Cross Media Publishing
Donnerstag, 14. Mai 2009
Zero Comments -- Elemente einer kritischen Internetkultur
1.
Der Web 2.0 Hype ist in aller Munde bzw. bereits Teil des gesellschaftlichen Verstaendnisses im Kontext des Internets. Doch wie ideal sind diese Tools wie Blogs, Wikis und Netzgemeinschaften? Und welchen Impact hat das auf den sogenannten BuergerInnenjournalismus?



Das erste Kapitel mit dem trotzigen Titel: "Stolz und Ehre des Web 2.0" wird mit einem Zitat zum Bloggen eroeffnet:

"Bloggen ist eine Art Eitelkeitsjournalismus: Man kann es als 'Paradigmenwechsel' oder 'disruptive Technologie' schönreden, in Wahrheit aber bestehen Blogs aus sinnlosem Teenager-Geschwafel. Sich für den Blogger-Lebensstil zu entscheiden, bedeutet soviel wie Billigschmuck an seinem Fahrradlenker anzubringen. In der Welt des Bloggens ist "0 Comment" ein unzweideutige Statistik, die besagt, dass keiner Interesse hat. Diese schmerzliche Wahrheit über das Bloggen ist, dass viel mehr Leute Blogs schreiben, als lesen."
Randy Mooney, 2005: The Personal Memoirs of Randy Mooney. In: Geert Livink: Zero Comments. Elemente einer kritischen Internetkultur. 2008, Transcript Verlag Bielefeld. Seite 9

Die BBC jedenfalls erklaerte das Jahr 2005 zum "Jahr des digitalen Buergers" (Lovink, Seite 9)
Anschauliche Beipiele dafuer das Blogs eine schnelle und unmittelbare Informationsverarbeitung und Verbreitung meint, sind der Tsunami von 2005, Hurrikan Katrina 2005, die Anschlaege in London vom 7. Juli oder aber die Polizeigewalt vom 1. Mai 2009 in Linz bei den Maidemonstrationen, die von Seiten der Polizei niedergeschlagen wurden http://www.andreame.at/

Trotzdem von Seiten der BuergerInnen nun mehr Kontrolle ausgeht, wie man am Beispiel von Demonstrationen merkt: hier tauchen jetzt rasch Handybilder und Blogeintraege auf und gelten oftmals als Indiz oder Beweise, abseits behoerdlicher Stellungnehmen. Trotzdem es zu neuen Anwendungen von Medien kommt und die Internetgemeinschaft rasant anwaechst, schreibt Lovink, dass "sich wenig an der Fragestellung bezüglich des Internets geändert hat: Es geht um Unternehmerkontrolle, Überwachung, Zensur, geistiges Eigentum, Filterung, ökonomische Nachhaltigkeit und "Governance"." (Lovink, Seite 10)

Grundsaezlich unterscheidet Lovink in der Auseinandersetzung mit der Internetkultur drei Phasen: (1) die wissenschaftliche, vorkommerzielle, textbasierte Periode vor dem World Wide Web.
(2) die euphorische, spekulative Periode, in der das Internet fuer die breite Oeffentlichkeit zugaenglich wurde und die in der Dotcom-Manie der spaeten 90er Jahre kulminierte und (3) die Post-Dotcom-Crash/Post-11. September-Periode, welche mit der Web 2.0-Blase zu ihrem Ende kommt. (Vgl. Lovink, Seite 10f)

Erste Blogs tauchen schon in den Jahren 1996/97 auf, also waehrend der zweiten Phase; sie bleiben aber weitgehend unbeachtet, weil die E-Commerce-Komponente fehlte. Erst mit 2005 kam es durch den Massenzulauf in der Nutzung dieser Tools und im selben Jahr ueberschritt die Nutzerstatistik die Millardenmarke.

2.
Blogging -- der nihilistische Implus

Wie interfriert das Blogging zwischen Methode und Emotion? Dazu schreibt Max Brense: "An der rationalen Tiefe erkennt man den Radikalen; im Verlust der rationalen Methode kündigt sich der Nihilismus an. Der Radikale besitzt immer eine Theorie; aber der Nihilist setzt an ihre Stelle die Stimmung." (Lovink, Seite 33)

Zwar hat die Blogging-Kultur die Welt veraendert, jedoch ist fraglich wie diese Kultur zu bewerten ist. In einer Umfrage hat das Pew Internet-Projekt im Juli 2006 eine Untersuchung gestartet, bei der Blogger interviewt wurden; dazu hat "eine nationale Telefonbefragung unter Bloggern ergeben, dass die meisten sich darauf verlegt haben, einem relativ kleinen Publikum über ihre persönlichen Erfahrungen zu berichten, und nur ein geringer Teil sich auf die Auseinandersetzung mit Politik, Medien, Regierung und Technologie konzentriert. Blogs, so das Ergebnis der Befragung, sind so individuell wie ihre Betreiber. Auf jeden Fall sind die meisten Blogger primär an kreativen, persönlichen Ausdruck interessiert, indem sie individuelle Erfahrungen dokumentieren, praktisches Wissen teilen oder einfach nur in Verbindung mit Freunden und Familie bleiben." (Lovink, Seite 33)
Vgl. dazu Weiters http://www.pewinternet.org/PPF/r/186/report_display.asp

Doch wie individuell ist die Auseinandersetzung der Blogger mit der Welt oder sagen wir den Medien, nun tatsaechlich? In einem Artikel der New York Review of Books stellt Michael Massig 2005 fest, dass die Mehrheit der US-Blogs der Haltung der Big Media entspricht.

Die Liste der meistbesuchten Blogs von 2005 zeigt, dass 8 der Top-10-Blogs konservativ sind:

*** InstaPundit, betrieben von Glenn Reynolds, Professor fuer Recht an der Universitaet von Tennessee
*** Power Line (Rechtsanwaelte)
*** michellemalkin.com, eine syndizierte Kolumnistin, die u.a. die Internierung von Japan-Amerikanern waehrend des 2. Weltkrieges verteidigte;
*** Free Repulic (konservative Aktivisten)
*** Captain's Quarters (ein Rechtsprofessor der UCLA)
*** Little Green Footballs, Kommentare zur Außenpolitik mit pro-israelischer Ausrichtung
(Lovink, Seite 34)

Auch die US-Armee bietet mittlerweile entsprechend einer sozialen Informationsdienstleistung "exklusive Informationen" in Blogs feil. Vgl. dazu http://www.army.com/blog/

3.
Was ist Bloggen eigentlich? Und wie funktioniert Bloggen mit Qualitaet und gutem Geschmack?

Und wie wird ein Blog zu einem "heißen" Medium?

(1) unkomplizierte Veroeffentlichung (Wordpress)
(2) die Entdeckbarkeit
(3) Gespraeche ueber Site-Grenzen hinweg
(4) Permalinking (die Verbindung jedes neuen Eintrags mit einer spezifischen, festen Url)
(5) syndizierbarkeit, also der geregelte Austausch von Inhalten

Grundsaetzlich lautet die Empfehlung von Experten in Sachen Bloggen:

"Veröffentliche deine Meinung, verlinke wie verrückt, schreibe weniger, 250 Worte sind genug, setze dynamische Überschriften, schreibe mit Leidenschaft, baue Listen mit Aufzählungen ein, redigiere Deine Eintrag, sorge dafür, dass er leicht zu fassen ist, schaffe einen konsistenten Stil, übersähe den Artikel mit Keywords". (Vgl. Lovink, Seite 36)

Beachtlich ist, dass die Blogosphaere weder von Dotcom-Unternehmen noch von Techno-Geeks geformt wurde, denn einfaches Computer-Grundwissen reicht aus, nicht einmal HTML Kenntnis ist notwendig um zu bloggen; so bleibt das Bloggen vornehmlich in den Haenden von Jedermann/Jederfrau. Wer nicht bloggt sind etwa Bussiness-Typen (kein schnelles Geld zu machen), PR-Menschen (risikoreicher Charakter der offenen Blogs), AkademikerInnen (zaehlt nicht zu den Publikationen), NetzaktivistInnen (ziehen Mail, ssh + irk., und CMS vor), radikale Linke und Globalisierungsgegener sind mit Indymedia voll ausgelastet und die Neue-Medien-Kunstszene glaenzt ueberhaupt durch Abwesenheit in der Blogosphaere.
(Vgl. Lovink, Seite 37f)

Doch wie vage sind nun Blogs, wenn sie von den sogenannten SpezialistInnen (siehe oben) weniger verwendet werden?


4.
Sind Blogs vage? Content statt Code!

Anfang 2006 gehen grobe Schaetzungen von etwa 100 Millionen Blogs weltweit aus. (Vgl. Lovink, Seite 38)

Schon Jahre zuvor beschrieben BeobachterInnen, dass Blogs einem vagen Medium entsprechen und quasi anti-institutionell funktionieren. Doch diese fehlende Ausrichtung ist nicht als Manko zu sehen, sonders als Aktivposten; beachtlich ist, dass Bloggen nicht aus einer techno-sozialen Bewegung entstand, sondern vielmehr als eine Auswirkung oder einen Spezialeffektes meint, der aus der Anwendung einer Software entstand.

Axel Bruns, von der University of Technology in Brisbane/Queensland hat eine Theorie ueber das Bloggen entwickelt, in der der Begriff "GATEWATCHING" zentrales Element ist.

Gatewatching stuft Blogs im Verhaeltnis zu Nachrichtenquellen implizit als passiv und zweitrangig ein. Blogs sind aus Sicht von Bruns "Gatekeeper", denn sie vermitteln, trennen und/oder verbinden Nachrichtenmedien mit dem was unter "partizipatorischen Journalismus" verstanden wird; denn Gatewatcher kommentieren die Entscheidungen derer, die die Newsgates kontrollieren.

Es kommt daher zu dem was man im Allgemeinen unter dem Begriff "Ueberwache die Ueberwacher" versteht. Und das ist nicht vage, sondern konkret.
Anders gesagt: "Ich blogge, also kontrolliere ich."
(Lovink, Seite 39)

Geert Lovink widersteht dem Kurzschluss, dass die BloggerInnen in einer symbiotischen Beziehung zur Nachrichtenkultur stehen. Zum einen ist es durch den vielfachen "Tagebuch-Charakter" von Blogs schwierig, eine vereinheitliche Stellung 'der' Blogosphaere ueberhaupt zu erfassen, andererseits gibt es einen Art Gegenkultur, die sehr empfindlich auf Desinformationen und medialer Repression reagieren, und zwar nicht einzeln, sondern im offenen Netzwerk-Kolletiv, das gegenseits die medial lancierten Meldungen, wie auch das eigenen Bloggen gegenseitig kontrollieren und korrigieren (siehe im Fall der Polizeigewalt vom 1. Mai in Linz, wobei ich nocheinmal auf den Blog von http://www.andreme.at verweisen moechte! -- dort sind nicht nur nicht "zero comments", sondern auch der Verlauf der Kommunikation im Sinne des Austausches, der Kritik und der Informationsverarbeitung sehr schoen dokumentiert und der Blog ist meines Erachtens ein Beispiel von integrem BuergerInnenjournalismus)

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