Warum wir ein barrierefreies Netz brauchen

Klaus.Schaechner.Uni-Sbg, 19. April 2010, 16:13

Das Internet spielt eine zunehmend gewichtigere Rolle in unserem Alltag, indem es Information allgemein zugänglich macht. Menschen mit Behinderungen könnten dadurch besonders profitieren: Denn in Zusammenspiel mit speziellen technischen Hilfsmitteln kann das Internet Aufgaben für behinderte übernehmen, die sonst nur mühsam oder gar nicht möglich waren – zumindest in der Theorie. Die Praxis offenbart leider ein anderes Bild, da viele Online-Dienste für Menschen mit Behinderungen immer noch schwer zugänglich sind. Die Ursache dafür liegt in erster Linie im mangelhaften Web-Design.

 

Was macht die Politik noch verkehrt?

Geschuldet ist dieser Tatsache im Fehlen einheitlicher Normen und Gesetzen weltweit, aber auch schon innerhalb der Europäischen Union: Zwar gibt es Regelungen in einzelnen Ländern, wie die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung in Deutschland (BITV), aber diese verliert jenseits der Landesgrenzen ihre Gültigkeit. So entwickeln sich vielerlei nationale Standards beim barrierefreien Web, die zu überwinden fast schon einer erneuten Barriere gleichkommt. Nach Auffassung von Viviane Reding, Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien in der EU, „sollte es einen gemeinsamen ‘European Disability Act‘ geben, der im Bereich des barrierefreien Internets die Web Content Accessibility Guidelines 2.0 des W3C (WCAG2.0) als verbindlichen Standard festlegt und damit einer weiteren Fragmentierung entgegenwirkt und zueinander nicht kompatible Regelungen der EU-Mitgliedsstaaten verhindert“.

 

Behinderungen als Ausschlusskriterium vom Web

Menschen mit Behinderungen stoßen dabei auf eine Vielzahl von Hürden im Web (vgl Paciello 2000, 7-11):

  • Menschen mit Sehbeeinträchtigung oder völliger Blindheit haben mit dem visuellen Medium Internet die größten Probleme, da sie Bildschirmlupen, ausreichende Kontraste und saubere Programmierung benötigen, um Inhalte erfassen zu können. Ein Lesegerät muss z.B. erkennen bei welchem Text es sich um eine Überschrift einer bestimmten Ordnung handelt und Bilder sollten mit Alternativtext versehen sein.
  • Menschen mit Hörbeeinträchtigung können audiovisuelle Inhalte ohne Untertitel oder Gebärdensprache nicht leicht verstehen.
  • Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Menschen mit Sprechbeeinträchtigung (geht oft einher mit einer Beeinträchtigung des Gehörs) in Zukunft von Technologien wie Steuerung durch Spracheingabe außen vor bleiben.
  • Menschen mit motorischen Beeinträchtigungen haben viel grundlegendere Probleme bei der Nutzung von Computer-Hardware. Die Symptome und ihre zu Grunde liegenden Krankheiten sind vielseitig. Oft müssen spezialisierte Eingabegeräte verwendet werden, um einen Computer benutzen zu können.
  • Menschen mit kognitiven und neurologischen Beeinträchtigungen stoßen auch auf vielseitige Hindernisse: Das reicht von Epillepsie-Gefahr bei stark blinkenden Flash-Animationen bis zur Unlesbarkeit von Texten, weil sie in zu schwieriger Sprache verfasst sind.

 

Wir brauchen einen Standard

Das Problem beim Versuch die Barrieren zu beseitigen ist also, dass viele Länder versuchen einzelne Regelungen für die Barrierefreiheit zu erstellen. Im Plan i2010 der Europäischen Union versuchen EU-Politiker eine international gültige Richtlinie auf Grundlage der vom W3C ausgearbeiteten WCAG 2.0 zu finden. Die darin definierten Standards helfen Web-Designern in einem Drei-Stufen-Modell (unbenutzbar/mit Einschränkungen benutzbar/sehr gut benutzbar) ihre Web-Projekte auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Die W3C hat sogar eine lange Liste mit Evaluations-Tools veröffentlicht, mit der sich Webseiten auf Barrierefreiheit überprüfen lassen - der Großteil davon ist Free/Open Source Software.

 

Weg mit Flash, her mit HTML5

Im Moment ist durch die BITV z.B. geregelt, dass deutsche Webseiten von Behörden, sowie überregionale Angebote von Krankenkassen barrierefrei sein müssen. Die Hoffnung, dass sich die WCAG 2.0 auch in weiteren Bereichen des Web durchsetzt ist groß und meiner Ansicht nach auch berechtigt: Viele Webseiten sind heutzutage kaum mehr als die Variante eines Standard-Produkts (z.B. Blogs) und damit gut maschinenlesbar. Auch die große Barriere Flash scheint entweder zu fallen oder sich zu bessern, nachdem der Marktführer für mobile Geräte, Apple, mit seinem neuesten Produkt Flash kritisiert und komplett auf HTML5 setzt.

Ein maschinenlesbareres und semantischeres Web hilft nicht nur, dafür aber vor allem Menschen mit Behinderungen. Vorteile gibt es aber für alle. Deshalb: Barrierefrei jetzt!

 

 

Podcast-Tipp zum Thema

Chaosradio 107: Barrierefreiheit im Web

Accessibility war lange Zeit das schwarze Schaf im Web, kommt aber durch eine Reihe von Gesetzen zur Verfplichtung zur Barrierefreiheit und auch durch einen brandneuen Standard der W3C zu neuer Aufmerksamkeit. Im Gespräch mit Tim Pritlove erzählen Tomas Caspers und Jan Eric Hellbusch von der Entstehung der Accessibility-Bewegung, über technische Standards und was man bei Ihrer Anwendung berücksichtigen sollte.

Unter anderem geht es um folgende Themen: Geburt des Web Standards Project, Auswirkung der Farbwahl in Webseiten für Farbenfehlsichtige, Bedeutung der Struktur und semantischem Markup für Blinde, Vorteile von barrierefreiem Design für nicht-behinderte Nutzer, Screenreader-Programme und vergleichbare Funktionalitäten in Betriebssystemen, Aspekte der Gebärdensprache, Aufbau, Anwendung und Testbarkeit der Web Content Accessibility Guidelines der W3C, Gesetzliche Vorgaben und Verpflichtung zur Barrierefreiheit für Behörden und öffentliche Körperschaften und Accessibility für Podcasts.

Gedruckte Literatur

Paciello, Michael G. (2000): Web accessibility for people with disability. Lawrence, Kan.: CMP Books.

0 comments :: Kommentieren


To prevent spam abuse referrers and backlinks are displayed using client-side JavaScript code. Thus, you should enable the option to execute JavaScript code in your browser. Otherwise you will only see this information.