Übung 6: Die Transparenz im Gesundheitswesen
andreas.gruber.uni-linz, 25. November 2015, 10:40
Digitale Spiegelbilder - Ethische Aspekte großer Datensammlungen
Digitalisierung und das Recht auf Privatheit
Unsere Gesellschaft entwickelt sich mehr und mehr von einer analogen zu einer digitalen. Gleichzeitig verlangt dieser Wandel Anpassungen, Einschränkungen und Regulationen, um unsere Erwartungen an ethische, den Menschenrechten und der Menschenwürde gerecht werdende Lebensbedingungen weiter aufrechtzuerhalten.
Die globale Ansammlung von Daten ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass es von den meisten Bewohnern der Industrienationen ein "digitales Spiegelbild" geben dürfte, das sie in ihren Eigenschaften, Interessen und Aktivitäten mehr oder weniger vollständig abbildet. Das Ausmaß der Verfügbarkeit dieses Spiegelbildes für Dritte ist davon abhängig, inwieweit jeder Einzelne seine eigenen Daten über digitale Angebote freigibt.
Neben diesen öffentlichen Daten existieren jedoch auch jede Menge geschlossene Datensammlungen, deren Bestände zu bestimmten Zwecken (z.B. im Kontext ärztlicher Behandlungen, klinische Studien) erhoben wurden. Nun besteht die als "Big Data" bezeichnete Möglichkeit, eine große Menge ("high volume") verschiedenartiger Daten ("high Variety") mit hoher Geschwindigkeit ("high velocity") mittels kosteneffektiver und innovativer Formen der Informationsprozessierung zu verarbeiten und Daten aus verschiedenen Datensammlungen technisch problemlos miteinander in Beziehung zu setzen und auszuwerten.
Die direkte Umwandlung der Datennutzung in einen ökonomischen Mehrwert wird wiederrum "Smart Data" bezeichnet. Aus Smart Data lässt sich Wissen generieren, die Basis neuer Geschäftsmodelle. Big Data wird also zu Smart Data veredelt und in neuen, individuell kombinierbaren Smart Services monetisiert.
Die Regelung der Kontrolle darüber, welche Daten in das digitale Spiegelbild einer Person eingehen und wie diese genutzt werden, gilt als die große Herausforderung des digitalen Wandels.
Sammlung von Gesundheitsdaten
Behandlungsdaten (u.a. Personalien, Kodierung der Diagnosen, Therapien, Arztbriefe, Untersuchungsdokumentationen)werden in elektronischen Krankenhausinformationssystemen gespeichert, sodass sie bei Bedarf den unterschiedlichen in die Behandlung des Patienten eingebundenen Stationen zur Verfügung stehen. Diese Datenbestände unterliegen strengen gesetzlichen Schutzvorschriften und dürfen ohne Einwilligung des Patienten auch nur für Behandlungszwecke verwendet werden.
Routinedaten sind ausgewählte Teildatensätze von Behandlungsdaten, die zu Abrechnungs- oder statistischen Zwecken an dritte Institutionen nach Entfernung des direkten Personenbezugs weitergeleitet werden dürfen. Diese dienen als Grundlage für weitreichende Untersuchungen in der Versorgungsforschung, in denen die Qualität und Effizienz des Gesundheitswesens analysiert und optimiert werden sollen.
Krankenhäuser, Forschungseinrichtungen und Pharmakonzerne bauen vermehrt auch Forschungsdaten und Biobanken auf. Diese enthalten Daten von Patienten und Probanden, die in die Teilnahme an einer Studie eingewilligt haben. Die rechtliche Grundlage dafür bildet die Einwilligungserklärung der teilnehmenden Probanden. Hier besteht das Problem, dass diese sensiblen Daten durch im Internet vorliegenden Daten, die durch Verbraucher generiert und zur Verfügung gestellt wurden, zu einer bestimmten Person zuordenbar werden.
Den größten Pool für die beständig wachsende Menge an Gesundheitsdaten stellen die vom Verbraucher selbst generierten Daten dar (Nutzungsdaten und Beiträge in Gesundheitsforen, Online-Foren, soziale Netzwerke, Health-Apps, Online-Einkäufe, Such- und Surfverhalten).
Das Beispiel der Stratifizierenden Medizin
Stratifizierende Medizin zielt darauf ab, medizinische Verfahren zur Prävention und Therapie auf Basis biologischer Informationen gezielt auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten auszurichten. Auf diese Weise sollen die Wirksamkeit der Therapie erhöht und Nebenwirkungen vermieden werden. Darüber hinaus verspricht man sich eine Steigerung der Kosteneffektivität in der Versorgung.
Die Etablierung der stratifizierenden Medizin wird mit einer routinemäßigen Erhebung molekularer Patientendaten einhergehen. Diese Daten gelten als besonders sensibel, da die genetischen Daten untrennbar mit einer Einzelperson verbunden sind und darüber hinaus auch über Verwandtschaftsverhältnissen auch dritte Personen miteinschließen. Dadurch trägt auch der Patient, der den entsprechenden Untersuchungen und Auswertungen seiner Daten zustimmen muss, eine Verantwortung gegenüber seinen Verwandten.
Die Komplexität der Problematik wird noch gesteigert, wenn neben den Ärzten auch noch weitere Interessensgruppen wie z.B. Krankenversicherungen Zugang zu den Daten bekämen.
Die große Menge an unterschiedlichen Daten kreieren also neben neuen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten auch neue, komplexe Formen von Verantwortungsverhältnissen im Umgang mit ihnen.
Fazit
Die stratifizierte Medizin ist eine große Chance für das Gesundheitswesen und für jeden einzelnen Menschen, Diagnosen und Therapien schneller, präziser und kostengünstiger zu erstellen. Diese riesige Menge an sensiblen Daten gilt es nun zu schützen. Um Missbrauch vorzubeugen, müssen die bestehenden Abischerungsmechanismen laufend an die neuen Anforderungen angepasst, die Datenschutzkonzepte ausgeweitet und die technischen Zugriffssicherungen immer aufs Neue adaptiert werden. Institutionen, die mit Gesundheitsdaten umgehen, müssen bei der Herausgabe und Verwendung von Daten strengstens kontrolliert werden. Ethikkommissionen und Datenschutzbeauftragte bewähren sich diesbezüglich bereits ganz gut.
Wo allerdings noch Nachholbedarf besteht, ist die Möglichkeit eines jeden Einzelnen kontrollieren zu können, welche Daten von welcher Institution gespeichert, ausgewertet und eventuell an Dritte weitergegeben werden. Hier gilt es Strukturen zu schaffen, die es jedem Einzelnen erleichtern, aktiv an der Kontrolle des eigenen digitalen Spiegelbildes mitzuwirken. Nur eine solche Transparenz ermöglicht es Einzelpersonen im Sinne des Selbstschutzes aktiv zu werden.
Quelle: Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015, Elke Witt: Digitale Spiegelbilder - Ethische Aspekte großer Datensammlungen, Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8/15, S. 853 - 858
Genetische Daten
tobias thomas.hoegg.uni-linz, 25. November 2015, 11:23
Danke für den Artikel. Dieser hat mich vor allem beim Thema stratifizierende Medizin interessiert, da auch ich mich in meinem Artikel mit genetischen Daten in Verbindung mit dem Datenschutz beschäftigt habe.
Mir scheint es wichtig, mit diesen Daten nahezu ohne Eingrenzungen durch den Datenschutz arbeiten und forschen zu können, um Behandlungsmöglichkeiten weiterzuentwickeln und schlussendlich Menschen besser helfen zu können. Trotzdem besteht für jeden Einzelnen (zurecht) das Recht auf den Schutz seiner - in diesem Fall extrem sensiblen Daten. Hier gilt es einen vernünftigen Mittelweg zwischen Datenschutz und Datentransparenz zu finden.
rainer.kroisamer.uni-linz, 25. November 2015, 11:58
Bei dem von dir angesprochenen Nachholbedarf bei der Datenkontrolle durch jeden einzelnen nimmt Österreich in Form von ELGA eine Führungsposition innerhalb der EU ein. Das ELGA-Gesetz gesteht jedem einzelnen Teilnehmer nicht nur den kompletten Ausstieg (Opt-out) aus der elektronischen Patientenakte zu, sondern auch in jedem konkreten Einzelfall der Aufnahme der Daten zu Widersprechen. So weit die Theorie. Wie es in der Praxi aussieht bleibt abzuwarten, deshalb bin ich schon gespannt wie die ELGA, die ja bereits am 9. Dezember in Wien und der Steiermark starten soll, aussieht. In meinem Beitrag habe ich das Thema Patienteneinwilligung und Datenspeicherung behandelt. Kollege Hahn gibt in seinem Beitrag einen detaillierten Überblick über ELGA.