Big Sista
 
Samstag, 25. Oktober 2003
Journalismus ≠ Publizismus!
In der ersten Vorlesung am 13.10.2003 wurden von Prof. Mittendorfer bzw. seinem Linzer Kollegen, Prof. Rosivatz, die Systeme der Wikis, CMS und Weblogs vorgestellt.

Obgleich jeweils verschiedener Systemfunktionen und -leistungen wurde als gemeinsamer Nenner ein als Vorteil geführtes Merkmal herausgestellt: Die Möglichkeit des Publizierens für jedermann. Prof. Mittendorfers euphemistischer Diskurs über "Wahrheit als Summe der Meinung der Einzelnen" verstärkte die von ihm vermittelte Begeisterung über die Möglichkeiten und Chancen, die Einrichtungen wie Weblogs für die Gesellschaft eröffnen. Ich möchte keineswegs in Abrede stellen, dass die prinzipielle Möglichkeit eines freien Zugangs zu einem publizistischen Organ (wie bspw. Weblogs) durchaus Vorteile hat. So kann z.B. jeder seine Entdeckungen, Meinungen, Bilder, Mitteilungen usw. einfach, günstig, unbehindert und für ein weltweites Publikum zugänglich veröffentlichen. Somit ist ohne Frage ein breites Meinungsspektrum vorhanden, das viele verschiedene Sichtweisen zulässt und dabei hilft allfällige Zensuren oder Suppressionen zu umgehen. Als Beispiel wurden in der Vorlesung die "warlogs" aus dem heurigen Irakkrieg genannt; dies waren im Internet veröffentlichte Bilder und Berichte von Privatpersonen, die ihre persönlichen Eindrücke vom Krieg vermitteln wollten. Dadurch bekam man den Krieg aus einer anderen Sichtweise zu sehen, als die eher pro-amerikanischen CNN-Beiträge bzw. die pro-irakischen Meldungen diverser arabischer Medien. Das Problem an solchen privaten „warlogs“ ist meiner Meinung nach, dass man diese nicht einzuschätzen bzw. zu bewerten weiß. Sehe ich Berichte in pro-amerikanischen oder pro-irakischen Medien, kenne ich deren Hintergrund und weiß, wie ich diese Berichte gewichten sollte. Ich kenne jedoch nicht die ideologische Gesinnung hinter privaten Berichten oder die Beweggründe und Prägungen des Verfassers.

Und genau dies ist meiner Meinung nach das Problem an Einrichtungen wie Weblogs; durch die Möglichkeit des freien Publizierens für jedermann muss zwangsläufig eine Flut von Meinungen, Entdeckungen, Bildern, Kommentaren und Eindrücken entstehen, die zwar (und da gebe ich Prof. Mittendorfer Recht) als Ganzes genommen die Wahrheit ausdrücken können, einzeln betrachtet allerdings bloß subjektive Wahrheiten vermitteln, die vor einem individuell sozialisierten Hintergrund entstanden sind. Außerdem dürfte es schwer möglich sein, ständig alle Quellen und Meinungen zu einem Thema zur Wahrheitsfindung heranzuziehen, da diese erstens zu zahlreich wären, zweitens nicht alle in jener/jenen dem Leser bekannten Sprache/n vorlägen und drittens vermutlich nicht zur Gänze zugänglich wären, weil bspw. nicht alle Meinungen bzw. Quellen online abrufbar sind oder nicht jeder Mensch weltweit eine Meinung zu jedem Thema oder überhaupt Zugang zu Onlinemedien hat. Zusammengefasst entstehen also folgende Probleme:

· Die Informationsflut wird also noch weiter verstärkt und der Einzelne verliert immer mehr den Überblick.

· Es wird immer schwieriger die Themen und Meinungen zu strukturieren und einem, nennen wir es „Suchbegriff“, zuzuordnen, sodass sie auch „gefunden“ werden können.

· Es ist nicht klar, welche Beweggründe der Verfasser hatte, bzw. wie dessen Informationen zu gewichten sind, ob sie reliabel und valide sind.

· Der professionelle Zweig des Publizierens, der Journalismus, wird zunehmend verdrängt. Er muss kämpfen um zu überleben, weshalb ihm nur zwei Möglichkeiten bleiben: Er setzt auf Boulevardisierung und Unterhaltung oder auf kompromisslose Professionalisierung zur Qualitätssicherung.

Journalismus ist nämlich nicht einfach Publizieren und nicht jeder, der mal einen Leserbrief schreibt oder eine eigene Homepage erstellt ist ein Journalist.
Laut Koszyk und Pruys ist Journalismus die „hauptberufliche Tätigkeit von Personen, die an der Sammlung, Prüfung, Auswahl, Verarbeitung und Verbreitung von Nachrichten, Kommentaren sowie Unterhaltungsstoffen durch Massenmedien beteiligt sind.“ (Koszyk/ Pruys 1981, 96)

Und laut Manfred Rühl ein „strukturiertes Sozialsystem der Weltgesellschaft“, welches „die Komplexität und Veränderlichkeit der Weltereignisse durch thematische Mitteilungen auf Ausmaße, die eine sinnvoll informierende Kommunikation erlauben“, reduziert. Dabei wird „dem Verstehensniveau und der Kapazität für Informationsverarbeitung der Öffentlichkeit Rechnung getragen“. (Vgl. Vorlesungsskriptum Renger/ Rest 2002/03)

Journalisten folgen ausserdem üblicherweise gewissen Qualitätskriterien, was dem Publikum eine relativ verlässliche Information bietet. Überdies weiß das Publikum, wie es welche Informationen aus welchem Medium zu deuten hat. So unterscheidet bspw. qualitätsvoller Journalismus klar zwischen folgenden Darstellungsformen:

· Referierende Textgattungen wie z.B. Nachricht/Meldung, Bericht

· Interpretierende Textgattungen wie z.B. Reportage, Feature, Interview

· Kommentierende Textgattungen wie z.B. Kommentar, Glosse, Leitartikel

· Literarische Textgattungen wie z.B. Feuilleton, Fortsetzungsroman

(Vgl. Vorlesungsskriptum Renger/ Rest 2002/03)

Im unprofessionellen Bereich werden diese Formen modifiziert und vermischt und eigene Darstellungsformen entwickelt. Professionalität hingegen zeichnet sich aus durch:

· Journalistische Qualitätskriterien (wie Objektivität, Unabhängigkeit, Überparteilichkeit, Genauigkeit bei der Recherche etc.)

· Professionelle Standards, Fremd- und Selbstkontrolle (bspw. Presseräte, Medien- und Rundfunkrecht, Publikumsräte, Gewerkschaften, Redaktionsgeheimnis etc.)

· Professionelle Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten
· Journalistische Kompetenzen:
- Fachkompetenz (= instrumentelle
Fähigkeiten)
- Sachkompetenz (= Kenntnis von Archiven,
Bibliotheken und Datenbanken)
- Vermittlungskompetenz (= Artikulations-
und
Präsentationsfähigkeiten)

(Vgl. Vorlesungsskriptum Renger/ Rest 2002/03)

Zusammenfassend möchte ich festhalten: Die Möglichkeit des ungehinderten Publizierens, die Systeme wie Weblogs prinzipiell für jeden bereitstellen, erweitern die Zahl der Informationen, die für jeden Menschen (mit Internetzugang) verfügbar sind. Jedoch sind diese Informationen nicht zwangsläufig mit einer Bereicherung gleichzusetzen. Der Journalismus wird auch weiterhin die Aufgabe haben, Informationen zu sammeln, auszuwählen, adäquat aufzubereiten und zu vermitteln und zwar anhand professioneller Standards, die Reliabilität, Validität und Objektivität der Informationen garantieren.




Quellen:

Koszyk, Kurt/ Pruys, Karl Heinz (1981): Handbuch der Massenkommunikation. München: dtv Wissenschaft.

Renger, Rudi/ Rest, Franz (2002/03): Skriptum zur Vorlesung „Journalistische Arbeitstechniken und Gestaltungsarten“. WS 2002/03, Universität Salzburg.

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