Aufgabe ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement)
andreas.mayr2.uni-linz, 23. März 2012, 16:33
Was ist ACTA?
Im Wikipedia-Artikel über ACTA findet sich folgende Erklärung (1):
ACTA ist ein Abkommen, das die in den USA und Europa sowie einigen anderen Ländern vorgefundenen Gemeinsamkeiten der Durchsetzung von Schutzrechten für das geistige Eigentum als Mindeststandards festschreibt, mit der Absicht, diese auch in weiteren Ländern zur Geltung zu bringen. Es soll nach Aussage der EU-Kommission dauerhaftes Wachstum der Weltwirtschaft gewährleisten, gefährliche Produktimitate aus dem Verkehr ziehen und den wissensbasierten europäischen Volkswirtschaften helfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit aufrecht zu erhalten
ACTA bezieht sich somit sowohl auf den Markenschutz von Sachgütern als auch (hauptsächlich) auf den Schutz geistigen Eigentums im Internet. Die Intention hinter dem Abkommen klingt vernünftig. Jedoch ruft die Art und Weise der Umsetzung eine weltweite Protestwelle hervor. Da ich kein Jurist bin und auch das Abkommen selbst nicht gelesen habe, fällt es mir natürlich schwer, eine objektive Stellungnahme zu beziehen, da ich meine Informationen ausschließlich aus den Medien und aus eigener Internetrecherche beziehen kann. Und gerade bei einem hochsensiblen Thema wie diesem ist die Gefahr groß, dass die Quellen subjektiv verzerrt berichten. Trotzdem versuche ich nachfolgend möglichst gut die Fakten vereinfacht darzustellen und meine diesbezügliche Meinung offenzulegen.
Zusammenfassend basiert die Kritik an ACTA auf folgenden Argumenten und Befürchtungen:
- das Abkommen wurde in einer 5 Jahre andauernden Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit erstellt. An diesen Verhandlungen waren nur Lobbyisten der großen Rechteverwerter beteiligt.
- sehr schwammige Formulierungen, die entsprechend interpretiert massive Einschnitte in die Persönlichkeitsrechte vornehmen können
- das Volk wird vor vollendete Tatsachen gestellt und hat keine Möglichkeit, einzugreifen
- massive Einschnitte in die Privatsphäre und den Datenschutz werden befürchtet
- Kriminalisierung unbescholtener Bürger
- als weitere Folge das Ende des freien Internets und Gefährdung der Demokratie
- Übertragung der Verantwortung der Einhaltung von Urheberrechten an die falschen Stellen
- verantwortliche Politiker unterzeichnen das Abkommen, ohne es gelesen zu haben und darüber Bescheid zu wissen
Zusammenfassung aus Experten-Sicht
Im folgenden YouTube-Video fasst der deutsche Rechtsanwalt und IT-Rechtsexperte Christian Solmecke LL.M. das ACTA-Abkommen in verständlicher Form zusammen und erläutert dabei die Kritikpunkte:
Herr Solmecke weist dabei speziell auf einige Passagen mit sehr schwammigen Formulierungen hin und skizziert dabei, wie sich das auswirken könnte. So ist der Begriff des "unmittelbaren kommerziellen Vorteils" bei entsprechender Auslegung so gut wie immer zutreffend. Auch die Pflicht zur Herausgabe von Benutzerdaten ist sehr schwammig formuliert. Interessant ist vor allem auch der Hinweis, dass viele der angesprochenen Dinge bereits im deutschen Recht existieren. Es ist nur unklar, wie weit die ACTA-Forderungen darüber hinaus gehen.
Wirklich beunruhigend für mich ist seine Aussage als Experte: "Geht das möglicherweise weiter als deutsches Recht? Da kann ich nur sagen, auch ich als Jurist weiß es nicht!" Wenn selbst ein Experte sich mangels weiterer Informationen kein genaues Bild über die Sachlage machen kann, dann ist es für mich völlig verantwortungslos, wenn Politiker das Abkommen unterzeichnen, ohne den Inhalt zu verstehen. Das ist aus Prinzip striktestens abzulehnen, weil ein derartiges Handeln große Gefahren birgt.
Herr Solmecke kommt letztendlich auch zum Schluss, dass das Abkommen in dieser Form auf keinen Fall unterzeichnet werden sollte, da noch ein sehr großer Nachbesserungsbedarf besteht.
Auswirkungen von ACTA auf die Gesellschaft
Wie bereits erwähnt sind die Formulierungen sehr schwammig. Da das Abkommen von den Lobbyisten der Rechteverwerter forciert wurde, die bereits in der Vergangenheit lieber zu skrupellosen Rechtsklagen anstatt kreativer Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen gegriffen haben, muss man vom Worst-Case ausgehen.
Internetsperren und Kriminalisierung unbescholtener Bürger
Wesentliche Kritikpunkte sind, dass ACTA bereits beim Verdacht einer Urheberrechtsverletzung greift und dass die Verantwortung der Einhaltung auf die falschen Stellen abgewälzt wird. So könnten z.B. Internet Service Provider für die Urheberrechtsverletzung ihrer Kunden verantwortlich gemacht werden und wären somit zur Überwachung ihrer Kunden gezwungen, um nicht selbst in eine Zwangslage zu geraten. Das klingt zum einen technisch kaum bewältigbar. Zum anderen ergeben sich dann zwangsweise folgende Konsquenzen:
- Eingriffe in die Privatsphäre (Datenschutz!), weil die Provider quasi zur Deep Packet Inspection gezwungen werden
- Verteuerung der Internettarife durch Kostenexplosion bei den Providern
- Internetsperren, wie sie bereits in Frankreich existieren (auch präventiv bei Verdachtsfällen)
Gerade zum Thema Internetsperren kursieren viele Gerüchte. Politiker beschwichtigen gerne, dass es so weit nicht kommen soll. Trotzdem lässt die Interpretation von ACTA das zu. In einem heise onlien Artikel aus dem Jahr 2010 skizziert der kanadische Jurist Michael Geist das als logische Konsequenz. (2)
Generell könnten unbescholtene Bürger wegen Bagatelldelikten und unbewusster Handlungen kriminalisiert werden. Besonders brisant würde es werden, wenn selbst wohlwollende Aktionen, wie das Zitieren von Quellen oder z.B. Bewerben eines Produktes aus eigener Begeisterung heraus in einem Facebook-Post oder Twitter Beitrag bereits eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Oder auch die Aufnahme eines Videos auf einer Privatparty, wo Musik abgespielt wird und anschließenden Post auf YouTube. Das widerspricht völlig dem vernetzenden Web 2.0 Gedanken.
Es löst großes Unbehagen in mir aus, wenn ich nur daran denke, dass womöglich sogar dieser Blog-Post im Rahmen von ACTA eine Urheberrechtsverletzung darstellen könnte. Hätte ich Herrn Someckes Urheberrechte durch die Einbettung seines Videos verletzt? Möglicherweise ja, die Antwort könnte mir vermutlich nicht einmal Herr Solmecke selbst liefern...
Das Ende des freien Internets
Internet ohne Google und Wikipedia? Das ist nicht vorstellbar. Angeblich gibt es nicht wenige Leute, die glauben, Google sei das Internet. Mit ACTA könnten auch Suchmaschinen wie Google für die Inhalte, die sie in den Suchergebnissen präsentieren zur Verantwortung gezogen werden. Zensur von Suchergebnissen wäre die logische Folge. Dienste wie die Bildersuche wären vermutlich nicht mehr zu realisieren.
Die Existenz von Plattformen wie Wikipedia wäre massiv bedroht. Warum sollte sich ein nicht-kommerzieller Betreiber einer Plattform dem Risiko massiver Urheberrechtsklagen aussetzen? Plattformen, die ihrem Inhalt den einzelnen Benutzern verdanken, könnten vermutlich nicht mehr fortgeführt werden. Der selbstregulierende Community-Prozess wäre nicht mehr ausreichend. Zusätzliche Kontrollinstanzen müssten installiert werden und würden die Plattformen unfinanzierbar machen.
Ich teile zwar für gewöhnlich keine Schwarzmalereien à la "das Ende des freien Internets", aber wenn tatsächlich die Falschen zur Verantwortung gezogen werden (ISPs für Kunden, Communitiy-Betreiber für ihre User, etc.) sehe ich tatsächlich ein riesengroßes Problem auf uns zukommen.
ein paar Worte zu den Politikern
Die aktuellen Diskussionen um ACTA streichen ein generelles Problem heraus, das es im Zusammenhang mit der Unterzeichnung von Gesetzestexten und Abkommen gibt: viele Politiker stimmen einfach nach Vorgabe der Parteilinie ab und machen sich selbst nicht die Mühe, die Inhalte zu verstehen, über die sie abstimmen müssen. Es ist freilich kein leichtes Unterfangen, sich als Nichtjurist über umfangreiche und komplexe Gesetztestexte einen Überblick zu verschaffen, aber als gewählte Volksvertretung ist das ihre Aufgabe. Stattdessen gewinnt man leider den Eindruck, dass viele Politiker wie Lemminge ihrer Gruppe bis in den Abgrund folgen und dabei leider nicht nur sich selbst, sondern auch die Menschen, die sie vertreten, mitreißen. (3)
über das Verhalten der Rechteverwerter
Ein Grund, warum ich nicht an das Gute bei ACTA glauben kann, ist, das Verhalten der Musik-, Film- und Videospielindustrie der vergangenen Jahre. Anstatt den technischen Wandel zu akzeptieren und sich neue Geschäftsideen auszudenken, wurde offensichtlich die gesamte kreative Energie dafür verwendet, die eigenen Kunden um aberwitzige, völlig überzogene Geldbeträge zu verklagen. (4)
Stattdessen wurde an veralteten Geschäftsmodellen festgehalten und CD's für 20,- Euro angeboten, bei denen sich der Käufer ohnehin nur für einen Bruchteil der darin enthaltenen Songs interessiert und diese nach dem Kauf selbst in das MP3 Format umwandelt, damit er sie auf seinem tragbaren MP3-Player anhören kann. Warum sollte er also die CD kaufen, wenn er den gleichen Inhalt mit bedeutend weniger Aufwand zum Nulltarif erhält? Vor der Existenz legaler MP3-Shops war es abseits des Mainstreams gar nicht möglich, den Großteil der Musikstücke zu besitzen, wenn man nicht entweder die Schallplatten rechtzeitig ergattern konnte, bevor sie ausverkauft waren, oder aber die Songs als MP3 in Internet-Tauschbörsen heruntergeladen hat.
Mittlerweile hat sich die Lage geändert. Es existieren ernstzunehmende legale Alternativen, an Musik im Internet zu gelangen. Wenn ein einzelnes Musikstück ein perfekter Qualität um wenige Cent käuflich zu erwerben ist, fackelt kaum ein erwerbstätiger Erwachsener rum und sucht stattdessen nach Gratis-Downloads. Schließlich ist auch Zeit = Geld. Jugendliche und Studenten, die viel Zeit, aber wenig Geld haben, werden immer nach Alternativen suchen. Das war früher im Prä-MP3-Zeitalter aber auch nicht anders.
Ich muss auch jedes Mal die Hände über den Kopf zusammenschlagen, wenn ich Berichte über die entgangenen Gewinne der Musik- und Filmindustrie in Folge von Piraterie lese. Bie den veröffentlichten Zahlen wird oftmals davon ausgegangen, dass sich auch jeder Download tatsächlich zu Geld machen ließe, was ein kompletter Unfug ist. Ich bin mir sicher, dass viele der Downloads nicht ein einziges Mal angehört / angesehen werden. Von den verbleibenden besitzt ein Großteil gar nicht die Qualität, tatsächlich gekauft zu werden. Tatsächlich hat jeder Mensch auch nur ein begrenztes Budget für kulturelle Ausgaben zur Verfügung, das er in der Regel aber auch ausgeben wird. So konkurieren sich einerseits Kinobesuche und Musikkäufe, andererseits bestünde auch nicht die Bereitschaft, jedes heruntergeladene Musikstück auch tatsächlich zu kaufen. Lieber würde man darauf verzichten. Dieses Verhalten wurde auch schon in zahlreichen Studien dokumentiert, wie zB. 2009 von Huygen et.al. (5)
In der aktuellen Entwicklung der PC-Spieleindustrie bin ich zwar nicht mehr auf dem Laufenden, aber bereits vor Jahren war auch dort die beunruhigende Entwicklung zu beobachten, dass die Hersteller offensichtlicher mehr Zeit und Geld in die Entwicklung von Kopierschutzmechanismen als in die Spieleentwicklung selbst zu investieren. Was war das Resultat? Nicht nur einmal habe ich zwischen 40,- und 50,- Euro für ein Spiel hingeblättert, das aufgrund zahlreicher Fehler quasi unbenutzbar war. Des öfteren habe ich bereits von Fällen gehört, in denen ein Kopierschutz legal erworbene Original-CDs / DVDs von der Nutzung ausgesperrt hat. Im besten Fall funktioniert das teuer erworbene Spiel, aber der Benutzer muss stets die CD eingelegt haben, während die gecrackten illegalen Downloads sich bequem auch ohne CD/DVD nutzen lassen. Im günstigsten Fall für den Spielehersteller kauft sich ein Benutzer trotzdem das Spiel und knackt dann trotzdem den Kopierschutz, um auch ohne CD spielen zu können. Geht er den leichteren Weg, erspart er sich den Kauf und holt sich gleich eine Raubkopie... (6), (7), (8)
Passend zum Thema habe ich einen aktuellen Artikel gefunden, der berichtet, dass die Künstlereinkommen, insbesondere das der Musiker, in den letzten Jahren deutlich angestiegen sind. "Nie war es einfacher, ohne Verlage oder Labels seine Kunst zu vermarkten. Offensichtlich gelingt dies kleinen Künstlern deutlich besser als den ewig jammernden Major-Labels oder der GEMA, die auch 2011 wieder Umsatzeinbußen hatte" äußert sich dazu Christian Hufgard, Urheberrechtsexperte der Piratenpartei in Deutschland.
Quellen
- Wikipedia: "Anti-Counterfeiting Trade Agreement", Abruf: 2012-03-22
- heise online: "Experte: Internetsperren könnten mit ACTA schleichend zum Standard werden", Abruf: 2012-03-22
- futurezone.at: "Habe ACTA aus Unachtsamkeit unterzeichnet", Abruf: 2012-03-22
- spiegel.de: "1,9 Millionen Dollar Schadenersatz für 24 Songs bei Kazaa", Abruf: 2012-03-22
- A. Huygen et.al.: "Ups and Downs; Economic and Cultural Effects of File Sharing on Music, Film and Games"
- tomshardware.de: "Ubisoft-Drama: 'Die Siedler 7' unspielbar, 'Assassin's Creed 2' offenbar gehackt", Abruf: 2012-03-23
- eurogamer.de: "Gears of War: Fehlerhaftes DRM-System macht PC-Version unspielbar", Abruf: 2012-03-23
- gamersglobal.de: "Ubisoft-DRM: Auch Einzelspielermodi am Dienstag unspielbar", Abruf: 2012-03-23
ulrike.doleschal.uni-linz, 28. März 2012, 15:54
Ich kann dir hier eigentlich nur zustimmen. Ich meine, ich würde gerne sagen, hier wird übertrieben aber so wie ich den Text des Abkommens sehe, kann damit alles oder nichts gemeint sein, was zu massiver Rechtsunsicherheit führt (anstatt wie es sein sollte, zu Rechtssicherheit).
Meine Ausführungen zu ACTA finden sich hier.
Danke
nenad.baotic.uni-linz, 1. April 2012, 00:31
Danke für diese umfangreiche Zusammenfassung (wie widersprüchlich). Stimme großteils zu...