Digital Thoughts @m_goldbeck.

Das Internet und die Diktatur der Nerds

michael.goldbeck.uni-linz, 29. Oktober 2014, 06:47

Eines vorweg: ich entschuldige mich dafür, mich nicht 100%ig an die Aufgabenstellung zu halten. Bei so wesentlichen und weitreichenden Fragen zwischen Schwarz und Weiß zu entscheiden grenzt für mich schon fast an einen Pest-Cholera Vergleich - abstrus, unreflektiert und ethisch bedenklich. Als ein vom Menschen geschaffenes System ist das Internet das, was wir daraus machen; nämlich demokratiefeindlich und -fördernd zu gleich.

 

“Forget antiwar protests, Woodstock, even long hair. The real legacy of the sixties generation is the computer revolution.” Wie recht Stewart Brand damit hat. Und nicht nur, weil es eine schöne Anekdote zu den Anfängen der Informations- und Computertechnologie ist. Denn nur mit einem Blick in die Vergangenheit kann die politische Gewalt des Internets verstanden werden. Wie sehr Stewart Brand mit seinem “Whole Earth Catalogeauf die heutige Compter- und Internettechnologie Einfluss genommen hat, kann durch Steve Jobs Rede an der Universität Standford 2005 gesehen werden. Nicht nur, dass damit der Pathos um Steve Jobs und Apple Produkten skizziert wird, auch gibt das Video einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt der Rohstofferzeuger des 21sten Jahrhunderts.

 

 

 

 

Warum das wichtig ist? Weil mit der Erfindung des Computers die unter dem Deckmantel des gesellschaftlichen Fortschritts durchgeführte allumfassende Individualisierung des Menschen für die breite Masse zugänglich gemacht wurde - auch bekannt als “kalifornische Ideologie. Dieser absolutistischen Form des Individualismus kann man gegenüberstehen wie man will. Doch eines ist klar: offen und frei ist damit unsere moderne Technologie nicht. Denn hinter jeder der neuen “Möglichkeiten” steht nicht nur hoffnungsloser Kapitalismus-Faible, sondern vor allem Hass gegenüber dem Establishment und damit eine politische Ideologie der Zügellosigkeit. Als Gegenkonzept zu zentralen Regierungen und Sozialstaat versteht sich der “personal Computer” als Werkzeug zur Befreiung aus kollektivistischen Gesellschaftsmodellen. Und was mit dem Computer begonnen wurde, konnte durch das Internet perfektioniert werden. Dieses Diktat der Nerds hat auch realpolitische Auswirkungen. Mit immer größeren Sammlungen von personenbezogenen Daten entsteht anstelle des gewünschten gläsernen Staats eher der gläserne Bürger. Das Grundrecht auf Privatsphäre verfällt in eine inhaltslose Floskel, verwaschen durch die Datenmaschinerie von Google und Facebook. Versicherungsleistungen und Gesundheitsdienste werden personalisiert - unbezahlbar für Kranke, nur leistbar für außergewöhnlich gesunde oder außergewöhnlich reiche Menschen - und das auf Basis deiner Augen. Mit Edward Snowden wurde auch klar, dass gerade Geheimdienste sehr kreative Wege gefunden haben, um das Internet zu unseren Schaden zu nutzen. Evgeny Morozov zeigt auf, wie das dann enden kann.

 

 

 

 

Sollte man diese Entwicklung daher verteufeln, sich einen Aluminium-Hut aufsetzen und jegliche Art von Technologie vermeiden? Ich denke nicht. Denn auch wenn utopische Vorstellungen, wie die von Gordon Brown unter “Wiring a web for global good bei TED vorgestellt, noch so entfernt und naiv wirken, kann ein netzpolitischer Optimismus uns alle weiterbringen. Gerade eine umfassende politische Beteiligung kann über das Netz ermöglicht werden. Konzepte wie "liquid Democracy" mögen nicht immer das Gelbe vom Ei sein, doch können online Tools eine Nähe zur Politik erzeugen, die so noch nie erlebt wurde. Und nicht nur Partizipation kann eine Renaissance erleben, auch die Kontrolle der politischen Elite kann durch eine gut vernetzte Blogsphäre sowie eine starke Verbreitung von Open Data forciert und somit PolitikerInnen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Natürlich entstehen durch die allumfassende Integration des Internets in unsere politischen Prozesse auch Nachteile und Probleme. Diese Ungereimtheiten gilt es auszubügeln und der Bevölkerung ein Tool zur Verfügung zu stellen, um ohne viel Aufwand sich am politischen Alltag zu beteiligen.

 

 

Ich persönlich zähle mich zu den träumerischen Utopisten. Ich bin überzeugt, dass Internet-Tools ihren Betrag zur Steigerung hiesiger Demokratie beitragen könnten und - vorrausgesetzt, unsere PolitikerInnen erforschen auch einmal das Neuland - eine neue Art des Entscheidens hervorrufen können. Doch dahin ist es noch ein langer Weg. Erst müssen wir von den Datensammlern und Geheimdiensten unseren Privatsphäre wieder zurückerobern, dann die Netzneutralität gesetzlich verankern sowie europäische Infrastruktur und Netz-Economy aufbauen. Es muss einen kulturellen Wechsel, weg vom Konservatismus des 20sten Jahrhunderts, hin zu einem aufgeschlossenen Umgang mit Technologien, stattfinden. Kinder müssen "Digitales" als Schulfach angeboten bekommen und Syntax kein Fremdwort bleiben. Politische Organisationen müssen sich einem radikalen Wandel unterzeihen, nachdem der/die BürgerIn wieder im Vordergrund steht und mit diesen auch fernab von lange geplannten Storylines und Infoständen auf Augenhöhe kommuniziert wird. Wir müssen unsere Fehler der letzten Jahre rückgängig machen und in Zukunft verhinern. Wie Sascha Lobo es so schön sagt: “Den Irrtum eingestehen, den Schmerz der Kränkung aushalten, denn dieser Tiefpunkt kann nicht, darf nicht das Ende sein. Das Internet ist kaputt, die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht.”


Ist unser Internet demokratisch? NEIN. Es wird von wenigen monopolistischen Konzernen gehalten und weiterentwickelt sowie die Nutzerschaft in einer noch nie dagewesenen Konzentration an ihre Dienste gebunden. Ist unser Internet demokratiefördernd? JA. Denn mit den neuen Diensten gibt man AktivistInnen Werkzeuge in die Hand, um sich selbst zu organisieren. Damit können Diktaturen umgeworfen werden - auch wenn diese noch so einen starken Griff um das neue Medium legen. Und ja, Regierungen werden auch in Zukunft versuchen, dass Internet zu zähmen bzw. für ihre eigene Agenda auszunutzen. Doch wie schon anfangs angemerkt: ein vom Menschen geschaffenes System ist das, was wir daraus machen.

 

PS: Alle Links wurden am 28. Oktober 2014 das letzte Mal aufgerufen.

 

 

7 comments :: Kommentieren

Gedanken...

sophie.schiesser.uni-linz, 2. November 2014, 15:37

Zuerst möchte ich sagen, eine sehr gute Einleitung meines erachtens, denn ich seh das genau so. Es gibt Vor- und Nachteile und sich dabei für eine Seite entscheiden zu müssen, ist sehr schwierig.

Weiters finde ich deinen Beitrag wirklich interessant und bin meist auch dieser Meinung wie zum Beispiel ob das Internet demokratiefördernd ist. Problem wie bei so vielen Themen ist auch hier, es gibt ein "Für" und ein "Wider". Das Internet hat uns sicher viel Erleichterung in Abläufen gebracht oder Aufstände ermöglicht, die längst überfällig waren, aber solange Regierungen eingreifen und der Internetzugriff eingeschränkt wird kann das vorhandene Potential nicht ausgeschöpft werden und eine Unterdrückung weiterhin voranschreiten.

 

Ob die Technik wirklich alles besser macht, bleibt für mich trotz den vielen Vorteilen hin und wieder fraglich...

Verlinken :: Kommentieren

michael.goldbeck.uni-linz, 3. November 2014, 21:42

herzlichen dank! freu mich, wenn mein geschreibe lesbar war :-)

und ich bin ganz bei dir - ob technik wirklich alles besser macht, bleibt zu sehen... aber genau dieses ungewisse macht es zumindest für mich spannend.

Verlinken :: Kommentieren

georg.wurz.uni-linz, 4. November 2014, 00:35

Hey Michael,

ich bin hier auch ganz deiner und Sophies Meinung. Aber ich glaube nicht, dass das Web per se demokratiefördernd ist. Vielmehr denke ich auch, dass es immer daran liegt, was wir daraus machen. Du sagst auch, dass das Internet von Konzernen beherrscht wird. So war bzw. ist das doch bei allen Medien (Zeitungen, TV,...) und obwohl das Web vl. freier ist, wird unsere Gesellschaft meiner Ansicht nach manipuliert.

P.S.: ich hab dich in meinem Beitrag zitiert, hoffe das macht nix?

Verlinken :: Kommentieren

Letzter Absatz trifft es vollkommen ...

nina.schauer.uni-linz, 2. November 2014, 17:08

Lieber Michael,

ich kann nur dem Kommentar von Sophie vollkommend zustimmen! Sie hat in ihrem Kommentar alles erwähnt, was ich auch zu sagen gehabt hätte. Zwinkernd

Ich finde vor allem deinen letzten Absatz sehr treffend und wahnsinnig gut formuliert.

Und wie auch in deinem Beitrag konnte ich mich für keine klare Seite entscheiden. Für mich gibt es auch sehr viele Faktoren die für mehr Demokratie sprechen (wie Informationsbeschaffung, Mitbestimmungsrecht durch Bürgerinitiativen usw.) auch auch welche, die dagegen wirken (z. B. Zensur in vielen Ländern, Nachrichtenabhördienste, ...).

Liebe Grüße

Nina

Verlinken :: Kommentieren

michael.goldbeck.uni-linz, 3. November 2014, 21:44

herzlichen dank für die blumen :-)

hab mich gerade durch die beiträge unserer kollegInnen gelesen - die meisten sind nicht wirklich auf eine antwort a oder b gekommen. freu mich schon auf deinen beitrag!

lg, michael

Verlinken :: Kommentieren

andrea.penz.uni-linz, 3. November 2014, 16:49

Hallo Michael, aus deinem Beitrag kann man so viel rausholen - er regt dazu an, sich gut über das Thema informieren. Man merkt, du hast dir schon einige Gedanken gemacht und wohl schon mal einen sehr praktischen Zugang zur Thematik bekommen. Der letzte Satz: "Ein von Menschen geschaffenes System ist das, was wir darauf machen" deutet die riesen Tragweite unserer Verantwortung bezüglich diesem Thema an und was am Weg zu einer wirklich demokratischen Nutzung des Internets für die Menschheit alles im Weg stehen kann. 

Gut finde ich auch den visionären Ansatz (Stichwort netzpolitischer Optimismus), und dass du betonst, dass der auf jeden Fall legitim ist und vlt. sogar notwendig. Das macht Mut und Hoffnung, für eine gute Sache zu kämpfen!

Verlinken :: Kommentieren

Hut ab!

evelin.mueller.uni-linz, 3. November 2014, 19:37

Vor deinem sorgfältig recherchierten und toll strukturierten Beitrag mit den vielen Quellen, die sich sicherlich auszahlen sie alle zu lesen. Dein leidenschaftlicher Schreibstil bereitet Freude beim Lesen.

Gut, dass du dich selbst als träumerischen Utopisten bezeichnest, denn ich denke der Großteil der Internet-UserInnen beschäftigt sich im Netz nicht mit politischen Fragestellungen. Aber als demokratieförderndes Instrument ist das Web jedenfalls geeignet, da bin ich ganz deiner Meinung. Schade nur, dass sich momentan eher antidemokratische Gruppierungen sehr erfolgreicher des Mediums bedienen. Aber wie heißt ein Sprichwort: "Kluge lernen auch von ihren Feinden". Und du: verliere nie die Hoffnung.

 

Verlinken :: Kommentieren


To prevent spam abuse referrers and backlinks are displayed using client-side JavaScript code. Thus, you should enable the option to execute JavaScript code in your browser. Otherwise you will only see this information.