Aufgabe 1 - Digitale Prognose und Wirklichkeit

Max.Bauer.Uni-Sbg, 18. März 2010, 11:18

 

Die Informationsgesellschaft und ihre Recycler

 

 Die Vision des „Futureshock Knowledge Navigators“ von Apple zeigt viele Funktionen und Eigenschaften, die in den nachfolgenden Jahren und Jahrzehnten in gleicher oder zumindest sehr ähnlicher Form umgesetzt bzw. realisiert wurden: Von dem Klappmechanismus (Laptop, Handy), dem Anrufbeantworter (Mobilbox), dem dünnen Bildschirm (Flat-Screen) und dem Terminkalender über die Archiv(ierungs)- , Datenbank-, Erinnerungs- und Suchfunktionen bis zur Videotelefonie, zu 3D-Animationen und zur Bedienbarkeit via Touchscreen. Kennzeichnend für diese Gesamtidee ist meines Erachtens das Vorhaben, so viele tatsächlich hilfreiche und sinnvolle Funktionen wie möglich in einem leicht bedienbaren Gerät von überschaubarer Größe zu bündeln, das dem Menschen die Planung des alltäglichen Lebens und dessen Bewältigung in dem jeweils gewünschten Ausmaß vereinfachen soll.

 Dieser Gedanke, dass ein Gerät in erster Linie dem Wohle des Menschen dienen soll bzw. dafür entwickelt wird, ist m.E. vor allem im letzten Jahrzehnt mehr oder weniger gänzlich profitorientierten Interessen und Erwägungen der Elektronik-, Telekommunikations-, Computer- und Unterhaltungsindustrie untergeordnet worden. Alleinig entscheidend ist die Möglichkeit zur Profitrealisierung, der Nutzen für den Menschen spielt lediglich eine Nebenrolle. Sicherlich entwickelte Apple diese Vision auch nicht aus karitativen Motiven, jedoch ist hier m.E. noch eine deutliche Fokussierung auf den Menschen und seine tatsächlichen Bedürfnisse zu erkennen. Heute wird der Mensch fast ausschließlich als Konsument wahrgenommen, Discounter wie Media Markt, euronics oder Saturn sorgen dafür, dass Unmengen Elektronikartikel von Handys und PDAs über Netbooks und Laptops bis Flachbildfernseher und Heimkinoanlagen zu immer billiger werdenden Preisen unters Volks gebracht werden. Mit Hilfe der Werbung, der PR, des Marketings und anderen mehr oder minder manipulativen, verkaufsfördernden Maßnahmen werden die Menschen in immer kürzer werdenden Abständen mit Geräten, Funktionen und Dienstleistungen überhäuft, die für die überwiegende Mehrheit völlig nutzlos sind und den Einzelnen mit einer Informations- und Unterhaltungsflut konfrontieren, die mehr Belastung und Verwirrung erzeugt als persönlichen Nutzen bringt. Brauchen die Amerikaner wirklich 65.000 Apps? Muss ein Jugendlicher dort tatsächlich 2272 SMS pro Monat versenden? Wie viele der Billion Websites sind der Bezeichnung nicht wert? Worin besteht der Sinn ein Medium (Buch) zu digitalisieren, das sich über Jahrtausende bewährt hat? Brauchen  93% der Bürger tatsächlich ein oder sogar mehrere Handys - oder ist das nicht viel mehr im Sinne Nokias um 13 Stück pro Sekunde mit Verkaufsaussicht produzieren zu können?

 

Um diese Konsumspirale in Gang zu halten und damit möglichst hohe Profite zu erzielen, werden von den Herstellern bzw. den Industrien verschiedene Strategien eingesetzt. Zum einen die bewusste Verkürzung der „Lebensdauer“ der Geräte, indem ein geplanter Materialsverschleiß in die Produkte eingebaut wird: So betrug beispielsweise 1996 die durchschnittliche Lebensdauer eines Computers noch 7 Jahre, 2006 waren es lediglich noch 2 Jahre.

 

 Eine andere Strategie stellt das „Unmodernmachen“ eines Produktes dar: Geräte, die noch voll funktionstüchtig sind, werden z.B. durch gezielte Werbe- und PR-Maßnahmen künstlich „veraltet“ und als überholt, altmodisch, langweilig designet oder als nicht mehr zeitgemäß dargestellt (z.B. Röhrenfernseher). Zeitgleich wird dem Konsumenten vermittelt, dass es bereits etwas viel Besseres, Neueres, Schnelleres, Innovatives oder Zuverlässigereres gibt, das er unbedingt kaufen sollte. Und schließlich können eigentlich voll funktionsfähige Geräte auch künstlich unbrauchbar bzw. teilweise unbrauchbar gemacht werden, indem die Hersteller die Kompatibilität zu neueren Geräten oder Technologien bewusst verhindern bzw. dafür sorgen, dass Zusatzgeräte  und –produkte gekauft werden müssen, um eine Kompatibilität sicherzustellen. (vgl. Knoche 2005: Entwicklung von Medientechniken als „Neue Medien“, S. 51-54.)

 Verheerende negative Folgen bringt der vor allem in Industrienationen stattfindende gigantische Zuwachs an bzw. die flächendeckende Verbreitung von Informations-, Internet-, Computer- und Unterhaltungstechnologie vor allem denjenigen Menschen und Ländern, die mit den unschönen Resten unserer "Informationsgesellschaft" betraut werden bzw. mit ihnen in Berührung kommen. Laut UNO-Berechnungen entstehen weltweit jährlich ca. 40 Millionen Tonnen Elektronik- und Elektroschrott mit hochgiftigen Komponenten, von denen ein Großteil illegal (vor allem) nach Afrika, China und Indien geschafft wird. Würde man diese gewaltige Menge in Müllwägen verladen, würde die Wagenschlange um den halbe Erdball reichen. So werden zum Beispiel alleine aus Deutschland – einem maximal durchschnittlichen Verschmutzer - jedes Jahr 155.000 Tonnen Elektroschrott (darunter 50.000 Tonnen Computer- und Fernsehbildschirme) ins außereuropäische Ausland transportiert. Diese Menge dürfte tatsächlich noch deutlich größer sein, jedoch werden viele defekte Geräte als funktionsfähig deklariert, um sie leichter exportieren zu können. Die  Ein- und Ausfuhr von giftigen Abfällen ist zwar durch die Baseler Konvention 1999 offiziell verboten, diese wird aber weitgehend nur auf dem Papier umgesetzt. So weigern sich z.B. die USA diese zu ratifizieren, Entwicklungsländer müssten den abgelagerten Müll in Eigeninitiative wieder zurückschicken und außerdem gibt es einen gravierenden Mangel an Kontrollpersonal, mittel – und wille.  

  

vgl. Beitrag in Die Zeit: Müll: Unmengen Elektroschrott verlassen Deutschland illegal.

 vgl. Beitrag in Der Spiegel: Uno-Berechnungen zu Elektroschrott: Gold-Berge auf Müllhalden.

vgl. Beitrag in Focus: Unmengen Elektroschrott illegal exportiert.

 

 






 

 

Vor allem aus den USA wird tonnenweise Elektronikmüll in Entwicklungsländer geschafft, in denen die Ärmsten der Gesellschaft (häufig Kinder) ihren Lebensunterhalt damit verdienen müssen, Metalle und andere recyclebare Stoffe aus dem willkürlich abgelagerten Elektronikmüll zu isolieren und diese für Erlöse im Cent-Bereich zu verkaufen. Die einfachste und geläufigste Methode ist, Teile des Schrottes anzuzünden und die übergebliebenen Metallreste aus der Asche zu isolieren. Durch den entstehenden Rauch und den Aufenthalt auf den Müllkippen – manche wohnen sogar dort (!) - kommen sie tagtäglich viele Stunden mit hochgiftigen Stoffen wie Arsen, Kobalt, Selen, Dioxine, Furane, PAKs, Antimontioxid, PCB, Quecksilber, Kadmium, Chrom und/oder Blei in Kontakt. Das Modewort „Recycling“ bedeutet in diesem Kontext nichts anderes als die fahrlässige, bewusste Vergiftung der Verwerter, mit der auch noch Geld verdient wird. Studien belegen, dass die Menschen in diesen Mülltrennungsregionen stark mit Schwermetallen belastet sind, die u.a. zu Fehlentwicklungen des Nervensystems und zu Krebserkrankungen führen.

 

vgl. Beitrag in Der Spiegel: US-Elektroschrott in Indien: Die Trümmerjungen der Digitalen Revolution.

vgl. Artikel Elektronikschrott – e-Waste - auf reset.to

 

 






 

 






 

 

Abgesehen von den unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen auf die „Recycler“ auf den Müllkippen und deren Familien, birgt die illegale Elektronikmüllentsorgung natürlich noch eine weitere große Gefahr für die Umwelt und für die Menschen, die darin leben: Diese Müllberge werden nicht wie bei uns üblich in ausgesuchten, präparierten und gesicherten Orten abgeladen (soweit das bei uns tatsächlich geschieht), sondern mehr oder weniger vom Schiff an den Strand gekippt oder in die nahegelegenen Dörfer geschafft und dort „verwertet“. Die Folgen für Menschen, Tiere und die Umwelt, die entstehen, wenn diese hochgiftigen Stoffe das Grundwasser erreichen oder sich in den Ökosystemen festsetzen, sind schlichtweg verheerend (Erbschädigungen, Missbildungen usw.) und sehr schwer rückgängig zu machen.

 

So zeigt sich doch, dass der leuchtende Schein der dauernden Erreichbarkeit, der allgegenwärtigen Unterhaltung, des virtuellen Dauerkontakts und der kollektiven Vernetzung auch seine Schatten mit sich bringt. Und dass auch Menschen auf andere, wenig angenehme Weise mit Schlüsseltechnologien in Verbindung kommen. Sicherlich bieten einige Technologien tatsächlich  Vorteile und Fortschrittsmöglichkeiten, diese sollten aber auch gegenüber dem Rest sorgfältig ausgesucht werden, insgesamt in Maßen und bei Erfordernis bzw. Notwendigkeit (z.B. ist die dauernde und ortsunabhängige Erreichbarkeit vielleicht für einen diensthabenden Notarzt oder einen Fluglotsen wichtig, aber wohl kaum für den Ottonormalbürger) eingesetzt werden, ökologisch verträglich gehandhabt werden und nicht in erster Linie Profitzwecken dienen.

 

 

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