Transparenz und virtuelle Identitaet Die Transparenz der Internettechnik

rainer.kroisamer.uni-linz, 12. November 2015, 12:52

 

Zusammenfassung des Artikels "Die Netzneutralitätsdebatte aus ökonomischer Sicht"

Artikelquelle:

Fetzer T., Peitz M., Schweitzer H.: Die Netzneutralitätsdebatte aus ökonomischer Sicht, in: Wirtschaftsdienst, Analysen und Berichte Telekommunikation, Springer Verlag, November 2012, Volume 92, Issue 11, S. 777-783; Verfügbar unter: http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10273-012-1454-4 sowie im Blog.

 

 

 

Im vorliegenden Artikel wird die Frage behandelt, welche Formen des Datenverkehrsmanagements erforderlich sind, um den tendenziellen Anstieg von Datenvolumen im Internet, künftig und speziell bei Kapazitätsengpässen, bewältigen zu können. Internet Service Provider (ISP) plädieren für die Einführung von sogenannten Qualitätsstufen bei der Datenübertragung, bei der gegen Entgelt von Diensteanbietern[1] bestimmte Datenpakete anderen gegenüber bei der Übertragung priorisiert werden. Somit wird das traditionelle Best-Effort-Prinzip der Datenübertragung, wonach alle im Internet übertragenen Datenpakete gleich behandelt werden, infrage gestellt. Begründet wird dieses Verlangen unter anderem damit, dass Diensteanbieter zur Finanzierung des Infrastrukturausbaus herangezogen werden können, weil letztendlich diese auf eine Breitbandversorgung der Endnutzer angewiesen sind, um ihre Produkte und Anwendungen zu vertreiben.

 

 

Die Debatte zur Netzneutralität[2] betrifft nun im Kern die Frage, wie eine Abweichung vom Best-Effort-Prinzip aus ökonomischer Sicht zu beurteilen ist.

 

 

Die Ökonomie der Netzneutralitätsdebatte

Aus einer ökonomischen Sichtweise lässt sich Netzneutralität ausdrücken als Datenübermittlung in Telekommunikationsnetzen, bei der Datenpakete ohne Differenzierung nach Preis und/oder Qualität weitergeleitet werden. Dabei lässt sich zwischen zwei Aspekten von Nicht-Differenzierung unterscheiden:

 

1. Die sogenannte „Null-Preis-Regel“

2. Die sogenannte „Nicht-Diskriminierungs-Regel“

 

Unter der Null-Preis-Regel ist zu verstehen, dass lokale ISP im Sinne der Gleichbehandlung von Datenpaketen unabhängig von ihrer Herkunft und deren Inhalt, keine Entgelte von Diensteanbietern dafür verlangen dürfen, deren Datenpakete (=Inhalte) an die Endkunden weiterzuleiten. Mit diesem Verständnis unternimmt die Netzneutralität einen erheblichen Eingriff in den Markt, da die Einnahmequellen für lokale ISP auf die Endkundenentgelte reduziert werden, i.e. Netzneutralität bewirkt eine einseitige Preisstruktur.

 

Ein Abweichen von der Null-Preis-Regel würde dementsprechend eine zweiseitige Preisstruktur ermöglichen, wenn lokale ISP neben den Endkundenentgelten Gebühren von Diensteanbietern erheben könnten. Diensteanbieter ihrerseits würden dementsprechend zwei Entgelte bezahlen, eines für den Internetzugang an ihren ISP, ein zweites an den lokalen ISP der Endkunden.

 

Die Nicht-Diskriminierungs-Regel befolgt die Forderung, dass lokale ISP nicht zwischen Datenpaketen verschiedener Diensteanbieter hinsichtlich Herkunft, Preise und Qualität unterscheiden dürfen, also gleichbehandelt werden müssen. Lokale ISP dürfen somit beispielsweise nicht bestimmte Datenpakete in der Weiterleitungsgeschwindigkeit anderen gegenüber bevorzugen. Infolgedessen dürfen lokale ISP nicht unterschiedliche Entgelte für unterschiedliche Weiterleitungsgeschwindigkeiten von Diensteanbietern erheben (siehe auch Fußnote 2 zur Gleichberechtigung von Datenpaketen).

 

 

Abweichungen von der Netzneutralität

Aus ökonomischer Sicht ist es nun erheblich zu erörtern, wie sich ein Gebot zur Netzneutralität bzw. ein Verzicht auf solcherlei Regelungen auf den Wettbewerb und die Marktstruktur sowie auf Investitions- und Innovationsanreize auswirkt.

 

1. Null-Preis-Regel

Die Einhebung eines Entgeltes für Diensteanbieter an den lokalen ISP. Die zugrunde liegende Idee ist, dass ISP die erhobenen Entgelte bei den Diensteanbietern für attraktivere Angebote an die Endkunden verwenden, diese also gegenüber den Diensteanbietern besser gestellt würden. Nach modelltheoretischen Untersuchungen gilt für vorliegende Plattformmärkte[3], wie dem Internetmarkt, dass bei freier Preiswahl Preisrestriktionen der einen Marktseite den Preis, den die andere Marktseite für den Plattformzugang bezahlen muss, beeinflusst. Daraus würde sich ergeben, dass unter Netzneutralität der Preis für den Internetzugang der Endkunden zu hoch gewählt wird[4]. Endkunden würden somit schlechter gestellt und die Konsumentenwohlfart sinkt.

 

Lokale ISP hätten bei einer Aufhebung der Netzneutralität im Sinne der Null-Preis-Regel durch höhere Einnahmen aus Entgelten bei den Diensteanbietern einen Anreiz das Zugangsentgelt für Endkunden zu senken, was wiederum damit gleichzusetzen ist, dass unter bestehender Netzneutralität Endkunden einen zu hohen Preis für deren Internetzugang bezahlen.

 

1.1. Einfluss der Netzneutralität auf Investitionen und Innovationen

Netzneutralität hat Einfluss auf Investitionen und Innovationen seitens der ISP und Diensteanbieter. ISP investieren auf Infrastrukturebene in Breitbandkapazitäten zur Leistungssteigerung und höheren Übertragungsgeschwindigkeiten. Diensteanbieter investieren in Verbesserungen ihrer Anwendungen und Diversifikationen ihrer Portfolios an Inhalten, was tendenziell zu einem höheren Datenvolumen führt.

 

Durch die Null-Preis-Regel steht ISP möglicherweise weniger Kapital für Infrastrukturinvestitionen zum Ausbau von leistungsstärkeren Kapazitäten und Übertragungsgeschwindigkeiten zur Verfügung. Somit sinkt möglicherweise der Anreiz für ISP in Infrastrukturmaßnahmen zu investieren. Diensteanbietern auf der anderen Seite steht durch die geringeren Zugangsentgelte (Nicht-Entgelte seitens der lokalen ISP) tendenziell mehr Kapital zum Ausbau von Anwendungen und Inhalten zur Verfügung. Dies kann zu einer höheren Konsumentenrente und Einnahmen für Diensteanbieter führen.

 

Für ISP entsteht laut den Autoren nun ein Dilemma dadurch, dass diese, bei gegebener erhöhter Zahlungsbereitschaft der Endkunden, für die potentiell höheren Datenvolumen die geeignete Infrastruktur bereitstellen müssen, diese erhöhte Zahlungsbereitschaft aber nicht oder nur in geringem Umfang abschöpfen können.

 

2. Nicht-Diskriminierungs-Regel

Die Einführung von sogenannten Prioritätsklassen, also die bevorzugte Weiterleitung von bestimmten Datenpaketen, setzt voraus, dass die Nicht-Diskriminierungs-Regel außer Kraft gesetzt wird.

 

Höhere Übertragungsqualitäten (=höhere Übertragungsgeschwindigkeit) können dazu führen, dass die Zahlungsbereitschaft von Diensteanbietern sinkt. Steigt durch Investitionen von ISP die Übertragungskapazität, lohnt sich für Diensteanbieter eine priorisierte Datenübertragung nicht mehr, da nun bereits die nicht-priorisierte Übertragung für ihre Anwendungen ausreichend ist[5]. Somit sinkt durch einen Infrastrukturausbau der Kapazitäten die Zahlungsbereitschaft von Diensteanbietern für eine priorisierte Übertragung. ISP haben somit möglicherweise ein geringeres Interesse in Infrastruktur zu investieren, da sie lediglich Einnahmen von Endkunden und nicht von Diensteanbietern erhalten können.

 

 

Fazit

Netzneutralität beschreibt den technischen Standard in Telekommunikationsnetzen in welchen Daten nach dem Best-Effort-Prinzip nicht-diskriminierend weitergeleitet werden und von lokalen ISP kein Entgelt von Diensteanbietern verlangt wird.

 

Die Auswirkungen von Netzneutralität sind insofern vielschichtig als dass sie sowohl positiver als auch negativer Art sein können. Netzneutralität fördert durch die geringeren Kosten für Diensteanbieter tendenziell die Entwicklung von höherwertigen Inhalten und Anwendungen, erhöht aber auch die Gefahr von Qualitätsverlusten bei stausensiblen Daten. Die Einnahmequellen von ISP werden auf die Endkunden reduziert, diese wiederum müssen mit höheren Zugangskosten rechnen, als Kompensation der Nicht-Einhebung eines Entgeltes für Diensteanbieter. Darüber hinaus wird das Investitions- und Innovationsverhalten von ISP und Diensteanbietern beeinflusst. 

 

 

Kritik am Text und Bezug zum Thema

Der Artikel war für mich sehr informativ und interessant, da er eine ökonomische Sichtweise auf die Netzneutralitätsdebatte aufzeigt und die volkswirtschaftlichen Überlegungen von ISP, Netzanbietern und Endkunden mit in die Diskussion einbringt, welche in den Medien nicht in dieser Art und Weise diskutiert werden, wenn das Thema Netzneutralität diskutiert wird. Es ist interessant sich in verschiedene Standpunkte hineinzudenken und das Für und Wider der Netzneutralität gedanklich durchzuspielen. Einerseits ist die Netzneutralität ein Grundgedanke des Internets, andererseits müssen Strategien für das wachsende Datenvolumen entwickelt werden um die Bedürfnisse aller Marktteilnehmer befriedigen zu können.

 

Der Bezug zum Thema wird insofern hergestellt, als dass die aufgeworfene Frage der Netzneutralität diskutiert wird und davon ausgehend der momentane technische Standard des Best-Effort-Prinzips, auf dem das Internet aufgebaut ist, infrage gestellt wird.

 

Vor allem bei dem Punkt des Einflusses der Netzneutralität auf die Investitionen von Diensteanbietern in Diversifikation von Portfolios an Inhalten bleiben die Autoren sehr theoretisch und schulden mAn praxisrelevante Beispiele um ihre Ausführungen besser nachvollziehen zu können.

 

 

Weiterführende Informationen 

Im Folgenden finden sich weiterführende Informationen zum Thema Netzneutralität außerhalb des von mir behandelten Artikels. Unter anderem ein Statement von Tim Berners-Lee zur Netzneutralität, sowie ein Interview mit Hannes Ametsreiter (bis Juli 2015 Generaldirektor von A1).

 

Kollege Reischl gibt in seinem Beitrag einen weiteren Einblick in die Netzneutralität und erörtert Beispielentscheidungen der deutschen Rechtsprechung zu Kundentarifen in der Telekombranche. 

 

 



[1] Der Beitrag vermisst eine Definition des grundlegenden Begriffes eines Diensteanbieters: "eine natürliche oder juristische Person oder sonstige rechtsfähige Einrichtung, die einen Dienst der Informationsgesellschaft bereitstellt", Definition lt. ECG § 3, Zi. 2.

[2] „Der Begriff Netzneutralität bezeichnet die neutrale Übermittlung von Daten im Internet, das bedeutet eine gleichberechtigte Übertragung aller Datenpakete unabhängig davon, woher diese Stammen, welchen Inhalt sie haben oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben“ (Definition des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages: Ausarbeitung Nr. 14/10, 5.3.2010).

[3] Der Internetmarkt gilt nach den Autoren als sogenannter Plattformmarkt in dem ISP als Verbindungsstelle zwischen den beiden Marktseiten – den Diensteanbietern einerseits und den Endkunden andererseits – auftreten. Ein Plattformmarkt ist ein Markt, in dem eine Plattform Interaktionen zwischen zwei unterschiedlichen Teilnehmergruppen ermöglicht, die jeweils eine eigene Marktseite darstellen [vgl. Fetzer et al., „Die Netzneutralitätsdebatte aus ökonomischer Sicht“ in Wirtschaftsdienst 2012, Seite 780]

[4] Die Autoren verweisen hier auf die Studien von C. Genakos, T. Valletti: Testing the Waterbed Effect in Mobile Telephony, in: Journal of the European Economic Association, 9. Jg. (2010), Nr. 6, S. 1114-1142 und J. P. Choi, B. Kim: Net Neutrality and Investment Incentives, in: RAND Journal of Economics, 41. Jg. (2010), Nr. 3, S. 446-471; N. Economides, J. Tag: Network Neutrality on the Internet: A Two-Sided Market Analysis, in: Information Economics and Policy, 24. Jg. (2012), H. 2, S. 91-104.

[5]Vgl. Cheng et al. 2011, in: Fetzer et al. 2012: H.K.Cheng, S. Bandyopadhyay, H. guo: The Debate on Net Neutrality: A Policy Perspective, in: Information Systems Research, 22. Jg. (2011), Nr. 1, S. 1-27.

 

1 comment :: Kommentieren

Glasnost und DPI

Patrick.Miklaszewicz.Uni-Linz, 12. November 2015, 12:17

Weil auch bei der Präsentation das Drosseln von Seiten der Internet Service Providern erwähnt wurde, hier ein Tool vom Max Planck Institut zur Überprüfung ob der ISP den Traffic „shaped“: Glasnost: Test if your ISP is shaping your traffic

Und noch generell etwas zur Netzneutralität. Ein technischer Blick auf die Deep Paket Inspection. Meiner Meinung nach notwendig um das Thema und die Implikationen einer Selektierung im Internet verstehen zu können. 
Deep Packet Inspection: Shaping the Internet and the Implications on Privacy and Security

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