Transparenz und virtuelle Identitaet Der transparente Konsument
rainer.kroisamer.uni-linz, 28. Oktober 2015, 10:43
Einleitung
In zahlreichen Diskussionen in der vergangenen LVA zum Thema Markttransparenz war der allgemeine Tenor dass durch Technologien im E-Commerce nicht Unternehmen als Einzelne und der Markt als Gesamtes transparenter werden, sondern die Unternehmen immer mehr Informationen über Ihre Verbraucher generieren und somit letztendlich der Konsument und sein Verhalten transparenter - gläsern - werden. Somit ist der Übergang zum nächsten Thema - der transparente Konsument - gelegt.
Der amerikanische Supermarkt-Riese „Target“ weiß, wann seine KundInnen schwanger sind, auch ohne dass sie dies direkt preisgeben. Durch Einkäufe wie etwa bestimmte Nahrungsergänzungsmittel während einer Schwangerschaft in Verbindung mit einer Target-Kundenkarte, errechnet Target mit Hilfe von Systemen zur Verhaltensforschung dass ihre Kundin womöglich bald ein Kind bekommt und versendet daraufhin passende Gutscheine frei Haus (Handelsblatt, 2012).
Target ist nur ein Beispiel von vielen für den Trend von Unternehmen alle nur erdenklichen Informationen über seine KundInnen zu sammeln, aufzubereiten und zu interpretieren, um seine künftigen Produktions- und Absatzstrategien danach auszurichten. Mit Hilfe moderner Informationssysteme zur Datenauswertung gelingt es auch immer detaillierter die Verhaltensmuster von Konsumenten zu errechnen (Handelsblatt, 2012).
Big Data ist eines der Stichworte das hier zum Tragen kommt. Customer Intelligence, also der Prozess des Sammelns und des Analysierens von Kundendaten zur Optimierung von Kundenbeziehungen, Produktions- und Absatzprozessen und -Strategien (TechTarget, 2010) ist ein Zweites im Zusammenhang mit dem gläsernen Konsumenten.
In diesem Zusammenhang soll der Artikel „Customer Data: Designing for Transparency and Trust“ auf Zusammenhänge zwischen dem in der LVA hervorgehobenen Thema „der transparente Konsument“ hin untersucht werden. Der Beitrag von Timothy Mores, Theodore Forbath und Allison Schoop erschien in der Mai Ausgabe 2015 der Harvard Business Review (siehe Quellenangabe am Ende).
Konsumenten-Bewusstsein und -Erwartungen
Bei einer Befragung von 900 Personen aus fünf Ländern - USA, Großbritannien, Deutschland, China und Indien - zur Datennutzung durch Unternehmen waren Mores, Forbath und Schoop interessiert daran zu erfahren, (1) ob die Befragten sich dessen bewusst waren wie deren Daten gesammelt und benutzt wurden, (2) wie diese Nutzer aus verschiedenen Ländern verschiedene Arten von Informationen für sich bewerteten, (3) deren Einstellung zur Privatsphäre und was sie als Gegenwert zu von Unternehmen gesammelten Informationen erwarteten. Dabei ließen sich folgende Erkenntnisse erzielen:
Indische Konsumenten waren sich am meisten darüber bewusst, welche Arten von Informationen sie bei der Internetnutzung hinterlassen, Deutsche Nutzer am wenigsten. Im Allgemeinen fand die Studie heraus, dass nur ein sehr kleiner Anteil an Internetnutzern sich dessen bewusst ist, welche Art von Informationen online gesammelt werden. Nur etwa 25 % der Befragten wussten, dass der „digitale Fußabdruck“ Informationen über den Aufenthaltsort enthielt und nur 14 % wussten dass ebenfalls ihre Web-Surfing-Historie geteilt wird. Identitätsdiebstahl war die größte Besorgnis der Nutzer (angegeben von 84 % der chinesischen Nutzer am oberen Ende des Spektrums und von 49 % der indischen Nutzer am unteren Ende).
Die Privatsphäre war ebenfalls ein wichtiger Punkt bei den Befragten: 80 % der deutschen und 72 % der amerikanischen Nutzer sind zurückhaltend bei der Weitergabe von privaten Daten an Unternehmen. Im Allgemeinen sind Konsumenten also eher bedacht im Umgang mit Daten und deren Nutzung, auch wenn sie im Einzelnen eher wenig darüber Bescheid wissen, welche Arten von Daten nun genau gesammelt werden.
Um herauszufinden wie viel Wert welche Daten nun für welche Nutzer haben wurde im Zuge der Studie untersucht, wie viel Geld Nutzer bereit wären zu bezahlen um verschiedene Arten von Daten zu schützen. Dabei kamen die Autoren zu dem Ergebnis, dass es starke kulturelle Unterschiede - je nach Herkunftsland - und Unterschiede bei der Art von Daten gibt.
So legen deutsche Nutzer den größten Wert auf Gesundheitsdaten, chinesische Nutzer den geringsten. Öffentliche Überwachung1 und Kreditkartendaten hatten einen sehr hohen Wert in allen westlichen Ländern und in Indien.
Daten für Gegenwert
Wenn Unternehmen wissen wie viel Daten ihren Nutzern Wert sind können sie entsprechenden Gegenwert liefern. Im Folgenden argumentieren Mores, Forebath und Schoop, dass es wesentlich darauf ankommt welche Art von Daten von Unternehmen gesammelt und wofür sie verwendet werden. In ihrer Studie unterscheiden sie zwischen:
(1) Selbst generierten Daten, welche Nutzer freiwillig bereit sind herzugeben wie E-Mail-Adressen, Informationen zu Bildung und Beruf, Alter und Geschlecht,
(2) Digital Exhaust, wie Standortdaten, Browserhistorie, Suchverhalten, etc. die durch die Nutzung digitaler Services generiert werden,
(3) Profildaten oder Persönlichkeitsprofile welche erstellt werden um individuelle Interessen und Verhaltensweisen zu erahnen. Solche Profildaten werden aus den zuvor genannten selbst generierten Daten und Daten aus dem Digital Exhaust abgeleitet.
Die Autoren zeigen in ihrer Studie auf, dass selbst generierte Daten den geringsten Wert, Daten aus dem Digital Exhaust einen höheren Wert und Profildaten den größten Wert für Nutzer haben.
Weiters wurden drei Arten von Datengebrauch analysiert:
(1) Zur Verbesserung eines Produktes oder einer Dienstleistung,
(2) für gezieltes Marketing oder Werbung,
(3) Erlös durch den Verkauf an Dritte.
Der Studie zufolge gilt, dass wenn Daten im Zuge von Verbesserungen eines Produktes oder einer Dienstleistung gesammelt werden (1), dies von Nutzern als fairer Tausch bewertet wird. Werden hingegen Daten im Zuge von direktem Marketing oder Werbung gesammelt (2), so steigt die Erwartungshaltung der Nutzer in den Gegenwert dieser Daten. Am höchsten ist der erwartete Gegenwert für jene Daten welche an Dritte verkauft werden (3). In anderen Worten, der Wert den Nutzer ihren Daten zuweisen erhöht sich je sensibler diese Daten sind - von einfachen freiwillig angegebenen Daten wie Name und E-Mail-Adresse über Detailinformationen des Nutzers wie Such- und Kaufhistorie - und je nachdem ob sie eher den Konsumenten (Stichwort Produktverbesserungen) oder eher das Unternehmen (Stichwort direkter Verkauf von Daten an Dritte) bevorteilen.
Vertrauen und Transparenz
Wesentlich, aber zunächst unabhängig von der Art der Datenerhebung, ist, dass Unternehmen das Vertrauen des Nutzers gewinnen und in vertrauensbildende Maßnahmen investieren. Je mehr Vertrauen der Nutzer in eine Marke, eine Organisation oder ein Unternehmen hat, desto leichter fällt es ihm seine Daten zur Verfügung zu stellen. Steigt gleichzeitig die Transparenz im Umgang mit Daten, fördert dies die Vertrauensbildung zwischen Nutzer und Unternehmen.
Fazit
Der transparente Konsument (und der gläserne Mensch) ist längst Realität und zwar nicht erst seit gestern, sondern schon seit langem. Im behandelten Artikel lässt sich der Bezug zum in der LVA thematisierten Begriff des transparenten Konsumenten insofern herstellen, als dass Mores, Forbath und Schoop aufzeigen, wie Nutzer und Konsumenten weltweit kulturübergreifend sich dessen bewusst sind dass Unternehmen zunehmend Daten sammeln, generieren, analysieren, aufbereiten und verwenden und dass ein gewisser Grad an Sensibilität gegenüber Datensammlung und Privatsphäre vorhanden ist, diese Sensibilität jedoch kulturell und nach Art der verwendeten Daten abhängig unterschiedlich ausgeprägt ist.
So wissen laut der Studie von Mores, Forbath und Schoop indische Nutzer am ehesten darüber Bescheid welch verschiedenste Arten von Informationen über sie gesammelt werden sobald sie Online-Dienste nutzen, deutsche Nutzer tun das am geringsten. Auch die Art von gesammelter Information wird kulturell unterschiedlich bewertet. So ist die Privatsphäre für westliche Nutzer sehr wichtig, für chinesische Nutzer ist Identitätsdiebstahl das am meisten befürchtete Szenario.
Für Unternehmen ist es also von Bedeutung den kulturell unterschiedlich bewerteten Wert von Daten ihrer Nutzer zu kennen und dementsprechend zu Handeln. Nicht mehr das Sammeln und Verwerten von Informationen an sich steht im Zentrum der Aufmerksamkeit - Nutzer sind sich dessen bewusst dass sie bis zu einem gewissen Grad transparent sind - sondern wie mit solchen Daten umgegangen wird. Dabei ist es für Unternehmen unumgänglich in vertrauensbildende Maßnahmen zu investieren und den Umgang mit Daten als transparent als möglich zu gestalten.
Auf die Vorgehensweise bei der Befragung in der Studie wurde in dem Beitrag nicht eingegangen. Des Weiteren ist eine Stichprobe von 900 Befragten womöglich zu klein, angesichts der Milliarden an Internetnutzern weltweit, um derartige Rückschlüsse zu ziehen. Ebenso ließe sich Kritik an den ausgewählten Ländern, die als repräsentativ für die Online-Population ausgewählt wurden, üben, da alleine innerhalb Europas die kulturellen und sozialen Unterschiede von Internetnutzern sehr ausgeprägt sind.
1Der Begriff "Government Identification" konnte nach Recherche nicht zweifelsfrei übersetzt und interpretiert werden. Es wurde dafür der Begriff Öffentliche Überwachung im Sinne von staatlicher Kontrolle verwendet.
Der behandelte Artikel ist verfügbar unter: https://hbr.org/product/customer-data-designing-for-transparency-and-trust/R1505H-PDF-ENG, sowie im Blog unter diesem Link.
Quellen:
Mores Timothy, Forbath Theodore, Schoop Allison: Customer Data: Designing For Transparency and Trust; Harvard Business Review, Ausgabe Mai 2015, Seiten 96 - 105; Online verfügbar unter: https://hbr.org/product/customer-data-designing-for-transparency-and-trust/R1505H-PDF-ENG, abgerufen am 23.10.2015.
Handelsblatt, Online unter: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/glaeserner-konsument-sie-sind-durchschaut/7493006.html, abgerufen am 17.10.2015.
TechTarget, Online unter: http://searchbusinessanalytics.techtarget.com/definition/customer-intelligence-CI, abgerufen am 17.10.2015.
christoph.strutzenberger.uni-linz, 28. Oktober 2015, 17:56
Muss sagen dieser Beitrag trifft genau den Zahn der Zeit. Viele Unternehmen haben das schon erkannt und versuchen mehr oder weniger erfolgreich mehr "Trust" zu ihren Nutzern aufzubauen.
Mich wundert hier die Tatsache, dass in einem Land wie Deutschland, das in Sachen Datenschutz eine Vorreiterrolle spielt die Nutzer sehr uninformiert sind. Ich weiß persönlich nicht über die Datenschutzgesetze in Indien Bescheid, schätze jedoch dass diese eher nicht so rigoros sind wie bei uns.
Dass Gesundheitsdaten nur in sozialen Marktwirtschaften hoch eingestuft werden ist ebenfalls ein interessanter Aspekt. Hier scheint ein Zusammenhang zwischen der Vertraulichkeit von Daten und derem geschätzten Wert zu liegen.
rainer.kroisamer.uni-linz, 28. Oktober 2015, 19:10
Danke für deinen hilfreichen Kommentar. Es ist tatsächlich einer meiner Kritikpunkte an dem Artikel, dass auf die Methoden bzw. Ergebnisse in der Studie nicht im Detail eingegangen wird. Natürlich muss untersucht werden ob in Ländern wie Indien ähnliche Infrastrukturen und Verwaltungssysteme (Stichwort E-Card, eGovernment, eSignatur, etc.) betrieben werden, wenn der Punkt Gesundheitsdaten verglichen wird. In dem Beitrag spielen allerdings nicht so sehr die gesetzlichen Bestimmungen eine Rolle, sondern das kulturelle Verständnis der jeweiligen Nutzer in dem Land.