Virtuelle Identität

christoph.strutzenberger.uni-linz, 19. November 2015, 10:41

Während wir in der realen Welt stets mit einem Namen und einem Gesicht verbunden sind, können wir unsere virtuelle Online-Identität beliebig wechseln und gestalten. Anonymität an sich ist ein wesentlicher Bestandteil des Internets und ermöglicht beispielsweise offenere Diskussionen oder sichere Transaktionen, sie birgt aber auch ihre Schattenseiten. Hacker, Kriminelle oder Terroristen können sich unter dem Deckmantel der Anonymität verstecken oder mithilfe verschlüsselter anonymer Botschaften sogar tragische Angriffe wie den Vorfall in Paris letzten Freitag planen. Ein alltäglicheres Beispiel ist das sogenannte Cyber-Mobbing bei dem - wie beim “gewöhnlichen” Mobbing - eine Gruppe oder ein Einzelner wiederholt gegen ein Opfer aggressiv handelt. [Petermann & von Marées 2013] beschreiben in ihrem Artikel Formen des Cyber-Mobbings und untersuchen seine Risikofaktoren und Auswirkungen. Sie versuchen auch Möglichkeiten zur Prävention aufzuzeigen und gehen auf verschiedene Sensibilisierungsmaßnahmen ein.

 

Zusammenfassung

Zu Beginn stellen die Autoren das Konzept des Cyber-Mobbings kurz vor und versuchen es weiter einzugrenzen, da keine eindeutige Definition existiert - lediglich die oben erwähnte Analogie zum klassichen Mobbing. Dabei werden drei wesentliche Aspekte besonders hervorgehoben:

  • Machtungleichgewicht

  • Hilflosigkeit

  • Anonymität

 

Die Opfer von Cyber Mobbing erfahren ein wesentliches Machtungleichgewicht, im Artikel wird dafür ein Beispiel mit einem Fake-Profil und damit verbundenen peinlichen Fotos erwähnt. Als Opfer ist man hier quasi entmachtet, man kann zwar die Löschung beantragen, der Schaden ist jedoch meist angerichtet. In weiterer Folge ist man der Verbreitung hilflos ausgeliefert. Als dritten wichtigen Punkt erwähnen die Autoren Anonymität. Diese kann nicht nur die Hemmschwelle von Tätern senken, sie verstärkt auch die Hilflosigkeit der Opfer, wenn sie konkret nicht wissen von wem sie gemobbt werden. Neben einer Senkung der Hemmschwelle können Täter auch zu Äußerungen oder Handlungen verleitet sein, die sie in persönlichem Kontakt unterlassen würden.

Cyber-Mobbing hat viele Gesichter, im Artikel wird die Klassifikation von Willard 2007 als Überblick herangezogen, welche in sieben Kategorien unterteilt ist:

Flaming

boshafte / anstößige / bedrohliche Aussagen

Belästigung  (Harassment)

längerfristige Belästigung, Wiederholungscharakter (z.B. Hassmails)

Cyberstalking

konsistente längerfristige Belästigung, mit Gewaltandrohung

Verunglimpfung (Denigration)

Veröffentlichung / Versand gehässiger bzw. unwahrer Inhalte

Betrügerisches Auftreten 

Übernahme der Online-Identität, Versand von beleidigendem oder beschämendem Material

Verrat (Trickery)

Entlocken privater Information mit anschließender Veröffentlichung

Ausschluss (Exclusion)

absichtliches Nicht-Einbeziehen oder nachträglicher Ausschluss aus Gruppen

Hierzu wird noch erwähnt, dass diese etwas ältere Klassifikation nur einen groben Überblick darstellt, da stets neue Formen des Cyber-Mobbings auftreten und die gängigen auch stark variieren können, z.B. zwischen direkt und indirekt oder anonym bzw. öffentlich.

 

Anschließend werden Prävalenzzahlen verganger Studien analysiert, welche großteils aktuell sind, die meisten stammen aus den Jahren 2010-2012. Dabei konnte keine Zunahme in den letzten Jahren festgestellt werden, es wird daher davon ausgegangen, dass die bereits gesetzten Präventionsmaßnahmen zumindest zu einer Stagnation führen. Die Autoren empfehlen eine größere Längsschnittstudie über mehrere Länder zur genaueren Untersuchung.

Ein interessanten Aspekt wird im Artikel hervorgehoben, dass ein klarer Zusammenhang zwischen klassischem Mobbing und Cyber-Mobbing besteht, welcher durch mehrere Studien untermauert wird. Teilnehmer an konventionellem Mobbing nehmen bei Cyber-Mobbing mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder die selbe Rolle ein, d.h. Täter bleiben Täter und Opfer bleiben Opfer. Hier ist anzumerken, dass dies nur für verbales Mobbing gilt.

In jüngerer Zeit werden auch Risikofaktoren untersucht, welche zu Cyber-Mobbing führen können, diese sollen hier nur kurz angeführt werden:

  • vorangehende Opfferrolle in der Schule

  • geringe soziale Fähigkeiten

  • latente Aggression bzw. billigende Haltung gegenüber Aggression

  • geringe Empathie

Auswirkungen & Prävention

Die Auswirkungen von Cyber-Mobbing lassen sich ähnlich wie beim traditionellen Mobbing beschreiben die Opfer erleiden oft große psychische bzw. seelische Schäden, dies geht von Hilflosigkeit und Vertrauensverlust über ein vermindertes Selbstwertgefühl bis hin zu psychosomatischen Erscheinungen und erhöhter Suizidrate.

Laut den Autoren dauert Cyber-Mobbing oft wesentlich kürzer an als konventionelles, es hat jedoch ein genauso großes Schädigungspotenzial. Neben dem Zeitfaktor spielt die Anonymität des Internets eine Rolle, welche wie oben beschrieben die negativen Folgen zusätzlichverstärken kann. Cyber Mobbing wird als komplexes Konstrukt beschrieben, welches auf keinen Fall als klassisches Mobbing “hinter die Bildschirme gerückt” gesehen werden darf.

 

Abschließen stellt der Artikel mögliche Präventionsmaßnahmen bzw. -strategien vor, über welche hier noch ein kurzer Überblick gegeben werden soll. Im Artikel wird eine generelle Aufnahme des Themas in Lehrpläne empfohlen und zeigen beispielhaft Komponenten eines Präventionsprogramms vor:

  • Digitale Kompetenzen, Sensibilisierung

    • kritische Reflexion der Mediennutzung

    • stärkere Sicherheitsmaßnahmen für das OnlineVerhalten

    • Schulungen für Lehrkräfte und Erzieher

    • Aufnahme des Themas „Mobbing“ in den schulischen Lehrplan

    • Bereitstellung von Informationen für die Eltern

    • Aufklärungsprogramme wie etwa „Surf Fair“ (Pieschl & Porsch, 2012) •

    • Wissensaustausch zwischen den Kindern/Jugendlichen, den Eltern, Lehrkräften und Erziehern

    • Möglichkeit offener Diskussionen

  • Ansprechpartner

    • Schaffung einer Vertrauensbasis, um im Fall eines Cyber-Mobbing-Vorfalls leichter und früher Ansprechpartner zu finden

  • Sozial-emotionale Kompetenzen

    • Förderung sozialer und emotionaler Fähigkeiten

    • Gesundheitserziehung



Fazit & eigene Meinung

Dieser Artikel bietet einen sehr detaillierten Einblick in das Thema Cyber-Mobbing. Es wird sehr viel Literatur referenziert, die Aussagen sind dementsprechend wissenschaftlich gut untermauert und liefern interessante Erkenntnisse. Die einzige Kritik geht an die Klassifikation der Mobbing-Arten von Willard, ich finde die Abgrenzung zwischen Flaming, Harassment und Cyberstalking ist sehr schwammig gezogen. Flaming ist ein sehr allgemeiner Begriff und muss meiner Meinung nicht gleich Mobbing sein, während ich bei cyberstalking - analog zum normalen stalking - auch einen Geschlechterbezug sehe, der im Artikel nicht wirklich erwähnt wird.

Den Bezug zum Thema sehe ich insbesondere an der Schnittstelle Anonymität, ich bin selbst ein großer Verfechter von Datenschutz und Anonymität, darum habe ich bewusst diesen Artikel gewählt, um wie eingangs erwähnt auch die Schattenseiten davon zu beleuchten.

 

Quelle:

[Petermann & von Marées 2013] Petermann F., von Marées N.: Cyber Mobbing - Eine Bestandsaufnahme, in “Kindheit und Entwicklung”, 22(3), S. 145-154, Hogrefe Verlag Göttingen, 2013

2 comments :: Kommentieren

michael.goldbeck.uni-linz, 18. November 2015, 08:01

Hallo Christoph,

ich finde das Thema “Cyber Mobbing” auch in Anbetracht meines Themas interessant. Ich habe in meinem Beitrag über 4chan geschrieben, einem Image-Board, dass es Nutzern erlaubt völlig Anonym zu kommunizieren. In dem von mir behandelten Paper halten die Autoren fest, dass der Umgangston durchaus rau, sexistisch, rassistisch und diskriminierend ist - Eigenschaften, die meiner Meinung nach auch durchaus auf Mobbing zutreffen. Ich selbst treibe mich gerne auf Reddit und 4chan herum und habe so ziemlich jede der von dir angeführten Klassifikationen von Willard erlebt (bin passiver Nutzer, lese also nur mit).

Ob wir die Ausnutzung von Anonymität zum Schaden anderer verhindern können, ohne dabei die persönlichen Freiheitsrechte zu beschneiden - puh, darauf habe ich leider keine Antwort. Genau so wie du bin ich ein Verfechter von Datenschutz und Anonymität, wie wir diese Herausforderung meistern können, ist mir aber noch schleierhaft. Prävention wird sicherlich im Zentrum stehen, wie wirksam dieses Mittel gerade bei Pubertierenden ist, kann ich nur schwer einschätzen. Wie denkst du?

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Cybermobbing wird strafbar

michael.kaufmann.uni-linz, 19. November 2015, 08:24

Hallo Christoph!

Das Thema Cybermobbing wird meiner Meinung von den meisten noch immer unterschätzt. Gerade pubertierende Jugendliche sind meiner Meinung nach gefährdet, die "Waffe" Internet zu verwenden um den nicht gut gesonnenen Klassenkollegen mithilfe von Cybermobbing zu verletzen und zu beschimpfen.

Darum ist in Österreich Cybermobbing auch zum Strafbestand erklärt worden, was sich absolut richtig finde.

Hier der Presse Online Artikel von Juni diesen Jahres:

http://diepresse.com/home/techscience/internet/4751284/Cybermobbing-wird-in-Osterreich-zum-Straftatbestand-

In meinem Blogbeitrag geht es diesmal um die Spielbranche.

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