Andrea
 
Sonntag, 18. Jänner 2004

Handlungsorientierter vs. traditioneller Unterricht

Schulunterricht und der Ausbildungsbereich im Allgemeinen werden immer wieder von vielen Stellen kritisiert. Zu den Problemen zählen zu „unmoderne“ Unterrichtsformen, eine rein additive Wissensvermittlung, die übertriebene Stofffülle, die Betonung oftmals rein kognitiver Lernleistungen, der fehlende Praxisbezug der Inhalte und die Dominanz des Lehrervortrags – um nur einige zu nennen. Eine Lösungsmöglichkeit ist der handlungsorientierte Unterricht – seit Mitte der 80er Jahre ein wichtiges Thema in der wirtschafts- und berufspädagogischen Diskussion. Bei dieser Form sollen die Schüler nicht nur manuell-arbeitend lernen, sondern auch kognitiv-denkend, schöpferisch-kreativ, produktiv-verändernd und rezeptiv-nachvollziehend (vgl. INTERNETQUELLE 1):

Schüler behalten
20 % von dem, was sie hören,
30 % von dem, was sie sehen,
80 % von dem, was sie sagen und
90 % von dem, was sie selbst tun.


Wesentliche Merkmale des handlungsorientierten Unterrichts können laut DÖRIG & WAIBEL (1997, S. 194f.) folgendermaßen angeführt werden: Man lernt für das Handeln – wichtig sind dabei praktische Situationen, eine denkende Durchdringung, Verantwortlichkeit, aber auch Kritik- und Kooperationsfähigkeit. Weiters wird durch die Handlungen gelernt, am besten mit Hilfe starker Lernumgebungen. Diese Lernumgebungen zeichnen sich dadurch aus, dass gehaltvolles Lernen möglich ist – es führt im Endeffekt also nicht nur zu mehr Wissen, sondern auch zu echtem Verstehen und Können.

Das allgemeine Ziel von handlungsorientiertem Unterricht ist also die Förderung der menschlichen Handlungsfähigkeit (vgl. DÖRIG & WAIBEL 1997, S. 193). Diese zeichnet sich durch die Fähigkeit bzw. Bereitschaft zum kritischen Denken und Handeln aus, man lernt zu reflektieren, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu handeln. Generell hat sich die Gesellschaft stark gewandelt, sie ist komplizierter bzw. komplexer geworden. Handlungsorientierter Unterricht soll primär zurückführen zu ganzheitlichen Lern- und Arbeitstechniken.

Für die Lehrenden hat sich hier ein neuer Aufgabenbereich aufgetan. Dank organisatorischer Freiräume haben sich viele Möglichkeiten eröffnet – das garantiert aber noch nicht für handlungsorientiertes Lehrern und Lernen! Die Methodik alleine trägt nur wenig zur Lerneffektivität bei! Erfahrene Lehrer müssen also ihre unerfahrenen Schüler (egal welchen Alters!) steuern, begleiten, coachen, überwachen, korrigieren und bewerten. Dazu braucht die Lehrperson neben einer starken Persönlichkeit eine große Fach-, Sozial- und Methodenkompetenz (vgl. DÖRIG & WAIBEL 1997, S. 204).

Verfolgt man diesen Gedanken weiter und überlegt sich die beste Lernmethode für Erwachsene (Lernen ist ja ein lebenslanger Prozess), die eine langjährige Lebenserfahrung haben, über viel praktisches Wissen verfügen, eigene Lernwege suchen und eigenverantwortlich handeln, dann bietet sich der Konstruktivismus für die Erwachsenenbildung nahezu perfekt an!! Dieser wurde von Georg Girlinger in einem Weblog bereits ausführlich behandelt, ich möchte aber darauf hinweisen, dass er besonders für das Lernen Erwachsener geeignet ist! Für Erwachsene sind die Lerninhalte je nach ihren individuellen lebensgeschichtlichen Erfahrungen relevant; so ist es die Aufgabe des Lehrenden, anregende Lerngelegenheiten zu schaffen, in denen man sich als Lernender eigene Ziele und Problemdefinitionen schaffen kann (vgl. REINMANN-ROTHMEIER & MANDL 1997, S. 357).

Lernen ist im Übrigen ein Prozess, der aktiv, selbstgesteuert, konstruktiv, situativ und sozial gestaltet werden sollte – nach der konstruktivistischen Auffassung (vgl. REINMANN-ROTHMEIER & MANDL 1997, S. 356)! Die traditionelle Auffassung vom Lehren und Lernen geht im Gegensatz zum Konstruktivismus von der Anleitung aus. Hier wird das Wissen vom Lehrer zum Schüler transportiert – das Ziel ist, dass die Schüler annähernd das Gleiche wissen sollen, wie der Lehrer (er soll also „belehren“ statt „beraten“). Der Lehrer übernimmt die Rolle eines „didactic leaders“, welcher die Inhalte präsentiert, erklärt und kontrolliert. Der gesamte Lernprozess ist also stark lehrerzentriert und ein rezeptiver Prozess. Der Lernende übernimmt eine passive Rolle (beim Konstruktivismus ist der Lernende ja überaus aktiv!) und die Kontrolle des Lernerfolgs ist besonders wichtig – nicht wie beim Konstruktivismus der Prozess dorthin (vgl. REINMANN-ROTHMEIER & MANDL 1997, S. 366f.).

Die konstruktivistische Lehr-Lern-Auffassung kämpft aber auch mit Problemen. Auf der einen Seite spricht man von theoretischen Problemen, also z.B. ist Lehren im Sinne von Wissensvermittlung nicht möglich. Dazu kommt auch noch, dass die Lernumgebung beliebig gestaltet werden kann (das Problem ist hier die Beliebigkeit!), die Autonomie und Selbstverantwortung der Lernenden ist oftmals auch mit Schwierigkeiten verbunden; Lernende brauchen zwar genügend Freiraum, aber auch Anleitung und Hilfestellung! Neben den theoretischen gibt es auch noch praktische Probleme: Lernende fühlen sich oft durch die fehlende Anleitung überfordert – die Folge daraus ist ein mangelnder Lernerfolg. Der gesamte Prozess bedarf eines enormen Zeitaufwands für die Beteiligten und die systematischen Kenntnisse und die Entwicklung von Routinefertigkeiten können zu kurz kommen (vgl. REINMANN-ROTHMEIER & MANDL 1997, S. 370f.)

Literatur:

Internetquelle 1

DÖRIG, R. & WAIBEL, R. (1997). Handlungsorientierter Unterricht – Konzept und praktische Umsetzung am Bespiel der Wechselkurse. In: 25 Jahre IWP – Schule in Wissenschaft, Politik und Praxis. Hrsg. v. R. DUBS u. R. LUZI. St. Gallen, S. 191-223.

REINMANN-ROTHMEIER, G. & MANDL, H. (1997). Lernen im Erwachsenenalter. Auffassungen vom Lehren und Lernen, Prinzipien und Methoden. In: Psychologie der Erwachsenenbildung. Hrsg. v. F. E. WEINERT u. H. MANDL. Göttingen u. a.: Hogrefe (= Enzyklopädie der Psychologie; Themenbereich D, Serie I, Bd. 4), S. 355-403.

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