Präsentation in der LVA "Webkommunikation", am 07.05.2014

1. Zur Einführung: Medien und ihre Akteure
"Sender" und "Empfänger" sind zwei zentrale Begriffe in der Medienwissenschaft. Als ?Sender? wird die Person, Organisation bzw. das Medium bezeichnet, die Information verbreitet - dazu zählen auch Journalisten. ?Empfänger? sind die Rezipienten, also die Personen, die diese Informationen erhalten (vgl. Müller 2011: S. 21). Medien können durch verschiedene Kriterien unterschieden werden:
? Verbreitungsgrößen
? Inhalt & Anspruch
? Medien vs. Medienträger

In Kontext von Medien und Journalismus spielt auch die "öffentliche Kommunikation" eine wichtige Rolle. Diese unterscheidet sich durch folgende (in der VU im Plenum ergänzten) Merkmale von anderen Kommunikationsarten (vgl. collabor.idv.at 2014: online):
? große Reichweite, hohe Publikumszahl
? allgemein zugänglich und entsprechend aufbereitet
? sehr stark geregelt/institutionalisiert
? immer indirekt, d.h. einseitig/asymmetrisch; die Publikumsrolle ist den Empfängern oft nicht bewusst; es kann nicht reagiert werden (Relativierung durch Internet!)
? disperses Publikum nach Zeit und Ort: anonym, groß, heterogen/geschichtet,
? immer technisch vermittelt, wobei die Technik die Semiotik determiniert: In Radio, Zeitung oder Fernsehen werden Inhalte wesentlich anders aufbereitet


2. Journalistische Verantwortung
2.1. Gesetze und Ehrenkodizes
Hier existieren für Journalisten einerseits gesetzliche Regelungen. Dazu zählen allgemeine Gesetze wie das Grundrecht der Pressefreiheit usf. und im Speziellen das Rundfunk- und Medienrecht (für Österreich). Darin werden vorwiegend der Schutz der journalistischen Berufsausübung, der Persönlichkeitsschutz, Vorgaben zum Impressum, strafrechtliche Bestimmungen etc. festgesetzt. Daneben existiert ein Ehrenkodex über die ?Grundsätze für die publizistische Arbeit? (vgl. presserat.at 2014: online)

In Bezug auf die Arbeitsweisen ist journalistische Ethik ein zugleich wichtiges und diffuses Thema: ?Zwischen den rechtlichen Rahmenbedingungen einerseits und dem, was Journalisten tun oder lassen sollten, besteht eine Grauzone, die häufig mit wenig präzisen Begriffen wie ?allgemeine journalistische Standards? oder ?journalistische Sorgfaltspflichten? übertüncht wird? (vgl. Müller 2011: S. 151).

2.2. Journalistische Ethik
"Ethik ist Sittenlehre und versucht die Frage zu beantworten, wie der Mensch sich verhalten soll, um anständig zu sein. "Richtiges", sittliches Handeln wird nur möglich, wenn der Handelnde sich an Werten orientiert, also etwa an Tugenden wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Fairness oder Selbstbeherrschung. Diese Werte sollten das Verhalten von Menschen in einer Gesellschaft ganz allgemein bestimmen.

Eine spezielle journalistische Ethik gibt es deshalb nicht. Es besteht allerdings eine besondere Verantwortung der Journalisten, da ihre Tätigkeit - wie auch die etwa der Politiker - in die Öffentlichkeit hinein wirkt und gravierende Folgen für betroffene Menschen haben kann.

Ob und wann Journalisten Ethik ?brauchen? kann nicht die Frage sein. Gerade von ihnen muss verlangt werden, dass sie Werte, die das Zusammenleben der Menschen sinnvoll machen, beachten - und zwar immer."
(Bölke 2014: online)

In dieser Hinsicht stellt sich auch die Frage nach der Macht der Medien in Sachen Publikumsbeeinflussung. Hier sind v.a. politische Themen von Belang (vgl. Neuburger/Kapern 2013: S. 63ff). Ein aktuelles und indirekt auch treffendes Beispiel dafür ist die momentane Berichterstattung zum Mordprozess des südafrikanischen Sprinters Oscar Pistorius. In Südafrika wird aufgrund der dortigen Ausgestaltung des Restsystems sehr detailliert über den Prozess berichtet. Dies wäre in anderen Ländern nicht möglich, da z.B. Geschworene maßgeblich beeinflusst werden könnten (ZIB vom 05.05.2014)

3. Journalistische Qualität
Müller bemerkt einleitend in seinem Buch zu journalistischen Arbeitstechniken: ?In kaum einem anderen Gewerbe werden Sie so viel Dilettantismus antreffen, klaffen Anspruch und berufliche Wirklichkeit weiter auseinander. Ohnehin kann sich jeder, der sich dazu berufen fühlt, als ?Journalist? bezeichnen. Arbeits- oder gar Ausbildungsnachweise sind dafür nicht erforderlich? (Müller 2011: S. 4). Damit kommt es zu Qualitätsproblemen, die auch öffentlich sichtbar werden und Konsequenzen mit sich ziehen. Oft wird vergessen, dass journalistisches Arbeiten - wie oben dargelegt - durchaus Grundregeln unterliegt, die Einsteiger in den Beruf erlernen ? und später auch anwenden müssen.

Die jeweilige Ausformung der Qualitätskriterien ist abhängig von den spezifischen Anforderungen eines Mediums, den Standards im Qualitätsmanagement sowie den Rahmenbedingungen der Journalisten. Außerdem sind die persönlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten, die der Journalist in seine Arbeit einbringt relevant. Dazu zählen die Beherrschung des journalistischen Handwerks, Präzision in Wahrnehmung und Wiedergabe, Faktentreue, verständlichen Sprachstil, überlegten Einsatz unterschiedlicher Darstellungsformen und eine fundierte Recherche.

In Bezug auf die Qualitätsdimension spielen aber auch die Nutzer (Zielgruppen) der journalistischen Beiträge eine Rolle. Ex-RTLChef Helmut Thoma dazu: ?Der Köder muss dem Fisch gefallen, nicht dem Angler?. Leser der Wochenzeitung ?Die Zeit? haben andere Erwartungshaltungen als die Abonnenten eines Lokalblattes im Hinblick auf Themenauswahl, verwendete journalistische Darstellungsformen, Textumfänge oder optische Aufmachung. (Müller 2011: S. 182 und Neuburger/Kapern 2013: S. 115ff und 169ff)

3.1. Rahmenbedingungen für die Qualität
? der Stellenwert, den Journalismus in dem Medium überhaupt hat: Der zeitliche bzw. räumliche - Rahmen, der für journalistische Beiträge zur Verfügung steht
? die personelle Ausstattung
? die gute und umsichtige journalistische Führung
? Honorierung und Sicherheit des Arbeitsplatzes
? die technische Ausstattung des Arbeitsplatzes
? die Organisation des eigenen Arbeitsplatzes und des gesamten Arbeitsablaufs

3.2. Wissenschaftliche Aspekte
? Richtigkeit: Das, worüber berichtet wird, muss stimmen.
? Relevanz: Es muss für die Zielgruppe bedeutsam sein.
? Transparenz: Es muss nachvollziehbar sein, auch in seiner Entstehung und journalistischen Darstellung.
? Ausgewogenheit: Es müssen auch gegensätzliche Meinungen zu Wort kommen.
? Vielfalt: Das Angebot der Inhalte muss plural sein.
? Aktualität: Die transportierten Inhalte müssen neu sein. (Ergänzung: oder neue Aspekte, bzw. Entwicklungen enthalten).
? Verständlichkeit: Die Botschaft muss vom Publikum nicht nur wahrgenommen, sondern auch verstanden werden.
? Rechtmäßigkeit: Die Inhalte folgen den rechtlichen Grundlagen. (... und ethischen Leitlinien!)


4. Journalistische Inhalte: Themenauswahl und Recherche
Unvorhersehbare Ereignisse
Überraschende Rücktritte von Politikern, Unglücke, Naturkatastrophen usw. Der Umfang der Berichterstattung sowie der damit verbundene zeitliche und personelle Aufwand hängen vor allem von der Bedeutung und dem Ausmaß eines aktuellen Ereignisses ab.

Absehbare Themen
bevorstehende Pressekonferenz, bei der fest mit dem Rücktritt eines Politikers oder der Entlassung eines Trainers gerechnet wird; die Vorankündigung eines Mediums, mit der exklusive Informationen in Aussicht gestellt werden;

Planbare Themen
Geburtstage, Jahres- und Ehrentage, Feiertage und Ferien, Sommeranfang, Winterende, Uhrzeitumstellung etc.; Historische Gedenktage wie z.B. ?Der Fall der Mauer? oder der ?Gründungstag der Bundesrepublik Deutschland?

Zufallsthemen
unerlaubter Werbeanruf einer offenbar unseriösen Vertriebsorganisation, der beim Journalisten eingeht; die schon länger brachliegenden Straßenbauarbeiten, die von Nachbarn beiläufig erwähnt werden; unzumutbare schulische Belastungen der eigenen Kinder durch die Umstellung des Gymnasiums von neun auf acht Jahre oder die schleppende Bearbeitung von ?Hartz IV?-Anträgen, von der der Journalist zufällig in seiner Stammkneipe hört

Themenübernahmen
von anderen Medien

4.2. Kriterien der Themenauswahl
Wesentlich schwerer als die Themenfindung ist in vielen fällen die Themenauswahl. Aufgrund des begrenzter Ressourcen und des zur Verfügung stehenden Platzes bei Printmedien bzw. begrenzter Zeiten für Informationssendungen in Radio und Fernsehen muss zwangsläufig eine Auswahl getroffen werden.

? Redaktioneller Umfang, der bei Printmedien insbesondere vom Anzeigenumfang abhängt. Deswegen ist die Fragestellung eingangs angebracht: Ist es überhaupt möglich, dass das Thema im geplanten Umfang veröffentlicht werden kann?
? Eignung der Mediengattung: Nicht alle Themen eignen sich gleichermaßen für die Veröffentlichung in allen Mediengattungen. Dabei sind auch etwaige Formatierungen, z.B. bei Radioprogrammen, zu berücksichtigen.
? Bedeutung für die Zielgruppe des Mediums: Das Thema muss für die Zielgruppe nach Möglichkeit interessant oder gar wichtig sein. ?Wichtig? bedeutet, dass das Thema Auswirkungen zumindest für einen Teil der Nutzer hat. Beispiel: Veränderungen der ?Hartz IV-Sätze? für Empfänger dieser sozialen Leistungen Aktualität des Themas: Das Thema muss tatsächlich neu sein, zumindest sollten neue Entwicklungen erkennbar sein.
? Verifizierbarkeit und Recherchierbarkeit eines Themas: Die Richtigkeit der Inhalte muss über eine unabhängige (andere) Quelle überprüfbar sein. Zudem muss möglichst frühzeitig die Frage geklärt werden, ob das Thema überhaupt recherchierbar ist; dass bedeutet, ob notwendige Fakten und Daten erlangt werden können bzw. wichtige Gesprächspartner zur Verfügung stehen.
? Voraussichtlicher personeller Aufwand: Es muss vorhersehbar sein, dass die Redaktion bzw. freie Journalisten auch zeitlich in der Lage sind, das Thema bis zum geplanten Veröffentlichungstermin journalistisch fundiert umzusetzen. Die Beachtung dieses Kriteriums ist vor allem dann erforderlich, wenn der Berichterstattung voraussichtlich lange Recherchen vorausgehen müssen.
? Finanzieller Aufwand: Schließlich muss auch die Frage gestellt werden, ob die geplante Berichterstattung einen etwaigen höheren finanziellen Aufwand rechtfertig, z.B. für Recherchereisen oder den Ankauf von notwendigem Bildmaterial bzw. die Erstellung von notwendigem Filmmaterial (Fernsehen, multimediale Inhalte bei Onlinemedien).


4.3. Informationsquellen für Journalisten
Primäre Informationsquellen: Die Informationen stammen grundsätzlich aus ?erster Hand?, d.h. der Journalist hat ein Ereignis selbst am Ort des Geschehens mitverfolgt, persönlich mit Augenzeugen gesprochen oder das Originaldokument selbst eingesehen.

Sekundäre Informationsquellen: Der Journalist muss sich auf Informationen verlassen, die er von anderen erhalten hat. Dazu zählen vor allem Meldungen von Nachrichtenagenturen, Presse- und Medienberichte sowie alle Informationen, die aus nicht überprüfbaren Originalquellen stammen.

Keine Informationsquellen sind dagegen reine Gerüchte und offenkundige Propaganda.
Theoretisch gilt, dass Informationen aus sekundären Quellen in anderen - unabhängigen Quellen - überprüft werden müssen; im Journalismus wird das als ?verifizieren? (Substantiv: Verifizierung oder Verifikation) bezeichnet. In der Praxis müssen sich Journalisten ? allein aus Zeit- und Kapazitätsgründen ? häufig jedoch auf Inhalte verlassen (können), die sie aus sekundären Quellen erhalten (vgl. Müller 2011: S. 206).

Die wichtigsten Informationsquellen im Überblick

(Darstellung: Müller 2011: S. 207)

4.4. Recherche
"Recherche ist die gezielte Suche nach Informationen wie Daten, Fakten, Aussagen und Hintergründen mit dem Ziel, sich ein möglichst umfassendes und objektives Bild von Ereignissen, Zusammenhängen, Entwicklungen, Personen und Institutionen zu machen. 'Gezielt' bedeutet, dass sich der Suchende vorher darüber im Klaren sein muss, welche Informationen für welchen Zweck benötigt werden." (Müller 2011: S. 245)

Rechercheablauf

(Darstellung: Müller 2011: S. 250)

Verdeckte Recherchen als journalismusethisches Spezialthema:
Wenn Journalisten ?in cogito? recherchieren, wird das als ?verdeckte Recherche? bezeichnet. Die Bandbreite reicht dabei von einfachen Anrufen unter falscher Namensnennung über verdeckte Ton- und Videoaufnahmen bis hin zur Annahme einer falschen Identität über einen längeren Zeitraum.

Das wahrscheinlich spektakulärste Beispiel der letzten Jahrzehnte war ?Hans Esser? (aka. Günther Wallraff), der 1977 vier Monate lang als Reporter für die Regionalausgabe der ?Bild?-Zeitung in Hannover arbeitete. (Müller 2011: S. 295). Aber auch Ernst Strasser wurde mit seiner Lobbying-Affäre von englischen Journalisten mittels verdeckter Recherche aufgedeckt.


Diskussionsfrage: Wie steht ihr, ethisch betrachtet, grundsätzlich zu verdeckten Recherchen? Unter welchen Umständen würdet ihr diese Arbeitsweise tolerieren/ablehnen?



Quellen

Bölke, Dorothee (2014): ?Ob Journalisten Ethik brauchen ist nicht die Frage?, http://www.akademie-fuer-publizistik.de/ethikrat/themen-bisher/wozu-journalistische-ethik/

Christoph Neuberger, Peter Kapern (2013) Grundlagen des Journalismus. Springer: Wiesbaden.
http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/Bundesnormen/10000719/MedienG%2c%20Fassung%20vom%2005.01.2012.pdf

collabor.idv.at (2014): Massenkommunikation. http://collabor.idv.edu/webkomm14s/stories/48114/

Müller, Horst (2011): Journalistische Arbeitstechniken. Journalistische Grundlagen, Journalistische Arbeitstechniken, Journalistische Darstellungsformen. Reihe ?Mediengestützte Wissensvermittlung? Band 5.

presserat.at (2014): Grundsätze für die publizistische Arbeit (Ehrenkodex für die österreichische Presse) http://www.presserat.at/show_content.php?sid=3

Rechtsinformationssystem: Östereichisches Mediengesetz.