Netzneutralität
Freitag, 17. Juni 2011
"Das Ende der Ladenhüter"

Durch den Beitrag der letzten LV angeregt, möchte ich mein fünftes Statement dem Thema "The Long Tail" widmen.

Die Grundzüge und -gedanken zum Thema wurden bereits im Beitrag von Hr. Mittendorfer besprochen, ich möchte sie jedoch nochmals kurz zusammenfassen.

  • "The Long Tail" als Art wirtschaftskulturelle Theorie
  • erste Gedanken und Veröffentlichung dazu auf der Plattform WIRED
  • physikalische Begrenzungen nötigen wirtschaftlich orientierte Unternehmen dazu, hauptsächlich jene Produkte anzubieten, die den größten Absatz und somit den größten Profit versprechen (Stichwort: HITS)
  • dadurch bedingte Ausrichtung des Wirtschaftssystems auf das Erkennen von Hits und das Sortieren & Entfernen von weniger gut verkäuflichen Produkten

  • Veränderung im digitalen Zeitalter bzw. durch das Internet:
    (virtueller) Verkaufsraum kostet bedeutend weniger Geld als in realen Geschäften
  • somit wird die Bereitstellung von weniger gut verkäuflichen Produkten (die ein beträchtliches Ausmaß annehmen) rentabel
  • Lagerkosten, Bereitstellungkosten und laufende Kosten sind so gering, dass der Profit beim Verkauf einiger weniger Produkte noch immer rentabel erscheint

(vgl. Oetting 2006: o.S.)

Ein sehr gutes Zitat bzw. eine sehr gute Beschreibung der Veränderung, die das Internet bewirkt hat stammt von Martin Oetting aus dem Jahr 2006.

Was ändert sich nun durch das Internet? Die entscheidende Veränderung ist, dass Verkaufsraum plötzlich kaum noch Geld kostet, oder zumindest sehr viel weniger. Bei digitalen Produkten ist das ganz leicht zu verstehen - es kostet für iTunes kaum zusätzliches Geld, noch einen weiteren Song (oder 100 weitere Songs!) ins Repertoire aufzunehmen. Das bißchen Serverplatz ist mittlerweile spottbillig geworden. Wenn ein stationärer Plattenladen, der schon voll ausgelastet ist, noch 10 weitere CDs ins Angebot aufnehmen will, muss er, im Extremfall, anbauen. Das wird in den seltensten Fällen passieren. Also sortiert er aus und nimmt nur noch... genau: die Hits. Aber auch bei physischen Produkten gilt diese Veränderung zu einem gewissen Grad. Es ist für Amazon deutlich leichter, eine neue Warengattung einzuführen als für ein stationäres Warenhaus. Unter anderem, weil Amazon die Waren gar nicht bei sich selber im Lager horten muss, sondern die meisten Dinge in Kommission verkauft. D.h. andere übernehmen die Lagerkosten. Noch extremer bei Ebay: Das Unternehmen lagert überhaupt nichts selbst, kann also prinzipiell alles verkaufen. Und tut das ja auch.

(Oettinger 2006: o.S.)

Die Möglichkeiten des Internets eröffnen, unter Berücksichtigung des Long Tail-Ansatzes also ganz neue Verkaufsmöglichkeiten. Durch den Wegfall der hohen Lager- und Bereitstellungkosten werden, wie bereits ausführlich beschrieben, neue Möglichkeiten geschaffen, bis dato unrentable Produkte in das Sortiment aufnehmen zu können.

Das Prinzip des Long Tail lässt sich sehr gut visualisieren:

Beispiel des Long Tail (Musik)

(Quelle: http://www.webascender.com/Blog/ID/27/The-Long-Tail--Marketing-Strategy / 17.06.11)

Diese Grafik stellt (exemplarisch an Musik visualisiert) sehr gut dar, dass die Spanne an möglichen Produkten von den sog. "Hits", also stark nachgefragten Produkten (in diesem Fall Justin Timberlake) über bedingt nachgefragte Produkte bis hin zu schwach nachgefragten Produkten, in diesem Fall Cuban Jazz, reicht. Die Verkäufe, und somit auch der Profit, sind jedoch zu einem Großteil im Bereich der Hits angesiedelt.Wie schon erwähnt ist es daher klassischen Läden selten, und wenn, nur mit geringem Profit, möglich gewesen, Nieschenprodukte zu platzieren und diese zu verkaufen.

Die Möglichkeiten, die das Long Tail-Prinzip ermöglicht, macht der Autor des gleichnamigen Artikels Chris Anderson in einem Video deutlich:

Chris Anderson führte mit iTunes, Amazon und weitern namhaften und großen Anbietern Gespräche über deren Produktvielfalt und den Willen der Menschen, diese Produkte zu kaufen. Das Resultat mag überraschen, doch wurden von all den angebotenen Produkten (die im digitalen Zeitalter (so gut wie) keine Kosten für Lagerung und Bereitstellung verursachen) gut 90 Prozent bereits mindestens einmal verkauft. Das mag sich unspektakulär anhören, doch sollte man nie vergessen, dass der so entstandene Profit ohne die Bereitstellung des Nieschenprodukts nicht entstanden wäre.

Natürlich ist die Bereitstellung nicht gratis, doch der Verkauf von Millionen Songs beispielsweise zu jeweils 99 cent bringt einen enormen Profit. Dass diese Songs auch nachgefragt werden, obwohl sie nicht zu den Hits zählen, belegt das Interview von Anderson mit Amazon und iTunes. Auch trägt sein Buch den Untertitel "How Endless Choice is Creating Unlimited Demand." und weißt damit auch darauf hin, dass durch die reine Existenz des Angebots (vermutlich mit einer Verzögerung) auf dem Markt eine Nachfrage nach diesen Produkten entsteht (vgl. Oetting 2006: o.S.).

 

Die Auswirkungen des Social Webs auf die damaligen Ladenhüter

Früher war ein Ladenhüter ein Produkt, das niemand wollte, da es niemand kannte.

Heute gibt es quasi keine Ladenhüter mehr. Jedes Produkt findet einen Interessenten (den Praxisbeweis dafür erbringt eBay jeden Tag). Doch was bei eBay immernoch innerhalb Special-Interest-Gruppen gehandelt wird, wird durch die Möglichkeiten des Social Webs in die Welt hinausgetragen. Wer ein Produkt auf Amazon kauft und dieses für besonders toll oder mitteilenswert hält, postet oftmals seinen Einkauf auf einer der diversen Social Media Plattformen wie beispielsweise facebook.

Praxisbeispiel:

Ein WDA-Absolvent mit dem ich befreundet bin postet heute vormittag auf facebook, dass der Postbote ihm gerade 2 neue Bücher über Corporate Publishing und Graphic Design geliefert hatte. Dazu packte er noch ein Handyfoto und eine kurze, erste Beurteilung des Inhalts der Bücher. Unter dem Bild und der Beschreibung entstand binnen weniger Minuten eine rege Diskussion und nach einiger weiterer Recherche habe ich nun auch eines der Bücher geordert.

 

Diese Komponente ist natürlich nichts völlig neues, doch verbreiten sich diese Beurteilungen nicht nur über facebook in dem geschlossenen Kreis seiner Freunde, sondern auch auf Amazon oder anderen Plattformen können Bewertungen hinterlassen werden, die zum Kaufanreiz oder, im Worst Case, als Warnung vor dem Produkt dienen.

Fazit

Persönlich denke ich, dass die Möglichkeiten des Long Tails eine Bereicherung für die Gesellschaft sind - immerhin stellen sie eine Möglichkeit dar, aus dem allgemeinen "Trott" auszureißen. Durch soziale Medien wird dieser Effekt meiner Meinung auf die Spitze getrieben; Sharing und Liking führen zu mehr Popularität von zuvor womöglich unterbewerteten Produkten. Im Idealfall kann das zu einem Hype um das Produkt führen, der zu enormen Absatzzahlen und somit Profit für Vertrieb und Hersteller führt. Allgemein lässt sich sagen: das Internet und der Long Tail führten und führen zu einer enormen Steigerung der Produktvielfalt am Markt und beschneiden zudem die Macht der Opinionleader in gewissem Maße.

Literaturliste:

Ötting, Markus (2006): The Long Tail. Die Killer Application des Web 2.0 ist Mundpropaganda. Online unter: http://www.trendmile.com/Blog/optimierung/the-long-tail/ (17.06.11)

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