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Sonntag, 25. Januar 2004
Schwierigkeiten bei Videokonferenzen
Habe einen interessanten Beitrag einer Kollegin (Sonja Portenkirchner) zum Thema:

Warum ergeben sich bei Videokonferenzen Schwierigkeiten beim impliziten turn-taking? Welche turn-taking-Mechanismen werden bei Videokonferenzen eingesetzt?

... gefunden. Passt thematisch sehr gut zu dieser Lehrveranstaltung.

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Warum ergeben sich bei Videokonferenzen Schwierigkeiten beim impliziten turn-taking? Welche turn-taking-Mechanismen werden bei Videokonferenzen eingesetzt?

Die Kommunikation über Videokonferenz unterliegt gewissen Einschränkungen. Die Schwierigkeiten und Hindernisse sind dabei auf interaktionsspezifischen Mängel, die teilweise technologisch bedingt sind, zurückzuführen. Im folgenden möchte ich einführend bestimmte Problembereiche kurz darstellen und anschließend näher auf die Ursachen der Schwierigkeiten eingehen. Abschließend sollen einige Lösungsmöglichkeiten präsentiert werden.


1 Probleme

• Backchannels
Darunter versteht man Rückmeldungen auf das Gesprochene, z.B. durch Worte, Kopfnicken oder Augenbewegungen. Untersuchungen bestätigen, dass in Videokonferenzen weniger sogenannte Backchannels als in Face-to-face-Situationen auftreten.

• Unterbrechungen
Hierbei handelt es sich um Unterbrechungen durch Personen, die ohne Grund dem aktuellen Sprecher ins Wort fallen. Störungen dieser Art kommen nicht nur bei Videokonferenzen sondern auch bei Präsenzveranstaltungen vor.

• Überlappungen
Überlappungen sind ebenfalls eine Art von Unterbrechung, allerdings gibt es hier einen triftigen Grund dafür.


Subtypen von Überlappungen:

- Projection / Completion
Der nächste Sprecher „hilft“, damit das Gespräch vorankommt oder versucht, den Sprecher zu vervollständigen.

- Floorholding
Der Sprecher versucht die Redezeit z.B. durch Selbstwiederholungen oder Wortwiederholungen („so ... so“) zu halten.

- Gleichzeitige Starts
Zwei oder mehr Sprecher wollen gleichzeitig das Wort ergreifen.


2 Ursachen

Fehlender Blickkontakt

Einem Sprecher ist es nicht möglich, sich mithilfe von nonverbalen Signalen an bestimmte Personen zu richten, wie es in der direkten Kommunikation üblich ist: Ein Diskussionsteilnehmer wendet sich an Vertreter der Gegenmeinung, eine Antwort richtet sich an den Fragenden etc. In der direkten Kommunikation wird der Hauptadressat durch vermehrten Blickkontakt aufmerksam gemacht. Da in einer Videokonferenz die Bilder einer Kamera nur vervielfältigt und an alle Teilnehmer identisch übermittelt werden, können die Teilnehmer einander zwar sehen, aber keinen Blickkontakt zueinander aufnehmen. Verstärkt wird dieses Problem durch die Tatsache, dass Bildschirm und Kamera in der Regel räumlich voneinander getrennt sind. Das heißt, dass der Teilnehmer an einer Videokonferenz entweder auf den Bildschirm (z.B. auf das Videobild seines Adressaten) oder in die Kamera sehen kann (um seinen Zuhörern den Eindruck zu vermitteln, er schaue sie an).

Blickkontakt ist ein nonverbales Mittel zur Aufmerksamkeitssteuerung des Zuhörers. Es ist anzunehmen, dass fehlender Blickkontakt zur Nivellierung der Relevanzunterschiede der kommunizierten Aussagen führen kann. Möglicherweise ist das einer der Gründe für die immer wieder berichteten Konzentrationsprobleme der Teilnehmer und die vergleichsweise geringe Interaktivität und Partizipation in medienvermittelter Lehrveranstaltungen. Außerdem ist der Blickkontakt zwischen zwei Menschen auch ein persönlicher Kontakt. Der Wegfall dieser Möglichkeit der persönlichen Kontaktaufnahme kann zu einer erhöhten persönlichen Distanz zwischen den Teilnehmern führen.

In der computervermittelten Kommunikation ergeben sich verschiedenste Probleme, die es erschweren, den notwendigen sozialen Halt aufzubauen. Durch CMC wird die Motivation zur Bildung sozialer Positionen und Gefüge z.B in sogenannten Learning Communities stark reduziert, da etwaige Hierarchien und deren Unterschiede weniger offensichtlich sind. Dementsprechend werden beispielsweise Führungsrollen nicht so deutlich, wodurch in netzbasierten E-learning-Szenarien die Wahrung sozialer Normen gegenüber Lehrenden oder Tutoren als weniger verbindlich aufgefasst werden.

Blickkontakt ist nur eine der vielen Möglichkeiten nonverbaler Kommunikation. Weitere körpersprachliche Signale wie Mimik, Gestik und Haltung basieren auf Bewegungen, deren Wahrnehmung vor allem durch technisch bedingte Engpässe des visuellen Übertragungskanals behindert werden.

Probleme bei der Identifikation des Sprechers
Einem Zuhörer ist es daher auch schwer möglich zu erkennen, wem er eigentlich zuhört – es sei denn, er erkennt alle Teilnehmer an ihrer Stimme. In einer Präsenzsituation lässt sich der Sprecher einerseits durch räumliches Hören akustisch orten und andererseits auch visuell anhand der Bewegungen seines Körpers und seines Gesichts identifizieren. In einer Videokonferenz hingegen, erschweren geringe Bildwiederholfrequenzen und ein oft kleiner Bildausschnitt die Wahrnehmung dieser körpersprachlichen Signale, auch akustische Ortung ist meist nicht möglich. Diese Probleme können sich im besonderen bei Gruppendiskussionen negativ auswirken. Wenn z.B. die Wortbeiträge eines Teilnehmers nicht mit seinen früheren Äußerungen in Zusammenhang gebracht werden können, werden seine Argumente möglicherweise unverstanden bleiben. Um die Identifizierung des Sprechers zu gewährleisten, bedarf es also zusätzlicher technischer und/oder organisatorischer Mittel.

Die Zuordnung nonverbaler Botschaften zu verbalen Nachrichten kann durch die mangelnde Synchronisation von Video- und Audiokanal, wodurch die Videosignale den Zuhörer später erreichen als die Audiosignale, erheblich erschwert werden. So hinken z.B. die Lippenbewegungen des Sprechers der akustischen Übermittlung fast immer hinterher.

Werden beide Informationskanäle, also visuelle und auditive, zeitlich verzögert übermittelt (Delay), beeinträchtigt dies ein koordiniertes Abwechseln der Sprecher. In einer Videokonferenz kann es z.B. vorkommen, dass ein Sprecher A eine etwas längere Redepause bereits beendet hat und längst weiterspricht, während zur gleichen Zeit ein weiterer Teilnehmer B die Pause als Ende des Redebeitrages deutet und somit selbst beginnt zu sprechen, da die Information, dass Sprecher A schon weiterspricht, Sprecher B erst verspätet erreicht. So kommt es zu Überschneidungen der Wortbeiträge, wobei es bei Gruppendiskussionen durchaus passieren kann, dass sich die Beiträge mehrerer Teilnehmer überlappen.

Mangelndes Feedback

Nonverbale Signale, wie Nicken oder Stirn runzeln, dienen dem Sprecher als Feedback. Durch diese sogenannten Backchanneling-Mechanismen kann er Anhaltspunkte gewinnen, ob ihm die anderen Teilnehmer überhaupt zuhören, ihn in der von ihm beabsichtigten Weise interpretieren und seinen inhaltlichen Aussagen zustimmen. Solche Feedback-Signale sind für einen Kursleiter besonders wichtig. Ohne sie bleiben der aktuelle Aufmerksamkeitsgrad, das Verständnis des Gesagten, Zustimmung, Kritik und generell die Bedürfnisse und Wünsche der Teilnehmer unklar. Bei Videokonferenzen ist es dem Kursleiter bei mehreren Teilnehmern nicht zuletzt aufgrund von Größe, Auflösung und Ausschnitt des Videobildes schwer möglich, sämtliche Feedback-Signale wahrzunehmen, um so die Situation den Erfordernissen entsprechend gestalten zu können, wie das in einer Präsenzsituation realisierbar wäre.


3 Lösungen

Aufgrund der oben beschriebenen Probleme, die sich hauptsächlich aus der mangelhaften und unbefriedigenden Möglichkeit der Übertragung von nonverbalen Signalen (die den Ablauf der Interaktion in der Gruppenkommunikation wesentlich koordinieren und steuern) bei Videokonferenzen ergeben, empfiehlt es sich, vor allem bei größeren Teilnehmerzahlen, explizite Turn-Taking-Mechanismen anzuwenden:


• Explizite Übergabe der Sprecher
Der aktuelle Sprecher übergibt das Wort an den nächsten Sprecher, z.B. durch das Stellen von Fragen, durch die Verwendung von Ausdrücken wie z.B. „isn´t it“ (Tagging) oder das Benennen des nächsten Sprechers.

• Koordination durch Moderator
Das turn-taking kann in einer Gruppendiskussion explizit durch einen Moderator gesteuert werden. Insgesamt wird dadurch jedoch die Spontanität von Diskussionen sehr eingeschränkt. Die Teilnehmer müssen im Vergleich zur Präsenzsituation wesentlich disziplinierter sein.

• Anmeldung

• Feste Reihenfolge

Außerdem ist es denkbar, parallel dazu einen Textchat einzusetzen bzw. die Interaktion zusätzlich lautstärke- oder zeichenbasiert zu steuern.

Abschließend kann festgehalten werden, dass sich Videokonferenzen eher für Informationsaustausch als für Kommunikation mit häufigem Sprecherwechsel eignen und somit für kollaborative Lehr- bzw. Lernzwecke nur eingeschränkt eingesetzt werden können (mehr vorlesungsähnlich). Die Ergänzung des Audiokanals durch die Übertragung von Videobildern macht die Kommunikation also qualitativ nicht vergleichbar mit der einer Präsenzsituation (Face-to-face).

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