Must-Carry-Regeln ? Ein Lösungsvorschlag in der Diskussion um die Netzneutralität

Anna.Schusser.Uni-Sbg, 25. Juni 2011, 21:20

 

Die ersten Verknüpfungen des heutigen Internets sind in den 60er und 70er Jahren entstanden, „[…] als Forscher in den USA ihre Großrechner über hunderte von Kilometern verbanden.“ (Neuhetzki 2011) Für die Übertragung einzelner Daten im Internet gilt bis heute das Prinzip der Netzneutralität. Dieses Prinzip hat einen „akademischen Hintergrund“, deshalb haben bei der Entwicklung kommerzielle Aspekte keine Rolle gespielt (vgl. Neuhetzki 2011)

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Bislang ist „Netzneutralität“ gesetzlich nicht verankert. Die EU spricht sich zwar für das „Prinzip der Netzneutralität“ aus, dennoch bleibt den Einzelstaaten relativ viel Spielraum bei der Umsetzung. Durch diese ungleichen Gesetze, also größtenteils die „Nicht-Festlegung“ der Netzneutralität, ergeben sich einige Probleme (vgl. Neuhetzki 2011). Falls es keine Gleichberechtigung für die Daten im Internet mehr geben würde, könnte es zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft im Internet kommen. Diese Entwicklung könnte bis zur Blockierung und Zensur von unerwünschten Inhalten führen (Deutscher Bundestag 2010: 1).

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Im Bezug auf die Netzneutralität gibt es zwei gegensätzliche Positionen. Die einen sind für die Beibehaltung der Netzneutralität, da wegen des „[…] freien Datenflusses durch alle Netze […] das World Wide Web das demokratischste Massenmedium der Welt […]“ ist und sich nur auf diese Weise neue Dienste, Inhalte und Angebote auch von kleineren Firmen bzw. Anbietern im Internet durchsetzen und behaupten können. Die Gegenposition wird hauptsächlich „[…] von den Netzbetreibern vertreten, die ihre Investitionen in die Bereitstellung der Netze durch entsprechende Preisstellung amortisieren oder eigene Angebote bevorzugt transportieren wollen.“ (Deutscher Bundestag 2010: 1f.). Sie kritisieren, dass eine Beibehaltung der Netzneutralität einen weiteren Ausbau von Breitbandnetzen verhindert und dass dies letztendlich zu höheren Gebühren bei den Nutzern führt.

Die Regierung hält trotz der möglichen Gefahren, die von einer „Nicht-Einhaltung“ der Netzneutralität ausgehen können. und der großen Bedeutung der Netzneutralität für die Informations- und Meinungsfreiheit daran fest, diese nicht gesetzlich zu schützen. Sie ist der Meinung ist, dass eine gesetzliche Verankerung sowohl auf dem europäischen als auch auf dem deutschen Markt nicht nötig sei, da „[…] der Wettbewerb unter den Netzbetreibern [ohnehin] für eine Aufrechterhaltung des offenen Internets sorgen werde.“ (Deutscher Bundestag 2010: 2)

Einen Lösungsvorschlag für die gesetzliche Regelung der Netzneutralität macht Prof. Dr. Bernd Holznagel von der Universität Münster in seinem Artikel „Netzneutralität als Aufgabe der Vielfaltssicherung”. In seinem Artikel, der in der Zeitschrift Kommunikation&Recht erschienen ist, beleuchtet er die bisherige wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Netzneutralität und präsentiert einen neuen Ansatz, die Must-Carry-Regeln.

Holznagel zieht folgendes Fazit zur Situation der Netzneutralität: „Sobald die Telekommunikations-Netzwerke zu NGN (Next Generation Networks) ausgebaut sind, sind Eingriffe in die Netzneutralität nicht mehr die Ausnahme, sondern der Standard.“ (Möller 2010) Im Folgenden gibt Bernd Holznagel an, aus welchen Gründen der Grundsatz der Netzneutralität Verfassungsrang haben sollte:


„Hier ist zu berücksichtigen, dass das Internet heute zur kommunikativen Grundversorgung (Art. 5, 87 f. GG) der Bevölkerung gehört: Mit dem Internet ist ein historisch einmaliger Kommunikationsraum entstanden. Der Bürger kann sich aus einer bisher nicht gekannten Vielzahl von Quellen informieren. Ohne Verleger oder Rundfunkanbieter einzuschalten, kann er mit seiner Meinungsäußerung die (Cyber-)Öffentlichkeit erreichen. Das Internet ist für alle Bevölkerungsschichten maßgeblich, um an den Segnungen von E-Commerce oder E-Government teilzuhaben. Der Gesetzgeber ist daher schon von Verfassung wegen aufgerufen, Gefährdungen für eine freie und offene Internetkommunikation entgegenzutreten. Daraus folgt, dass jedenfalls der Zugang zum Internet oder - anders ausgedrückt - eine Versorgung mit Internetdiensten sicherzustellen ist.“ (Holznagel 2010, zit. nach Möller 2010)


 

Vortrag von Bernd Holznagel zum Thema Internetdienstefreiheit (vom 03.05.2011)

 

In seinem neuen Ansatz bezieht er zum Thema der Netzneutralität nun den Aspekt der „Vielfaltssicherung“ mit ein. Er versteht die Netzneutralität als „kommunikative Chancengleichheit“, die seiner Meinung nach eine gesetzliche Regelung braucht. Die Lösung dafür sieht er in der Abwägung zwischen dem „Grundsatz der Netzneutralität“  und dem „Eigentums-Grundrecht der Netzbetreiber“ (vgl. Möller 2010)

Sein Vorschlag ist die Anwendung von Must-Carry-Regeln in der Zukunft:


„Rechtstechnisch könnte man [den Ausgleich des Eigentumsrechts der Netzbetreiber mit dem Anspruch auf Netzneutralität] umsetzen, indem man die für die kommunikative Grundversorgung erforderlichen Internetdienste in den Must-Carry-Bereich aufnimmt. Must-Carry-Regeln werden dazu genutzt, um sicherzustellen, dass die für die Öffentlichkeit notwendigen Dienste von den Netzbetreibern verbreitet werden.“ (Holznagel 2010, zit. nach Möller 2010)

 

Der Begriff „Must carry“ ist ursprünglich aus dem Rundfunkrecht. Inhaltlich geht es dabei darum, dass Aufsichtsbehörden einen gewissen Teil der Kabelnetze  festlegen können, in dem sie bestimmen können, welche Inhalte darüber weitergeleitet werden dürfen. Das heißt also „Dem Kabelnetzbetreiber wird also quasi ein Teil seines Kabels weggenommen und für öffentliche Mittel verwendet - üblicherweise ist das der Transport der öffentlich-rechtlichen Rundfunksendungen.“ (Möller 2010) Im Gegensatz zu den richtig dargestellten Inhalten, um die es in den schon vorhandenen „Must-Carry-Regeln“ geht, plädiert Holznagel an dieser Stelle für einen „allgemeinen, unverzerrten Zugang zum Internet.“ (Möller 2010)

Holznagels Vorschlag zur Anwendung von Must-Carry-Regeln sieht so aus:


„Die verfügbare Kapazität muss vom Gesetzgeber oder einer Regulierungsbehörde in einer Weise aufgeteilt werden, dass ein funktionsfähiges Internet gewährleistet ist. [...] Ausnahmen von diesem Grundsatz dürfen nur zugelassen werden, wenn dies aus Gründen der Verfolgung illegaler Inhalte, der zeitweiligen Netzüberlastung oder der Netzintegrität erforderlich ist. Es wäre Aufgabe der Regulierungsbehörde, diesen Regelungsansatz näher zu operationalisieren.“ (Holznagel 2010, zit. nach Möller 2010)


Insgesamt lässt sich Bernd Holznagels Ansatz in vier wichtigen Punkten zusammenfassen:

1. Netzneutralität ist Verfassungsgut.
2. Sie ist mit der Eigentumsfreiheit der Kabelnetzbetreiber in Ausgleich zu bringen.
3. Dies funktioniert am Besten, wenn man den Betreibern vorschreibt, mit einem bestimmten Teil ihres Kabelnetzes nur neutrales Internet zu transportieren.
4. Mit der Konkretisierung dieser Regeln sollten staatlichen Behörden beauftragt werden.


(Möller 2010)

 

Generell halte ich Bernd Holznagels Ansatz für eine gute Lösung für den weiteren Umgang mit dem Thema der Netzneutralität. Seine Ausführungen klingen sehr einleuchtend und die Umsetzung scheint relativ einfach zu sein, v.a. da es im Bereich der „Must-Carry-Regeln“ bereits erste Erfahrungen im Rundfunkbereich gibt. Außerdem berücksichtigt sein Vorschlag sowohl die Befürworter der Netzneutralität als auch die Gegner. Die Netzbetreiber erhalten die Möglichkeit, kostenpflichtige Dienste anzubieten, und durch die Erhaltung der Netzneutralität durch Aufsichtsbehörden bleibt die Chancengleichheit beim Zugang zum Internet für alle erhalten. Probleme sehe ich allerdings darin, dass sich die Netzbetreiber möglicherweise durch diese Regelung benachteiligt fühlen könnten, da vielleicht alle User nur auf den kostenfreien Zugang zurückgreifen werden und keiner das kostenpflichtige Angebot nutzen will. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie viel bzw. welchen Teil das „neutrale“ Netz abdecken kann und wer die Größe bestimmen wird. Und auch die Rolle des Staates bzw. der Einfluss der Aufsichtsbehörden auf die im Internet transportierten Inhalte wäre fraglich.

Insgesamt halte ich Holznagels Ansatz für sehr gelungen, denn er veranschaulicht relativ einfach, wie eine Lösung im Streit um die „Netzneutralität“ aussehen könnte, mit der höchstwahrscheinlich beide Parteien zufrieden sein könnten. Einige Fragen bleiben jedoch auch in diesem Ansatz offen, für die erst noch eine weitere bzw. zusätzliche Lösung gefunden werden müsste.




Quellen:


Neuhetzki, Thorsten (10.02.2011): Netzneutralität: Das Internet am Scheideweg. Online im Internet unter: http://www.teltarif.de/netzneutralitaet-internet-dienste-gleichbehandlung-technologie/news/41599.html

Deutscher Bundestag (März 2010): Netzneutralität. Wissenschaftliche Dienste. Online im Internet unter: http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2010/Netzneutralitaet.pdf

Möller, Simon (22.02.2010): Holznagel: Netzneutralität durch Must-Carry-Regeln. Online im Internet unter: http://www.telemedicus.info/article/1650-Holznagel-Netzneutralitaet-durch-Must-Carry-Regeln.html

http://netzwertig.com/wp-content/uploads/2010/10/netzneutralitaet.jpg

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http://www.youtube.com/watch?v=wkxWIIeVsy0

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