Privat! - Kontrollierte Freiheit in einer vernetzten Welt
Montag, 26. Januar 2004
Allgegenwart und Verschwinden des Computers
Mit der weiter zunehmenden Miniaturisierung der Computertechnologie werden in absehbarer Zukunft Prozessoren und kleinste Sensoren in immer mehr Alltagsgegenstände integriert werden, wobei die traditionellen Ein- und Ausgabemedien von PCs, wie etwa Maus, Tastatur oder Bildschirm verschwinden und wir stattdessen mit unseren Kleidern, Armbanduhren oder Möbeln kommunizieren und diese wiederum mit den Gegenständen anderer Personen.
Vor mehr als zehn Jahren hatte bereits Mark Weiser, seinerzeit Forscher am Xerox Palo Alto Research Center, diese Entwicklung vorausgesehen und in seinem einflussreichen Aufsatz „The computer for the 21st century“ beschrieben. Weiser prägte damals den Begriff des „Ubiquitous Computing“, des allgegenwärtigen Computers, der dem Menschen im Alltag und im Beruf unsichtbar und unaufdringlich im Hintergrund dient, mit der Zielsetzung, ihn bei seinen Arbeiten und Tätigkeiten zu unterstützen bzw. ihn von lästigen Routineaufgaben weitestgehend zu befreien.
Neueste technologische Entwicklungen in der drahtlosen Mobilkommunikation und Sensortechnik, sowie Positionierungssysteme und drahtlose Identifikationssysteme in Millimetergröße erlauben Forschern in Entwicklungslaboren bereits die Verwirklichung von Weisers Utopie im Rahmen zahlreicher Prototypen.
Auch das kommerzielle Interesse an diesen Technologien verstärkt sich. Nachdem sich die an Mobile- Commerce geknüpften Erwartungen zunächst nicht erfüllen konnten, sucht die Industrie neue Möglichkeiten die jüngsten, hohen Investitionen im Telekommunikationssektor gewinnbringend zu vermarkten. „Smarte Geräte“, die dem Benutzer „überall und jederzeit“ Zugang zu relevanten Informationen ermöglichen, konnten hier den lang ersehnten Konsumschub bringen.
Mit in Kleidung eingenähten Ortsensoren und Kommunikationsmodulen kann selbst im größten Gedränge kein Kind mehr abhanden kommen. Auch im Umweltschutz könnten solche kommunizierenden Kleinstcomputer wertvolle Arbeit leisten, zum Beispiel als planktongroße Sensoren im Meer, die Fischschwärme verfolgen oder tektonische Bewegungen registrieren.
Faszinierend ist auch die Möglichkeit, beliebige Informationen virtuell mit Alltagsgegenständen zu verknüpfen, sie ihnen quasi anzuheften, wie zum Beispiel eine Gebrauchsanleitung, die der Backofen in Sekundenschnelle aus dem Internet nachlädt und auf den Drucker zu Hause ausgibt.
Nicht nur Verfechter einer konsequenten Technikfolgeabschätzung ahnen, dass mit technischen Entwicklungen, die weitgehend unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit vorangetrieben werden und sich dann fast schlagartig in unserem Alltag ausbreiten, bereits früh Standards für unser aller Leben gesetzt werden, deren Folgen kaum abzusehen sind.


Technologietrends

Nicht nur die Mikroelektronik trägt zur Allgegenwart und zum gleichzeitigen Verschwinden der Computers bei. Aus dem Bereich der Materialwissenschaft kommen Entwicklungen, die den Computern der Zukunft eine gänzlich andere Form geben können oder sogar dafür sorgen, dass Computer auch äußerlich nicht mehr als solche wahrgenommen werden, weil sie vollständig mit der Umgebung verschmelzen.
Immer wichtiger werden auch Ergebnisse der Mikrosystemtechnik und Nanotechnik. Sie führen beispielsweise zu kleinsten Sensoren, welche unterschiedlichste Parameter der Umwelt aufnehmen können.
Große Fortschritte werden auch auf dem Gebiet der drahtlosen Kommunikation erzielt. Interessant sind vor allem neuere Kommunikationstechniken im Nahbereich, die sehr wenig Energie benötigen und im Vergleich zu heutigen Handys viel kleinere und billigere Bauformen ermöglichen. Derartige Kommunikationsmodule haben derzeit etwa das Volumen einer halben Streichholzschachtel. Durch weitere Integration wird demnächst eine noch deutlich geringere Baugröße erzielt werden; der Preis liegt bei wenigen Euro und dürfte schnell weiter fallen. Ebenso intensiv wird an verbesserten Möglichkeiten zur Positionsbestimmung mobiler Objekte gearbeitet. Neben der Erhöhung der Genauigkeit (derzeit ca. 10 Meter bei GPS- System) besteht das Ziel vor allem in einer Verkleinerung der Geräte. Module zur Ortsbestimmung werden schon bald nur noch etwa die Größe von Kreditkarten haben.
Fasst man die genannten Techniktrends und Entwicklungen zusammen- kleinste und preiswerte Prozessoren mit integrierten Sensoren und drahtloser Kommunikationsfähigkeit, Anheften von Informationen an Alltagsgegenstände, Fernidentifikation von Dingen, präzise Lokalisierung von Gegenständen etc.-, so wird deutlich, dass damit die technischen Grundlagen für eine skurril anmutende Welt gegeben sind: Alltagsdinge, die sich in gewisser Weise „smart“ verhalten und mit denen wir unter Umständen sogar kommunizieren können.

Doch wie werden wir „smarte Dinge“ in unserem täglichen Leben verwenden? Wann sollte man diese an- bzw. abschalten? Was dürfen smarte Dinge hören, sehen und spüren? Und wem dürfen sie davon erzählen?
Eine der vordringlichsten Fragen ist dabei der Datenschutz. Dies hängt sicherlich mit den heute bereits sehr realen Problemen durch den zunehmenden Einsatz kommerzieller Datenbanken zusammen, welche einen Großteil unseres Lebens in Form digitaler Transaktionen speichern.


Privacy und Ubiquitous Computing

Der englische Ausdruck Privacy vermag in vielen Fällen weitaus passender, als das deutsche Wort Datenschutz die relevanten Probleme im Zusammenhang mit Privatheit und Privatsphäre zu beschreiben. Die wohl bekannteste Definition von Privacy kommt von Samuel D. Warren und Louis D. Brandeis, die dies bereits 1890 als „the right to be left alone“ bezeichneten. Eine andere Definition stammt von Alan Westin, der Privacy als „the claim of individuals (...) to determine for themselves, when, how and to what extendinformation about them is communicated to others“ beschrieb.


Beweggründe für den Schutz von Privacy in heutigen Gesetzen und Normen
(nach Beate Rössler)
  • Privacy als Ermächtigung: Betrachtet man als Ziel des persönlichen Datenschutzes primär die informationelle Selbstbestimmung, so motiviert sich Privacy als ein Kontrollinstrument zur Steuerung der Bekanntgabe und Verbreitung von persönlichen Daten.
  • Privacy als Nützlichkeit: Vom Standpunkt des Betroffenen aus gesehen kann Privacy auch als ein Schutz vor Ärgernissen, beispielsweise Telefonmarketing oder Spam- E- Mails, gesehen werden.
  • Privacy als Würde: Würde kann als „Haltung, die durch das Bewusstsein vom eigenen Wert oder von einer geachteten Stellung bestimmt wird“ bezeichnet werden.
  • Privacy als Regulativ: Sowohl Gesetzt als auch soziale Normen und Moralvorstellungen im Bereich von Privacy können als eine Möglichkeit zur Beschränkung der Macht einer entscheidungsbefugten Elite motiviert werden. Indem die Informationsbeschaffung auf einem bestimmten Gebiet erschwert wird, können Verbrechen und amoralisches Verhalten, die sich auf diese Art von Information beziehen, nicht mehr effektiv kontrolliert werden.
  • Je nachdem, welche der obigen Motivationen man als Rechtfertigung für den Schutz der individuellen Privacy zugrunde legt, kann Ubiquitous Computing die Reichweite und Auswirkungen heutiger Datenschutzmechanismen grundlegend verändern und dadurch in Zukunft substantiell andere soziale Landschaften schaffen.
    Der Grund für solch nachhaltige Auswirkungen von Ubiquitous Computing auf Privacy liegt im Einfluss dieser Technologien auf zwei der grundlegendsten Entwurfsparameter des modernen Datenschutzes: den Möglichkeiten, zur Überwachung von Personen, sowie deren Handlungen und den Möglichkeiten zur Informationsgewinnung durch qualifizierte Suche in großen, vernetzten Datenbeständen.


    Grenzenloses Überwachen

    Das bewusste Beobachten der Handlungen und Gewohnheiten von Mitmenschen ist wohl so alt, wie die Menschheit selbst. Doch mit dem Einsetzen der automatisierten Datenverarbeitung begannen Maschinen die Rolle der neugierigen Nachbarn zu übernehmen, allerdings mit einem wichtigen Unterschied: Nicht mehr nur die Abweichungen vom Alltäglichen wurden erfasst, sondern vielmehr das Alltägliche selbst wurde Gegenstand der Beobachtung.
    Nach Gery T. Marx, Professor für Soziologie am MIT, schaffen solche umfassenden Beobachtungstechnologien neue Möglichkeiten für Grenzüberschreitungen. Marx unterscheidet dabei vier verschiedene solcher Grenzüberschreitungen, welche die Grundlage für die Verletzung unserer Privatsphäre darstellen:
  • Natürliche Grenzen:
  • Physische Grenzen der Beobachtbarkeit, wie zum Beispiel Wände und Türen, Dunkelheit, Kleidung, aber auch zugeklebte Briefe oder Telefongespräche.
  • Soziale Grenzen:
  • Erwartungen bezüglich der Vertraulichkeit bestimmter sozialer Gruppen, wie beispielsweise Familienmitgliedern, Ärzten oder Anwälten. Dies schließt ebenfalls die Erwartungen ein, dass Kollegen keine nicht an sie adressierten Faxnachrichten lesen oder in am Kopierer liegengelassenem Material stöbern.
  • Räumliche oder zeitliche Grenzen:
  • Die Erwartungen von Menschen, dass Teile ihres Lebens voneinander getrennt existieren können, sowohl zeitlich wie auch räumlich.
  • Grenzen flüchtiger Situationen:
  • Von einem im Affekt gesagten Satz oder einer unreflektierten Handlung hoffen wir, dass beides möglichst schnell vergessen wird. Entsprechendes gilt auch für alte Bilder oder Fotos, die wir in den Müll geben. Sieht man später Videoaufnahmen solcher Momente oder beobachtet man jemanden, wie er unseren Abfall durchsucht, werden unsere Erwartungen bezüglich des Vergessens oder Nichtbeachtens dieser Momente verletzt.

    Der flächendeckende Einsatz von Ubiquitous Computing wird mit großer Wahrscheinlichkeit die Möglichkeiten für solche die Privatsphäre verletzende Grenzüberschreitungen in unserem täglichen Leben vergrößern. Ob es schlussendlich jedoch wirklich zu solchen Grenzüberschreitungen kommt, wird sehr stark davon abhängen, welche Möglichkeiten zur Informationssuche die eingesetzten Ubiquitous- Computing- Systeme anbieten.


    Gesellschaftliche Herausforderungen

    Aus unserem heutigen Leben sind Computer nicht mehr wegzudenken. Werden nun allmählich mehr und mehr Gegenstände und Umgebungen mit Ubiquitous- Computing- Technologie ausgerüstet, so steigt auch der Grad unserer Abhängigkeit von der korrekten und zuverlässigen Funktionsweise dieser Technologie. Während im heutigen Alltag noch meistens die Möglichkeit besteht, selbst über den Gebrauch von neuen Computertechnologien zu entscheiden, so könnte es in einer weitgehend computerisierten Zukunft möglich sein, sich derartigen technologieinduzierten Abhängigkeiten nicht mehr entziehen zu können.
    Deshalb ist der Wunsch nach Zuverlässigkeit der eingesetzten Technologien umso berechtigter. Darüber hinaus lassen sich, unter Berücksichtigung der bisher betrachteten Szenarien und Folgen des Ubiquitous- Computing, noch weitere wesentliche Herausforderungen an zukünftige Ubiquitous- Computing- Systeme zu identifizieren, die sich mit der Delegation von Kontrolle sowie gesellschaftlichen Kompatibilität befassen.


    Schöne neue Welt?

    Der Einsatz von Ubiquitous- Computing- Systemen in der realen Welt wird in vielen Fällen Auswirkungen haben, welche über die offensichtlichen, technologischen Folgen weit hinaus gehen. Ob es sich nun um den Schutz persönlicher Daten, Implikationen für die Makroökonomie oder die soziale Akzeptanz handelt- Entwickler von Ubiquitous- Computing- Systemen können viel von einer sorgfältigen Evaluation der Folgen solch einer Technologie im Rahmen etablierter Konzepte aus der Soziologie, der Ökonomie und den Rechtswissenschaften profitieren.

    So schwierig Vorhersagen über die Zukunft oft auch sind, so lässt die vorherige Diskussion doch einige der möglichen Implikationen eines großflächigen Einsatzes von Ubiquiotous- Computing erahnen:
    Soziale Werte und Beweggründe verändern sich; persönliche Grenzen werden durch neuartige Überwachungs- und Suchtechnologien verletzt; neue Gesellschaftsmodelle erhöhen Profite, möglicherweise aber auf Kosten der Sicherheit; das politische und wirtschaftliche Machtgefüge verschiebt sich; die wirtschaftliche Entwicklung wird beschleunigt und beginnt, unsere gesellschaftlichen Werte nachhaltig zu verändern; und nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass wir das Vertrauen in unsere Umwelt verlieren und so grundlegend unsere Einstellung zu der uns umgebenden Welt ändern.

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    www.heise.de (newsticker), 18. Jänner 2004 www.intern.de,...
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