Transparenz & Virtuelle Identitaet Individuelle Privatsphäre und kollektive Transparenz

carolin barbara andrea.angermayr.uni-linz, 21. Oktober 2014, 21:36

The NHS Information Revolution: 'Choice of Control' to 'Choice' and 'Control'

von Christina Munns und Subhajit Basu
International Review of Law, Computers & Technology, 2013, Vol. 27, Nos. 1-2, S. 124-160

>Link zum Paper<

Die Autoren untersuchen in ihrem Paper die Problematik und Herausforderungen des britischen Gesundheitsdienstes, NHS im Umgang mit gespeicherten Patientendaten auf ihrem Informationssystem. Aus dem Artikel können interessante Analogien für andere Bereiche der Informationsverarbeitung gezogen werden.

Das Paper ist in 2 Teile gegliedert. Der erste Teil schildert den Status Quo als Problem, das es zu lösen gilt. Im 2. Teil entwickeln und erklären die Autoren mögliche Ansätze und Lösungsvorschläge.

Problematik

Die Rahmenbedingungen stellen sich mehrdimensional dar: zum einen gibt es die beiden, sich gegenüberstehenden Akteure mit ihren jeweiligen Rollen im System: der nationale Gesundheitsdienst, NHS, der ein Interesse daran hat, möglichst viel Information über einzelne Personen zu sammeln, um daraus möglichst genaue Erkenntnisse zu gewinnen und die jeweilige Person, deren Daten von der Organisation verwaltet werden und deren Interesse es ist, möglichst wenig Information über sich preis geben zu müssen.

Jede der beiden Rollen wird mit drei Teilbereichen der Thematik konfrontiert: der Denkweise bzw. das jeweilige allgemeine Verständnis von Privatsphäre, der Information selbst und zuletzt die Umsetzung von Innovationen.

Denkweise / allgemeines Verständnis von Privatsphäre

Derzeit ist das allgemeine Verständnis im Gesundheitsmarkt vorherrschend, dass Daten des Einzelnen im Sinne einer selbstgewählten Bevollmächtigung durch den NHS gespeichert und verwaltet werden. Der Prozess, persönliche Informationen über sich preis zu geben, erfolgt also gerade konträr weil die Daten bereits vor dem Einverständnis des Einzelnen vorliegen. Im normalen Ablauf entscheidet der Einzelne autonom, welche Information er wem zugänglich macht. Dieser Weg wird auch durch das Datenschutzgesetz 1998 untermauert, das vorschreibt, dass sensible Daten nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Einzelnen verarbeitet werden dürfen. Das impliziert, dass nach lautender Rechtslage das Vorgehen der NHS rechtswidrig ist. Lt. der Autoren kann es ohne Konsens keine Vertraulichkeit oder Privatsphäre geben.

Die Balance ist deshalb durch das gegenwärtige Vorgehen des NHS aus folgenden Gründen gestört:

  1. Dem Einzelnen wird sein Recht auf persönliche Autonomie gegenüber der selbst ernannten Bevollmächtigung des NHS' nicht zuerkannt und damit um ein wichtiges Element der Selbstbestimmung beschnitten.
  2. hat der Einzelne nur beschränkten Zugang zu seinen Daten bei der NHS. Die Nutzung dieser Daten ist gesetzlich geregelt und die daraus gewonnenen Erkenntnisse dienen unter Einhaltung der Vertraulichkeit dem Gemeinwohl.
  3. der Zugriff auf Informationen wird kaum überwacht und die geringe Transparenz trägt nicht dazu bei, den Zugriff auf persönliche Daten im Sinne von "beschränkten Zutritt" flexibel zu regeln.
  4. Trotz grundlegenden Rechts auf Selbstbestimmung besteht für den Einzelnen nicht die Möglichkeit, seine Daten zu kontrollieren.
Information

Theoretisch sollte jedem Mensch das Recht zugestanden werden, "Besitzer" seiner Daten zu sein. Der Gesundheitsdienst sollte diese Information nur zu dem Grad gebrauchen, zu dem er das Einverständnis des Einzelnen erhalten hat. Ironischerweise verhält es sich genau andersherum: Der Einzelne ist weder im Besitz seiner Daten, noch klärt der NHS darüber auf, wofür und in welchem Umfang diese Daten verwendet werden.

Innovation

Innovative Online-Plattformen, die der NHS zur Verfügung stellt, dienen als Grundlage, auf der jeder Einzelne seine Daten nach seinem Ermessen verwalten kann. Ziel dabei muss es sein, den Nutzer über die entstehenden Vorteile zu informieren, die er für sich und die Allgemeinheit erreichen kann, wenn er seine Daten in festgelegten Grenzen zur Verfügung stellt, nämlich z.B.: wertvolle Erkenntnisse bei der Behandlung von bestimmten Krankheitsverläufen. Tatsächlich betreibt der NHS bereits eine derartige Plattform. Allerdings sind die Zugangshürden so hoch, dass nur wenige die vollumfänglichen Funktionen des Portals tatsächlich nutzen können.

Lösungsansatz

Was muss also geschehen, dass ein rechtlich und sozial fundiertes, auf Konsens ausgerichtetes Gleichgewicht entstehen kann, in dem die Rechte des Einzelnen auf Schutz seiner Privatsphäre gewahrt bleiben und gleichzeitig eine kollektive Transparenz zum Wohle der Allgemeinheit erreicht werden kann?

Wie müssen die Rollen der beiden Parteien verteilt werden, um Gesundheitsdaten im Gleichklang verwaltet werden können? Dazu entwickeln die die Autoren zunächst eine theoretische Lösung.

Theoretische Lösung
  1. Zunächst muss dem Einzelnen sein Recht auf die Selbstbestimmung seiner Daten als sein Eigentum als persönliches Recht anerkannt werden.
  2. Im nächsten Schritt folgt das Konzept des "beschränkten Zugangs", durch den der Einzelne seine Daten vor dem unerwünschten Zugriff Anderer schützen kann.
  3. Schließlich entscheidet die Kontrolle über die eigenen Daten darüber, wie bereitwillig Daten zur Verfügung gestellt werden.

Die Autoren unterscheiden zwischen primären und sekundären Informationsmärkten. Während im primären Informationsmarkt die Kontrolle und die Verwendung der eigenen Information unmittelbar durch den Einzelnen beeinflussbar ist, liegen die Einflussmöglichkeiten in den sekundären Informationsmärkten außerhalb der Kontrolle des Einzelnen. Solange für den Einzelne aber transparent und nachvollziehbar ist, wofür seine Information genutzt wird, kann die notwendige Autonomie gewährleistet und/oder Verletzbarkeit der Person minimiert werden.

Damit kann ein Umdenken im allgemeinen Verständnis von persönlicher Privatsphäre möglich sein. Weg von dem individuellen Schutz der Privatsphäre, hin zu einer Denkweise der sozialen Wohlfahrt durch Mithilfe bei der Gewinnung neuer Erkenntnisse durch zur Verfügung Stellung der eigenen Gesundheitsdaten. Vorbehaltlich aller rechtlich bindenden Vorkehrungen zum Schutze persönlicher Daten, kann diese kollektive Transparenz demnach gelingen, wenn der Nutzer jederzeit die Verwendung seiner Daten überwachen und seinen Beitrag zur Verbesserung des Gemeinwohls nachvollziehen kann. Datenerfassung durch Konsens machen die Daten zudem "reicher" weil im Idealfall dann sogar freiwillige Hintergrundinformationen vom Einzelnen zusätzlich bereitgestellt werden.

Diese neue Transparenz kann mit Hilfe einer Online-Plattform für die Nutzer erreicht werden, über die alle Daten und Einstellungen primärer und sekundärer Natur individuell verwaltet und überwacht und notfalls sanktioniert werden können. Der NHS würde vom selbsternannten "Herrscher über die Daten" zum transparenten "Nutzer".

Technische Lösung

Hauptbestandteil der ausgeführten technischen Lösung sind die schon erwähnten Online-Portale nach dem Charakter sozialer Netzwerke, wobei der NHS als Verwalter fungiert. Die Offenlegung von Information sollte nur für medizinische Zwecke möglich sein, um die Behandlung von Patienten zu verbessern oder in Ausnahmefällen Erkenntnisse für das Gemeinwohl zugänglich machen.

Für die Verwaltung der Daten schlagen die Autoren ein System vor, das je nach Interessen und Fähigkeiten der Nutzer mehr oder weniger Möglichkeiten der Steuerung und Darstellung zur Verfügung stellt. Insgesamt werden 4 Optionen mit unterschiedlichen Abstufungen vorgestellt.

In der Basisversion steht dem Patienten ein Zugang zur Verfügung, auf der alle Gesundheitsdaten eingesehen werden können. Weitergehende Kontroll- und Verwaltungsbefugnisse wird in dieser Version der NHS überlassen.

In der Vollversion erhält der Nutzer vollumfänglichen Zugang, vergleichbar einem Administrator. Neben allen verfügbaren Informationen werden darin auch Log-Daten angezeigt, wodurch der Nutzer verfolgen kann, wer welche Informationen zu welchem Zweck abgerufen hat.

Die neue Aufgabe und Rolle der NHS wäre somit, Innovationen und technische Möglichkeiten zu schaffen, um den Einzelnen als Innovations-Nutzer zu befähigen und eine Grundlage für eine Win-Win-Situation zu schaffen: Eine Konsens-basierte Balance zwischen individueller Privatsphäre und kollektiver Transparenz.

0 comments :: Kommentieren


To prevent spam abuse referrers and backlinks are displayed using client-side JavaScript code. Thus, you should enable the option to execute JavaScript code in your browser. Otherwise you will only see this information.