Thomas Kuhn: Der Begriff des Paradigmas
jasmin maria.wukonig.uni-linz, 22. Jänner 2012, 23:49
Mit der Beschreibung des Begriffes „Paradigma“ und wie er mit Computerexperten und Geschäftsmännern zusammenhängt, wurde in der Lehrveranstaltung kurz auch Thomas Kuhn erwähnt, der dieses Gebiet wesentlich mit seinen Forschungen mitprägte. Ich möchte diesen Ansatz aufgreifen und mich, gemäß meines Blogs „Webwissenschaften und Soziologie…geht das?!“ kurz mit seinem Paradigmenbegriff auseinandersetzen.
Zur Person:
Thomas Samuel Kuhn wurde am 18. Juli 1922 in Cincinnati, Ohio (USA) geboren. Zunächst studierte er Physik an der Harvard University und promovierte 1949 unter dem späteren Nobelpreisträger John H. van Vleck. In den folgenden Jahren befasste sich Kuhn, der zuerst als Assistant Professor für General Education und History of Science in Harvard war und 1957 an die University of California in Berkely wechselte, überwiegend mit wissenschaftsphilosophischen Themen und der Geschichte der (Natur-) Wissenschaften. Später folgten Professuren in Princeton und am M.I.T. in Cambridge, wo er bis zu seiner Emeritierung 1991 blieb.
Im Jahr 1947 wurde Kuhn gebeten, eine Vorlesung über die Entstehung der Mechanik des 17. Jahrhunderts auszuarbeiten. Später sollte er dies als den entscheidenden Sommer 1947 bezeichnen (vgl. Kuhn/Krüger 1978, S. 34), "Die Entstehung des Neuen - Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1978 S. 34), da hierdurch sein Interesse für die Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie geweckt wurde.
Am 17. Juni 1996 starb Thomas Kuhn im Alter von 73 Jahren in Cambridge, Massachusetts an Krebs.
Kuhn versuchte aus der Wissenschaftsgeschichte philosophische Konsequenzen ziehen zu können (vgl. Hoyningen-Huene 1997, S. 238). 1962 erschien sein bekanntestes Werk, welches ihm nicht nur Lob, sondern auch viel Kritik einbrachte. In "The Structure of Scientific Revolutions" versucht Kuhn durch eine neue Interpretation der Wissenschaftsgeschichte, die Vorstellung und das Bild bezüglich des Verlaufs von wissenschaftlichen Entwicklungen zu ändern. Bis zu seinem Tod wurde das Buch in 12 Sprachen übersetzt und es wurden mehr als eine Million Exemplare davon verkauft (vgl. The Tech–Online Edition 1996).
"History, if viewed as a repository for more than anecdote or chronology,
could produce a decisive transformation in the image of science
by which we are now possessed." (Kuhn 1970, S. 1,)
Das Paradigma nach Thomas S. Kuhn:
Der Begriff des Paradigma wird in Kuhns Hauptwerk zwar nur sehr frei determiniert und unter verschiedenen Bedeutungen aufgezeigt, doch versuchte er ihn in späteren Werken immer mehr zu präzisieren.
Kuhns ursprüngliche Verwendung versteht unter Paradigmen „konkrete Problemlösungen, die die Fachwelt akzeptiert hat“(Kuhn 1959, S. 40) und mit denen man versucht, über Analogiebildung andere Probleme zu lösen. Eine neue, zusätzliche, globale Bedeutung erhält der Paradigmenbegriff in „The Structure of Scientific Revolutions“, denn fast alles, worüber in der Wissenschaft ein Konsens besteht, ist paradigmatisch. Hierzu ändert er wiederum die Terminologie und sagt: "Einerseits steht er für die ganze Konstellation von Meinungen, Werten, Methoden usw., die von den Mitgliedern einer gegebenen Gemeinschaft geteilt werden. Andererseits bezeichnet er ein Element in dieser Konstellation, die konkreten Problemlösungen, die, als Vorbilder oder Beispiele gebraucht, explizite Regeln als Basis für die Lösung der übrigen Probleme der 'normalen Wissenschaft' ersetzen können." (Kuhn 1981, S. 186) Anders herum kann man sagen, dass Paradigmen "grundlegend für die Forschungstätigkeit" (Kuhn 1970, S. 121) sowie als "Landkarte" beziehungsweise als "Richtlinien für die Erstellung einer Landkarte" (Kuhn 1970, S. 122) von Wer sind.
Eine weitere umfassende Behandlung des Paradigmenbegriffes nach Kuhn findet sich auch bei Stegmüller.
Dass ein Paradigma existiert, ist laut Kuhn ein Zeichen reifer Wissenschaften, wogegen es kein notwendiges Kriterium für Wissenschaftlichkeit ist. Eine vorparadigmatische Wissenschaft bezeichnet er als Protowissenschaft. Für den Forscher besteht in der vorparadigmatischen Phase der Wissenschaft ein großer Freiraum in der Wahl seiner Experimente, sodass sie in Folge viele verschiedene Teilbereiche ihrer Themengebietes erforschen, jedoch nicht dazu fähig sind, mit den gefundenen Theorieansätzen, die Experimente anderer Forscher zu erklären. Somit ist es unübersehbar, dass dabei viele konkurrierende und inkompatible Ansichten unter Wissenschaftlern resultieren. Die Mathematik, so Kuhn (1970), besitze seit der Antike einen paradigmatischen Charakter, wogegen die Genetik erst seit kurzem einen hat und Sozialwissenschaften noch immer in einem vorparadigmatischen Zustand verweilen.
Unter Normalwissenschaft bezeichnet Kuhn (1970) die Entwicklung einer Wissenschaft, nachdem sie die vorparadigmatische Phase hinter sich gelassen hat. Charakteristisch dafür ist die Akzeptanz eines Paradigmas durch die wissenschaftliche Gemeinschaft. Auf der einen Seite wird durch das Paradigma der Bereich der relevanten Probleme stark eingeschränkt, auf der anderen Seite aber kommt die Möglichkeit, tiefgehende Forschung zu betreiben, auf. Die Aufgabe der Wissenschaftler in solchen Normalwissenschaften ist nun, das Lösung von Problemen, deren Grund- bzw. Lösungsregeln implizit durch das Paradigma gegeben sind (= Lösen von Rätseln).
„A paradigm is essential to scientific inquiry - no natural history can be interpreted in the absence of at least some implicit body of intertwined theoretical and methodological belief that permits selection, evaluation, and criticism."
(Kuhn 1970, S. 16f)
Quellenverzeichnis:
Hoyningen-Huene, Paul (1997): Thomas S. Kuhn. In: Journal for General Philosophy of Science, Vol. 28, S. 235-256.
Kuhn, Thomas S. (1959): The Essential Tension, In: Kuhn, Thomas S. / Krüger, Lorenz (1978): Die Entstehung des Neuen - Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Taschenbuch Verlag.
Kuhn, Thomas S. (1970): The Structure of Scientific Revolutions, Chicago: University of Chicago Press.
Kuhn, Thomas S. / Krüger, Lorenz (1978): Die Entstehung des Neuen - Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Taschenbuch Verlag.
Kuhn, Thomas S. (1981): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Mit einem Postskriptum von 1969, 5. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Kuhn, Thomas S. In: The Tech – Online Edition, Volume 116, Issue 28, Wednesday, June 26, 1996, http://www-tech.mit.edu/V116/N28/kuhn.28n.html [eingesehen am 20.01.2012]
Stegmüller, Wolfgang (1973): Theorienstruktur und Theoriendynamik, Berlin/Heidelberg/New York/Tokyo: Springer-Verlag.
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