Vorstellung mounira latrache
Montag, 26. Januar 2004
Belegarbeit Mounira Latrache (0121626)
Interaktives Fernsehen in der Zeit
Der Multimedia



Gliederung:

1.Die Entwicklung des digitalen Pay-TV in Deutschland
1.1 Messung der Fernsehnutzung in digitalen Haushalten
1.2 Novellierung des Thüringer Landesmediengesetzes
1.3 Stand der Einführung des digitalen Fernsehens in Deutschland: DVB-T in Berlin gestartet
1.4 Aktuelle Entwicklung des deutschen Breitbandkabelmarktes Österreich: Fernsehgebühren für Digitalisierungsfond
1.5 Europaweites HDTV-Programm geplant
2. Pay-TV als Bestandteil des Zuschauermarkts
2.1 Ist Pay-TV Fernsehen?
2.2 Nutzungsdauer von Pay-TV
2.3 Besondere Wertigkeit von Pay-TV-Programmen?
3. Veränderte Voraussetzungen für die Kanalwahl:
3.1 Von Pay-Programmen zu Pay-Paketen
4. Fernsehnutzung im Kontext der Entwicklung von digitalem Fernsehen und Online-Medien
4.1 Fernsehnutzung im Zeichen der Digitalisierung
4.2 Orientierung über das komplexer werdende Angebot
4.3 Zusätzliche Angebotsoptionen digitalen Fernsehens
4.4 Optionen für den Direktabruf von Fernsehsendungen
4.5 Formen interaktiven Fernsehens


Der Fernseher als perfektes Informations- und Unterhaltungsmedium wird millionenfach weltweit 24 Stunden genutzt. Meistens passiv, allerdings mehr und mehr interaktiv.
Egal ob das passende Lösungswort für eine Quizshow gesucht wird oder dem Lieblingstitel per persönlicher Stimmabgabe zum Sieg verholfen werden soll, interaktives Fernsehen ist hier die optimale Voraussetzung. Der Zuschauer schlüpft in die Rolle eines Moderators.

Mit Fernsehen im herkömmlichen Verständnis hat digitales, interaktives Fernsehen nur noch wenig zu tun. Lediglich das zur Bildausgabe benutzte Gerät sieht dem bisher bekannten Fernsehgerät ähnlich. Die Interaktivität in Verbindung mit dem Fernsehen soll den bisher fernsehtypischen Einweginformationsfluß beenden. Das interaktive Fernsehen soll dem Zuschauer ermöglichen z.B. umgehend auf Programme zu reagieren, in Game-Shows mitzuspielen oder zwischen Varianten eines Films auszuwählen.


1. Entwicklung des digitalen Pay-TV in Deutschland


1.1 Messung der Fernsehnutzung in Digital-Haushalten

Die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) veröffentlicht seit Anfang 2003 erstmals Angaben zur Fernsehnutzung in den Haushalten, die digitales Fernsehen empfangen.
Wurde bisher nur die auf Digitalprogramme insgesamt entfallene Nutzungszeit ausgewiesen, differenziert die AGF diese jetzt auch nach den jeweils genutzten Kanälen. Dies führt entsprechend zu leichten Erhöhungen der Marktanteile der wichtigsten Vollprogramme, allerdings nicht zu substanziellen Verschiebungen. Anfang 2003 konnten 7,4 Prozent der Fernsehhaushalte, also 2,53 Mio. Haushalte, digitale Programme empfangen; 4,2 Prozent der Gesamtnutzung in Deutschland entfiel Anfang 2003 auf digital empfangbare Programme. In den Digital-Haushalten entfallen zwei Drittel der Nutzung auf herkömmliche Programme; das restliche Drittel verteilt sich auf die Programme von Premiere und anderer Sender – exakte Anteile von Premiere werden nicht mitgeteilt, da Premiere nicht über eine AGF-Lizenz verfügt. (F1,F2)

1.2 Novellierung des Thüringer Landesmediengesetzes

Am 14. Januar 2003 ist das novellierte Thüringer Landesmediengesetz in Kraft getreten. Die Landesregierung hat die auf Grund zwischenzeitlich erlassener Rundfunkänderungsstaatsverträge notwendig gewordene Novellierung des ehemaligen Thüringer Rundfunkgesetzes (TRG) daneben zum Anlass genommen, gesetzliche Voraussetzungen für die Digitalisierung des Rundfunks in Thüringen zu schaffen.
So sieht § 3 Abs. 8 ThürLMG vor, dass analoge Frequenzen für die terrestrische Ausstrahlung von Rundfunk nur noch bis Ende 2003 vergeben werden. Danach sollen nach Möglichkeit ausschließlich digitale Übertragungskapazitäten vergeben werden, wobei die bereits erteilten Zuordnungen analoger Frequenzen zunächst erhalten bleiben. Eine zeitliche Festlegung des analogen Switch-Offs in Thüringen sieht das Gesetz dagegen nicht vor. Bei der Weiterverbreitung von Rundfunkprogrammen und Mediendiensten in digitalisierten Kabelanlagen übernimmt das ThürLMG in § 38 a die Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrages (§ 52 RStV). Daneben übernimmt das Gesetz die Vorgaben von § 53 RStV zum chancengleichen Zugang von Veranstaltern zu digitalen Plattformen anderer Diensteanbieter (§ 3 a ThürLMG). (F3)

1.3 Stand der Einführung des digitalen Fernsehens in Deutschland: DVB-T in Berlin gestartet

Anfang März startete in Berlin die Verbreitung von DVB-T. Im Rahmen der Umstellung wechselten fast alle der terrestrisch empfangbaren Programme die Frequenzen (Das Erste (ARD), ZDF, ORB und B1). Digital empfangbar sind nun die Programme mdr, NDR, arte, RTL, RTLII, SuperRTL, VOX, Das Erste (ARD), SFB 1, ORB, PHOENIX,, ZDF, ZDF-Info, ZDF-Doku, KiKa, SAT1, ProSieben, Kabel1 und N24. Befristet bis zum Sommer 2003 werden die Programme MTV, Eurosport und n-tv auf einem Kanal ausgestrahlt, der nur von einem Teil der Berliner Haushalte empfangen werden kann. (F4)


1.4 Aktuelle Entwicklung des deutschen Breitbandkabelmarktes

Im Januar verkaufte die Deutsche Telekom die letzten sechs ihrer regionalen Kabel TV-Netze. Käufer sind ein Investorenkonsortium aus Apax Partners, Goldman Sachs Capital Partners und Providence Equity. Der Kaufpreis von 1,725 Mrd. € wird möglicherweise in Abhängigkeit von der zukünftigen Wertentwicklung des Kabelgeschäftes um 375 Mio. € erhöht. Bei den sechs Kabelgesellschaften in den Regionen „Hamburg / Schleswig-Holstein / Mecklenburg- Vorpommern“, „Niedersachsen / Bremen“, „Berlin / Brandenburg“, „Sachsen / Sachsen- Anhalt / Thüringen“, „Rheinland-Pfalz / Saarland“ und „Bayern“ sind rund 2.500 Mitarbeiter beschäftigt. Die Übernahme der Kabelnetze ist mittlerweile auch durch die EU Kartellbehörde genehmigt.
Auch im Fall der Versteigerung des nordrhein-westfälischen Kabelnetzbetreibers Ish kam unter der Führung der Deutschen Bank AG, London, und der Citigroup ein Bankenkonsortium aus 38 Geldinstituten für einen Betrag von 275 Mio. € zum Zuge. Ish beschäftigte 2002 1.250 Mitarbeiter. Im Februar gründete sich in Berlin der „Deutsche Kabelverband“, der vor allem die Interessen der auf der dritten Netzebene aktiven Unternehmen vertreten will. (F5)


1.5 Österreich: Fernsehgebühren für Digitalisierungsfond

Der terrestrische Sendebetrieb ist in Österreich unverzichtbar. Zu diesem Einschätzung kommen die RTR und KommAustria in einem Thesenpapier für die Arbeitsgemeinschaft „Digitale Plattform Austria“. 63 Prozent der Haushalte beziehen Fernsehprogramme noch über die Hausantenne, weil auch Satellitenhaushalte die ORF-Programme noch terrestrisch empfangen. Allein marktgetrieben werde in Österreich die Digitalisierung der terrestrischen Rundfunkübertragung nicht gelingen. Angesichts der Bedeutung der terrestrischen Verbreitung soll ein Teil der Rundfunkgebühr, der nicht dem ORF als Programmentgelt zukommt, sondern in den Staatshaushalt fließt, für einen Digitalisierungsfonds genutzt werden. Damit soll der Simulcast-Betrieb unterstützt werden. Die Kabelnetzbetreiber haben es als Wettbewerbsverzerrung kritisiert, wenn die Digitalisierung der terrestrischen Übertragung subventioniert werden soll, während sie die Digitalisierung der Kabelnetze selbst finanzieren sollen.
Der digitale Sendebetrieb soll ab 2004 in Inseln beginnen. In der nächsten Phase soll ab Ende 2006 der digitale Sendebetrieb flächendeckend Erfolgen, mit ersten Einschränkungen beim analogen Sendebetrieb. Frühestens 2008, spätestens aber 2012, soll der analoge Fernsehbetrieb ganz beendet werden.

1.6 Europaweites HDTV-Programm geplant

Unter dem Namen „Euro1080“ soll im Januar 2004 ein Sender starten, der sein Programm in Europa ausschließlich in HDTV ausstrahlen wird. Das Unternehmen Alfacam will mit einem europaweiten Angebot von Sport, Musik, Events, Shows und Spielfilmen europaweit interessierte Zuschauer gewinnen und sucht derzeit Partner für die Weiterentwicklung des Unternehmens.
(F:6)


2. Pay-TV als Bestandteil des Zuschauermarkts


2.1 Ist Pay-TV Fernsehen?

Die verschiedenen Formen des Bezahlfernsehens, bisher überwiegend „Pay-perchannel“, zunehmend auch „Pay-per-view“, künftig mit Einschränkungen auch „Video-on-demand“, werfen zunächst eine grundlegende Frage auf: Inwieweit
betrachten die Nutzer das Bezahlfernsehen überhaupt als Fernsehen? Zumindest
denkbar könnte sein, dass die Nutzer das Pay-TV ähnlich dem Videorecorder oder neuerdings der DVD als zusätzliches Medium betrachten, das zwar ebenfalls über den Fernsehbildschirm genutzt wird, ansonsten aber nur wenig mit den Angeboten
und der Nutzung von Free-TV zu tun hat – ein eigenes Medium mit spezifischen Inhalten, spezifischer Finanzierung und spezifischen Nutzungsformen. Die Pay-TVAnbieter
nähren eine solche Perspektive, indem sie betonen, dass es ihnen nicht auf die Nutzung ihres Programms durch die Zuschauer ankomme, sondern hauptsächlich
um die Schaffung oder Aufrechterhaltung der Bereitschaft, für dieses Programm zu zahlen – u.a. aus diesem Grunde liegen auch kaum verlässliche Angaben über die Nutzung von Pay-TV-Programmen vor. Aus der Perspektive werbefinanzierter
Veranstalter und der Werbeindustrie, also im Hinblick auf den Werbemarkt spielt Pay-TV höchstens eine indirekte Rolle, es konkurriert bisher kaum um Werbeetats und damit auch nicht um die als Indikator für die Aufmerksamkeit für
Werbebotschaften gebräuchlichen Reichweiten und Nutzungsdauern.
Die sich abzeichnenden Perspektiven der Pay-TV-Entwicklung weisen in die Richtung, dass die Trennung zwischen den beiden Finanzierungsformen eher aufweichen wird, indem sich die Pay-TV-Veranstalter mit spezifischen Werbeformen
eine zusätzliche Einnahmequelle verschaffen. Seit Mitte 2000 biete Premiere World auf verschiedenen Programmen Werbemöglichkeiten, seit Januar 2001 vermarktet Universal Studios Network Deutschland Werbezeiten im Rahmen der Programme
13th Street und Studio Universal. Eine dazu von Universal in Auftrag gegebene Studie des Adolf Grimme Instituts bekräftigt, dass Werbung als zusätzliche Einnahmequelle für Pay-TV-Veranstalter in Frage kommt – allerdings nur, solange
sie nicht das für viele Abonnenten maßgebliche Produktversprechen des Pay-TV,
Filme und andere Sendungen ohne Werbeunterbrechungen zu zeigen, brechen. Jeder Schritt in Richtung auf eine Werbezeitenvermarktung setzt aber bei den Pay-TV-Veranstaltern voraus, dass sie den potenziellen Werbetreibenden nicht nur
Abonnentenzahlen, sondern auch Informationen über das konkrete Nutzungsverhalten zur Verfügung stellen – in dieser Hinsicht dürfte sich die
Datenlage in der Zukunft also verbessern.
Trotz dieser teilweisen Öffnung auch für Werbeeinnahmen liegt aus einer ökonomischen Perspektive auf der Hand, dass der Pay-TV-Bereich durch seine Finanzierungsform bzw. durch die direkte Beziehung zwischen Pay-TV-Veranstaltern
und Abonnenten einen abgrenzbaren Markt darstellt. Aus der nutzerorientierten Perspektive, die durch das Zuschaueranteilsmodell nahe gelegt
wird, könnte dies zwar wie oben angedeutet prinzipiell auch der Fall sein, empirisch
zeigt sich dagegen das Gegenteil. Auch wenn m. W. keine direkten Untersuchungen
zu dieser Frage vorliegen, so sprechen doch alle Anzeichen dafür, dass die Zuschauer das Pay-TV als Bestandteil des Gesamt-Fernsehangebots betrachten und ihre Pay-TV-Nutzung als Bestandteil ihrer Fernsehnutzung.
Zu diesen Anhaltspunkten gehören zunächst die grundlegenden Verbreitungsformen
des Pay-TV. Auch Pay-TV wird als zeitgebundenes Programm verbreitet, für Pay-
TV-Abonnenten stellen die abonnierten Pay-Kanäle Parallelangebote zu den übrigen
Fernsehprogrammen dar, per Fernbedienung können sie nach Belieben zwischen den Angebotstypen hin- und herschalten. Die Angebotssparten des Pay-TV sind auch im Free-TV verfügbar, es gibt keine Angebote, die nicht im Prinzip auch im Free TV angeboten würden. Pay-TV-Veranstalter stehen damit sehr wohl in Konkurrenz zu
den Free-TV-Veranstaltern um die von den Zuschauern aufgebrachte Fernsehnutzungszeit – und sind damit im Prinzip auch relevant für die Ermittlung von Zuschaueranteilen zur Beurteilung von potenzieller Meinungsmacht.
Diese Anfangsklärung ist im weiteren zu differenzieren, indem nach der Verbreitung von Pay-TV, nach der Nutzungsdauer, die Pay-TV-Abonnenten den entsprechenden
Programmen widmen, sowie nach dem möglicherweise besonderen Stellenwert gefragt wird, den Pay-TV-Programme bei ihren Nutzern genießen. (F7)

2.2 Nutzungsdauer von Pay-TV

Wie oben schon angedeutet wurde, ist die Informationslage über das
Nutzungsverhalten in Pay-TV-Haushalten äußerst eingeschränkt. Dies liegt in erster
Linie daran, dass Pay-TV-Veranstalter, anders als die Veranstalter werbefinanzierter
Programme, keinen Anlass haben, sich an der kostenintensiven kontinuierlichen
Zuschauerforschung zu beteiligen, um so der Werbewirtschaft eine Grundlage für die
Vergabe von Mediaetats zu geben. Durch die direkte Beziehung zu den Abonnenten
ergeben sich demgegenüber aussagekräftigere Untersuchungsmöglichkeiten, die sich direkt auf die Zufriedenheit der Kunden bzw. auf Verbesserungsmöglichkeiten
beziehen – und als solche im Sinne von Marktforschungsdaten insbesondere dann
wertvoll sind, wenn sie nicht in der Öffentlichkeit und bei potenziellen Konkurrenten
bekannt werden. Auch indirekte Anhaltspunkte sind schwer zu ermitteln, da oft die
Zahl der Pay-TV-Abonnenten so gering ist, dass diese Programme bei den üblichen
landesweit aggregierten Zuschaueranteils-Übersichten, wie sie aus den meisten
Ländern regelmäßig vorgelegt werden, nicht gesondert aufgeführt werden.

Für den Zweck dieses Gutachtens sollten jedoch die folgenden Beobachtungen aus
verschiedenen Ländern hinreichend sein, da sie ein recht homogenes Bild von dem
quantitativen Stellenwert von Pay-TV-Programmen zeichnen:

· Für die Situation in Deutschland liegen keine systematisch erfassten Daten vor,
jedoch ergeben die vereinzelt publizierten exemplarischen Auswertungen und
Schätzungen ein durchaus homogenes Bild. So lässt sich etwa im Hinblick auf
die Nutzung von Premiere World bzw. der d-box folgende Modellrechnung
anstellen (vgl. Engel 2000): Im Frühjahr 2000 lebten 2,8 Millionen der 71
Millionen vom GfK-Panel abgebildeten Zuschauer in einem Haushalt mit d-box-
Nutzung; das entsprach einem Anteil von 3,9 Prozent der Zuschauer. Bei diesen
Zuschauern erreichten sämtliche über die d-box empfangenen Digital-Programme
7 Wert für 1999, Zuschauer ab 15 Jahre, 3-3 Uhr; (F8) zusammen genommen einen Zuschaueranteil von etwa einem Drittel, während die verbleibenden zwei Drittel beim analogen Fernsehen verblieben.
Eine ähnliche Schätzung ergibt sich auf der Basis der Beobachtung, dass das analoge Programm Premiere im April 2000 einen Zuschaueranteil von insgesamt 0,3 Prozent erreichte. Bezogen auf die damals 680.000 Abonnenten (1% aller
Zuschauer) lässt sich mit aller Vorsicht schätzen, dass auch die Abonnenten des
analogen Pay-TV-Programms etwa 30 Prozent ihrer Fernsehnutzung diesem Programm widmeten.
Damit ergeben sich zwei maßgebliche Schätzwerte, wie sie die KEK bereits ihren letzten Entscheidungen zum Pay-TV zugrunde gelegt hat und an denen sich angesichts der nur langsamen Steigerung der Verbreitung der d-box nichts Wesentliches geändert haben dürfte: Insgesamt erzielt das digitale
Fernsehen in Form der über die d-box von Premiere World angebotenen Programmplattform zusammen mit dem analogen Pay-TV-Programm Premiere einen Zuschaueranteil von gut einem Prozent.
Bezogen auf diejenigen, die Premiere World oder Premiere analog abonnieren, entfallen auf die betreffenden Programme etwa ein Drittel der Nutzungszeit. (F9)

2.3 Besondere Wertigkeit von Pay-TV-Programmen?

Der Gedanke scheint naheliegend: Ein Pay-TV-Programm, für das ein Nutzer
gesondert zahlt, ist ihm mehr wert als ein Free-TV-Programm („Veredelung“).
Entsprechend, so könnte gefolgert werden, kann eine bestimmte Nutzungsdauer für
ein Pay-TV-Programm nicht gleichgesetzt werden mit der gleichen Nutzungsdauer
für ein Free-TV-Programm. Diese Überlegung geht also davon aus, dass mit der Art
der Finanzierung eine jeweils spezifische Beziehung des Publikums zu den
betreffenden Programmen verbunden ist, die sich nicht unbedingt in den zu
beobachtenden Nutzungsanteilen niederschlägt. Dies ist etwa regelmäßig zu
beobachten, wenn auf die Frage, welches Fernsehprogramm man am liebsten
behalten möchte, am häufigsten das Erste Programm der ARD genannt wird, obwohl
RTL in den letzten Jahren meist höhere Zuschaueranteile erreichte.
Im Hinblick auf Pay-TV ergeben sich verschiedene im folgenden diskutierte Gründe anzunehmen, dass diese Programme im Vergleich zu Free-TV-Programmen eine besondere Aufmerksamkeit bei den Nutzern genießen.
Für Pay-TV-Veranstalter ist es zwar zweitrangig, ob ihre Abonnenten das betreffende
Programm nutzen. Doch auch wenn es keine vollständige Korrespondenz zwischen
Nutzungsdauer und Akzeptanz des Abonnements gibt, ist davon auszugehen, dass es für die Abonnenten nicht unwichtig ist, ob sie das Programm, für das sie gesondert zahlen, auch entsprechend nutzen, ob sich also aus ihrer Sicht die Investition lohnt.
Hier sei erneut betont, dass hier nicht die Notwendigkeit einer konzentrationsrechtlichen Bewertung aus ökonomischer Perspektive in Frage steht, Stichwort: Quasi-Monopol im Bereich der Zugangs- und Abrechnungstechnik. Die Überlegungen konzentrieren sich auf Anhaltspunkte für potenzielle Meinungsmacht, die sich aus der Nutzungsperspektive ergeben.(10)

Diese Ausgangslage verschafft den Pay-TV-Programmen insofern einen Vorteil vor
Free-TV-Programmen, als sie höchstwahrscheinlich zum sogenannten
Kanalrepertoire der Abonnenten gehören werden, also zu jener Auswahl an Kanälen, die die Zuschauer bei der Programmauswahl primär berücksichtigen. Wie die Nutzungsforschung vielfach belegt hat, beziehen die Zuschauer in Vielkanalumgebungen bei weitem nicht alle technisch verfügbaren Programme in ihr
persönliches Repertoire ein, sondern konzentrieren sich auf eine vergleichsweise kleine Auswahl, auf die der Löwenanteil der Nutzung entfällt. In konkreten
Auswahlsituationen bedeutet dies etwa, dass Programme, die nicht zum Repertoire
gehören, durchaus eine für den betreffenden Nutzer sehr attraktive Sendung anbieten mögen, dass diese aber nicht ausgewählt wird, weil der Nutzer dieses Angebot gar nicht erst zur Kenntnis nimmt. Wegen der direkten Geschäftsbeziehung mit dem Pay-TV-Veranstalter und der mit der Zusatz-Zahlung verbundenen besonderen Erwartung gegenüber diesem Programm ist davon auszugehen, dass Pay-TV-Programme mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Kanalrepertoire ihrer Abonnenten gehören und daher letztlich auch öfter genutzt werden.
Verstärkt wird dieser Effekt durch die Möglichkeiten, die sich aus der direkten Kundenbeziehung zwischen Veranstalter und Abonnent ergeben. Dazu gehören
insbesondere spezielle Programmzeitschriften und verschiedene Marketingmaßnahmen, mit denen die Zuschauerbindung an die betreffenden
Programme erhöht werden kann.
Für eine hervorgehobene Rolle der Pay-TV-Programme bei der Nutzung sprechen
auch die Inhalte. Dem bisher überwiegenden Geschäftsmodell entsprechend werden
insbesondere sogenannte Premium-Inhalte angeboten, die einen Exklusivitätsstatus
haben, also etwa attraktive Sportereignisse oder aktuelle Filme, die im Free-TV noch
nicht gezeigt werden.
Alle diese Gründen dürften zum einen dazu führen, dass die Abonnenten ihre Pay-
TV-Programme häufig nutzen. Dieser Effekt würde sich in den Zuschaueranteilen
niederschlagen und wäre insoweit durch die derzeitige Praxis der Konzentrationskontrolle abgedeckt. Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob diese Gründe über eine erhöhte Nutzungsdauer hinaus auch zu einer generell höheren
Wertigkeit der Pay-TV-Programme führen können, die etwa Anlass bieten könnte, die auf Pay-TV-Veranstalter entfallenden Nutzungsdauern stärker zu gewichten.
Eine Antwort auf diese Frage kann angesichts des derzeitigen Forschungsstands nur mit
Vorbehalt bzw. unter Hinweis auf mögliche künftige Entwicklungslinien gegeben werden.

In der bereits zitierten Studie zur Werbung im Pay-TV sehen die dort befragten
Experten „im Pay-TV interessante Perspektiven für Werbung (...), da sich die
Nutzungssituation von Pay-TV und Free-TV unterscheidet. Beim Pay-TV ist die
Hinwendung konzentrierter und die Aufmerksamkeit höher, überdies besitzt Pay-TV
noch Erlebnischarakter“. Aus den vorstehenden Überlegungen mag eine solche Vermutung ableitbar sein, entsprechende Ergebnisse empirischer Untersuchungen liegen aber m. W. nicht vor. Und es sind Zweifel an einer solchen These angebracht.
Die Vermutung ist am ehesten für Premium-Programme und deren Highlights plausibel, für Fernseh-Erstaufführungen von Hollywood-Filmen und für Top Ereignisse aus dem Sportbereich.
Der besonderen Wertigkeit von Pay-TVProgrammen ist aber entgegen zu halten, dass dem Pay-TV gerade durch den Exklusivitätscharakter und die Art der überwiegend angebotenen Inhalte am „richtigen Fernsehen“ etwas fehlt. Es handelt sich zwar möglicherweise um ein qualitativ hochwertiges Zusatzangebot, die Teilhabe am öffentlichen Diskurs jedoch, die sich überwiegend über die Nutzung von Nachrichten und von breit rezipierten Informations- und Unterhaltungsangeboten herstellt, ist dabei gerade nicht oder nicht in dem Maße möglich, wie dies beim normalen Fernsehen der Fall ist. Mit diesem Argument könnte Pay-TV – zumindest so, wie wir es bisher kennen – im Hinblick auf den potenziellen publizistischen Einfluss eher als weniger bedeutsam eingeschätzt werden als die Free-TV-Programme, also eine der obigen These genau entgegengesetzte Position.

Die Frage, inwieweit Pay-TV-Programmen aus der Perspektive der Nutzer und im
Hinblick auf den potenziellen publizistischen Einfluss der betreffenden Kanäle eine
besondere Rolle spielt, die bei der Anwendung des Zuschaueranteilsmodells zu
berücksichtigen wäre, ist also aus heutiger Sicht nicht eindeutig zu beantworten. Die
weitere Entwicklung des Pay-TV wird daraufhin zu beobachten sein, inwieweit sich
eine der beiden skizzierten Optionen als charakteristisch für das Pay-TV
herausstellen wird. Eine wesentliche Rolle dabei spielt die im folgenden diskutierte
Frage der Veränderungen in der Struktur des Kanalangebots.


3. Veränderte Voraussetzungen für die Kanalwahl:


3.1 Von Pay-Programmen zu Pay-Paketen

Eine mögliche Vorstellung vom Fernsehzuschauer, wie sie etwa aus dem „Nutzen und Belohnungsansatz“ abgeleitet werden kann, besteht darin, dass sich die

Zuschauer in jeder Situation ihrer aktuellen Bedürfnisse bewusst sind und
entsprechend diesen Bedürfnissen aus den verfügbaren Angeboten das geeignetste
auswählen. Auf welchem Kanal auch immer, es würde immer das jeweils subjektiv
beste Angebot ausgewählt. Diese Vorstellung passt auch insofern gut zu dem
Grundgedanken des Zuschaueranteilsmodells, als die Zuschauerpräferenzen darüber entscheiden, welche der verfügbaren, untereinander unabhängigen Optionen einen mehr oder weniger großen publizistischen Einfluss erlangen. Am ehesten ist diese Vorstellung im Kontext eines überschaubaren, für alle Zuschauer weitgehend identischen Kanalangebots verwirklicht.

Programmauswahl bei begrenztem Kanalangebot

Ein entscheidender Faktor bei diesem einfachen Modell der Programmauswahl,
nämlich die unterstellte Kenntnis des verfügbaren Angebots, ist für den Großteil der
deutschen Fernsehzuschauer seit langem Vergangenheit.
Bei durchschnittlich rund empfangbaren Kanälen ist es nicht mehr möglich, alle Kanäle zu beachten und bei der Programmauswahl zu berücksichtigen. Vielmehr entwickeln die Zuschauer Strategien, die ihnen die Auswahlentscheidung erleichtern. Dazu gehören Routinen, etwa die regelmäßige Nutzung bestimmter fester Sendeplätze, dazu gehört aber auch die Herausbildung von Kanalrepertoires, auf die sich die Suche nach geeigneten Angeboten im wesentlichen beschränkt. Die folgende Skizze veranschaulicht den gegenüber der begrenzten Angebotssituation neu hinzukommenden Faktor des Kanalrepertoires, der die Auswahlentscheidungen der Beispielperson nur auf sieben Kanäle begrenzt, während die übrigen Kanäle nicht beachtet werden oder höchstens die Chance haben, zufällig beim Hin- und Herschalten wahrgenommen zu werden.

Die weitere Ausdifferenzierung des Programmangebots nicht zuletzt auch in Folge
der seit 1997 verstärkt erfolgten Ausbildung von Programmfamilien fördert diesen
Trend zur Fragmentierung weiter. Denn mittlerweile stellt das Gesamtangebot, dem
sich die Zuschauer gegenüber sehen, nicht mehr ein bloßes Nebeneinander von
unabhängigen Einzelkanälen dar. Vielmehr entwickeln sich zunehmend Bezüge
zwischen den Kanälen ein und desselben Veranstalters, die sich gegenseitig stützen
und versuchen, die Zuschauer möglichst lang an die Familie zu binden. Solche
Kooperationsformen sind nicht neu; insbesondere zwischen dem Ersten Programm
der ARD und den verschiedenen Dritten Programmen gibt es bereits seit langem
explizite Kooperationen, die von der bei der Neuentwicklung von Formaten
praktizierten Aufgabenteilung zwischen Experimentierbühne und Hauptbühne bis zu
konkreten Kooperationen etwa zwischen einem Informationsmagazin im Ersten und
daran anschließenden Anrufsendungen in den Dritten Programmen reichen.
Spätestens die gemeinsame Vermarktung von „Big Brother“ durch RTL und RTL II
hat vor Augen geführt, dass solche Verbundangebote künftig auch im privaten
Fernsehen Bedeutung gewinnen werden.

Mit der Einführung digitalen Fernsehens einen weiteren Schritt vollziehen, der wohl als qualitativer Sprung bezeichnet werden kann. War bisher das Programm im Sinne von Kanal die entscheidende Einheit für die Beschreibung von Fernsehangeboten wie für die Programmauswahl, so treten künftig zusätzliche strukturierende Ebenen hinzu, die potenziell geeignet sind, die Programmauswahl und damit die Verteilung von Zuschaueranteilen nachhaltig zu beeinflussen: a) die sogenannte Programmplattform, b) Programmpakete, die die Anbieter von Pay-TV zur Vermarktung ihrer einzelnen Kanäle schnüren, sowie c) Navigatoren und elektronische Programmführer. An die Stelle der früher unmittelbaren Kanalwahl tritt – sofern nicht in diesem Bereich bereits ein Monopol vorliegt – zunächst die Auswahl einer digitalen Programmplattform.
Diese Plattform bietet wiederum neben den kostenlos verfügbaren Programmen verschiedene abonnierbare Pakete mit Pay-TV-Programmen, die in verschiedenen Konstellationen kombinierbar sind; die Paketbildung fördert den oben angesprochenen Effekt der Strukturierung des Gesamtangebots durch die Verknüpfung bestimmter Kanäle, die sich gegenseitig stärken. Die Entscheidung für die Zahl und Zusammenstellung solcher Pakete führt dann schließlich zu der Menge der für die Nutzung verfügbaren Kanäle – es liegt auf der Hand, dass sich damit künftig verschiedene Zuschauergruppen vermutlich gravierend darin unterscheiden werden, welche Programme sie überhaupt empfangen können.

Sind alle diese Vorentscheidungen getroffen, stellt sich die Situation für die
Zuschauer auch nicht so dar, wie dies für frühere Vielkanal-Umgebungen galt. Denn
zwischen die Zuschauer und die auszuwählenden Kanäle tritt nicht mehr nur ein
mehr oder weniger flexibles, selbst entwickeltes Kanalrepertoire, sondern ein
Basisnavigator des Plattformbetreibers, der die Suche nach einem geeigneten
Programm unterstützt und diese damit potenziell mit strukturiert. Hinzu kommen
möglicherweise weitere programmgebundene oder unabhängige elektronische
Programmführer, die die Zuschauer über das laufende und kommende Programm
informieren und eine informierte Kanalwahl erleichtern sollen. Es ist zu vermuten,
dass alle diese Zwischenschritte die Ausdifferenzierung und Fragmentierung der
Publika bzw. die Schaffung und Pflege stabiler Kundenbeziehungen im Sinne von
Zuschauer-Communities fördern werden. Damit verschärft sich im Hinblick auf das
Zuschaueranteilsmodell abermals das Argument, dass die über alle Zuschauer hinweg
berechneten mittleren Zuschaueranteile immer weniger die tatsächliche
Nutzungssituation abbilden.
Dieses Szenario wird sich vermutlich weiter zuspitzen, wenn sich die großen Pay-
TV-Anbieter im digitalen Fernsehen weiter entwickeln. Bisher enthalten die meisten
größeren Pay-TV-Pakete neben den üblichen Premium-Inhalten überwiegend
spezialisierte Spartenkanäle, die als Ergänzung eines typischen Fernseh-Menüs
dienen können; was ihnen weitgehend fehlt, sind breit rezipierte aktuelle
Informations- und Unterhaltungsangebote, insbesondere Nachrichten. Im Zuge des
Ausbaus digitaler Plattformen ist zu erwarten, dass die Veranstalter ihr Angebot in
dem Sinne abrunden werden, dass sie künftig auch das gesamte Spektrum der
Fernsehgenres aus einer Hand anbieten können. Der universale Anspruch, der den
Zuschauern die ganze Welt des Fernsehens bieten will, kommt zum Teil bereits in
den Bezeichnungen der Angebote zum Ausdruck (z.B. Premiere World). In solchen
Angebotskonstellationen kommt die in diesem Abschnitt skizzierte Entwicklung hin
zu einer Fragmentierung von Publika, zu einer Aufteilung auf einige wenige große
Anbieter, die ihren jeweiligen Kunden dann die komplette Palette fernseheigener
Formen aus einer Hand bieten, zu einem Höhepunkt. Ein solcher Zuschauermarkt,
der aus einigen wenigen umfangreichen Publikumsgruppen bestünde, die sich jeweils
von einem Anbieter komplett bedienen lassen, müsste die Frage aufwerfen, inwieweit
die Durchschnittsbetrachtung des Zuschaueranteilsmodells den veränderten
Gegebenheiten im Hinblick auf die beabsichtigte Feststellung potenzieller Meinungsmacht noch gerecht werden kann.


4. Fernsehnutzung im Kontext der Entwicklung von digitalem Fernsehen und Online-Medien


Ergänzend zu den vorangegangenen Ausführungen, die sich direkt mit dem Pay-TV
und seinen Bezügen zum Zuschaueranteilsmodell auseinandergesetzt haben, sollen in
diesem Kapitel einige allgemeine Hintergrundinformationen über technische
Veränderungen des Fernsehens und deren potenzielle Folgen für die Fernsehnutzung
angesprochen werden. (F11) Damit soll eine breitere Basis für die dann folgenden
zusammenfassenden Thesen dieses Gutachtens geschaffen werden.


4.1 Fernsehnutzung im Zeichen der Digitalisierung

Eine saubere Trennung zwischen den Themen Pay-TV und Digitalisierung ist nur
begrenzt möglich, da für viele Akteure, Experten und Nutzer der Einstieg in das
digitale Fernsehen mit einem Abonnement von Pay-TV zusammenfällt. Einer
Marktübersicht von SES/Astra über die Situation in 22 europäischen Ländern zufolge
hatten von den im Jahre 2000 vorhandenen 10,2 Millionen digitalen Satellitenhaushalten 90 Prozent auch mindestens ein Pay-TV-Angebot abonniert, nur
zehn Prozent nutzten den digitalen Empfang ausschließlich für Free-TV-Programme.
(F12) Dass digitale Verbreitung und die Frage der Finanzierungsform keineswegs zusammenhängen müssen, gerät dabei oft in Vergessenheit –
Digitalfernsehen und Pay-TV werden oft annähernd synonym gedacht. (F13)
Wie so oft bei technisch dominierten Innovationen ist derzeit kaum absehbar, was
das künftige Fernsehen auf inhaltlicher und formaler Ebene tatsächlich an Neuem bieten wird. Neu sind dagegen insbesondere die Fülle der Angebote und ihre zunehmende Verfügbarkeit auch unabhängig von Zeit und Raum.
Diese zusätzlichen Optionen für den Umgang mit dem Fernsehen sollen im folgenden mit zwei
Schwerpunkten behandelt werden: Zum einen geht es um die neuen Optionen der
Programminformation, die den Zuschauern die Orientierung über und die Navigation findet sich unter dem Stichwort „Bezahlfernsehen“ der Hinweis „Synonym für das Digitalfernsehen“. Und unter „Digitalfernsehen“ wird erläutert: „(Synonyme: Bezahlfernsehen, Pay Television, Pay TV), Typus des Fernsehens, das als Privatfernsehen zusätzlich durch direkt erhobene Gebühren bestimmt ist.“
Konsequenterweise wird dort dann auch kurz die Geschichte von Premiere (analog!) skizziert.

4.2 Orientierung über das komplexer werdende Angebot

Die zunehmende Fülle der audiovisuellen Angebote und ihre höhere Verfügbarkeit
hat zur Folge, dass in der derzeitigen Situation vor allem eine Frage bewegt: Wie
werden sich die Zuschauer über das verfügbare Angebot einen Überblick verschaffen
und einigermaßen gezielt auswählen können?
Als zeitgebundenes Programmmedium war das Fernsehen von Beginn an darauf angewiesen, dem potenziellen Publikum sein Programm vorab bekannt zu machen, damit dieses sich entscheiden kann, ob es fernsehen möchte bzw. welche der angebotenen Sendungen es sich ansehen möchte. Im Sinne eines Theaterzettels müssen die Veranstalter bekannt machen, „was heute gegeben wird“. Das Fernsehen selbst hat dazu in seiner Geschichte viele Formen entwickelt, von denen viele, etwa die Programmansagerin – die entsprechende Rolle wurde meist von Frauen übernommen– mittlerweile kaum noch eine Rolle spielen. In den letzten Jahren haben insbesondere Trailer, also kurze Filme, die der Ankündigung von Sendungen dienen, Konjunktur gehabt. Als entscheidendes Medium zur Programminformation hat sich aber die so genannte Programmzeitschrift entwickelt.
Zwischen dem Fernsehen und den Programmzeitschriften hat sich über die Jahre eine bemerkenswerte Liaison herausgebildet. Seit 1997 schwanken die von der
Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW)
quartalsweise veröffentlichten Auflagen pro Erscheinungsintervall zwischen 18,5 und
20,7 Millionen.17 Der Trend, soweit überhaupt vorhanden, weist 2000, nachdem in
den Jahren 1998 und 1999 die Verkaufszahlen von 1997 unterschritten wurden, wieder leicht nach oben. Die Programmzeitschriften gehören damit bisher zu den auflagenstärksten Zeitschriftentiteln in Deutschland überhaupt.
(F14, F15)

Aktuelle Informationen über die meisten Programme sind auch seit Jahren dem
Videotext zu entnehmen, der heute meist dem internationalen Sprachgebrauch entsprechend Teletext genannt wird. 1999 konnten drei Viertel der Bevölkerung diesen Fernsehzusatzdienst empfangen. Teletext bietet den Vorteil gegenüber den Programmzeitschriften, dass auf Programmänderungen reagiert werden kann, die Informationen sind jederzeit individuell abrufbar und verursachen keine zusätzlichen
Kosten. Nachteile bestehen bisher darin, dass das Blättern in den Teletextseiten gewöhnungsbedürftig und durch langsame Zugriffsgeschwindigkeiten sowie die nicht bestehende Möglichkeit, Suchkriterien einzugeben, oft zeitintensiv ist.
Trotz dieser Nachteile verzeichnete der Teletext in den letzten Jahren doch leicht
steigende Reichweiten; 1999 nutzten pro Tag gut acht Prozent der ab 14jährigen
mindestens einmal ein Teletext-Angebot. Auch wenn sich die meisten Sender im
Hinblick auf die Programminformationen darauf beschränken, eine Übersicht des
eigenen Angebots anzubieten, also eine kanalübergreifende Suche nicht möglich ist,
wurden diese Hinweise einer Untersuchung von 1997 zufolge von immerhin 59 Prozent der Videotextnutzer häufig oder gelegentlich abgerufen, sie gehörten
damit zu den am häufigsten genutzten Videotextseiten. (F16)
Die neuen technischen Optionen für Programminformationen erfordern zunächst eine
wesentliche Unterscheidung: die zwischen (Basis-)Navigatoren und Elektronischen
Programmführern (Electronic Programme Guides bzw. EPGs).
Basis-Navigatoren dienen dazu, auf digitalen Empfangsgeräten das gesamte Programmangebot auf der Grundlage der von den Fernsehveranstaltern gesendeten Service-Informationen
darzustellen. Diese Service-Informationen begleiten im digitalen Datenstrom jede Sendung und beschreiben sie etwa mit Anfangs- und Endzeit, Titel, Kanal und Genre.
Aus diesen Informationen gestaltet der Navigator dann Tabellen, die nach den
verschiedenen verfügbaren Merkmalen zusammengestellt werden können, so dass die
Zuschauer sich die Programmübersicht nach Anfangszeiten, nach Kanälen oder nach
Genres ausgeben lassen können. Basisnavigatoren stellen quasi das Einstiegsportal zu
einer digitalen Plattform dar, sie müssen daher alle verfügbaren Angebote gleichberechtigt und ohne positive und negative Bewertung aufführen.
Bereits die Existenz von Basisnavigatoren kann zu Veränderungen in der Wahrnehmung des Programmangebots und damit im Suchverhalten und letztlich in der Nutzung führen. Denn schon solch ein einfacher Navigator schafft eine neue
Logik. Bisher ist das Einschalten des Fernsehers bei den meisten Geräten unmittelbar mit dem Eintreten in ein laufendes Programm verbunden, in das man sich jeweils hineinschaltet. „Stehende Angebote“ sind im Fernsehen bisher ungewohnt –
jedenfalls seit kaum noch ein Programm eine Sendepause mit einem damit
verbundenen Pausenzeichen enthält. Gegenüber der bisherigen Grundhaltung („In welchen Strom springe ich?“) ist der Einstieg über einen Basisnavigator verbunden mit der expliziten Frage nach einer vorab zu treffenden Auswahlentscheidung. Wer
früher „automatisch“ in ein laufendes Programm geriet (je nach Gerätetyp der erste
Kanal oder der zuletzt eingeschaltete oder der beim Aufheben des Stand-by-Zustands bereits gezielt ausgewählte), sieht sich künftig mit einem Menü konfrontiert, das die Frage stellt: Was hätten Sie denn gern? Das gleiche wiederholt sich, sobald eine erneute Auswahlentscheidung ansteht.
Es scheint plausibel, dass dieses Innehalten und die explizite Konfrontation mit einem Auswahlmenü die Wahrnehmung des Fernsehens und seiner Angebote verändern wird. Zum einen wird den Zuschauern klarer bewusst, dass überhaupt eine Wahl getroffen wird. Zum anderen führt das Menü stets vor Augen, welche Optionen es gibt und dass auch nach verschiedenen Suchkriterien gesucht werden kann (Kanäle, Genres, Zeiten etc.). Zusammen genommen dürfte dies die Rolle, die einzelne Kanäle bisher bei der Programmauswahl gehabt haben, aushöhlen. Die kognitive Vereinfachungsstrategie, die Suche nach einem geeigneten Programm nur auf ein beschränktes Repertoire an Kanälen zu konzentrieren, verliert an Relevanz, wenn von vornherein die Option besteht, sich nur die gerade anlaufenden Spielfilme oder politischen Magazine anzeigen zulassen.
Unter dem Begriff Elektronischer Programmführer (EPG) wurden und werden
vielerlei elektronische Dienste verstanden, die zum Teil nur vorübergehende
technische Zwischenlösungen auf dem Weg zu Electronic Programme Guides im
engeren Sinne darstellen, die sich spätestens im Zuge einer Etablierung digitalen
Fernsehens durchsetzen dürften. Gegenüber den Basisnavigatoren handelt es sich hier um technisch deutlich anspruchsvollere und redaktionell gestaltete Programmführer, die mit verschiedenen Zusatzinformationen und Softwareanwendungen versehen sein können. Hier ist wiederum zu unterscheiden zwischen programmgebundenen EPGs einzelner Veranstalter, die den Zuschauern insbesondere das jeweils eigene Programm bzw. Programmbouquet erschließen wollen, und unabhängigen EPGs von Dritten, die den Zuschauern programmübergreifend spezifische Dienstleistungen anbieten.

Das Spektrum der möglichen Funktionen, die solche EPGs erfüllen können, ist derzeit noch kaum absehbar. Interessant ist eine in das digitale Bouquet der ARD integrierte „Lesezeichen-Funktion, (F17) die geschaffen wurde, um den Redaktionen eine
Möglichkeit zu geben, die Zuschauer auf andere interessante Sendungen hinzuweisen,
die mit dem Thema der laufenden Sendung zu tun haben. Mit Hilfe von Stichwörtern
zu einzelnen Sendungen und Beiträgen, die im Datenstrom mit übertragen
werden, werden die verschiedenen öffentlich-rechtlichen Programme untereinander
vernetzt. Wenn die Set-top-box bei einer laufenden Sendung ein „Lesezeichen“ erkennt, wird ein entsprechendes Logo auf dem Bildschirm angezeigt, das die Zuschauer darauf hinweist, dass es zu diesem Thema weitere Angebote gibt. Diese
können dann bei Interesse ausgewählt und vorgemerkt werden, worauf dann eine
Zeiteinrichtung zum gegebenen Zeitpunkt an die vorgemerkten Sendungen erinnert.
Es können außerdem aus einem vorgegebenen Katalog bestimmte Stichwörter ausgewählt
und gespeichert werden, das Gerät weist dann jeweils automatisch auf alle aktuellen Sendungen mit diesem Stichwort hin.
Damit ist ein wesentlicher Schritt in einen Funktionsbereich getan, der bisher überwiegend
im Online-Bereich Bedeutung gewonnen hat, ein Schritt hin zu Push- Diensten. Damit sind technische Dienstleistungen gemeint, die nach entsprechender
Bestellung oder Programmierung durch die Zuschauer diese „von sich aus“ auf die gewünschten Angebote aufmerksam machen. Nach diesem Verfahren funktionieren auch einige Online-EPGs, welche den Nutzern nach einem vorher einzugebenden
Interessenprofil Vorschläge für passende Sendungen machen, ohne dass es jeweils eines Abrufs der Information durch den Nutzer („Pull-Service“) bedarf. Mit diesen Diensten wird also nicht nur eine Datenbasis für die individuelle Suche bereitgestellt,
sondern der Dienst übernimmt auch die Suche selbst.
Funktionen dieser Art versetzen die Zuschauer in die Lage, zwischen verschiedenen Nutzungsmodi zu wählen: Von der rein rezeptiven Nutzung mehr oder weniger gewohnheitsmäßig bestimmter Sendungen zur menügesteuerten Suche nach attraktiven
Sendungen, von dem Verfolgen eines Lesezeichens, das in einer laufenden Sendung
zu einem persönlich interessierenden Thema gesetzt wurde, um dort vertiefende
Informationen zu erhalten, bis zur Bestellung eines Push-Service, der systematisch
und kontinuierlich auf bestimmte interessierende Themen hinweist.

Eine andere viel diskutierte, wenn auch noch nicht überzeugend umgesetzte Option
für EPGs sind lernfähige Systeme, die nicht mehr vom Nutzer programmiert werden
müssen, sondern anhand seiner konkreten Auswahlentscheidungen ein Modell seiner
Vorlieben und Interessen entwickeln und ständig weiterentwickeln, auf dessen
Grundlage sie dann dem Nutzer ihre Vorschläge machen. Solche Systeme sind
individuell umsetzbar; für die Anbieter scheint aber auch eine Variante attraktiv, bei
der die Systeme das Auswahlverhalten bestimmter Zielgruppen auswerten
(„kollaborative Filter“) und den Mitgliedern der Zielgruppe dann auf einer breiteren
Basis ihre Vorschläge machen können.
Alle diese Optionen wecken die Phantasie im Hinblick auf den künftigen Umgang
der Zuschauer mit dem Fernsehen – und rufen oft auch spontanen Widerspruch hervor:
Wollen denn die Zuschauer eine so ausgefeilte Infrastruktur? Möchten sie nicht
einfach fernsehen, so wie sie bisher auch ferngesehen haben? Da hier noch nicht auf
empirische Daten zurückgegriffen werden kann, muss begründet spekuliert werden:
Der durchaus plausible Hinweis, dass Fernsehzuschauer auch weiterhin einfach fernsehen
wollen – fernsehen im Sinne der mehr oder weniger aufmerksamen Rezeption
synchroner Programmangebote – schließt nicht aus, dass zumindest viele Zuschauer
zumindest ab und zu ein ganz spezifisches Interesse entwickeln, bei dem ihnen ausgefeilte
Suchsysteme gute Dienste erweisen können. Für Letzteres spricht, dass sich
die meisten Zuschauer künftig auch an die Logik der Benutzeroberflächen im Bereich
der computervermittelten Kommunikation gewöhnen werden und es womöglich
geradezu als störendes Defizit ansehen würden, wenn ihnen das Fernsehen keine
adäquaten Suchsysteme zur Verfügung stellen würde.
Auf der anderen Seite bringt die Auseinandersetzung mit den modernen Optionen
auch „Qualitäten“ des Fernsehens zum Vorschein, wie sie vermutlich gar nicht
erwartet worden wären. Dazu gehört etwa die Möglichkeit, sich von dem von einer
Redaktion komponierten Programm überraschen und treiben zu lassen oder im
Bewusstsein der parallel laufenden Kanäle hin- und herzuwechseln zwischen der
Vielfalt der Bilder und Formate oder aber sich auf den Beginn einer Lieblingsserie zu
freuen. Entscheidend ist wohl die Einsicht aus der Zuschauerforschung, dass auch
heute schon ein und dieselbe Person mit dem Fernsehen ganz Unterschiedliches
anstellt, das Medium zu ganz unterschiedlichen Zwecken gebraucht. Insofern stehen
die genannten Optionen, die Qualitäten des „alten“ Fernsehens und die neuen
Dienstleistungen zur Programmauswahl auch nicht in einem grundsätzlichen Widerspruch
zueinander. Dies spricht für technische Lösungen, die eine Kombination beider
Logiken, das Laufen-Lassen und das Aktiv-Auswählen, ermöglichen.

Neben diesen Hinweisen auf die von Situation zu Situation durchaus unterschiedlichen
Interessen einzelner Zuschauer ist an dieser Stelle auch noch an die stabilen
Unterschiede zwischen verschiedenen Zuschauergruppen zu erinnern. Es wird bei der
Entwicklung der neuen Systeme darauf ankommen, dass sie hinreichend flexibel
sind, um auch unterschiedlichen Ausgangsinteressen genügen zu können – insbesondere
bedarf es einer Möglichkeit, sie ohne großen Aufwand nicht zu nutzen.

4.3 Zusätzliche Angebotsoptionen digitalen Fernsehens

Im Jahr 2000 empfingen etwa 5 Prozent der Fernsehhaushalte in Deutschland
digitales Fernsehen – deutlich weniger als in Großbritannien mit 21 und Frankreich
mit 13 Prozent. (F18) Unter den Digital-TV-Nutzern in Deutschland hat die d-box der
Kirch-Tochter Beta Research mit 83 Prozent eine dominante Stellung. (F19) Unter den Digital-TV-Nutzern sind Männer, Jüngere und formal höher Gebildete sowie Personen in Mehrpersonen-Haushalten überrepräsentiert. Anzeichen für eine deutlich zunehmende Dynamik der Ausbreitung digitalen Fernsehens in Deutschland lassen sich den vorliegenden Studien zufolge noch nicht wahrnehmen. F(20) In diesem Punkt wird der Unterschied zwischen dem deutschen Fernsehmarkt und den Märkten in anderen europäischen Ländern deutlich. In einer Fernsehlandschaft, in der Ende des Jahres 2000 im Durchschnitt 38 Programme empfangbar waren, (F21) ist der Bedarf nach zusätzlichen Angeboten offenbar nicht so ausgeprägt wie in anderen Ländern, in denen die Bevölkerung nur fünf bis sechs Programme zur Auswahl hat.
Von den vielen technischen Optionen, die derzeit im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Fernsehens und der Konvergenz der Bereiche Fernsehen, Computer und Telekommunikation möglich werden, sollen im folgenden drei Typen behandelt werden, die aus der Sicht der Nutzer durch jeweils eine wesentliche Funktion gekennzeichnet sind: 1) neue Speichermedien, 2) Optionen für den Direktabruf von Fernsehsendungen und 3) interaktive Anwendungen über das Fernsehen.

4.4 Neue Optionen für Speichermedien

Eine nahe liegende Option, starren Programmstrukturen zu entgehen und genau zu
dem Zeitpunkt fernzusehen, wann es am besten passt, bietet seit den 70er Jahren der Videorecorder. Mittlerweile verfügen knapp zwei Drittel der Personen ab 14 Jahren in ihrem Haushalte über ein solches Gerät.(F22) Von diesen nutzen täglich 13 Prozent das Gerät für knapp 75 Minuten zur Wiedergabe von Videokassetten; das ergibt eine mittlere tägliche Sehdauer von knapp zehn Minuten. Dies verdeutlicht, dass der Videorecorder zwar offenbar von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung als attraktive Option für die Mediennutzung angesehen wird, so dass sie die Investition für ein Gerät nicht scheut, dass der Stellenwert des Videorecorders aber im Vergleich zum Fernsehen ein geringer bleibt: Es handelt sich offenbar um eine sehr selektiv wahrgenommene Ergänzungsfunktion zum Fernsehen. Unterscheidet man zusätzlich zwischen der Wiedergabe von selbst aufgezeichneten Eigenkassetten und von Leih- oder Kaufkassetten, dann ist festzustellen, dass der Anteil der Fremdkassetten doppelt so hoch ist wie der der Eigenkassetten: Die Wiedergabe von aufgezeichneten Fernsehsendungen macht bei Personen, die über einen Videorecorder verfügen, pro Tag nur gut drei Minuten aus. Aufgezeichnet wird allerdings in Videohaushalten etwa doppelt so viel wie letztlich tatsächlich angesehen wird.
Diese Ausgangssituation im Hinblick auf das „alte“ Medium Video ist im Hinblick
auf die derzeit diskutierten Optionen zur besseren Verfügbarmachung von Fernsehsendungen relevant. Sie stimmt skeptisch, wenn es um die Einschätzung der Perspektiven von Speichermedien geht, die dem zeitversetzten Fernsehen dienen sollen.
Offenbar ist dafür kein allzu großer Bedarf zu erkennen. Bewegung ist in diesen
Bereich zwar durch steigende Verkaufszahlen von DVD-Playern und DVDs gekommen, die mittelfristig das klassische Video ablösen könnten. Auf die Fernsehnutzung selbst aber scheint die bloße Möglichkeit, zeitversetzt fernsehen zu können, wenig Einfluss zu haben.
Eine technische Option für ein Speichermedium, die bereits bei ihrer Präsentation
viel Aufsehen erregt hat, ist der so genannte Personal Video Recorder (PVR). Mit
diesem können Fernsehbilder auf einer Festplatte gespeichert werden. Dazu enthält
der PVR mehrere Funktionen der oben beschriebenen EPGs: Der Programmführer
speichert Programmdaten aller verfügbaren Programme, ermöglicht die Sortierung
der Sendungen nach Sparten, Zeiten und Kanälen und bietet dem Nutzer zudem einen persönlichen TV Guide an, dem der Nutzer über eine Rückkopplungsfunktion sein Gefallen oder Missfallen an den eben gesehenen Sendungen mitteilen kann. Der Programm-Führer „lernt“ mit der Zeit, wo die Vorlieben des Nutzers liegen (Entwicklung
von Nutzerprofilen) und optimiert so nach den ermittelten Präferenzen das persönliche Programmangebot. Er selektiert das Programm für den Nutzer vor und
zeichnet die betreffenden Sendungen auf.
In der Kommentierung des PVR war vom nahen Ende des Fernsehens die Rede: (F23)
Die Zuschauer könnten sich von Programmstrukturen und Programmplanern und
Werbetreibenden unabhängig machen und sich ihr eigenes Programm
zusammenstellen. Diese Perspektive ist allerdings mit dem PVR nur eingeschränkt
gegeben, da dieser ja nur auf die im normalen Fernsehen angebotenen Sendungen
zugreifen kann – also hinter den noch weiter reichenden Perspektiven etwa im Sinne
des Video-on-Demand zurücksteht. Bleibt also als Nutzen die bisherige Funktion des
Videorecorders mit erhöhter Aufnahmekapazität sowie einem ausgeklügelten
Programminformationssystem. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen mit
dem Fernsehnutzungsverhalten und insbesondere der Videonutzung erscheint es
unplausibel, gerade in dieser Option einen Faktor zu sehen, der die Fernsehnutzung
massiv verändern wird. Vermutlich würde durch die Tatsache, dass sich gleich zwei
technische Systeme zwischen die Fernsehsendung und den Nutzer schieben – das
Auswahlsystem und das Speichersystem – die Distanz zu der betreffenden Sendung
so groß, dass kaum von höheren Nutzungsquoten ausgegangen werden kann, als dies beim Video der Fall ist. Dies ist auch deshalb unwahrscheinlich, weil die im digitalen Fernsehen zunehmende Angebotsform des Near-video-on-demand, also der zeitversetzten Ausstrahlung einer Sendung auf mehreren Übertragungskanälen, dem Bedürfnis der Zuschauer nach größerer zeitlicher Flexibilität bereits entgegen kommt und den Zusatznutzen eines Speichermediums noch verringert.

4.4 Optionen für den Direktabruf von Fernsehsendungen:

Einen wesentlichen Schritt weiter als die bloße Kombination von klassischem Programmfernsehen
und einem wie auch immer ausgefeilten Speichermedium sind alle
Optionen, die an eine der Grundwurzeln des Fernsehens gehen, indem sie es vom
Push- zum Pull-Medium zu verwandeln versuchen: Nicht das Programm wird zum
potenziellen Nutzer transportiert und dort genutzt oder nicht genutzt, sondern der
Nutzer holt sich das Programm, das er möchte, zu dem Zeitpunkt, an dem er es
möchte. Vor dem geistigen Auge Vieler steht eine Art audiovisuelle Bibliothek bzw.
ein Filmarchiv zum direkten individuellen Abruf durch die Nutzer bereit. Das Programm
wird ersetzt durch einen Katalog aller verfügbaren Filme. Ganz unabhängig
von der Frage, über welches Netz, mit welchen Betreibern einer solchen Bibliothek,
mit welcher Form der Rechteverwertung und zu welchen Preisen so etwas möglich
wäre: Die gesamte Logik dieser Vision entspricht zunächst der der Videothek. Für
die Videotheken wären technische Optionen dieser Art unmittelbar bedrohlich, da der
direkte Abruf komfortabler wäre.
Für das Fernsehen und die Fernsehnutzung sind die potenziellen Konsequenzen nicht so leicht zu erkennen. Gravierende Konsequenzen wären dann zu erwarten, wenn sich tatsächlich die zeitgebundene Verbreitung von Programmen für die künftige Alltagsgestaltung der Nutzer als so unkomfortabel und hinderlich erweist, dass sich schrittweise eine Erwartungshaltung herausbildet, dass Fernsehsendungen möglichst genau dann angeboten werden sollten, wenn die individuellen Nutzer dies wünschen.
Dies wird dann – neben den technischen Problemen – sicherlich auch eine finanzielle Frage sein, da eine individualisierte On-demand-Versorgung weitaus aufwendiger wäre als das Verbreitungsmodell, das wir vom Fernsehen kennen.
Es ist aber noch ein weiterer, zwar spekulativer, Aspekt zu erwähnen, der es wenig
wahrscheinlich erscheinen lässt, dass die technisch zunehmend realisierbare Möglichkeit, Fernsehsendungen zum individuellen Abruf vorzuhalten, nennenswerte
Effekte für das Fernsehen mit sich bringen würde. In der Diskussion wird die Tatsache der Zeitgebundenheit von Fernsehen oft implizit als ein Defizit dieses Mediums angesehen, als durch technische Notwendigkeiten bedingte Kompromisslösung, die möglichst bald durch bessere Lösungen ersetzt werden sollte.
Diese Haltung verkennt, dass es gerade als ein Vorteil des Massenmediums Fernsehen angesehen werden kann, dass es synchron verbreitet wird, (F24)
dass es Live-Charakter vermitteln
kann und den Eindruck, „auf der Höhe der Zeit“ zu sein, dass es den Zuschauern
ermöglicht, sich im Moment der Nutzung als Teil eines Publikums zu empfinden, als
Teilhaber an öffentlicher Kommunikation. Jeder Abstrich an diesen Grundmerkmalen klassischen Fernsehens tangiert genau diesen Aspekt, nämlich inwieweit das Fernsehen noch als ein kulturelles Forum, als ein Medium öffentlicher Kommunikation wahrgenommen wird.
Wie bereits für verschiedene neue Nutzungsoptionen vermutet wurde, dürften auch
die zunehmenden Möglichkeiten, Fernsehsendungen auf Abruf bereit zu stellen, eine
wesentliche Ergänzung zur Fernsehnutzung darstellen – es ginge um besondere
Anlässe, um ganz spezifische Interessen, um den Wunsch, einen bestimmten Film
gemeinsam mit Freunden oder zu einem besonderen Anlass zu sehen, es ginge aber
nicht um das „normale“ alltägliche Fernsehen.

4.5 Formen interaktiven Fernsehens

Die „Interaktivität“ ist so etwas wie der frühe Mythos der Entwicklung digitalen
Fernsehens. Schillernd waren die Vorstellungen, die sich mit diesem Begriff und den an ihn geknüpften Erwartungen im Hinblick auf die Zukunft des Fernsehens verbanden.
Mittlerweile ist mehr Nüchternheit eingekehrt, die zum Teil auch Ernüchterung
genannt werden kann. So ist von Interaktivität im Sinne eines Eingreifens der Zuschauer in dramaturgische Abläufe kaum noch die Rede. Selbst Interaktivität im ganz basalen Sinne, dass beim digitalen Fernsehen zur Bestellung eines Pay-per-view-Films nicht telefoniert werden muss, wird in Deutschland gerade erst Realität. Es lohnt sich also, zur Abschätzung der erwartbaren Entwicklungen einen Blick nach Großbritannien zu werfen, wo das digitale Fernsehen schon weiter entwickelt ist. (F25)
Ende 2000, also nur zwei Jahre nach dem Start digitalen Fernsehens, konnten bereits
26 Prozent der Briten digitales Fernsehen empfangen; seit Juni 1999 ist der Anteil
der Fernsehhaushalte mit Digitalempfang kontinuierlich pro Vierteljahr um drei bis
vier Prozentpunkte angestiegen. (F26)Die Abonnenten digitalen Fernsehens abonnieren meist mindestens ein Pay-TV-Paket; nur drei Prozent gaben an, im digitalen Fernsehen nur Free-TV-Programme zu nutzen. Hauptmotiv für das
Digitalabonnement scheint die größere Kanalauswahl zu sein, während nur jeder
fünfte der Digitalabonnenten die interaktiven Dienste (home-shopping oder e-mail)
nutzt. Das insgesamt populärste interaktive Angebot sind Online-Spiele, vor allem
bei älteren Jugendlichen (das Alter der Befragten war 15 Jahre und älter) und jungen
Erwachsenen. Gründe gegen ein Digitalabonnement liegen der Befragung zufolge
zum einen in mangelndem Interesse an zusätzlichen Fernsehprogrammen und, insbesondere bei einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen, in den Kosten für Geräteausstattung und Abonnementgebühren.
Unter den Abonnenten der beiden Digital-Plattformen Sky Digital und ONdigital
sind jüngere Haushalte und Familien mit Kindern überrepräsentiert. Bei der Nutzung
verschiedener Zusatzdienste stehen Pay-per-view-Filme (23% der Personen in
Digitalhaushalten) und Radioprogramme (17%) im Vordergrund. Es folgen
Computerspiele (14%) und Pay-per-view-Sportübertragungen (11%). Nur jeweils 4%
nehmen an interaktiven Quizshows teil oder nutzen die Gelegenheit zum Online-
Shopping. Online-Banking und –Wetten erreichen mit 2% noch geringere Anteile.
Mehr als die Hälfte aller Digitalfernseh-Nutzer (51%) gibt an, keinen der
Zusatzdienste zu nutzen – ganz offensichtlich steht also für diese Nutzer der Zugang
zu einer größeren Zahl von Fernsehprogrammen mit hoher Bildqualität im Vordergrund.

Diese noch vorherrschende Fernsehorientierung kommt auch in den Fragen nach der
Kenntnis und Nutzung des mit dem Digitalfernsehen verbundenen Online-Zugangs
zum Ausdruck. Nur 42 Prozent der Digitalfernsehnutzer ist überhaupt bewusst, dass
sie die Möglichkeit haben, Online-Dienstleistungen zu nutzen, und nur 7 Prozent
nutzen mindestens ein Online-Angebot – die meisten von ihnen seltener als einmal pro Woche.
In einer weiteren Studie aus Großbritannien wurde das Nutzungsverhalten in Digitalhaushalten (Kabel und Satellit) mit der Nutzung in Haushalten verglichen, die über Kabel analoges Fernsehen empfangen.(F27) Danach wird in den Digitalfernseh-
Haushalten spürbar länger ferngesehen – entsprechende Befunde sind bei der
Einführung technischer Neuerungen in aller Regel zu beobachten: Digitalfernsehen
beschaffen sich diejenigen, die besonders großes Interesse am Fernsehen haben.29
Gut die Hälfte der Zuschauer in Digital-Haushalten geben an, den jeweiligen
Interactive Program Guide (IPG) häufiger zu nutzen als irgendeine andere Quelle für
Programminformationen. Der Studie zufolge sind die Reichweiten der Programmzeitschriften bei den Digital-Abonnenten stark zurückgegangen. Beim
Umgang mit den IPGs stehen die Option für Informationen über ein laufendes
Programm sowie die kanalorientierten Suchfunktionen im Vordergrund.
Demnach scheint das Konzept des „Kanals“ auch im Bereich des Digitalfernsehens vorerst
seinen Stellenwert zu behalten.
Die in Großbritannien realisierten Formen von Interaktivität bestehen zum einen in
dem interaktiven Dienstepaket „Open“ auf der Plattform von Sky Digital. „Open“
bietet Banking- und Shopping-Dienste, multimediale Informationsangebote zu
Fußball und Wetter sowie, unter der Rubrik Entertainment, zu Filmen, Kino und
Musik. Außerdem werden einige Onlinespiele angeboten sowie ein E-Mail-Dienst,
der über die Fernbedienung und eine zusätzliche schnurlose Tastatur bedient werden
kann. Die Bildschirmgestaltung dieser Dienste ist weitgehend dem vom
Fernsehdesign Gewohnten angeglichen, um so die beim Fernsehen normale
Nutzungsdistanz beibehalten zu können. Der E-Mail-Dienst hat sich bereits im ersten
Jahr als sehr erfolgreich herausgestellt, „Open“ hatte im Jahr 2000 schon 750.000
User und war damit fünftgrößter E-Mail-Provider Großbritanniens. (F28)

Die zweite Digital-TV-Plattform Großbritanniens ist ONdigital, die terrestrisch verbreitet wird. Auch diese enthält die genannten interaktiven Dienste, bietet aber anders als „Open“ seit Herbst 2000 einen Internetdienst „ONnet“, der vom Fernseher aus den Zugang zum World Wide Web erlaubt. Auf beiden Plattformen bieten außerdem Fernsehveranstalter verschiedene interaktive Zusatzdienste zu einzelnen Sendungenan.
Die rasante Entwicklung des digitalen Fernsehens in Großbritannien hat sicherlich
zunächst damit zu tun, dass dort viele Haushalte bisher lediglich fünf Programme
empfangen können, so dass das Argument Kanalvielfalt Gewicht hat. Die ersten
Erfahrungen deuten aber an, dass sich im Rahmen des digitalen Fernsehens spätestens dann, wenn eine größere Verbreitung eintritt, auch zahlreiche Partner für die verschiedensten interaktiven Anwendungen finden. Auch der Übergang zur Online-Welt wurde hier – unter fernsehgeprägten Voraussetzungen – bereits vollzogen, mit dem vorläufigen Ergebnis, dass die zusätzlichen Optionen als Ergänzungen des Fernsehens offenbar angenommen werden.






Fußnotenverzeichnis


F1: N.N. (2003): Erstmals Quoten für Digitalfernsehen veröffentlicht,in:
epd medien (2003) Nr 1, S. 18-19
F2:N.N. (2003): Dokumentation: Entwicklung der digitalen Fernsehnutzung,
in: epd medien (2003) Nr 10, S. 26
F3: Thüringer Landesmediengesetz (ThürLMG) in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Rundfunkgesetzes vom 06. Januar 2003 (GVBl. Nr. 01/2003 vom 13. Januar 2003), http://www.tlm.de/downloads/tlmg.pdf
F4: DigitalFernsehen.de News vom 03.03.03: DVB-T: Nur kleine Start-
Pannen in Berlin, http://www.digitalfernsehen.de /News/10394452
67?mid=n4044633078115
F5: Infosat.info News vom 16.02.03: Österreich auf dem Weg zur Digitalisierung des Rundfunks, http://www.digitalportal.de/_inc/ news_print.asp?nachricht_id=8145 Digital TV Group News vom 29.01.03: Media Secretary confirms controversial Austrian DTT strategy, http://www.dtg.org.uk /news/world/-austria_dtt_strategy.htm
F6: Deutsche Telekom: Deutsche Telekom verkauft Kabel-TV-Aktivitäten der verbliebenen sechs Regionen an ein Investorenkonsortium (Pressemiteilung vom 28.01.03), http://www.telekom.de /dtag/presse/artikel/0,1018,x1847,00.html
EU-Kommission: Case No COMP/M.2995 – Apax Europe / Goldman Sachs / Providence / Telekom Cable Merger Procedure (28.02.03), http://europa.eu.int /comm/competition/mergers/cases/decisions/m2995_en.pdf Ish: ish startet durch – mit neuen Eigentümern (Pressemitteilung vom 31.01.03), http://www.ish.de /linebreak4/mod/netpdf/data/Auktion.pdf
DigitalFernsehen.de News vom 25.02.03: Neuer Kabelverband: Kooperation statt Konfrontation, http://www.digitalfernsehen.de/News/1039516463?mid=n6243633083134
F6:Die Homepage des Senders „Euro1080“, http://www.euro1080.tv
F7: 4 Paukens (2000), S. 3, 15.Ebd., S. 63f.
F8: Quelle: IP (2000), European Key Facts
F9: IP (2000): European Key Facts 2000, S. 473ff.
F10: Vgl. Darschin/Kayser (2001), S. 172.
F11 Siehe zum folgenden auch ausführlich Hasebrink u.a. (2001).
F12 Keinath (2000), S. 454.
F13 Eklatant etwa bei Frühschütz (2000); in diesem „Lexikon der Medienökonomie“
F14:Auf die Programmübersichten in den ebenfalls weit verbreiteten „Supplements“, die als kostenlose
Beilagen zu Zeitungen oder auch Zeitschriften vertrieben werden, sowie den Tageszeitungen soll
an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, da sich daraus für die hier zu behandelnde
Thematik kein wesentlich neuer Aspekt ergibt.
F15: IVW, zitiert nach „Medien aktuell“, Jahrgänge 1997 bis 2000.
F16: Interactive Media (1997).
F17: Vgl. Institut für Rundfunktechnik GmbH: www.irt.de, Stichwort Electronic Program Guide und Lesezeichen.
F18: Zimmer (2000), S. 439.
F19: Siehe hier und im folgenden ARD-Projektgruppe Digital (2001), S. 203f.
F20: Siehe auch Schenk u.a. (2001), S. 229.
F21: Darschin/Kayser (2001), S. 162.
F22: Hier und im folgenden siehe Turecek/Grajczyk/Roters (2000).
F23: Der Spiegel: O.V. (1999).
F25: Zimmer (2000).
F26: Continental Research: The Digital TV Satellite and Cable Monitor.
www.continentalresearch.com/reports/cable.htm.
F27: vgl. www.itvreport.com/news/0201/022001ctam.htm.
F28: Entsprechende Befunde berichten für Deutschland Schenk u.a. (2001) und ARD-Projektgruppe Digital (2001). 30 Ebd., S. 440.




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Posewang, Wolfgang: Kommunizierende Röhren. Kabelfernsehen: Wettbewerbspositionen für die Zukunft. – S. 6-9.
Federal Communications Law Journal
Vol 55 (2002) Nr 1

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