Problematik einer rein schriftlichen Kommunikation
Montag, 26. Januar 2004
Semesterarbeit
Problematik einer rein schriftlichen Kommunikation


Inhalt:

1.) Geschichtlicher Rückblick

2.) Schreiben und Lesen lösen Hören und Sehen ab

3.) Technische Nachteile

4.) Vor- bzw. Nachteile der schriftlichen Kommunikation im Internet

5.) Schlussworte


1.) Die Entwicklung des Schreibens bis hin zum Computer
Der Mensch kann seit ein paar Jahrtausenden schreiben. Schreiben ist heute so selbst-verständlich wie die Werkzeuge zum Schreiben. Man braucht Schreibmaterial, auf dem man schreibt und das Werkzeug, mit dem man sichtbare Spuren auf dem Schreibmaterial hinterlassen kann. Schreiben ist eine Kulturtechnik, es setzt eine gewisse Ent-wicklungsstufe der menschlichen Kultur, Bildung und die Benutzung von hoch entwickeltem Werkzeug voraus.
Hunderttausende von Jahren hat es gedauert, bis der Mensch sich von den Felswänden als Schreibmaterial gelöst, bis er transportable Schreibmaterialien entwickelt hatte. Es war ein weiter Weg bis zum ersten Papier der Ägypter und Chinesen. Erst im digitalen Zeitalter gab es die Illusion, Papier durch Disketten oder CD's abzulösen. Neben dem Papier in jeder Form nimmt die Bedeutung digitaler Träger-materialien zu. Papier aber wird es als Schreib-material geben, solange diese menschliche Hoch-kultur existiert.
Ganz anders sieht es mit den Schreibwerkzeugen aus. Wieder hundertausende von Jahren vergingen, bis aus einem weichen Stein, dem verkohlten Stock, dem zerfaserten Stengel, die Schreibfeder und der Pinsel wurde. Weitere zweitausend Jahre, bis der Bleistift erfunden war. Goethe hat mit Bleistift, Schiller mit dem Gänsekiel geschrieben. Das ist zweihundert Jahre her. Vor 100 Jahren setzte mit der Erfindung der Schreibmaschine eine weitere Revolution der Schreibwerkzeuge ein. In diesen letzten einhundert Jahren wurden Techniken entwickelt, die das Schreiben des Menschen auf die bisher letzte Ent-wicklungsstufe angehoben hat.
Damit kann man bei der Entwicklung des Schreibens drei qualitativ unterschiedliche Stufen beobachten: Gedanken/Text/Bild unverrückbar (an der Wand), Gedanken/Text/Bild transportabel, aber unlösbar mit Trägermaterial verbunden und Gedanken/Text/Bild losgelöst vom Träger, ein eigenständiges Objekt.
Die letzte Stufe ist nur mit dem Computer zu erreichen. Im Computer werden Texte und Bilder zu frei manipulierbaren, editierbaren Objekten. Aber diesen Status besitzen sie nur im digitalen Zustand und im Computer. In der Realität sind Gedanken/Texte und Bilder weiterhin nicht von ihrem Träger zu lösen (auch nicht im Computer!). Die Natur der Information lässt das nicht zu. Aber der Zustand dieser Objekte im Computer ist vergleichbar mit den Gedanken in unserem Gehirn. Auch dort und nur dort sind wir in der Lage, mit Gedanken, Texten und Bildern völlig anders umzugehen, als ausserhalb unseres Kopfes.
Welche gravierenden Vorteile das hat, erkennt man bereits bei einem Software System für die “Textverarbeitung'“. Der Qualitätsunterschied liegt nicht in einer nochmaligen Geschwindigkeitssteigerung gegenüber der Schreibmaschine sondern in der Möglichkeit der Bearbeitung des geschriebenen Textes. Er kann korrigiert, formatiert und inhaltlich verändert werden. Das ist möglich, weil der Text im Computer als digitales Modell existiert. Dieses Modell ist manipulierbar und ermöglicht so die vielfältige Textgestaltung.
Diese Technologie bis zur heutigen Reife zu bringen hat ca. 30 Jahre gedauert.

2. Schreiben und Lesen lösen Hören und Sehen ab
An die Stelle des Sehens, Hörens und Gehörtwerdens tritt mehr und mehr das Schreiben und Lesen.

Kommunikation statt Information - das scheint zunehmend das Motto für das Internet zu werden. Statt es als schönes neues Massenmedium im Stile von Zeitungen und Fernsehen zu betrachten, entdecken immer mehr Anbieter das Netz als eine neue Art von Telefon; als "Super-Telefon", über das man mit einmal einwählen die verschiedensten Kommu-nikationen durchführen kann: Ich versende E-mails UND chatte UND schicke ein SMS UND poste in einem Forum eine Message UND besuche eine Datenbank UND ... Ich hab' die Möglichkeit einer vieldimensio-nalen, gehaltvollen Kommunikation, die noch dazu als Spezifikum aufweist, dass ich auch mit Maschinen Kontakt aufnehmen kann. Gerade das ist ja einer der Clous des WWW, dass es auch Echtzeit-Kommunikation mit Datenbanken geben kann: Ich schicke eine Anfrage los, und krieg' in Echtzeit eine Antwort.

3. Technische Nachteile
Diese faszinierende digitale Technologie besitzt einen gewaltigen Nachteil: Ohne Computer ist der digitale Text nicht lesbar, nicht einmal ohne Monitor oder Drucker. Und wenn keine Steckdose existiert, ist alles aus. Der Text ist verloren.
Dazu kommt der Verlust durch technischen Fortschritt, durch moralischen Verschleiss. Er tritt fast zwangsläufig in einem Zeitraum von nur fünf Jahren ein, weil sich in dieser Zeit Computer, periphere Geräte und Software so extrem weiterentwickelt haben, dass alte Disketten nicht mehr lesbar sind und alte Festplatten in neuen Computern nicht mehr zum Laufen gebracht werden können. Was dann nicht ausgedruckt ist, existiert nicht mehr.
Die Störanfälligkeit dieser neuen Techniken und ihre Abhängigkeit von äußeren Bedingungen nimmt genauso dramatisch zu, wie ihre Effektivität. Ein kurzer Stromausfall vernichtet ungespeicherte Texte, Computer stürzen ohne ersichtlichen Grund ab, Disketten und CD's altern und sind allein dadurch schon nach zehn Jahren nicht mehr sicher lesbar.
Damit schließt sich der Kreis. Die Schreibtechniken sind nur ein Beispiel für den in den letzten hundert Jahren zu beobachtenden, zwanghaften Wandel der menschlichen Kulturtechniken. Es geht alles besser, schneller, komfortabler und billiger. Gleichzeitig aber stehen Großstädte unmittelbar vor dem Kollaps, wenn nur der Strom für eine Stunde ausfällt.
Der faszinierend schöne Schein von HighTech und der vielen technischen Geräte ist trügerisch. Eines ist die gesamte Technik unserer Gesellschaft besonders:
Sie ist labil.

4.) Vor- bzw. Nachteile der schriftlichen Kommunikation im Internet
"Kommunikation(...) ist zwischenmenschliche Verständigung, reflexibles sprachliches Handeln, intentionales Mitteilen von Zeichen, vor allem durch Sprache als besondere und zugleich fundamentale Form sozialer Interaktion. Absichtsgelenktes und zielgerichtetes, auf das Bewußtsein von Partnern einwirkendes und eigenes Bewußtsein veränderndes Handeln. Übertragung und Verarbeitung von Informationen, die der Erzeugung von Bedeutung und Sinn sowie in Arten und Weisen des Verstehens realisiert wird." (Lewandowsky)

Laut Joseph P. Forgas besteht Interpersonale Kommunikation nur zu einem kleinen Teil aus verbalen Botschaften. Gewöhnlich übermitteln wir zusammen mit Wörtern und Sätzen eine Vielfalt nonverbaler Signale, die der verbalen Botschaft Nachdruck verleihen, sie aber auch modifizieren oder völlig ersetzen können. Es kommt vor, dass in – manchmal sogar recht komplexen – sozialen Begegnungen überhaupt nur nonverbale Botschaften ausgetauscht werden. Ist explizite verbale Kommunikation aus irgendwelchen Gründen schwierig oder unmöglich (ist der Lärm zu groß, sind die Partner zu weit entfernt,…) , kann ein komplizierter Austausch nonverbaler Signale – Blicke, Lächeln, Gesten, veränderte Körperhaltung, usw. – an die Stelle der verbalen Kommunikation treten.

Ohne die Fähigkeit, solche nonverbalen Botschaften zu senden und zu empfangen, ist, laut Forgas, erfolgreiche soziale Interaktion unmöglich!

Einige nonverbale Signale, wie etwa der Gesichtsausdruck, als höchst spezialisierte und kulturunspezifische Informationsträger fungieren als emotionale Zustände. Verbal - und noch viel mehr schriftlich – sind emotionale Botschaften nicht nur langsamer, sondern häufig auch weniger eindeutig. Aber das ist nicht das einzige Problem, um Emotionen effektiv mit Worten kommunizieren zu können, müssen wir sie zunächst einmal klar identifizieren und benennen. Dieser Prozess braucht seine Zeit und führt nicht immer zu zuverlässigen Ergebnissen. Übermittelt man emotionale Botschaften über Gesichtsausdruck, hat man solche Schwierigkeiten nicht.

Nonverbale Botschaften werden niemals isoliert, d.h. in nur einer Modalität gesendet und empfangen. Unsere Kommunikation besteht immer aus Blicken, Gesten, Lauten, usw., das heißt aus einer Kombination vieler Signale in einer Vielzahl von Modalitäten.

Bei einer rein schriftlichen Kommunikation – wie es am Computer gegeben ist – gibt es somit keine Möglichkeit Gesichtsaudruck, Blicke, Gesten, usw. wahrzunehmen bzw. als Klärungshilfe in der Kommunikation zu verwenden.

Auch beim Telefonieren zum Beispiel ist die Filterung viel geringer, weil die Stimmen mehr Emotionalität vermitteln, daher ist es auch leichter, sich während des Telefonierens ein Bild von der Situation, von der Stimmung des oder der GesprächspartnerIn zu machen als zum Beispiel via E-Mail, wo die Selbstzensur mehr Spielraum hat. Der Unterschied besteht in der Form des Austausches und welche Sinne damit angesprochen werden. Beim Telefonieren wird der Ton, die akustische Wahrnehmung angesprochen, das Ohr ist aktiv, bei der Bildschirmkommunikation läuft das Handling über die Verschriftlichung des Gedachten - das Auge. Jede und jeder, die/der viel schreibt, weiß, dass Schreiben stark den Charakter des Selbstgesprächs annehmen kann. Die Kommu-nikation über Mail bietet weniger Unmittelbarkeit, was auch zu nicht geringen Missverständnissen führt. Beim Verfassen eines elektronischen Briefes treten wir zunächst auch mit uns selbst in Kommunikation. Das Medium, der Schirm, das Interface bietet eine Zwischeninstanz, einen Spiegel für die Inhalte, die transportiert werden sollen.

Im Seminar „Psychologie und Internet“ von Prof. R. Groner, Christian Weber und Miriam Dubi wird von der „Virtuellen Realität“ gesprochen.
Die Virtuelle Realität formt die Beziehung des Individuums zur physischen Welt einer neuen Ebene nach, ohne dass dies die subjektive Welt des Gehirns berührt. So erzeugen künstlich hergestellte Umweltreize echte Wahrnehmungen. Die Forschung ist hier noch nicht sehr weit. Die virtuelle Realität greift jedoch immer mehr in den Alltag bis eine Differenzierung kaum mehr möglich ist. Im Grunde ist sich jeder bewusst, dass es sich um virtuelle Realität handelt, aber die subjektiven Sinne unterscheiden dies nicht von der Alltagsrealität.

Simulation:
Die virtuelle Realität ist bereits durch die Bild- und Tonqualität des Mediums gegeben, das reale Situationen simuliert.

Interaktion:
Virtuelle Realität entsteht nicht durch Sinnestäuschung, sondern wird durch das Individuum hergestellt, indem es dem Objekt auf dem Bildschirm eine reale Bedeutung zuschreibt und mit ihm interagiert als sei es ein realer Gegenstand.

Künstlichkeit:
Die Realität ist ein weitgehend menschliches Konstrukt. Durch die zunehmende Computerisierung von menschlichen Handlungen findet das Leben bald nur noch in einer künstlich hergestellten, virtuellen Realität statt.

Nach Prof. Groner ist die computervermittelte Kommunikation defizitär und unpersönlich, weil sich die Wahrnehmung nur auf die Sinnesmodalität des Sehens beschränkt. Dies führt zu Entsinnlichung, Enträumlichung und bei asynchroner Kommunikation zu Entzeitlichung.
Weiters entsteht durch das Ausfiltern von sozialen Hinweisreizen Anonymität, die sowohl pro- als auch antisoziales Verhalten fördert.
Mediale Einschränkungen werden durch Verbalisierung nonverbaler Hintergrundinformationen kompensiert. Der Empfänger entwickelt soziale Fertigkeiten, um seine Lücken zu füllen. Es entsteht ein neuer Handlungsraum, der kreativ ausgefüllt werden kann. Dies muss nicht unbedingt ein negativer Prozess sein.

Vorteile der computervermittelten Kommunikation:

- Simulation: Fremde Indentitäten können ausprobiert werden. Dies soll sich positiv auf die Stimmung des Users auswirken.

- Imagination: Beschränkte Wahrnehmung zwingt zu vermehrter Imagination und regt kreative Prozesse an, was zu einer gesteigerten Wahrnehmung der aktivierten Sinne führt.

- Synergien: Vorteile der mündlichen als auch der schriftlichen Kommunikation werden verbunden (z.B. Hypertext).

- Zeitliche Unabhängigkeit

- Soziale Hemmungen: Durch die Anonymität im Net werden Hemmungen abgebaut bzw. Offenheit begünstigt.

- Neutrale Informationen: Ebenfalls durch die Anonymität fallen Vorurteile (z.B. das Aussehen des Gesprächspartners) weg.

- Kommunikationspartner befinden sich auf der gleichen Ebene

- Soziale Beziehungen nicht abhängig von Raum und Zeit

Nachteile der schriftlichen Kommunikation im Internet:

- Die Interaktion zwischen Mensch und Computer beeinflusst die Psyche des Users negativ, führt zu Isolation und Depression.

- Verarmung: Durch das Fehlen von Mimik, Gestik, Stimmlage, Betonung, usw. wird die emotionale Qualität der Kommunikation gesenkt.

- Interaktion: Im Net ist keine direkte Reaktion des Empfängers wie z.B. nachfragen, unterbrechen, usw. möglich.

- Kulturverschiebung: Die englische Sprache gilt als DIE Sprache.

Ganz wichtig ist es hier auch zu erwähnen, dass die Face-to-Face-Kommunikation oft idealisiert dargestellt wird. Wie wir alle wissen entspricht dies allerdings nicht der Alltagssituation. Daher sollte man die Internet-Kommunikation mit den flüchtigen gestressten Alltagsbeziehungen vergleichen.

5.) Schlusswort
Welche Auswirkungen das Computerzeitalter auf unsere Kultur und unsere Entwicklung global gesehen noch haben wird kann wohl niemand genau abschätzen. Tatsache ist, dass eine Änderung mehr und mehr gegeben ist welche unsere Kinder bzw. Enkel sicherlich noch viel mehr zu spüren bekommen als wir.


Literatur:
Joseph P. Forgas (1999). Soziale Interaktion und Kommunikation. Beltz Verlag
http://visor.unibe.ch/media/summer98/prosemin.htm (Oktober 2003)
www.zumthema.com (November 2003)

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