Transparenz der Internettechnologie- Netzwerneutralität
patrick.demel.uni-linz, 24. Juni 2015, 17:24
Der Artikel „Net Neutrality in Europe: Desperately seeking a market failure“ von Pietro Crocioni beschäftigt sich mit der Debatte über Netzneutralität, die in den letzten Jahren in Gang gekommen ist. Die Autoren beleuchten die Argumente beider Seiten und versuchen für den europäischen Raum ein regulatorisches Framework aus wirtschaftlicher Perspektive zu geben. Das heißt sie diskutieren welche Vor- und Nachteile die Etablierung einer verpflichtenden Netzneutralität hätte und ob Regulierungen für das Wettbewerbsverhalten von Anbietern sinnvoll sind, beziehungsweise ob Differenzierungsmöglichkeiten von Seiten der Anbieter erlaubt werden sollten.
Die vertikale Internetkette:
Es gibt komplexe vertikale Ketten und kommerzielle Vereinbarungen, die es dem Konsumenten erlauben Content und Applikationen im Internet zu nutzen. Diese vertikale Kette zu verstehen ist ausschlaggebend, um analysieren zu können, ob die Bedenken eines potentiellen Marktversagens gerechtfertigt sind.
Um sich mit dem Internet verbinden zu können, unterzeichnen die Konsumenten in der Regel einen Vertrag in dem sie sich an einen Internet Service Provider (ISP) binden. In Europa können die Konsumenten zwischen mehreren ISPs auswählen, wobei auch mobile Netzwerke als ISPs fungieren können. Auf der fixen Seite von ISPs stehen in den meisten Fällen der ISP des etablierten Anbieters (meist der Anbieter der vor der Liberalisierung der Telekommunikation aktiv war) in Konkurrenz zu neuen Anbietern. Gleichzeitig sind neue Anbieter aber oft abhängig von der Infrastruktur des etablierten Anbieters.
Auf der anderen Seite stehen nun die Content and Application Provider (CAP) wie Google, Ebay, YouTube, Facebook, etc. Sie stellen ihren Content oder ihre Applikationen ins Web und gehen anschließend Peering-Vereinbarungen (Gegenzugvereinbarungen) über die Verbreitung ihrer Dienstleistung mit den ISPs ein. Die CAPs mussten in der Vergangenheit mehrere ISPs in Anspruch nehmen, um weltweit verfügbar zu sein. Heute betreiben schon mehrere CAPs ihre eigenen Content Distribution Networks (CDN). Sie versuchen damit die Probleme der Service-Qualität die das „best effort“-Modell nach sich zieht zu verringern.
Wenn diese Ausführung über die vertikalen Ketten noch Unklarheiten offen lässt, möchte ich auf den Blogeintrag meiner Kollegin Claudia Ganglberger zum Thema verweisen.
Es gibt zwei zentrale Themen in der Debatte über die Netzneutralität. Zum einen die Tatsache, dass ISPs keine Preise von Caps verlangen, um die Nachfrage zu rationieren. Dies könnte zu Überlastung führen und die Qualität für alle Nutzer mindern.
Der zweite Aspekt der NN-Debatte ist, dass Content und Applikationen in den meisten Fällen nach dem „best effort“-Prinzip geliefert werden, mit anderen Worten ohne eine Qualitätssicherung. Dies kann zu Verzögerungen führen und gerade bei Services wie online Games, Video-Streaming-Dienste, Voice over IP (VoIP) oder eher spekulativen Applikationen, wie Telemedezin zu kritischen Qualitätseinbußen führen.
Was ist NN?
Befürworter einer obligatorischen NN Verordnung haben zweierlei Befürchtungen für den Internetmarkt. Einerseits gibt es Bedenken, dass ISPs positive Preise von CAPs verlangen, damit sie ihren Content verbreiten, zum anderen, dass ISPs zum Vorteil ihres eigenen Content-Angebots diskriminierend vorgehen. Beide Probleme könnten durch ein zero price cap also ein Verbot für die Vergebührung von Content gelöst werden. Dies ist aber wie wir später sehen werden keine optimale Lösung
Welche Effekte würde eine strikte NN auf das Internet haben?
In Europa gibt es einige fixe ISPs die Peer-to-Peer Traffic zu Spitzenzeiten verbieten und/oder den Datenverkehr drosseln, wenn es zu Überlastungen kommt, während die meisten aber nicht alle mobilen Operatoren VoIP Services nur entgeltlich anbieten und oft maximale Kapazitäten für Nutzer festlegen.
Obwohl es durchaus Datenverkehrsmanagement gibt, ist der Grad und die Art wie es betrieben wird von der aktuellen Debatte über Netzneutralität beeinflusst.
Die Autoren diskutieren die Risiken die entstehen könnten, wenn man eine strikte Netzwerkneutralität erzwingen würde, anhand einer Analogie zum Straßenverkehr. In dicht besiedelten Gebieten besteht das Risiko, dass wenn jedes Auto umsonst ins Stadtzentrum fahren dürfte, die Straßen sehr wahrscheinlich verstopft wären. Dies würde allen Fahrern aufgrund der langen Fahrzeiten zum Nachteil gereichen, am schlimmsten wäre es allerdings für diejenigen, für die die verlorene Zeit am wertvollsten ist. Deswegen haben manche Städte wie London und Singapur eine Gebühr eingeführt, um sicherzustellen, dass diejenigen denen es am meisten Wert ist, die Möglichkeit haben mit dem Auto ins Stadtzentrum zu gelangen. Ebenso verhält es sich mit dem Internet. Wenn ISPs kein Datenverkehrsmanagement betreiben würden, würde es über kurz oder lang zu Verstopfungen kommen. Wenn es ihnen nicht gestattet ist differenzierte Angebote zu machen, bzw. höhere Preise für höhere Qualität des Service zu veranschlagen, dann kommt es zu Engpässen.
Es sollte noch betont werden, dass es bei diesem Vergleich einen entscheidenden Unterschied zwischen Verkehr auf der Straße und im Internet gibt. Die Bereitstellung von Internetverkehr ist ein zweiseitiger Markt. Auf der einen Seite profitieren CAPs von einer hochwertigen Infrastruktur des ISPs andererseits profitieren die ISPs von Quantität und Qualität des angebotenen Contents.
Die Autoren führen den Vergleich weiter indem sie die unterschiedliche Priorität, die manchen „Diensten“, wie Feuerwehr, Polizei öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxis etc. im Straßenverkehr gegeben wird auch im Internet als sinnvoll erachten. Mit anderen Worten Services und Applikationen sind wie die Fahrzeuge im Straßenverkehr heterogen. Die Konsequenz daraus sind Einschränkungen der Kapazitäten besonders im Bereich der mobilen Netzwerke. Unter einer strikten Netzwerkneutralität würden besonders drei Risiken auftreten. Erstens könnte es zu Überlastungen kommen, was allen Nutzern schaden würde. Zweitens würde ohne die Priorisierung von sensiblen Diensten wie Online-Spielen, Video, VoIP und Services die erst noch kommerzialisiert werden müssen, wie die Telemedizin durch die verzögerte Übertragung der Wert dieser Dienste stark negativ beeinträchtigt werden. Drittens haben die Konsumenten verschiedene Präferenzen, was dazu führt, dass sie bei Engpässen verschiedene Dienste priorisieren würden, um eine zufriedenstellende Interneterfahrung gewährleisten zu können. Dies wäre bei einer Durchsetzung von strikter NN nicht möglich.
Welche Bedenken könnten durch das Fehlen von NN entstehen?
Laut dem European Regulatory Framework besteht die Möglichkeit, dass Regulatoren eine „minimum Quality of Service obligation“ einführen. Dies würde der Qualität im Internet ein Minimum setzen. Es ist jedoch schwierig einen geeigneten Referenzrahmen für solch eine Minimalqualität zu finden (welche Dienste soll man als Referenz heranziehen) und das Risiko eines regulatorischen Fehlers ist nicht zu vernachlässigen. Zusätzlich müssten die minimale Qualität ständig neu angepasst werden, wenn sich die technischen Gegebenheiten oder die ANforderungen verändern.
Das Traffic-Management könnte zum Ausschluss rivalisierender CAPs durch die ISPs führen und somit für den Kunden einen Nachteil darstellen. Die ISPs könnten ihre Marktmacht dazu nutzen ihre eigenen Content Produkte in den Vordergrund zu drängen und Konkurrenten zu benachteiligen.
Die Bedenken über das potentielle Auftreten eines „competitive bottleneck“ Monopols. Competitive Bottleneck ist ein Marktversagen in einem zweiseitigen Markt, das durch eine ineffiziente Preisgestaltung von einer Marktmacht entsteht. Da die meisten Konsumenten nur einen Vertrag mit einem ISP abschließen, haben alle ISPs Marktmacht und ein spezifisches Konsumentensegment zum Kunden.
Die Bedenken über die Investment- und Innovations-Anreize für sowohl CAPs und ISPs auf der einen Seite als auch für Netzwerke auf der anderen. Gemeint ist, dass ISPs die Renten von CAPs abschöpfen würden, wenn es ihnen frei stehen würde die Preise für ihre Dienste festzulegen. Dies würde dazu führen, dass die CAPs keine Möglichkeiten und Anreize mehr haben in ihre Dienste zu investieren, ihr Angebot zu erneuern und zu verbessern.
Wenn die ISPs von der herkömmlichen „best effort“- Vorgehensweise weggehen, werden die Angebote komplexer und differenzierter. Dies kann dazu führen, dass die Konsumenten nicht mehr in der Lage sind die technischen Einzelheiten der Angebote zu verstehen und somit keine ausreichend informierten Entscheidungen mehr treffen können.
Rechtfertigen die Bedenken über Ausschlussmechanismen eine per se Unterbindung?
ISPs mit Marktmacht könnten die Möglichkeit und den Anreiz haben, um anti-Wettbewerbs-Maßnahmen zu ergreifen, indem sie ihre Konkurrenten ausschließen und so dem Konsumenten schaden. Dies könnte durch eine Verpflichtung zu einer 0-Preis Politik oder einem Verbot zur Preisdiskriminierung verhindert werden, wobei letzteres ausreichen sollte.
Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass ISPs nur eine begrenzte Bandbreite an Services zur Verfügung stellen und nur wenige Produkte der CAPs wären Substitute zu den Produkten der ISPs. Die meisten Dienste die zum Beispiel von E-Bay, Amazon, Google kommen stehen nicht in direkter Konkurrenz zu den Produkten der ISPs, sie sind im Gegenteil eher als Komplemente anzusehen.
Zusätzlich zu bedenken ist, dass wenn ISPs keinen monetären Vorteil daraus ziehen sogenannten „downstream rivals“ Zugang zu ihrer Technologie zu geben, könnten sie dazu bewogen sein die Qualität des Zugangs zu beschränken und die Rivalen so zu manipulieren.
Beim Argument der competitive bottleneck Problematik muss stark relativiert werden, da die Marktmacht von ISPs durch die in der Grafik ersichtlichen Punkte wie die Verhandlungsmacht von Internetriesen wie Google, Amazon etc., exklusiven Verträgen auf Seiten der CAPs und Multihoming in vielen Fällen stark eingeschränkt werden kann.
Anhand der Grafik kann man auch erkennen, dass laut Meinung der Autoren weder eine „Zero Price“ Verpflichtung noch ein „Comeptitive Bottleneck“ eine optimale Marktsituation darstellen.
Zu guter Letzt wird noch das Argument des fehlenden Investitionsanreizes bei Abwesenheit einer obligatorischen NN-Regelung diskutiert. Wie oben bereits erwähnt, würden mit den steigenden Preisen, die die ISPs den CAPs verrechnen würden, die Profite der CAPs sinken und ebenso ihre Möglichkeit Investitionen zu tätigen und Forschung zu betreiben. Dieses Argument ist laut Autoren aus mehreren Gründen nicht sehr überzeugend. Unternehmen mit einer wertvollen Service Proposition können durch Funds und Priorisierung immer noch Zugang zum Internet erhalten. Ein Start-Up könnte sich zuerst im „best effort“ Bereich ansiedeln und dann den priorisierten Zugang erwerben. Zweitens sind die Bedenken über fehlende Innovationen nur dann gerechtfertigt wenn man davon ausgeht, je mehr Content desto besser. Drittens ist es für Verzögerungs-sensible Dienste wie online Games und Telemedezin nicht von Vorteil ein „best effort“ Modell anzuwenden.
Fazit:
Wenn man von einem starken Wettbewerb zwischen ISPs und einem ausreichend informierten Nutzer ausgeht, ist es zurzeit (zumindest in Europa) nicht notwendig obligatorische NN Richtlinien einzuführen. Das heißt nicht, dass es in der Zukunft nicht Probleme geben wird, die diese NN Richtlinien unabdingbar machen.
Auswahl des Artikels:
Der Artikel war anfangs nicht einfach zu verstehen, hat mich aber sehr interessiert, da ich die NN Diskussion noch nie aus einem rein volkswirtschaftlichen Standpunkt gelesen/gehört habe. Bis dato waren mir eigentlich nur die Argumente, die aus ethischer Sicht für NN gesprochen haben, bekannt. Die Möglichkeit eines Marktversagens und die Art und Weise wie dieser Markt genau funktioniert waren mir neu und sind wie ich finde durchaus passend zu unserer Thematik beziehungsweise finde ich es sinnvoll diese Verhältnisse zu kennen.
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