Die Rolle des Widerspruchs in der Kommunikation
 
Donnerstag, 15. Jänner 2004
Zusammenfassung des Vortrags von Professor Pietschmann
(Der Vortrag fand am 2. 12. 2003 in Salzburg statt)

Wie wird mit Widersprüchen im abendländischen, naturwissenschaftlich geprägten Denken umgegangen? Wie kam es dazu? Diese Fragen gehören zu den zentralen Themen, die in diesem Vortrag behandelt wurden. Prof. Pietschmann erzählte vom Besuch eines Physik-Kongresses in Japan. Er fragte einen der dort ansässigen Wissenschaftler, ob er ihm nicht einen Einblick in das traditionelle buddhistische Denken geben könne. Der Japaner antwortete, er habe das traditionelle Denken abgelegt, um das abendländische anzunehmen - dafür sei er der falsche Mann! Mit dieser Antwort rechnete Pietschmann nicht - eine offensichtlich von Grund auf andere Denkweise? Was ist denn so anders am abendländischen Denken? Kann man überhaupt anders denken? Bei uns gibt es nur eine Denkform - wer anders denkt, gilt als unvernünftig. Und das wird uns schon in der Schule beigebracht.

Vor ca. 2500 Jahren gab es eine Periode, die als "Achsenzeit der Menschheit" bezeichnet wird. Die damaligen Hochkulturen verabschiedeten sich vom Denken des Mythos hin zum Logos. Es wurde notwendig, dass sich die Menschen über die Welt verständigen konnten, um zu einer gemeinsamen Weltsicht zu kommen. Aristoteles stellte fest: „Zu behaupten, das Seiende sei nicht oder das Nichtseiende sei, ist falsch. Aber zu behaupten, das Seiende sei und das Nichtseiende sei nicht, ist wahr.“ Entweder – oder (=Logik). Platon hingegen behauptete: „Was wird, ist nicht. Was ist, wird nicht.“ Nachdem alles wird, muss jedoch etwas sein. Ein Verständnis der Welt ohne Widersprüche ist unmöglich. Die Methode Platons ist die Dialektik, die Methode Aristoteles hingegen ist die Logik. Und diese Logik wurde zu unserem Denken gemacht. Die unglaubliche Einfachheit des abendländischen Denkens ist zugleich seine Stärke und Schwäche.

Physik wurde im 17. Jahrhundert durch das ersetzt, was wir heute Naturwissenschaft nennen (Galilei, Newton). Durch Galilei wurde das aristotelische Weltbild inhaltlich überwunden – die logische Denkweise blieb uns bis heute. Das Denken alleine reichte jedoch nicht mehr. Es musste durch eine Handlung ergänzt werden – dem Experiment. Allgemein verbindliche Aussagen müssen mit einem reproduzierbaren Experiment bestätigt werden. Dazu bedarf es der Analyse.

Beispiel Denkrahmen (mp3, 872 KB)

Im zwanzigsten Jahrhundert entschied man in der Quantenmechanik, dass die Beschreibung der Materie in diesem Denkrahmen vernünftigerweise durchzuführen ist. Es war jedoch nicht möglich, die Realität in diesem Denkrahmen zu beschreiben:

Beispiel Welle-Teilchen-Dualismus (mp3, 868 KB)

Elementarteilchen müssen widersprüchlich sein, da sie zugleich räumlich ausgedehnt und punktförmig zu sein haben. Die Quantenmechanik wurde experimentell dazu gezwungen, diesen Welle – Teilchen – Dualismus anzuerkennen. Pietschmanns Ansatz: Erst durch die Quantenmechanik wurde das aristotelische Denken überwunden. Problem dabei ist, dass die Dialektik Platons nicht im „entweder – oder“ zur Logik steht. Diese Dialektik muss auch anerkennen, dass es Widersprüche gibt, die Fehler sind. Die Dialektik muss zwischen Widersprüchen unterscheiden, die Fehler sind und solchen, die notwendig sind, um die Welt verstehen zu können. Solche Widersprüche nennt man Aporie.
Aporie – die logische Ausweglosigkeit: Wir sind die einzige Kultur, die den Begriff der Aporie aus ihrem Alltagssprachgebrauch verbannt hat. Aporie passt nicht in unser logisches Denken.

Beispiel Pietschmann zitiert Wolfgang Pauly und spricht zu Realität und Wirklichkeit (mp3, 2.5 MB)

Professor Pietschmann entwickelte ein Modell einer Methode, um dialektische Probleme zu behandeln:

Ausgegangen wird von Einheit und Vielfalt. Diese Begriffe haben Schatten. Schatten der Einheit ist die Uniformität und Schatten der Vielfalt ist die Beliebigkeit. Uniformität und Beliebigkeit stehen im „entweder – oder“ zueinander. Uniformität ist Einheit ohne jede Vielfalt und Beliebigkeit ist Vielfalt ohne jede Einheit. Es stellt sich heraus, dass immer wenn ein solches Problem auftritt, das eintritt, was Pietschmann die so genannte H-X – Verwirrung nennt. Statt H, das für Harmonie zwischen beiden Seiten steht, bilden sich zwei Gruppen: Die eine unterstützt die Einheit, die andere die Vielfalt. Man kann nicht sagen, die Wahrheit liegt in der Mitte! Die Vertreter der Einheit bekämpfen die Beliebigkeit und die Vertreter der Vielfalt bekämpfen die Uniformität – trotzdem haben beide Recht!





Der Prozess kann nur so vor sich gehen, dass beide Seiten einsehen, dass sie den falschen Feind bekämpfen. Der Feind ist nicht der Schatten der Gegner sondern der eigene Schatten. Zu dieser Einsicht kann man nur durch Zuhören kommen. Nur durch diese Einsicht kann man zu Fortschritten bzw. einer Harmonie bei dialektischen Problemen (Aporien) kommen.

Beispiele von H-X – Verwirrungen:

- Bedürfnisse eines jeden Menschen:
Einerseits möchte man aus seiner Bezugsgruppe hervortreten = Selbstverwirklichung. Andererseits möchte man in seiner Bezugsgruppe aufgehen und seine Heimat finden = Gemeinschaftssinn. Die Schatten sind Egoismus und Altruismus.

- Projektion auf das Gespräch zwischen zwei Menschen:
Einerseits will man seinen eigenen Standpunkt dem Anderen mitteilen – andererseits möchte man den Standpunkt des Anderen kennenlernen. Schatten sind das bloße Reden um des Redens Willen und die Aufgabe des eigenen Standpunktes.

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