Datenbanken stehen, wie Beitrag von Mittendorfer dargelegt, in einer intensiven Verbindung mit politischer Macht. Informationen systematisch zu sammeln, zu sortieren und daraus mitunter politisch relevante Konsequenzen zu ziehen wird im gegenwärtigen Informationszeitalter zu einem immer wichtiger werdenden Machtfaktor. Damit kann nicht nur ein Einfluss auf bestehende Informationssysteme genommen, sondern auch eine systematische und neuartige Überwachung potentieller GegnerInnen gewährleistet werden. Diese Aspekte münden in einer Form von Machterhaltung, in der sich die Interessen einer machterhaltenden Gesellschaftsschicht widerspiegelt.

Gerade der Skandal rund um die National Security Agency (NSA) markiert hier einen Punkt im Internetzeitalter, an dem der immense politischer Einfluss, das damit einher gehende Überwachungsinteresse von Staaten und das daraus ableitbare Machtpotential von Regierungen deutlich wird. Mithilfe des Programms PRISM wird vom amerikanischen Geheimdienst der Großteil des US-Internet- und auch Telefonverkehrs systematisch auf geheimdienstlich verwertbare Informationen durchkämmt (Q1, Q2). Im Zuge dieser systematischen Überwachungsvorgänge sind auch Konzerne wie Microsoft, Google, Yahoo!, oder auch Facebook beteiligt, die verschiedenste Daten rund um ihre NutzerInnen zur Verfügung stellten - oder zur Verfügung stellen mussten. Kürzlich wurde auch bekannt, dass auch Millionen von persönlichen Adressbüchern ausspioniert wurden, um eventuelle Verbindungen zwischen Personen nachzuweisen (Q6). Dieses Phänomen wurde wesentlich durch ein Gesetz legalisiert, welches die Bush-Regierung 2007 verabschiedete, welches das ?warrantless tapping?, also das Mithören ohne Gerichtsbeschluss, erlaubt (Q3).

Was könnten aber die Motive hinter dieser ungemein aufwändigen und hohe Summen an Steuergeldern verschlingenden, systematischen staatlichen Überwachung sein? Offenbar, Amerkia zu "beschützen" - immerhin wird im "Protect America Act" offiziell die Überwachung von "NichtaerikanerInnen im Zusammenhang mit Terrorismus" zugestanden, was sich aber in der Praxis als sehr schwammig herausstellt, da diese Unterscheidung gerade im Internet sehr relativ ist. Grundsätzlich werden z.B. EU BürgerInnen auch nicht vor der US-Spionage geschützt. Ein Hinweis darauf ist auch, dass nach Angaben die Gesetzesgrundlage für diese Form der Überwachung mit dem "Patriot Act" nach dem ersten September 2001 geschaffen wurde. So scheint es, dass die Hauptmotive dahinter zu einem wesentlichen Teil im Schutz der Nation vor Terrorbedrohungen alá USA liegt. Laut Hansel ist z.B. die virale Distribution von Geheimdokumenten ein Grund dafür, dass so etwas wie eine sicherheitspolitische ?Schale? eines Staates unterlaufen wird (Q8: S. 84).

Allerdings gehen mit dieser (auf naive Weise positiv kommunizierte) Form der Überwachung auch viele Gefahren einher: einerseits besteht der gefährliche Beigeschmack von Pauschalverdächtigungen, andererseits birgt sie die Gefahr beliebiger Verdächtigungen, die sich aus der immensen Datenmenge ?on demad? ableiten und zusammeninterpretieren lassen ? ganz nach dem Motto: Wenn man was finden will, findet man auch was.

Das Bewusstsein über diese potentielle Macht und dem damit verbundenen physischen Gewaltmonopol des Staates schränkt in Folge das eigene Verhalten im Netz empfindlich ein. Das Internet verwandelt sich zu einem Ort des Misstrauens: Plötzlich denkt man darüber nach, welche Begriffe man googelt oder was man auf Amazon bestellt. Ein perfekter Vergleich aus der Sozialphilosophie dafür wäre übrigens das oft von Foucault erwähnte Konzept ?Panopticon? von Bentham: In dem von Bentham entworfenen Gefängnis, in dem die Gefangenen nie genau wissen, ob sie beobachtet werden oder nicht, erübrigt sich jegliche direkte Kontrolle; das Wissen darüber, dass jederzeit jemand das persönliche Verhalten beobachten könnte, diszipliniert (vgl. Q7: S. 256). ?Die Sichtbarkeit ist die Falle? (Q7: S. 257).

Abgesehen von dieser mit riesigem Ressourceneinsatz in Verbindung stehenden Überwachungssystem und der damit verbundenen Unbehaglichkeit und indirekten Disziplinierung in der Internetnutzung, verschieben sich die Machtverhältnisse durch das Internet aber, wie Kruse in einer Rede im deutschen Bundestag verdeutlicht. Aus der Perspektive der Systemtheorie ist das interaktive Internet in der heutigen Form ein nicht-lineares, nicht-hierarchisches dichtes Netzwerk, welches von nicht spontanen, kreisenden Erregungen (?Rückkopplungen?) durchzogen ist. Darüber hinaus besitzen solche Systeme eine Tendenz zur Selbstaufschaukelung. Die Auswirkungen und Intensität solcher kreisenden Erregungen funktionieren nicht nur nach wesentlich anderen (kybernetischen) Prinzipien als bestehende Systeme in Politik und Wirtschaft, sondern sind darüber hinaus auch nicht abschätz- oder prognostizierbar. Vielmehr muss mit solchen Systemen interagiert werden, um ein Gefühl für die Resonanz selbiger auf bestimmte Reize zu entwickeln. Damit geht eine reale Machtverschiebung vom Anbieter zum Nachfrager ? oder im politischen Sinne: von politischer Ebene auf Ebene der BürgerInnen ? einher. Daraus folgert er, dass ?wir? (er meint wahrscheinlich den Deutschen Bundestag?) einen anderen Umgang mit dem Begriff Macht brauchen, weil sich die Macht aus systemtheoretischer Perspektive eben revolutionär geändert hat (Q4, Q5). Hansel erwähnt passend dazu: ?Das Netz lässt uns auf den ersten Blick weder Grenzen erkennen noch den Einfluss physischer Macht. Sind Staaten daher ein Ordnungsmodell der Vergangenheit? Ist staatliche Herrschaft überhaupt denkbar im Cyberspace?? (Q8, S. 84f).

In diesem Moment steckt ein interessanter Aspekt: Vielleicht steckt gerade in dieser theoretischen Feststellung von Kruse, in der beschriebenen Unberechenbarkeit des Systems Internet jener Moment, der für Menschen in politischen Machtpositionen eine Bedrohung darstellt- und der sie dazu motiviert, gleich den ganzen Datenverkehr systematisch zu überwachen. Hier wird systematisches Datensammeln und eine bedarfsorientierte Auswertung selbiger interessant ? wobei es laut Kruse genau der falsche Weg ist. Vielmehr wird ein hohes Maß an ?Kulturforschung? notwendig, also eine Empathie für die Dynamik dieser neuartigen Systeme, um die Reaktionen besser verstehen zu können - und nicht die totale Überwachung des Internets.

Schlussfolgend kann man also festhalten, dass Internet mit vor dem Hintergrund aktueller Überwachungsskandale unübersehbar mit politischer Macht in Verbindung steht. Interessant ist aber, dass politische Macht in Ihrer ?klassischen? Form durch das Internet und Web insoweit relativiert wird, als Menschen in politischen Machtpositionen mit der eigenen, linear-hierarchischen Auffassung auf politische Macht konfrontiert und zu kommunikativen und partizipartiven Maßnahmen gezwungen werden. Das Internet hat damit zwar die politische Macht zumindest in technischer Hinsicht erhöht, auf der anderen Seite aber insofern relativiert, als dieser Machtzuwachs auf beiden Seiten ablesbar wird.

Quellen
Q1: http://derstandard.at/1369362942807/Geheimprogramm-PRIS-US-Regierung-zapft-Rechner-von-Internet-Firmen-an
Q2: http://www.theguardian.com/world/2013/jun/06/us-tech-giants-nsa-data
Q3: http://www.sueddeutsche.de/digital/prism-programm-der-nsa-so-ueberwacht-der-us-geheimdienst-das-internet-1.1690762-2
Q4: http://www.youtube.com/watch?v=sboGELOPuKE
Q5: http://www.youtube.com/watch?v=HldaHeAQy1A
Q6: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/nsa-sammelt-millionenfach-adressen-aus-e-mail-accounts-a-927830.html
Q7: Foucault, Michel (1994): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Q8: Hansel, Mischa (2011): Internationale Beziehungen im Cyberspace. Macht, Institutionen und Wahrnehmung. Wiesbaden: Springer Verlag.