Wer sind wir im Web? Diese Frage sollte jeder für sich selbst beantworten. Im Web kann man salopp ausgedrückt, sein wer man will. Wer garantiert, dass man sich in Foren, Chats oder sozialen Netzwerken mit den richtigen und persönlichen Daten anmeldet.
In der virtuellen Umgebung spricht man auch vom Avatar. Den Avatar „baut“ man bewusst auf. Für viele Personen der Generation Web 2.0 sieht der Tag folgendermaßen aus:
· kurz nach dem aufwachen werden die Tweets bzw. Neuigkeiten der letzten Nacht auf den sozialen Netzwerken geprüft,
· danach werden am PC fremde Blogs durchgestöbert bzw. Einträge im eigenen Blog veröffentlicht,
· zu Mittag wird ein Bild der Mahlzeit auf Instagram gepostet,
· am Nachmittag wird in so viel wie möglichen Orten eingecheckt mit Foursquare,
· am Abend werden vor dem Schlaf noch einmal alle sozialen Netzwerke durchgecheckt.
Dieses Szenario, dass für in dieser oder abgewandelter Form für viele Personen selbstverständlich ist, zeigt, dass man mit seinen Daten vorsichtig umgehen sollte. Nimmt man sich etwas Zeit und durchforstet die Aktivitäten einer Person im Web, kann man ein „fast“ exaktes Profil einer Person aufstellen. Dieses Personenprofil lässt Datenschützer aufschreien. Natürlich ist jedem selbst überlassen, wie viel er im Web über sich Preis geben will, aber ist es wirklich von Vorteil, wenn Personen, die man nicht kennt, wissen, wann man außer Haus ist, wie viel Kinder man hat, seit wann man mit seiner Frau liiert ist oder welche Krankheiten man schon hatte. Negativbeispiele gibt es viele, sei es die Kündigung durch den Arbeitgeber, da der Mitarbeiter im Krankenstand schöne Urlaubsgrüße wünscht, oder der Einbruch in das eigene Heim, da die Hauseigentümer eine Woche im Urlaub sind. Mein Tipp daher: Nachdenken beim Teilen der eigenen Informationen.
Es gibt viele Gründe um im virtuellen Raum eine andere Identität anzunehmen, sei es Provokation, Spiel oder Manipulation. Die meistdiskutierte Form des Rollenwechsels im Web ist Gender-Swapping. Man geht sogar davon aus, dass in vielen Foren 80% der angemeldeten Frauen in Wirklichkeit Männer sind.
Eine Studie ergab, dass Frauen unter männlichem Namen insbesondere ihre Unabhängigkeit Stärke und Aggressivität erkunden, während Männer den Gender- Switch eher nutzen, um ihren Wunsch zur Nähe, Unsicherheiten und Verletzlichkeiten zu suchen. Der virtuelle Avatar reduziert außerdem Ängste der Nutzer. Personen sind entspannter, lockerer und offener, da sie anonym im Web agieren.
Andere Personen wiederum geben sich im Web weit jünger aus als sie wirklich sind, um eine Beziehung mit einem/einer Jugendlichen zu beginnen. Um zu prüfen, wer mir gegenüber sitzt empfiehlt es sich daher, gezielt Fragen zu stellen. Des Weiteren ist es in vielen großen Netzwerken auch üblich, eine Verifizierung des Accounts mithilfe des Telefons durchzuführen.
Döring (2000) meint zum Thema Identitätsarbeit:
„Die Ablösung der Netzkommunikation vom sonstigen Alltag befreit demnach die Individuen von sozialer Kontrolle und der mit dem äußeren Erscheinungsbild verbundenen sozialen Kategorisierung, Stereotypisierung und Stigmatisierung. Selbst- Aspekte, die der Person wichtig sind, die sie in vielen Alltagskontexten jedoch nicht ausdrücken und ausleben kann (sondern verschleiert oder verleugnet), kommen im Netz zum Vorschein und werden ihr auch eher zugesprochen.“
Im Web kann man somit den eigenen Marktwert steigern und eine Person aufbauen, die den Schönheitsidealen und Attraktivitätsnormen entspricht. Döring beschreibt auch, dass gewissen Altersgruppen einen Fachkompetenz zugeordnet wird. „Wer sich in einem Online-Forum wiederholt sachkompetent äußert, hat die Chance, als Fachmann anerkannt und gehört zu werden, während in Face-to-Face-Situationen Autoritätszuschreibungen erst ab einer gewissen Altersstufe erfolgen.“ (Döring, 2000).
Im folgenden Bild sieht man, mit welchen Faktoren sich eine Person beim Aufbau einer Identität auseinandersetzen muss: Wer bin ich? Wie sehe ich mich selbst? Wie stelle ich mich anderen dar? Wie sehen mich die anderen wirklich? …
Facebook, Google, Twitter und alle anderen sozialen Netzwerke sind Datenkraken. Die gesammelten und exakten Daten der Nutzer sind gefundenes Fressen für das zielgerichtete Marketing. Die Methode verlagert sich vom Shotgun-Prinzip hin zum Laserstrahl-Prinzip. Mit den Vorlieben, Interessen und Kontakten kann man die Marketingbotschaft gezielt einsetzen.
In diesem Zusammenhang gibt es ein interessantes Interview mit Marc Canter, Geschäftsführer von Broadband Mechanics, der über die Identität im Web spricht (siehe: http://youtu.be/qcbzZ2dO8FU?t=3m37s).
Er ist der Meinung, dass die virtuelle Identität ein Stapel ist, der sich aus diversen Ebenen zusammensetzt.
Canter meint:
„Ganz unten ist die Authentifizierung, die bestätigt, dass man der ist, der man vorgibt zu sein. Dann gibt es Autorisierung, mit der man anderen Zutritt gewähren kann. Und natürlich Privatsphäre: Du allein bestimmst, wer Zugriff auf welche deiner Daten hat. […] Und ganz oben auf dem Stapel finden die individuellen Handlungen statt.“
Diese Handlungen können sein, dass man zu jemand anderen eine Beziehung aufbauen, eine Gruppe gründen, eine Nachricht verschicken oder jemanden einladen will.
Des Weiteren meint er auch, dass man einerseits im Web die Anonymität im Web vergessen kann, da staatliche Institutionen sowieso alles über einen schon wissen (Stichwort NSA). Andererseits, kann man viele Rollen im Web annehmen. Canter spricht von der richtigen Kontrollmöglichkeit über die eigene Privatsphäre indem man seine Aktivitäten auf verschiedene Netzwerke bzw. Rollen verteilt.
Quelle:
Döring, Nicole (2000): Identität + Internet = Virtuelle Identität? In: Forum Medienethik Nr 2/2000.München 2000.