Artikel Nach Terror folgt Vorratsdatenspeicherung ? hilft es wirklich?
flora.fauna.uni, 17. April 2016, 15:44
Die vielen Terroranschläge in Europa verunsichern die Bevölkerung. Es stellt sich die Frage wie solche Anschläge und andere schweren Straftaten verhindert oder zumindest aufgeklärt werden können. Das Instrument der Vorratsdatenspeicherung wird hierzu gerne verwendet, um als Lösung dafür verkauft zu werden.
Futurezone berichtet von ersten Ergebnissen der Vorratsdatenspeicherung im Zeitraum vom 1. April 2012 bis zum 31. März 2013. Das Ergebnis: “Insgesamt gab es 326 Anfragen und in 312 Fällen auch die Auskünfte dazu. Bei 161 erledigten Rechtssachen soll in 71 Fällen die Vorratsdatenspeicherung einen Beitrag zur Aufklärung geleistet haben. Die meisten Abfragen der Vorratsdaten hat es außerdem nicht bei den schwersten Verbrechen, wie Terrorismus oder Mord, sondern bei Diebstahl (106) oder Stalking gegeben. Ob es auch einen Fall gab, der dem Terrorismus oder der organisierten Kriminalität zuzuordnen war, konnte der Anwalt, der in Luxemburg die österreichische Regierung vertritt, dem EuGH nicht beantworten bzw. musste er verneinen. Laut dieser Statistik scheint dies nicht so zu sein. “
Wenn nicht Terror, was dann?
Unter Vorratsdatenspeicherung wird prinzipiell verstanden, dass alle Verkehrsdaten jeglicher Telekommunikationsnutzung sowie die Standortdaten der Mobiltelefone bei den Providern für seches Monate gespeichert werden — und sechs Monate sind eine lange Zeit! Denn in diesem Zeitraum kommunizieren wir mit engen FreundInnen und GeschäftspartnerInnen mindestens einmal, wenn nicht sogar hunderte Male. Die Kommunikation untereinander können Anhaltspunkte dafür geben, unser Leben digital zu rekonstruieren.
Wie auch auf Facebook kann durch Vorratsdatenspeicherung ein Profil erstellt werden, wann, wie oft und wie lange wir mit wem wo telefonieren, E-Mails schreiben oder SMS verschicken. Nach einem gewissen Zeitraum innerhalb der sechs Monate ist schnell sichtbar, wie unser normales Verhalten ist und welche Gewichtung die einzelnen Kontakte haben. Reißen wir aus diesem Muster aus, werden wir auffällig. Selbst für PrivatschnüfflerInnen gibt es erschwingliche Analysesoftware, mit der man Kommunikationsmuster automatisiert in Verbindungsdaten tausender TeilnehmerInnen erkennen kann.
Aber nicht nur Privatpersonen sind leicht durchschaubar, sondern auch Gruppen und Organisationen. So können beispielsweise Kernpersonen eines Vereins wie dem Hackspace Devlol in Linz mit seinen vielen AktivistInnen und MitläuferInnen leicht identifiziert werden, indem ausfindig gemacht wird, wer am häufigsten mit wem kommuniziert. Auch tatsächliche Informationshierarchien können erkennt werden sowie Identifikation jener, wer wirklich wichtig für den Erfolg der Gruppe ist.
Standortdaten werden immer präziser
Mobiltelefone hinterlassen bei jeder Verbindungsaufnahme, egal ob ankommend oder abgehend, ob Anruf, SMS oder E-Mail, ihre geographische Position in den Verkehrsdaten. Somit ist es möglich mit sogenannten “Still-SMS” (leere SMS zur Datenermittlung) Verkehrsdaten zu speichern und das Mobiltelefon zur Ortungswanze umzufunktionieren. Das GSM-Netz, indem sich die meisten Mobiltelefone derzeit befinden, ist in der Stadt auf den Häuserblock genau gegeben. Auch das ebenso wichtige UMTS-Netz (3G) hat eine sehr genaue Positionsermittlung. In Gebäuden sind sehr kleine Funkzellen angebracht, die von nur fünfzig Meter zum Einsatz kommen und sich auch in diesem Bereich stark überlappen.
Daher können mit Geodaten präzise Bewegungsprofile erstellt werden. Da sich vor allem mobiles Internet immer mehr im Alltag etabliert hat, können diese Profile nicht nur über Funkzellen des Mobiltelefons sondern auch über den Internetzugang der beispielsweiße mobilen E-Mails erstellt werden. Außerdem ist laut Chaos Computer Club damit zu rechnen, dass in Zukunft die Genauigkeit durch bessere Netztechnologien mit immer kleineren Funkzellen erhöht wird.
Datenansammlung durch ständige Erreichbarkeit
In der immer stetig steigenden digitalisierten Welt können aber nicht nur Daten vom Smartphones und Laptops gesammelt werden, sondern auch andere Alltagsgeräte wie E-Book Reader, Navigationssysteme, tragbare Gesundheitsgeräte, Oberklasse-Autos, Zahlungsmöglichkeiten – die Liste ist lang. Dafür ist auch die drastische Verbilligung der Mobilfunktechnik verantwortlich, die zusätzlich dazu verhilft, dass Mobiltelefone heute so weitverbreitet sind, dass sie für immer mehr Alltagshandlungen zum universellen Werkzeug geworden sind.
Vor allem durch Systeme wie mobile Parkticketeinlösung, Fahrkartenverkauf oder Carsharing-Angebote ist eine Datentransaktion über Mobiltelefon des Ein- und Ausstiegs unausweichlich und verschafft gleichzeitig eine präzise Rekonstruktion der Bewegungen des Benutzers/der Benutzerin in der Stadt. Diese Entwicklung ist ebenfalls im Zunehmen - immer mehr Apps und Start-Ups unterstützen diesen Sektor und werben vor allem mit der Praktibalität, weil ohnehin alle ein Smartphone besitzen. Diese kleinen Nützlichkeiten addieren sich zu einer beachtlichen Anzahl spurenziehender Geräte pro Person zusammen, die auch ganz ohne bewusste Kommunikation das Leben vollautomatisiert machen.
Praktische Vorfälle
Vieles davon klingt dennoch sehr theoretisch und ist bisher unbekannt, was davon wirklich relevant ist und inwieweit Privatpersonen oder Organisationen darunter leiden müssen. Dennoch gibt es schon Länder, die die Vorratsdatenspeicherung nutzen und dadurch Vorfälle passieren. In den Niederlanden wird beispielsweise ein Vorgehen praktiziert mit dem Namen “Projekt Gegenwirken”. Dabei werden solche Personen, die der Polizei oder den Geheimdiensten suspekt erscheinen, denen jedoch keine konkrete kriminelle Aktivität nachgewiesen werden kann, mit einer Fülle von an sich legitimen Einzelmaßnahmen konfrontiert. So findet bei diesen Personen oder deren Unternehmen jedes Jahr eine umfangreiche Steuerprüfung statt, wöchentliche Hygenieinspektionen, monatliche Kontrollen durch die Gewerbeaufsicht etc.
In solchen Fällen könnte man von “Pech” sprechen, da die meisten dieser Maßnahmen “zufällig” durch Computerprogramme ausgelöst werden, deren inneren Parameter für die BehördenmitarbeiterInnen nicht ersichtlich sind. Dennoch stellt sich hier die Frage, ob der Staat und seine Behörden die Mittel erhalten dürfen, die über die gespeicherten Verkehrsdaten flächendeckenden Einblick in die menschliche Beziehungsnetzwerke erhalten dürfen.
Möglichkeit für Missbrauch
Bei so heiklen und hackbaren Systemen ist auch mit Missbrauch zu rechnen. Bisher wurden mehrere Fälle gemeldet. Ein Beispiel ist Griechenland während der Olympischen Spiele, wo hunderte Menschen illegal abgehört wurden. Der Chao Computer Club fasst zusammen:
Die Vorratsdatenspeicherung beendet die Freiheit, unbeobachtet und ungestört zu kommunizieren. Das Recht aller Menschen, Telekommunikationswege und Dienste im Internet grundsätzlich unbeobachtet zu nutzen, muss jedoch selbstverständlich geschützt bleiben. Dies gilt vor allem unter der heutigen Gegebenheit, dass sich viele Aspekte des Lebens mehr und mehr in diese Bereiche verlagern.
Die Gefahr von Datenmißbräuchen sowie die Möglichkeiten, Rückschlüsse auf intime Details, Aufenthaltsorte, Gewohnheiten und Vorlieben im Leben jedes einzelnen Bürgers zu ziehen, stehen in keinem Verhältnis zu dem möglicherweise im Einzelfall bestehenden Vorteil bei der Strafverfolgung. Die Vorratsdatenspeicherung potenziert vielmehr die Risiken und Überwachungsfolgen in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft. Die Telekommunikationsunternehmen ohne konkreten Anlaß zu verpflichten, auf Vorrat alle Verbindungs- und Nutzungsdaten über den unmittelbaren Zweck der Abrechnung hinaus für die Verwendung gegen etwaige zukünftige Verdächtige oder für geheimdienstliche Operationen zu speichern, muß daher unbedingt vermieden werden.
Die Lage in Österreich
In Österreich war und ist der Weg mit der Vorratsdatenspeicherung kein klarer. Lange Zeit hat sich anfangs die Umsetzung dafür verzögert, wurde aber dennoch mit 1. April 2012 aktiv. Seither bemühen sich AktivistInnen mit BürgerInneninitiativen und Protesten, die Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen. Vor allem der Arbeitskreis Vorratsdaten Österreich (AKVorrat) mit der BürgerInneninitiave und der Klage mit dem Webauftritt “verfassungsklage.at” schaffen es, die Vorratsdatenspeicherung in Österreich mit 106.067 Unterschriften aufzuheben. Seither gilt in Österreich keine Vorratsdatenspeicherung mehr.
Politisches Engagement
Die Diskussion rund am das Thema hat bei vielen BürgerInnen Interesse gefunden. Vielen ist bewusst, dass Vorratsdatenspeicherung viel mit Individualität und Freiheit des Menschen zu tun hat. Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, macht vor allem über die Entscheidung zwischen “alles speichern und den Zugang regulieren” und “so wenig wie mögich speichern” aufmerksam. Vor allem mit dem Wissen, dass Missbrauch nicht auszuschließen ist und der Fakt, dass dadurch Terrorismus und schwere Verbrechen de facto gar nicht behandelt werden (können), kann man beruhigt der Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung entegegen blicken.
Dennoch wird immer wieder darüber diskutiert, vor allem wenn es um Aspekte rund um die Thematik Terrorismus geht. Das Thema Vorratsdatenspeicherung und generell Datenspeicherung ist damit daher noch nicht vom Tisch und sollte stets in unseren Köpfen bleiben. Wer weiß, wie der weitere Verlauf damit ist.
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