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Sonntag, 29. Februar 2004
Wandel der Öffentlichkeit
Öffentlichkeit in ihrem herkömmlichen Sinne, als territorial begrenztes Gebiet von Menschen, die sich als Gemeinschaft verstehen, ist in der Zeit der Massenmedien, lange schon überholt. Technische und kognitive Fähigkeiten, wie Internetanschluss, Zeitungserwerb, Lesen und Schreiben, bestimmten ihren Zugang - Ungleichzeitigkeit, die auf räumliche Entfernungen und mediale Strukturen zurückzuführen ist, legt ihre Grenzen fest. Man spricht nicht mehr nur von einer lokal gebundenen, sondern einer stark differenzierten Öffentlichkeit, aus der sich weitere und größere, auch virtuelle Teilöffentlichkeiten mit eigenen Regelsystemen entwickeln. Die Öffentlichkeit der Informationsgesellschaft besteht aus einem metaphorischen Raum, der von den Medien konstruiert wird (Beierwaltes 2000, 58).
Richard Sennet (1983, 84-109 zit. nach Krempl 1996, 31-33) betrachtet den Wandlungsprozess der Öffentlichkeit aus einer anderen, in unserem Zusammenhang nicht weniger interessanten Perspektive. Er proklamiert den „Verfall und das Ende des öffentlichen Lebens“. Während im 18. Jhdt. die Biographie und Lebensumstände eines für die Öffentlichkeit bedeutenden Menschen keine Relevanz besaßen, ja sogar als unschicklich und peinlich galten und man bewusst Distanz zum Selbst nahm, brachte der Industriekapitalismus eine Entwicklung mit sich, in der die individuelle Persönlichkeit immer mehr an Wert erlangte. Der individuelle Selbstdarsteller wird zum Thema, die Wirkung beginnt mehr zu zählen als das effektive Sein. Alles wird zur Öffentlichkeit, Tabuthemen existieren nicht mehr. Der öffentliche Raum mit seinen Konventionen und Distanzen verschwindet. Was bleibt sind die Banalitäten der Intimsphären. Ob Gerhard Schröder gefärbtes Haar hat oder nicht, in welchem Krankenhaus Toni Blair wegen welcher Krankheit liegt, und wie viele Kinder Silvio Berlusconi mit seiner ersten Frau besitzt – das bewegt uns viel mehr als irgendwelche Programme und Prinzipien.

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