der Öffentlichkeit der sozialen Netzwerke preizugeben. Die massenhafte, teilweise völlig unreflektierte Entblößung von Menschen im Internet vor ihren "persönlichen Öffentlichkeiten" (Schmidt 2009: 105) ist hier der Ansatzpunkt für eine neue Diskussion um Datenschutz, Privatsphäre und Öffentlichkeit.

 

Auf dem Weg zur Post-Privacy?

In dieser Diskussion kristallisiert sich in jüngerer Zeit ein neues Schlagwort heraus: Post-Privacy. Prominent vertreten wird Post-Privacy derzeit von einer losen, heterogenen Gruppe, die sich "Datenschutzkritische Spackeria" nennt, und bereits den Weg in den Mainstream zu Spiegel Online geschafft hat - mit der Aussage "Privatsphäre ist sowas von Eighties". Der Kerngedanke des noch kaum definierten Begriffs Post-Privacy ist eine "Flucht nach vorn" in Fragen des Datenschutzes. Ausgehend von der Einsicht, dass funktionierender Datenschutz im digitalen Zeitalter unmöglich bzw. nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand erreichbar ist, stellen die Vertreter der Post-Privacy den Dystopien der Datenschützer eine Utopie entgegen. Sie wechseln die Perspektive und betonen die positiven Aspekte einer (Kommunikations-)Kultur, in der Transparenz und Öffentlichkeit statt Protektionismus und Abgeschlossenheit vorherrschen. Post-Privacy soll dabei nicht als ein fertiges Konzept verstanden werden, sondern als "eine Einladung zum Diskurs" (Seemann 2011). Zentral am Konzept der Post-Privacy ist, dass nicht die totale Transparenz entstehen wird, in der alle Daten öffentlich werden, sondern dass der Einzelne nicht mehr bestimmen kann, was öffentlich wird - ein "Kontrollverlust" (ebd.) über die Grenze von Öffentlichkeit und Privatheit.

 




(Christian Heller über Post-Privacy)

 

Post-Privacy: Sind wir schon da?

Das Bild vom Kontrollverlust zeigt meines Erachtens sehr gut, wie sich Privatsphäre im Kontext des Social Web verändert. Der Kontrollverlust ist bereits da - wer heute auf eine Party geht, kann sicher sein, dass morgen die Bilder davon auf Facebook stehen - meist ohne direktes Mitspracherecht. Wer studiert, publiziert die Ergebnisse des Lernens im Blog - auffindbar für jeden. Fotografien waren vor wenigen Jahren noch deutlich ein Teil der Privatsphäre, sie wurden in Fotoalben gehortet und bei Familienfesten vorgeführt. Heute liegen sie auf Facebook, Flickr oder Picasa ausgebreitet vor der Welt.

Das Verständnis von Privatsphäre ändert sich - mit und durch das Social Web. Die Lehre aus der Kulturgeschichte von Öffentlichkeit und Privatheit ist aber auch, dass eine Veränderung nicht per se etwas schlechtes ist - es ist zunächst nur eine Veränderung, die wieder spezifische Vor- und Nachteile sowie Chancen und Risiken birgt.

 

Literatur:

Habermas, Jürgen (1990) [1962]: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Pscheida, Daniela/ Trültzsch, Sascha (2010): Am Rande des guten Geschmacks?! Eine kleine Medienkulturgeschichte der veröffentlichten Privatheit. In: Buck, Matthias/ Hartling, Florian/ Pfau, Sebastian (Hg.): Randgänge der Mediengeschichte. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 259-274.

Schmidt, Jan (2009): Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Folgen des Web 2.0. Konstanz: UVK.

Weiß, Ralph (2002): Vom gewandelten Sinn für das Private. In: Weiß, Ralph/ Groebel, Jo (Hg.): Privatheit im öffentlichen Raum. Medienhandeln zwischen Individualisierung und Entgrenzung. Opladen: Leske + Budrich, S. 27-88.

Heller, Christian (2008): Embracing Post-Privacy. Optimism towards a future where there is “Nothing to hide”. Präsentation zum Vortrag am 25. Chaos Communication Congress. Online unter: http://events.ccc.de/congress/2008/Fahrplan/attachments/1222_postprivacy.pdf

Alle Links am 31.3. überprüft.

3 comments :: Kommentieren

Big Facebook is watching you

Juliane.Tegtmeyer.Uni-Sbg, 1. April 2011, 20:54

Hallo Fabian,

ich finde es sehr interessant, wie du an das selbe Thema, das auch ich in meinem Statement behandle, herangehst.

Besonders den Aspekt des rapiden Wandels, was als Privatheit/Privatsphäre empfunden wird, erfährt unsere Generation deutlich am eigenen Leib. Man nehme nur das Beispiel Facebook: wie du in deinem Beitrag schon erwähnst, kann man nach dem Besuch eines Festes sicher sein, dass am nächsten Tag Fotos davon im Netz zu finden sein werden. Frappierend ist hierbei auch die Tatsache, dass Nicht-Mitglieder der Plattform ebenso mit Bildmaterial dort vertreten sind. Nur erfahren sie dies oftmals gar nicht, da sie ohne Mitgliedschaft keinen Zugriff auf diese Fotos haben!

Auf jeden Fall ein weitreichendes Thema!

Liebe Grüße,

Juliane

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Ortspreisgabe im Internet

Magdalena.Lagetar.Uni-Sbg, 6. April 2011, 19:00

Ich beschäftige mich in einem meiner Blogeinträge mit einem sehr verwandten Thema: die zunehmende Preisgabe des Aufenthaltsortes.

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Der arme Mark ...

philip.sinner.Uni-Sbg, 26. April 2011, 23:09

... muss auch bei mir in meinem Startkommentar herhalten.

Im Blogeintrag zum "Osterstatement" dreht es sich diesmal um Privatssphäre, Datenschutz, IPv6, Apple und iOS4.

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