aufgabe 5 - Stellungnahme zu ACTA + Web&Recht Erweiterung
thomas.reisinger2.uni-linz, 15. Oktober 2012, 14:42
Was ist ACTA?
Die Bezeichnung ACTA ist ein Akronym und steht für Anit-Counterfeiting Trade Agreement; zu deutsch Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen.1
Aus rechtlicher Sicht sich dabei um eine multilaterales (= zwischen mehreren Staaten) Abkommen, welches - in Hinblick auf das allgegenwärtige Phänomen der Produktpiraterie (i.e. Raubkopien, Fälschungen, illegale Downloads, ...) - in den jeweiligen Mitgliedsstaaten bestimmte Mindeststandards der Schutzrechte am geistigen Eigentum begründen und deren grenzüberschreitende Durchsetzung ermöglichen sollte.2
In ACTA selbst waren dabei keine Schutzrechte für geistiges Eigentum normiert. Diese sind dem TRIPS-Abkommen zu entnehmen. Der eigentliche Zweck von ACTA liegt somit nicht in einer Erweiterung der Urherberrechte ieS, sondern in der Ermöglichung einer besseren Durchsetzbarkeit selbiger.3
Zum Zweck der besseren Durchsetzung werden die jeweiligen Mitgliedsstaaten zu entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen gezwungen. Im Rahmen völkerrechtlicher Verträge ist dies die Standardvorgehensweise; auch sind viele der in ACTA vorgesehenen Maßnahmen (zB Harmonisierungen der jeweiligen Rechtsordnungen oder Zuständigkeitsvereinbarungen, Zollkontrollen am Flughafen, etc...) im Wesentlichen auch schon jetzt gegeben. ACTA ist insofern keine Innovation; im Gegensatz zu den bisherigen Regelungen/Abkommen ist ACTA aber einfach "massiver".
Eine weitere Erörterung des Inhalts von ACTA wird an dieser Stelle nicht vorgenommen, da dies...
- bereits durch andere Teilnehmer dieser LVA vorgenommen wurde (zB bernhard.reisenberger), sowie
- Google mit einem Knopfdruck ca 100.000 websites (welche inhaltlich weitgehend identisch sind) zu Tage fördert.
Derzeitiger Stand der Dinge
Am 1. Oktober 2011 wurde ACTA von Kanada, Australien, Japan, Marokko, Neuseeland, Südkorea, Singapur und den USA unterzeichnet. Bei der Runde in Tokio am 26. Januar 2012 unterzeichneten die EU, Österreich, Belgien, Bulgarien, die Tschechische Republik, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, Schweden und das Vereinigte Königreich.4
Anmerkung: Die EU ist eine eigenständige Rechtspersönlichkeit, welche parallel zu den einzelnen Mitgliedsstaaten existiert. Aus diesem Grund können sowohl die einzelnen Mitgleidsstaaten der EU (zB Österreich) Vertragspartner von ACTA werden UND parallel dazu auch die Europäische Union selbst.
Aus juristischer Sicht muss an dieser Stelle zusätzlich angemerkt werden, dass die Unterzeichnung eines Abkommens wie ACTA alleine nicht gleichzusetzen ist mit der Wirksamkeit von selbigem.
Zur Wirksamkeit bedarf es nämlich noch der Ratifikation (= gültig machen) des Vertrages.
In dieser Hinsicht ist zu erwähnen, dass am 4. Juli 2012 das EU-Parlament beschlossen hat, ACTA nicht zu ratifizieren.5 Dieser Beschluss hat einerseits zur Folge, dass ACTA für die EU keinerlei Bindungswirkung entfalten kann, andererseits hat der Beschluss auch (indirekt) zur Folge, dass ACTA durch die jeweiligen Mitgliedsstaaten nicht ratifiziert werden darf. Andernfalls würde das nationale Recht dem Unionsrecht widersprechen. Die (grundsätzliche) Widerspruchsfreiheit zwischen nationalem Recht und Unionsrecht ist jedoch eines der Kernelemente des primären Unionsrechtes.
Hinzukommt, dass in Art 40 von ACTA selbst vorgesehen ist, dass ACTA erst dann in Kraft tritt, wenn von mindestens sechs Staaten eine Ratifikationserklärung unterzeichnet und hinterlegt worden ist.6
Bis dato hat noch keiner der oben angeführten Staaten dies gemacht.
In Angesicht der großen Symbolwirkung des Beschlusses des EU-Parlamentes vom 4.Juli 2012 und den unzähligen Demonstrationen gegen ACTA kann man daher sagen, dass das Thema ACTA in seiner konkreten Gestalt vom Tisch ist.
Bedenkt man jedoch, dass die Arbeit um ACTA lange Zeit vor der Öffentlichkeit verborgen wurde, so heißt dies vielleicht nur, dass man sich eine Atempause verschafft hat.
Zusatzaufgabe für Studienzweig Web und Recht
Vorab zu sagen ist, dass trotz des Umstandes, dass ACTA in seiner konkreten Form "vom Tisch" ist, das Nachfolgende nicht bloß akademischer Natur ist. Der Diskussion um den Schutz des Urheberrechtes mittels Anti-Piraterie Abkommen wie ACTA wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erneut aufflammen.
Von ACTA betroffene und Grundrechte
Wie bereits erwähnt hat ACTA den Zweck die Rechte der Urheber (bzw in der Praxis häufiger denjenigen, welcher gerade die Nutzungsrechte inne hat) an ihrem geistigen Eigentum zu schützen.
Die praktische Umsetzung dieses Ziels erfordert es, dass Umsetzungsmaßnahmen erfolgen. Dabei kommt es jedoch regelmäßig zu Kollision mit den Grundrechten des Einzelnen.
Exkurs
Was ist ein Grundrecht?
Als Grundrechte werden Rechte des Einzelnen gegen den Staat bezeichnet. Grundrechte sind per definitionem Rechte mit einer besonders hohen Beständigkeit. Aus diesem Grund stehen sie für gewöhnlich im Verfassungsrang.
Beispiele für Grundrechte sind etwa das Recht auf Leben, das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf Eigentum, das Recht auf Erwerbsfreiheit, das Recht der Religionsfreiheit, ...
Was ist ein Grundrechtseingriff, was eine Grundrechtsverletzung?
Die meisten Grundrechte gelten nicht unbeschränkt, sondern sind gesetzlichen Beschränkungen unterworfen.
Beispiel 1 - Erwerbsfreiheit
Unter die Erwerbsfreiheit fällt grundsätzlich jede Tätigkeit, welche man gegen Entgelt betreibt. Unter diese Definition lassen sich somit theoretisch legale Berufe subsumieren, aber auch Tätigkeiten wie das Dealen von Drogen. Letzteres ist aber - wie den meisten bekannt sein dürfte - (strafrechtlich) verboten.
Per Gesetz (in diesem Fall dem Suchtmittelgesetz) ergibt sich daher hier ein Grundrechtseingriff, da ein einfaches Gesetz in den Schutzbereich des Grundrechtes auf Erwerbsfreiheit eingreift.
Beispiel 2 - Vereinsfreiheit
Das Grundrecht der Vereinsfreiheit ermöglicht den Bürgern die Bildung politischer Parteien.
Im VerbotsG finden sich diesbzgl jedoch Einschränkungen. So ist eine Wiedereinführung der NSDAP (oder einer der NSDAP gleichkommenden Partei) verboten.
In beiden Beispielen liegen GrundrechtsEINGRIFFE vor, doch sind diese keine GrundrechtsVERLETZUNGEN. Sofern ein Eingriff nämlich verhältnismäßig ist, ist er rechtmäßig. Die Kriterien die dafür erfüllt werden müssen sind folgende:
- es muss ein (öffentliches) Interesse am Eingriff bestehen
- der Eingriff muss geeignet sein dieses Interesse zu erreichen
- es muss sich dabei um das schonendste Mittel handeln
- der Eingriff muss - mit Blick auf die betroffenen Grundrechte - ädaquat sein.
Von ACTA betroffene Grundrechte bzw Verletzung selbiger:
ACTA in seiner geplanten Version hätte in mehrere Grundrechte eingegriffen bzw diese verletzt. Konkret sind dabei das Recht auf ein faires Verfahren, sowie das Recht auf Achtung des Privatlebens, Meinungsfreiheit, und das Recht auf Datenschutz.7
Zurückzuführen sind diese Eingriffe auf die im ACTA Abkommen angelegten Bestimmungen zur Informationsbeschaffung, welche eine Überwachung des Internetverkehrs beinhalten. Zum Zwecke des Ausfindigmachens von Verstößen gegen die Urheber/Nutzungsrechte war es vorgesehen, dass die Provider Daten über ihre User 1; aufbewahren und 2; den Inhabern der Urheber/Nutzungsrechte zur Verfügung stellen müssen.8
Derartige Überwachungsaktionen sind zum Teil auch jetzt bereits erlaubt. So zum Beispiel in den Strafprozessordnungen der meisten Länder. Da es sich bei derartigen Vorgängen aber um massive Grundrechtseingriffe handelt - vergleichbar mit dem Verhängen der Untersuchungs-Haft oder Hausdurchsuchungen - sind die Voraussetzungen, unter denen diese Aktionen vorgenommen werden dürfen, sehr genau geregelt und zumeist an gerichtliche Bewilligungen geknüpft. ACTA hätte zur Folge gehabt, dass dieses Prozedere sehr gelockert und in hohem Maße in private Hände gelegt worden wäre. Eine derartige faktische Selbstjustiz ist schon grundsätzlich nicht mit dem Prinzip des Rechtsstaates vereinbar.9
Daneben wären die durch ACTA ermöglichten Eingriffe auch unter dem Gesichtspunkt des schonendsten Mittels abzulehnen, da neben "bloßen" Nachsehen auch die Möglichkeit bestanden hätte Internetsperren zu verhängen.10
Mangelnde Bestimmtheit von ACTA - Verstoß gg das Determinierungsgebot
Gegen ACTA wurde auch - zu Recht - der Vorwurf erhoben, dass es in weiten Teilen sehr vage gehalten ist.
Dies ist deshalb problematisch, weil eines der essentiellen Prinzipien des Rechtsstaates ist, dass staatliches Handeln berechenbar sein muss und Gesetze deswegen möglichst exakt formuliert gehören.
Im Rahmen multilateraler Abkommen ist die Einhaltung dieses Prinzips naturgemäß sehr schwer und oft auch nicht möglich. So auch bei ACTA. Ein Verstoß gg Art 18 B-VG ergibt sich jedoch dadurch, weil die Verhandlungsprotokolle, welche zur Auslegung des Vertragstextes verwendet werden sollen, nicht öffentlich zugänglich sind.11
Nichteinbindung der Öffentlichkeit in ACTA
ACTA kam für die breite Allgemeinheit relativ überraschend. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Abkommen weitgehend geheim entwickelt wurde.
Dass die Entwicklung unter Ausschluss der Allgemeinhat stattfand ist aus juristischer Sicht allerdings irrelevant. Aus politischer Sicht hingegen untragbar.
Zumindest bedenklich ist jedoch, dass auch die gewählten Repräsentanten der Allgemeinheit (= die Abgeordneten in den Parlamenten) den Verhandlungen nicht beiwohnen konnten oder wenigstens darüber laufend unterrichtet wurden. Das Stattfinden einer demokratischen Debatte wurde auf diese Weise nämlich verhindert.
Daneben wäre ACTA
können von Zollkontrollen am Flughafen (zB um gefälschte körperliche Sachen zu entdecken), bis hin zur Überwachung des Internetverkehrs reichen.
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1 http://de.wikipedia.org/wiki/Anti-Counterfeiting_Trade_Agreement#Inhalt ; http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2012/february/tradoc_149082.pdf
2 siehe vorherige FN
3 siehe vorherige FN
4 http://www.ustr.gov/acta ; www.mofa.go.jp/policy/economy/i_property/acta1201.html
5 tagesschau.de/ausland/acta228.html
7http://www.amnesty.de/2012/2/14/eu-darf-acta-nicht-unterzeichnen?destination=startseite
8 http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/11/st12/st12196.de11.pdf
9 http://www.franziska-brantner.eu/weitere-themen/weiteres/acta/
10 siehe vorherige FN.
Danke für Ihre ausführliche Darstellung,..
Hans.Mittendorfer.Uni-Linz, 16. Oktober 2012, 16:49
.. zur Förderung der Entwicklung eines fachübergreifenden Verständnisses im Rahmen der Webwissenschaften. Die von Ihnen angeführten Aspekte, insbesondere der Exkurs zu den Grundrechten und deren Anwendung auf mögliche Konsequenzen aus ACTA können und werden hilfreich sein, wenn - auch hier stimme ich Ihnen zu - der zweite Anlauf zur Durchsetzung der auf dem Urheberrecht fußenden Interessen kommen wird.
Eine abrundene Bemerkung sei noch hinzugefügt: Das in der Aufgabenstellung erwähnte Abwägen der Rechtsgüter, Ihren Ausführungen zu folge "Grundrechte versus Rechte der Urheber geistigen Eigentums" sind sorfältig abzuwägen, weil
- die Vermutung hahe liegt, dass weniger die Rechte der Urheber, als die der Verwerter hinter ACTA stehen, und damit
- die Interessen umsatz- und gewinnreicher Industiezweige (Markenartikelindustrie, Medienproduzenten und -vertreiber, Hersteller und Vertreiber von Pharmazeutika, ..) nach europäischem Demoktratie- und Rechtsverständnisses erhebliche Grundrechtseingriffe nicht rechtfertigen sollten.
elisabeth.fischer3.uni-linz, 17. Oktober 2012, 12:32
Dein Beitrag ist sehr informativ, danke dafür. Für mich als Nicht-Jurist ist es interessant, deine Sicht der Dinge zu sehen.
Mein Beitrag zum Thema ACTA in meinem Blog.