Statement Afrikas Web der Zukunft
Fabian.Prochazka.Uni-Sbg, 28. Mai 2011, 19:33
Das Web der Zukunft wird häufig verbunden mit der Hoffnung auf politische Partizipation, Bürgerbeteiligung und Deliberation. Auch im Vortrag von Nelson Mattos wird die Vorstellung von einem Internet deutlich, das Staaten und Gesellschaften demokratisieren kann und bei den Revolutionen in der arabischen Welt einen maßgeblichen Beitrag leisten konnte.
Nun sollte die Rolle von Social Media und dem Internet bei den Revolutionen nicht überschätzt werden. Ein wesentliches Moment der Bewegung war und ist auch das Aufgreifen des Themas durch etablierte Medien, wie etwa Al-Jazeera im arabischen Raum (vgl. Kurp 2011: 20). Trotzdem kann davon ausgegangen werden, dass Soziale Netzwerke, Mobiltelefone und mobiles Internet bei der Organisation der Proteste und der Mobilisierung von Teilnehmern eine wichtige Rolle gespielt haben. Ohne die direkte Vernetzung, das ständige Mitfilmen von Demonstrationen via Handykamera und die schnelle Übertragung in den Rest der Welt wären die Aufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen usw. sicher anders verlaufen, wahrscheinlich sogar weniger erfolgreich.
Web-Revolution in der Subsahara?
Für den heutigen 28. Mai wurde in Äthiopien ein "Tag des Zorns" ausgerufen. In Anlehnung an die nordafrikanischen Protestbewegungen rufen Oppositionelle in Äthiopien damit zum Protest gegen die Regierung auf. Die Gründe für die Unzufriedenheit sind offenbar ähnlich denen in Nordafrika - Arbeitslosigkeit, Inflation und Perspektivlosigkeit, verstärkt durch lebensbedrohliche Lebensmittelknappheit (vgl. Lefort 2011). Als eines der ärmsten Länder Afrikas und der Welt wird Äthiopien seit Jahrzehnten von schweren Hungersnöten, kriegerischen Konflikten und Epidemien gebeutelt. Im Human Development Index belegt Äthiopien den 169. Platz - von 177 gelisteten Ländern. Nur rund die Hälfte der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Trinkwasser (vgl. Slezak 2009).
Facebook in einem Land (fast) ohne Internet?
Der Aufruf zum Protest wird auch in Äthiopien über Facebook und Twitter verbreitet. Die Voraussetzungen für eine "Web-Revolution" sind dabei denkbar ungünstig. Die Kommunikationsinfrastruktur in Äthiopien ist entsprechend dem Entwicklungsstand des Landes kaum ausgebaut, die Alphabetierungsrate liegt bei kaum 50 Prozent (vgl. Slezak 2009). Auf eine Bevölkerungszahl von rund 90 Millionen (vgl. CIA World Factbook: Ethiopia 2011) kommen in dem Land nur rund 450 000 Internetnutzer (vgl. Index Mundi 2011). Auch die Verbreitung von Mobiltelefonen ist noch längst nicht vergleichbar mit Ägypten oder ähnlichen arabischen Ländern, in Äthiopien gibt es derzeit rund vier Millionen Mobiltelefone (vgl. Index Mundi 2011). Es muss also nicht verwundern, wenn die Revolution in Äthiopien vorerst ausbleibt und das Medium Internet kaum eine Rolle spielt.
Zudem ist Äthiopien (wie der untenstehenden Grafik zu entnehmen ist) ähnlich dem Rest Afrikas kaum an die weltweiten Datenströme im Internet angeschlossen - eine mögliche Web-Revolution würde vielleicht kaum jemanden außerhalb der Region erreichen.
Internet Traffic in der Welt (Quelle: http://rtnworld.com/firstavenueDE/wp-content/uploads/internet-traffic-map.gif (28.5.2011).
Das Web der Zukunft in den Demokratien der Zukunft
Trotzdem möchte ich argumentieren, dass Afrikas Staaten in Zukunft zu einem Großteil vom Internet geprägt sein werden, und wir aller Voraussicht nach in den nächsten Jahrzehnten ähnliche Entwicklungen in der Subsahara sehen werden, wie sie derzeit im arabischen Raum stattfinden.
Dafür spricht zunächst die Struktur des afrikanischen Entwicklungsprozesses, im speziellen im Medienbereich, die als "leapfrogging" bezeichnet werden kann (vgl. Brüne 2007). Das bedeutet, dass bestimmte Stufen eines Entwicklungsprozesses schlicht ausgelassen werden. Zu sehen ist dieses Phänomen z.B. im Bereich der Telefone - während die Zahl der Festnetzanschlüsse in Äthiopien seit 2008 bei rund 900 000 stagniert (vgl. Index Mundi 2011), wächst die Zahl der Mobiltelefone exponentiell: von 2009 auf 2010 hat sich die Zahl von rund 1,2 Millionen auf über 4 Millionen fast vervierfacht (vgl. Index Mundi 2011). Die Zahl der Internetnuzter hat sich zwischen den Jahren 2000 und 2006 von 10 000 auf 113 000 erhöht (vgl. Brüne 2007: 318).
Für das Potenzial sozialer Bewegungen ist insbesondere die Zahl an Mobiltelefonen interessant. Sie ermöglichen schnelle, unkomplizierte und vor allem mobile Vernetzung. Manuel Castells nennt Mobiltelefone daher auch "a key component in the organization and mobilization of social protests around the world" (Castells 2009: 349). Er argumentiert, dass sich durch Vernetzung via Mobiltelefon Netzwerke bilden, die ähnlich einem Schneeballverfahren schnell exponentiell wachsen können (vgl. Castells 2009: 348). Zudem formieren sich darüber sog. "trust networks" (ebd.), weil Nachrichten nur an Menschen geschickt werden, die man auch persönlich kennt. Mit dem schnellen Wachstum der Zahl an Mobiltelefonen und Internetanschlüssen ist also eine Voraussetzung für erfolgreiche soziale Proteste bereits in ihrer Entwicklung.
Ein weiterer Aspekt ist die kulturelle Verarbeitung von Engpässen bzw. Ungleichheiten in der Kommunikationsinfrastruktur. Nach Hepp kann "ein Prozess der Aneignung von Ungleichheit" (Hepp 2004: 7) ausgemacht werden, d.h. durch kulturelle Praktiken und Verwendungsformen wird Ungleichheit ausgeglichen. Hepp nennt hier das Beispiel der Internetcafés in Zentralafrika, die viel stärker frequentiert werden als in Europa, und so zu öffentlichen Räumen werden, in denen globale Konnektivität hergestellt wird (vgl. Hepp 2004: 7):
Hierdurch werden Ungleichheiten in der Infrastruktur von kommunikativer Konnektivität nicht eliminiert, jedoch wird es möglich hierüber zu erklären, dass eine geringe Infrastruktur kommunikativer Konnektivität nicht zwangsläufig eine Exklusion aus der Globalisierung der
Medienkommunikation insgesamt bedeutet (Hepp 2004: 7)
Als weiteres Beispiel nennt er die Praxis, dass afrikanische Taxifahrer bezahlt werden können, um Nachrichten über das Internet an andere zu verschicken - so besteht für die Landbevölkerung Zugang, ohne dass sie selbst Zugriff auf einen Computer haben.
Das Web der Zukunft, das Afrika bevorsteht, mag für unsere Augen noch ein Web der Vergangenheit sein. Durch den kulturellen Ausgleich von mangelnder kommunikativer Konnektivität und die rasant steigende Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien könnte Afrika in den nächsten Jahren jedoch schwungvoll aufholen - die Anfänge zeigen sich bereits.
Literatur:
Brüne, Stefan (2007): Afrika (südlich der Sahara). In: Thomaß, Barbara (Hg.): Mediensysteme im internationalen Vergleich. Konstanz, UVK, S. 314-325.
Castells, Manuel (2009): Communication Power. Oxford: Oxford University Press.
Hepp, Andreas (2004): Netzwerke der Medien: Medienkulturen, Konnektivität und
die Globalisierung der Medienkommunikation. Online unter: http://www.eurozine.com/pdf/2004-06-21-hepp-de.pdf (28.5.2011).
Kurp, Matthias (2011): Opposition online. Facebook, Volkszorn und Revolutionen. In: Medienforum Magazin 1/2011.
Lefort, René (2011): "Beka!" ("enough"). Will Ethiopia be next? Online unter: http://ethiomedia.com/andnen/2528.html
Slezak, Gabriele (2009): Länderinformation Äthiopien. Online unter: http://www.oefse.at/publikationen/laender/aethiopien.htm (28.5.2011).
Alle Links wurden am 28.5. überprüft.
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