Digital Thoughts @m_goldbeck.

Privatsphäre, Behavioural Advertisers und Mobiltelefone

michael.goldbeck.uni-linz, 27. Oktober 2015, 07:41

Täglich nutze ich mein Telefon um Nachrichten zu lesen, E-Mails zu beantworten, Termine zu organisieren und verschiedenste online Kanäle zu verwalten. Gelegentlich telefoniere ich auch damit. Ein durchschnittlicher Smartphone-User nutzt sein Telefon 3 Stunden und 16 Minuten am Tag [Q1] - der weltweite mobile Datenfluss erhöht sich laut Gartner im Jahr 2015 um 59 Prozent [Q2]. Man könnte sich jetzt fragen, was daran so besonders wäre - mit einer kurzen Antwort: Behavioural Advertising.

 

In der zweiteiligen Studie “Profiling the Mobile Customer – Privacy Concerns When Behavioural Advertisers Target Mobile Phones” schreiben Nancy King und Pernille Wegner Jessen über die gängige Praxis der Erstellung von Nutzer-Profilen anhand der Analyse von Smartphone-Nutzung. Lediglich das Öffnen einer App ermöglicht es Datenanalysten schon, durch die Auswertung von riesigen Datenmengen Schlussfolgerungen über uns als Personen zu ziehen. Somit lassen sich Werbung, aber auch Preise perfekt auf Nutzungsgewohnheiten beziehen - und damit der Werbewert bzw. der Unternehmensgewinn maximieren. Viele Smartphone-Nutzer; mich als “Heavy-User” eingeschlossen; bedenken nicht, dass jede Aktion am Mobiltelefon ausgewertet werden kann und wird - ich habe mich daher für diese Studie entschieden, da sie meines Erachtens nach sehr gut zeigt, wie inflationär wir mit den eigenen Daten umgehen und Unternehmen damit Gewinn schöpfen versuchen.

 

Profiling the Mobile Customer

Nancy King und Pernille Wegner Jessen sehen in der immer weiter wachsenden Maße an Informationen eine der größten Herausforderungen des Informationzeitalters; die Auswahl der relevanten Informationen scheint wichtiger als die Suche nach mehr Daten zu werden [Q3]. Der automatische Prozess Ordnung in diese Daten zu bringen, Informationen einem Profil zuzuweisen um persönliche Präferenzen, Verhaltensweisen und Einstellungen analysieren zu können, wird als “Profiling” verstanden.

 

Profiling ist eine Computerunterstütze Methode, die anhand von massenhaften Daten und mathematischen Korrelationen; unter Berücksichtigung einer selbstinduzierten Fehlerrate; Wahrscheinlichkeiten zwischen den analysierten Informationen evaluiert.

 

Ermöglicht wurde die Auswertung von Datensätzen mit mehreren Milliarden Einträgen durch den Fortschritt von Computer Technologien. Laut Hildebrandt wird Profiling - also die Strukturierung der Daten anhand personifizierter Profile - durch Maschinen mit Software ermöglicht, die darauf trainiert wurden, unerwartete Zusammenhänge aus massenhaften Daten in Datenbanken zu filtern [Q4]; ganz ohne menschliche Intervention. Die Software macht aber nicht nur Abfragen anhand bekannter und damit vordefinierter Muster, sondern versucht neues Wissen aus den Daten zu heben.

 

Gerade im Bereich des Marketings werden diese Konsumentenprofile stark genutzt: mit neuen Möglichkeiten der Segmentierung, können Kunden durch direktes Marketing besser angesprochen werden, womit auch die Preisgebung auf die Bedürfnisse der Kunden optimal angepasst werden kann - mit dem Resultat einer perfekten Preisdiskriminierung. King und Jessen beschreiben zwei wesentliche Profiteure von Profiling:

 

  1. Das Unternehmen: bessere Marktsegementierung, bessere Analyse von Risiken und Betrug, Individualisierung der Produkte/Services an den Kunden und die Fähigkeit, das Angebot schnell an die Nachfrage anzupassen.

  2. Die Kunden: bessere User-Experience sowie relevantere Dienste und Informationen - die zu günstigeren Diensten, Inhalten und Anwendungen führen.

 

Mit der weiten Verbreitung von mobilen Diensten z.B. auf Smartphones, haben Behavioural Advertisers noch mehr die Möglichkeit, ihr Werbenachrichten zu personalisieren sowie zu lokalisieren [Q5]. Weil mobile Geräte nur selten von mehreren Personen geteilt werden - wie z.B. früher bei Desktop Computern - sind diese Geräte laut E. Cleff “persönlicher”. Die Analyse von Nutzungsdaten geht soweit, dass diese zur Optimierung von Marketingstrategien in Echtzeit genutzt werden kann. Eingespielt werden diese Daten oft in “Ad-Exchange-Systeme”; diese weitreichende Ökosysteme des Online Marketings sowie Datenaustausches bringen Offline-Informationen, Internet Profiling und Daten-Drittanbieter zusammen - meist ohne das Wissen oder Zustimmung der Nutzer [Q0].

 

MOBILE LUMAscape from Terence Kawaja

 

Studien haben ergeben, dass Konsumenten den Umgang mit persönlichen Daten von online Dienstleistern durchaus kritisch gegenüber stehen. Sie wünschen sich mehr Kontrolle über die Sammlung und Nutzung von persönlichen Informationen; es mangelt aber oft an Wissen über die Praktiken des Datensammelns sowie an den Datenschutzbestimmungen [Q6]. Nach King und Jessen gibt es vor allem zwei Bedenken der Konsumenten:

 

  1. Datenschutz: Bei der Nutzung des Internets lassen Konsumenten sehr viele Daten zurück - seien es Browserhistorie, Kaufgewohnheiten, demografische Daten oder persönliche Daten wie Name, Adresse oder Telefonnummer. Mit Mobiltelefonen hat sich das Daten-Ausmaß noch wesentlich erhöht. Zu jeder Zeit kann der geografische Standort sowie die physikalische Bewegung abgefragt werden, es gibt Nachrichtenregister und Anruflisten, Kontaktbücher, Bilder und Videos. All diese Informationen lassen sich automatisiert durch Computer zu Profilen zusammenfassen - fortwährend im Hintergrund zusammengesetzt, wenn der Nutzer die verschiedensten Dienste nutzt.

  2. Persönliche Autonomie und Freiheit: Da Profiling Praktiken für gewöhnlich nicht auf personenbezogene Daten angewiesen sind, sind die existierenden Datenschutzbestimmungen nicht anwendbar. Da aus der Analyse vieler Daten aber durchaus Schlüsse auf Privatpersonen gezogen werden können, halten die Autorinnen fest, dass es Limits für Marketers geben könnte, um die Profiling Möglichkeiten einzugrenzen; z.B., wenn Profiling die persönliche Autonomität oder Freiheit des Konsumenten eingrenzt [Q7]. Auch bei der Asymmetrie beim Zugang zu Wissen zwischen Konsumenten und Marketers könnte eingeschritten werden: Konsumenten wird beim Profiling unterstellt in einer gewissen Art und Weise zu reagieren und zu handeln - “unaware of the profiles that are applied to her . . . may be induced to act in ways she would not have chosen otherwise” [Q0]. Profiling kann auch Konsumentenprofile hervorheben, die historisch gesehen oft Gegenstand von Diskriminierung waren - so könnten politische Anschauung, religiöser Glaube oder Sexualität gegen des Konsumentens Willen aufkommen.



King und Jessen halten fest, dass Regionen, die eine starke Handelspartnerschaft verfolgen - wie z.B. die USA und die EU - auch legislativ einen gemeinsamen Weg einschlagen sollten. Beide, die USA und die EU, haben im Bereich des E-Commerce legislative Regelungen zu Gunsten der Konsumenten geschnürt. Die Autorinnen halten aber fest, dass es in Bezug auf den Datenschutz von Konsumenten in der EU ein robusteres regulatives Fundament gibt.

 

 

Auch wenn es in den USA und der EU Konsumentenschutzbestimmungen gibt, die vor unfairen bzw. irreführenden Praktiken schützen, erklären die Autorinnen, dass vor allem im Business-Bereich die Legislatur in Bezug auf Privatsphäre und Datenschutz bei Profiling und “Behavioural Advertising” Lücken aufweist. In der EU gibt es einige Initiativen diese Lücken zu schließen - namentlich mit der “Draft Recommendation on Profiling” des Europarats - doch die Prozesse zur Umsetzung sind lange. Es wird daher vorgeschlagen, auch verfügbare Privatsphäre-fördernde Technologien einzusetzen, um die Privatsphäre Lücken zu schließen. Sollte es aber zu keiner Selbstregulierung der Branche kommen, so die Autorinnen, so sollte ein Mix aus neuer Legislatur, neuer Technologie und selbstregulierenden Elementen angestrebt werden.

 

Kritik am vorliegenden Text

Das Paper von King und Jessen zeigt sehr gut auf, wie die stark vernetzte Datenwelt durch “behavioural advertising” Praktiken sehr gutes Geld verdient - und durch die immer größer werdenden Datenbanken immer genauere Ergebnisse erzeugt. Der Aufbau des Papers und die Definitionen der Begrifflichkeiten sind sehr gut, daher empfehle ich es auch sehr als Einstiegslektüre zum Thema. Auch wenn die Aufteilung in zweit Teile nicht ganz nachvollziehbar ist, wird der Zusammenhang zwischen Profiling, Behavioural Advertising und Privatsphäre kaum so klar und präzise definiert, wie in diesem Text.

 

Der exzessive Teil über rechtliche Zusammenhänge zwischen europäischer und US-amerikanischer Rechtssprechung ist zwar sehr gut herausgearbeitet, hat aber durch die Schnelllebigkeit und Veränderungsgeschwindigkeit in diesem Bereich heute wenig aussagekraft. Da der Artikel aus dem Jahr 2010 ist, hat sich sehr viel verändert: aus progressiven Vorschlägen zur Verbesserung der Datenschutzsituation in Europa, wurden die Vorschläge für das neue Datenschutzpaket stark verwässert - eine Änderung des Status Quo von “Profiling” scheint nicht bevorzustehen. Auch der Fokus auf die Bedeutung von Mobilgeräte in der Thematik wurde meiner Meinung nach zu wenig herausgearbeitet; es gibt sehr gute Beispiele - wie z.B. von der "Electronic Frontier Foundation" im Beitrag "The Problem with Mobile Phones" angeführt - für Überwachungsanwendungen, seien diese kommerzieller oder sicherheitsstaatlicher Natur.




 

[Q0] King, N. J., & Jessen, P. W. (2010). Profiling the mobile customer – Privacy Concerns When Behavioural Advertisers Target Mobile Phones – Part I. Computer Law and Security Review, 26(6), 595-612. doi:10.1016/j.clsr.2010.09.007, Verfügbar auf: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0267364910001044

 


 

[Q1] Woollaston, V. (2014). How often do YOU look at your phone? The average user now picks up their device more than 1,500 times a week, http://www.dailymail.co.uk/sciencetech/article-2783677/How-YOU-look-phone-The-average-user-picks-device-1-500-times-day.html, Zuletzt aufgerufen am 24.10.2015.

[Q2] Stamford, C. (2015). Gartner Forecasts 59 Percent Mobile Data Growth Worldwide in 2015, http://www.gartner.com/newsroom/id/3098617, Zuletzt aufgerufen am 24.10.2015.

[Q3] Hildebrandt, M. and Gutwirth, S. (2008). Profiling the European Citizen, Cross-Disciplinary Perspectives, Springer, p.1.

[Q4] Hildebrandt, M., (2007). Profiling into the Future: An Assessment of Profiling Technologies in the Context of Ambient Intelligence, 1 FIDIS Journal of Identity in the Information Society 5 , http://www.fidis.net/fileadmin/journal/issues/1-2007/Profiling_into_the_future.pdf, Zuletzt aufgerufen am 24.10.2015.

[Q5] Cleff, E. (2009). Mobile Advertising: Proposals for Adequate Disclosure and Consent Mechanisms, PhD Dissertation, Aarhus School of Business, Aarhus University, Aarhus, Denmark, pp. 30-31.

[Q6] Gomez et al. (2009). ‘KnowPrivacy Report,’ U.C. Berkeley School of Information, p. 5.

[Q7] Wim Schreurs et al. (2005). ‘Legal Issues: Report on the Actual and Possible Profiling Techniques in the Field of Ambient Intelligence,’ FIDIS deliverable 7.3, p. 49, http://www.fidis.net/resources/deliverables/profiling/d73-report-on-actual-and-possible-profiling-techniques-in-the- field-of-ambient-intelligence/doc/26/, Zuletzt aufgerufen am 24.10.2015.

 

 

1 comment :: Kommentieren

irene.loeffler.uni-linz, 27. Oktober 2015, 13:53

Der Artikel enthält sehr spannende Fakten in Bezug auf Konsumentendaten und was alles damit gemacht werden kann. Der Ansatz des Profilings findet sich auch in meinem Artikel wieder, welcher die Thematik des Behavioral Targeting auffasst. Auch hier gilt es die User in bestimmte Typologien einzuteilen, um anschließend den (potentiellen) Kunden personalisierte Entscheidungshilfen anbieten zu können. 

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