Dienstag, 12. Juni 2012
Evgeny Morozov im Interview

Hier ist noch ein kurzes Video, in dem der weißrussische Gesellschaftstheoretiker Evgeny Morozov befragt wird, in wie weit das Internet die Demokratie befördert, bzw. behindert.




Was kommt, was bleibt...

Nicht nur wir in unserem Kurs fragen uns, was kommt und was bleibt, was die Zeit bringen wird in den nächsten fünf, zehn oder zwanzig Jahren. Auch Futurologen, Zukunftsforscher, Techniker, Ingenieure und Informatiker stellen sich die gleiche Frage Jahr für Jahr am von der TU Dresden ausgerichtetem IEEE- Time Machine Kongress.

Auf Heise.de findet sich darüber ein interessanter Artikel, der im Grunde zeigt, dass sich nicht mal Zukunftsforscher eine Vorhersage über die nächsten zehn Jahre zutrauen. 




Statement III: Die Illusion der Vernetzung

„Der Utopist sieht das Paradies, der Realist das Paradies plus Schlange.“ (Friedrich Hebbel)

 

In wie weit das Internet und die Vernetzung zu einer Änderung der gegenwärtigen Herrschaftsstrukturen beitragen kann, gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Auf der einen Seite gibt es Beispiele wie den Arabischen Frühling, der durch die "Befürworter" vor allem auf die neuen Kommunikations- und Vernetzungsmethoden des Webs zurückgeführt werden, zum anderen gibt es gerade bei diesem Beispiel auch Leute, die dem Internet die Rolle als Katalysator absprechen - wie den russischen Gesellschaftstheoretiker Evgeny Morozov, der im Web eher eine Gefahr für den partizipaqtiven Grundgedanken sieht (s.a. The Net Delusion). 

Doch auch Fürsprecher sehen gewisse Risiken in der gegenwärtigen Struktur des Webs, die nicht nur zu Auschluss von Individuen an der Partizipation, sondern zur Exklusion ganzer Bevölkerungsschichten führen könnten: Der bekannte Verfechter einer partizipativen Gesellschaft, Ismael Pena-Lopez, geht in seinem Aufsatz  “The disempowering Goverati: e-Aristocrats or the Delusion of e-Democracy” (2011) auf die Barrieren ein, die eine Inklusion bzw. Teilnahme des Einzelnen an einer partizipativen Gesellschaft durch das Internet verhindert:   

• Digital Divide: Hierbei geht Pena-Lopez von einem von ihm selbst neu definierten Konzept des Digital Divide ein, das anders als zum Beispiel die Begriffsdefinition von Pippa Norris versucht, mehr Komponenten und Faktoren unterzubringen, die sowohl individuelle, gesellschaftliche, nationale und ökonomische Faktoren berücksichtigt: “the digital divide has in many cases shifted from mere physical access to infrastructures to qualitatively different usages of such infrastructures.”

• Digital Adoption: Dieser Begriff geht nicht nur der Frage nach, wie viele Individuen das Internet, das ja als Grundvoraussetzung für eine e-Democracy gilt, nutzen, sondern auch, wie sie es nutzen. Das heißt vor allem, zu welchen Zweck die neuen ICTs und die Infrastruktur bzw. Kommunikationsplattform Internet genutzt wird (Informationsbeschaffung, Unterhaltung, Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs, interpersonelle Kommunikation, etc.).

• Digital Compentence: Mit Digital Compentence meint Pena-Lopez die“digitale Alphabetisierung” des Individuums, in wie weit kann das Individuum verantwortungsbewusst mit seinen eigenen Daten und den unendlichen Informationen aus dem Web umgehen.

• „Hourglass of Information Power”: Damit meint Pena-Lopez die Lücke zwischen Governance - das Potential an Entscheidungsprozessen mitzuwirken, diese zu beeinflussen oder gleich zu lenken - und das System selbst zu ändern - und Empowerment - das Potential des Einzelnen auf freiheitliches Handeln und Selbstverwirklichung innerhalb des Systems. Beide Begriffe sind laut Pena-Lopez Grundvoraussetzungen für die Definition von “Power”, also die Macht, sozialen Wandel herbeizuführen. Der Begriff der “Sanduhr der Macht” bezieht sich auf die “Democratic Gap” zwischen gesellschaftlichen Akteuren, die Governance in den Händen halten, in der Informationsgesellschaft also vor allem supranationale, globale Konzerne und den Individuen, die mit dem Begriff der Empowerment ihren Einfluss im System geltend mach könnten. In Bezug gesetzt mit dem Konzept der Digerati/Goverati - die neuen Intermediaries im gesellschaftlichen Entscheidungsprozess - bedeutet also grundsätzlich inwieweit sich die “bad” digerati (gesellschaftliche Agenten, die nur den eigenen Profit im Sinn haben) und “good” goverati (Agenten, die innerhalb des Systems für eine Transzendenz zur Civil Society eintreten) gegeneinander durchsetzen können, um somit einen für die e-Democracy und damit einen für die Civil Society wünschenswerten Ausgleich schaffen könnten: “There is an obvious and deep democratic gap between the increasingly empowered citizens and the increasingly independent, non-transparent and non-accountable forces that rule the economic and political systems from the top. Traditional institutions — parties, governments, elected representatives — fail both upwards, transmitting the citizens' claims to shape a system according to their needs and wills, and in top-down, transmitting the need for some transformations that this system requires after the world has been made totally global".

• Fragmentierung der Bevölkerung: Damit meint Pena-Lopez den Unterschied zwischen Individuen, die das Internet als kritische und im Gegensatz zur durch die Ideologische Staatsapparate hergestellten gesamtgesellschaftlichen hegemonialen Konsens (vgl. Gramsci) nutzen, um damit ihre Kritik zu fundieren. Diese Art von kritischen Mitbürgern, die den traditionellen Intermediaries nicht mehr trauen, steht im Gegensatz zu anderen Individuen, die ihr Vertrauen und ihre Informationsgewinnung zur Teilhabe am öffentlichem Entscheidungsprozess auf die traditionellen Institutionen setzen. Damit geht eine gesellschaftliche Fragmentierung, nicht nur der Bürger, sondern auch innerhalb der Gesamtheit, der kritischen Bürger einher.

• Knowledge Gap: Damit wird die Tendenz innerhalb des politischen Systems beschrieben, dass bildungsnahe Schichten der Bevölkerung eher in der Lage sind, Informationen zu gewinnen - und damit an Entscheidungsprozessen teilzunehmen - als bildungsferne Schichten. Im Grunde ist die “Knowledge Gap” im Konzept des Digital Divide unterzubringen, stellt aber eine Art Ergänzung dar, die individuell begründet ist.

• Diffusion: Mit dem Begriff der Diffusion ist ein Phänomen beschrieben, dass Informationsquellen nutzen, die ihrer bereits bestehenden ideologischen Einstellung entsprechen. Das ist einerseits auf der technischen Infrastruktur des Internets begründet, als auch auf einen psychologischen Herdentrieb. Anderseits spielt auch vor allem das Übermaß an Entscheidungsmöglichkeiten und Ansichten eine Rolle, die den Einzelnen leicht überfordern können.

• Handeln der politischen Akteure: damit wird beschrieben, dass durch die Nutzung des Internets durch die traditionellen Parteien und politischen Akteure, nicht neue Wege beschritten werden, sondern alte Logiken und Strukturen einfach weiterverwendet werden, um Wählerstimmen zu generieren. Das äußert sich beispielsweise im Designs von e-partizipativen Auftritten und Möglichkeiten, die dem Bürger geboten werden, aber auch überhaupt im Unwillen solche Möglichkeiten anzubieten.

Die Frage, in wie weit das Internet, bzw. das Web nun zu einer Neuformierung beitragen kann, lässt sich zwar - auch auf Grund des aktuellen ziemlich mäßigen Fwissenschaftlichen Forschungsstands zu dieser Thematik - nicht eindeutig beantworten. Dass wir uns trotzdem an einem unbekanntem Abgrund befinden, der vieles radikal ändern wird, ist unumstößlich. Nur ob wir diesen Schritt ins Unbekannte wagen, bzw. uns nicht selbst davon abhalten, ist die andere Frage.