Artikel Überwachung und Selbstüberwachung im Netz: Das Web als digitales Panoptikum?
stefan.hochhold.uni-linz, 5. Jänner 2016, 17:19
Überwachung und Selbstüberwachung im Netz.
Das Web als digitales Panoptikum?
Abstract
Zunehmend drängen sich staatliche Behörden und digitale Global Player wie zB. Google oder Facebook in den Alltag und erforschen das Online-Verhalten von Menschen. Immer mehr wissen sie über Ihre Userschaft. Anhand des Panoptikums – einem architektonischen Entwurf aus dem 18. Jahrhundert, gedacht zur Überwachung von Gefängnisinsassen und Fabrikarbeiter – wird versucht Analogien zum Status Quo der Webnutzung zu ziehen und etwaige Ansätze zur Verhaltensveränderung aufgrund von (un-)sichtbarer Überwachung im Kontext von Macht zu liefern.
1. Das Panoptikum
Ein Gebäude, ringförmig angeordnet. Im Zentrum steht ein Überwachungsturm, welcher von einzelnen Zelleinheiten umgeben ist. Der Beobachtungsbereich bleibt dunkel, während der Rest der Anstalt stets ausgeleuchtet bleibt. Der englische Philosoph und Jurist Jermy Bentham entwicklete 1787 ein neues architektonisches Konzept eines Überwachungskörpers: Das sogenannte Panoptikum.
Ziel dieser Konstruktion war es, alle Aktivitäten von Haftinsassen oder Farbrikarbeitern zu überwachen, ohne dass die Beobachtungssubjekte sicherstellen konnten, ob sie tatsächlich beobachtet werden. Doch die theoretische Möglichkeit für Inspektion und darauffolgender Sanktion bestand zu jedem Zeitpunkt. Um etwaige Bestrafungen zu vermeiden, änderten die Überwachten automatisch ihr Verhalten und disziplinierten sich selbst (vgl. Brignall, 2002). Demnach galt diese Erfindung als ein utilitaristisches – also an Nützlichkeit, Effizienz und Produktivität orientiertes – Objekt um ein regelkonformes Verhalten von Menschen sicherzustellen bzw. abweichendes Verhalten zu vermeiden.
2. Überwachung und Macht
In einem seiner berühmtesten Werke „Discipline and Punish“ widmete sich der französische Philosoph Michel Foucault der Idee des Panoptikums und identifizierte eben dieses Ideensystem als Symbol für das Ordnungsprinzip in westlich-liberalen Gesellschaften (vgl. Foucault, 1975). Denn der hauptsächliche Effekt des Panoptikums ist die bewusste und permanente Sichtbarkeit der (eigentlich unsichtbaren) Überwachung, die daraufhin das automatische Funktionieren von Macht sicherstellt (Vgl. Foucault, 1975).
Was Foucault später als „Biopower“ bezeichnet, beschreibt den Einfluss politischer Macht auf die Bevölkerung. Es geht dabei darum, jeden Aspekt menschlichen Lebens – einschließlich aus den Bereichen Gesundheit und Sexualität – als Humanressource zu fassen und diesen zu regulieren bzw. zu perfektionieren. Daher geht die Idee des Panoptikums über Aspekte einer Bestrafung Krimineller oder ein Verhindern von Protest oder Devianz hinaus. Ferner entsteht durch ständige Überwachung einerseits eine individuelle Selbstdisziplinierung der Bevölkerung, andererseits erfolgt im nächsten Schritt die Regulierung der Bevölkerung durch Machteliten und steht so im Zeichen von wirtschaftspolitischen Interessen (vgl. Möller, 2006: S. 2770 ff.).
3. Machtentfaltung im panoptischen Szenario
Nach dem System des Panoptikums kann man fünf wesentliche Merkmale des panoptischen Szenarios festhalten: (vgl. Betz, 2010: S. 11)
• Sichtbarkeit:
Es bestehen Sichtbarkeiten, jedoch mit einer Asymmetrie zwischen Wächter und Insassen. Denn während Wächter Insassen beobachten, sind die Wächter für die Insassen nicht zu sehen.
• Individualisierung:
Durch die einzelnen Einheiten sind die Insassen kein bedrohliches Kollektiv. Die Architektur schafft also eine Situation der Vereinzelung.
• Internalisierung:
Es kommt zur Verinnerlichung des permanenten Überwachungspotentials.
• Anonymität:
Es ist nicht essentiell, wer die Gefangenen überwacht. Der Machthaber ist die anonyme Überwachungsmaschinerie.
• Automatisierung, Effizienz und Effektivität:
Wie schon in Abschnitt 2 angesprochen, kommt es zur Automatisierung der Vorgänge. Dabei sorgen Effizienz und Effektivität als grundlegende Eckpfeiler.
4. Panoptikum und das Internet
Ausgehend von diesen Überlegungen wird nun versucht die Überwachungsmechanismen eines Panoptikums anhand der modernen Phänomene im digitale Zeitalter zu beschreiben. Gibt es durch das Web mit seinen virtuellen Gemeinschaften, Suchmaschinen und Datensammlern Parallelen zu Foucaults Begriff des Panoptikums? Google, Social Networks, Polizei, NSA: Immer öfter wollen Unternehmen, Behörden und Geheimdienste wissen, wer im Internet was tut. Aus Nachrichtenbeiträgen über Enthüllungen (NSA, Edward Snowden, etc.) weiß die Userschaft über die laufende Überwachung von Verhalten und Infrastruktur im Kontext des Nutzers bescheid. Die regelmäßige Verwendung von Web-Diensten sei nach ExpertInnen „eine Daten-Goldgrube für Internet-Überwacher“ (Aigner, 2013).
Aber ist der Vergleich zulässig? Befinden wir uns in einer Phase des Post-Panoptikums? Einiges deutet darauf hin, wie zum Beispiel Jäckel postuliert: Das Prinzip des Panoptikums findet Analogien in den modernen Formen der Kommunikation „(…) bei denen man nie vollständig sicher sein kann, wer private Informationen wann liest - und ob nicht bspw. ein technischer Algorithmus Sachverhalte in Zusammenhang zu bringen und Konsequenzen zu ziehen vermag, die der Nutzer unmöglich antizipieren kann.“ (Jäckel, 2011: S. 299) Weiters unterstreicht Jäckel die Existenz der Überwachung durch Unternehmen: „Companies like America Online, Prodigy, and Microsoft Online openly admit to monitoring their users’ communications in an effort to protect their customers“ (Jäckel, 2011: S. 299). Man spricht nicht nur von einer Überwachungsgesellschaft, sie wird sogar als solche (im Kontext mit Social-Media-Websites) erforscht (vgl. Fuchs, 2015)
Mit der folgenden grafischen Darstellung sollte ein zusätzlicher Versuch unternommen werden, um eine mögliche Analogie zu beschreiben und etwaige Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Anhand der Phänomene des architektonischen (physikalischen) Konstrukts von Bentham mit der Interpretation Foucaults (vgl. Merkmale aus aus Abschnitt 3) werden die einzelnen Parameter in ihren Ausformungen gegenübergestellt.
5. Conclusio & Ausblick
Mit der ursprünglichen Idee eines Panoptikums durch Bentham und der darauffolgenden Kritik Foucaults folgten gesellschafts- macht- und systemkritische Anmerkungen (ua. durch Richard Sennett zur modernen Architektur von Arbeitsplätzen) Wurde bzw. wird mit dem digitalen Wandeln nun eine neue Phase und Dimension einer Disziplinarmacht erreicht?
Bringall liefert weitere Ansätze in diese Richtung: „A purely economic Internet panopticon model, with no illusions of controlling the world in any other way but economically, is still an efficient mechanism for social control as a consumer-based simulacrum of social interactions. The ability to choose what is marketed and sold (based on the majority of consumer desires) limits individuals of real choice by only allowing them a certain amount of decisions based on the demographic make up of the masses“ (Brignall, 2002: S. 17 ff.)
Die aufgezeigten Parallelen aus der neueren Literatur sind nicht von der Hand zu weisen. Doch es geht vielleicht sogar noch einen Schritt weiter. Denn die Userschaft und somit die BürgerInnen beginnen sich selbst zu überwachen und zu reglementieren. Bei „Internet-Eyes“ etwa bespitzeln Menschen via Web(cam) andere Menschen und ahnden wahrgenommene Verstöße gegen Bezahlung (Dax, 2010). Dies geschieht auf bewusster Ebene in Verbindung mit Bezahlung.
Doch sind die Konsequenzen hinsichtlich einer Verhaltensänderung und Anpassung aufgrund der unsichtbaren Überwachung via Web weitgehend unerforscht und bieten demnach ein spannendes Feld der künftigen Online-Forschung. Indizien und Ansätze für eine ungleiche Entwicklung in der Beziehung zwischen BürgerInnen und Machthabern sind erkennbar und könnten auch Thema einer künstlerischen Auseinandersetzung darstellen.
Literatur:
Aigner, Florian (2013): „Schutz vor Internet-Überwachung ist kaum möglich“
http://www.tuwien.ac.at/aktuelles/news_detail/article/8327 (05.01.2015)
Betz, Friedrich (2010): Surveillance Studies. https://cewebs.cs.univie.ac.at/inf-ges/ws12/index.php?m=F&t=skriptum&c=afile&CEWebS_what=Skripten&CEWebS_rev=9&CEWebS_file=5_Surveillance~32~Studies.pdf (05.01.2016)
Brignall (2002): The New Panopticon- The Internet Viewed as a Structure of
Social Control. Tennessee Tech University. http://unpan1.un.org/intradoc/groups/public/documents/apcity/unpan003570.pdf (05.01.2016)
Dax, Patrick (2010): „Internet Eyes: Bürger bespitzeln Bürger“ http://futurezone.at/produkte/internet-eyes-buerger-bespitzeln-buerger/24.562.352 (05.01.2016)
Foucault, Michel (1975): Discipline & Punish: The Birth of the Prison. http://foucault.info/doc/documents/disciplineandpunish/foucault-disciplineandpunish-panopticism-html (05.01.2016)
Fuchs, Christian (2015): Überwachung auf Facebook und Co – NutzerInnen wissen wenig. https://scilog.fwf.ac.at/kultur-gesellschaft/2797/ueberwachung-auf-facebook-und-co-nutzerinnen-wissen-wenig (05.01.2016)
Jäckel, Michael (2011): Medienwirkungen. Ein Studienbuch zur Einführung. 5., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Springer Fachmedien, Wiesbaden.
Möller, Torger (2006): Disziplinierung und Regulierung widerständiger Körper : zum Wechselverhältnis von Disziplinarmacht und Biomacht. In: Rehberg, Karl-Siegbert (Ed.) ; Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) (Ed.): Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2. Frankfurt am Main : Campus Verl., 2008
O‘Farrell, Clare (2007): Key concepts of Michel Foucault. http://www.michel-foucault.com/concepts/ (05.01.2016)
stefan.hochhold.uni-linz, 6. Jänner 2016, 22:39
Eine weitere Gegenüberstellung: Panoptikum und Social Media Plattformen. zB. Facebook – um nur einige zu nennen ;)
http://mastersofmedia.hum.uva.nl/2012/10/19/captives-of-the-social-facebook-and-digital-pantopticism/