#notneutrality - Sinn und Unsinn der Netzneutralität

sandra.bruckner-poeckl.uni-linz, 29. Dezember 2015, 21:58

Am 29. Oktober 2015 haben die Abgeordneten im Europäischen Parlament mehrheitlich für eine Aufweichung der Netzneutralität gestimmt. Im Verordnungsentwurf des EU-Parlaments heißt es unter anderem, dass Anbieter von Internetzugangsdiensten den gesamten Verkehr ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, unabhängig von Sender und Empfänger, gleich zu behandeln haben. Jedoch ist dieser Entwurf voller Ausnahmen und Sonderfälle. [1]

Eigentlich sollten die Internetdienstanbieter alle Datenpakete gleich und diskriminierungsfrei, unabhängig vom Absender und vom Inhalt übertragen. Wenn dies nicht der Fall ist, dann wird dies früher oder später zu einer „Zwei Klassen Internet“ – Gesellschaft führen. De facto wurde durch die Abstimmung der EU Kommission die Netzneutralität praktisch abgeschafft. Den durch diese Verordnung sind genügend Schlupflöcher vorhanden.

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Per Definition der Rundfunk & Telekom Regulierungsbehörde versteht man unter Netzneutralität die Gleichbehandlung aller Datenströme durch ein Netzwerk, unabhängig vom Sender, Empfänger, Inhalt, Anwendung und Service und den diskriminierungsfreien Zugang bei der Nutzung von Datennetzen. Das heißt, dass alle Datenpakete unabhängig von Sender und Empfänger gleichbehandelt werden. [3]

Dies wäre ursprünglich im Sinne des Erfinders und auch der Ursprungsgedanke des Internets (Tim Berners-Lee). Doch durch die unterschiedlichsten Dienste werden auch unterschiedliche Anforderungen an die Übertragungsgüte gestellt. Telefonie benötigt zum Beispiel nur eine geringe Datenrate, Datei- bzw. Videoübertragungen benötigen dagegen eine hohe Datenrate. Es gibt eine immer mehr wachsende Datenmenge. Und dies stellt eine Herausforderung an die Internetdienstanbieter dar.

Kunden sollte auch die Möglichkeit gegeben werden, Inhalte ihrer Wahl zu senden bzw. zu empfangen ohne hierfür extra zu zahlen. Unabhängig davon, welche Hard bzw. Software vom Endkonsumenten verwendet wird. [4]

Für die Internetdienstanbieter würde diese bedeuten, den Netzausbau für eine schnelle und hochwertige Datenübertragung auszubauen, was wiederrum mit enormen Kosten verbunden ist. Und diese Kosten würden sich wiederum auf die Kunden auswirken, die diesen Mehraufwand zu tragen hätten.

Die Gewinner nach der Entscheidung der EU-Kommission sind die großen nationalen und internationalen Unternehmen, die diesen Mehraufwand höchstwahrscheinlich aus der Portokassa zahlen können. Diese leisten dann ihren Beitrag dafür, dass ihre Daten wie Filme, Musik oder Spiele mit höherer Priorität übertragen und weitergeleitet werden.

Für Start-up Unternehmen wäre es schwierig mit den großen Unternehmen mithalten zu können, da sich diese jungen Unternehmen die Kosten nicht leisten könnten und schon gar nicht an Kunden weitergeben könnten. Aber gerade Start-up Unternehmen brauchen diese Spezialdienste (wie zum Beispiel Onlinespiel, Produktionsprozesse oder Videokonferenzen), um sich gegen die großen Netzwerkanbieter abheben zu können und um Markt überhaupt bestehen zu können.

Teilweise sind die Netzbetreiber oft mit eigenen Diensten wie Filmen, Serien, Musik am Markt präsent und könnten oftmals willkürlich entscheiden, in welcher Qualität die Inhalte zu den Kunden und Endkonsumenten transportiert werden. Somit liegt es in der Hand der Internetanbieter und Telekommunikationsnetze, ob gewisse Inhalte und Pakete absichtlich in schlechter Qualität übertragen werden oder die Bandbreite gedrosselt wird. Die Netzneutralität sollte definitiv im Gesetz verankert sein. Bisher ist man davon ausgegangen, dass ausreichend Wettbewerb zwischen den Providern die Netzneutralität automatisch gewährleisten würde.

Im November 2009 wurden erstmals die Rahmenrichtlinien zur Netzneutralität beschlossen. Der US-amerikanische Präsident Barack Obama sprach sich für die Netzneutralität aus. Angela Merkel, deutsche Bundeskanzlerin, sprach sich dagegen gegen die Netzneutralität aus. Merkel hat sich für unterschiedliche Übertragungsgeschwindigkeiten im Internet ausgesprochen und dafür, dass einige neue Dienste eine gesicherte Übertragungsqualität bräuchten. Dies würde wieder den großen Unternehmen in die Hand spielen. [5]

Chile war weltweit das erste Land, welches per Gesetz im Jahr 2010 die Netzneutralität verankert hat. Gemäß diesen Bestimmungen dürfen Provider in Chile künftig nicht mehr in Inhalte, Anwendungen und Dienste im Netz eingreifen oder diese unterschiedlich behandeln. [6]

Das neue Gesetz zur Netzneutralität verpflichtet die Anbieter von Internetzugangsdiensten, den gesamten Verkehr bei der Erbringung solcher Dienstleistungen gleich zu behandeln, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten. Außer zum Beispiel bei gerichtlichen Anordnungen, zur Vorbeugung gegen Cyberangriffe oder um Netzüberlastungen zu vermeiden. Falls derlei "angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen" erforderlich werden, sollten sie "transparent, nichtdiskriminierend und verhältnismäßig" sein und nicht länger dauern als unbedingt nötig.

Der Text sieht vor, dass Internetanbieter Spezialdienste anbieten dürfen (z. B. eine für bestimmte Dienste wie Internet-TV, Videokonferenzen oder bestimmte Anwendungen im Gesundheitswesen benötigte verbesserte Internetqualität), jedoch nur unter der Bedingung, dass sich dies nicht auf die allgemeine Internetqualität auswirkt. [7]

Mit diesem Entwurf stehen wiedermal viele Auslegungsmöglichkeiten offen. Die Anwendung der Netzneutralität kann sowohl positive als auch negative Effekte haben, je nachdem in welcher Form diese gegenwärtig ist. Am Ende hat das Gesetz wieder mal den Großen in die Hände gespielt. Die Nutznießer dieser Verordnung sind wieder mal die Wirtschaft und die Marktführer. Die Leidtragenden sind die Bürger und Konsumenten. Und somit ist die Gleichbehandlung dahin, da der Zugang zum Wissen nicht für alle gleich ist und mit Einschränkungen und Vorgaben behaftet ist.

Zwar wurde das Prinzip der Netzneutralität im EU-Gesetz festgeschrieben, aber aufgrund der vielen Ausnahmen und Sonderregelungen stehen nun mehr als nur ein Hintertürchen offen. Leider war die große Gegenwehr von Bürgerrechtler, Internetverbände und sogar vom WWW-Erfinder Tim-Berners-Lee vergeblich. Zum Schlagwort dieser Niederlage wurde das Hashtag #notneutrality.

Das Netz ist längst eine Weltbildmaschine. Sollten kommerzielle Interessen über Vorfahrt für bestimmte Inhalte entscheiden, schadete das dem Wettbewerb, der Meinungsbildung und damit letztlich der Demokratie. [8]

Es sollte nach wie vor das Prinzip der Chancengleichheit herrschen und die Netzneutralität als Grundsatz gelten. Leider entscheiden, wie so oft, auch in diesem Fall, andere Leute, und an erster Stelle stehen dann die Unternehmen bzw. die Länder die das meiste dafür zahlen. Und wieder mal ist die Chancengleichheit für alle Illusion.

Literatur und Quellenverzeichnis
1: http://www.zeit.de/digital/internet/2015-10/netzneutralitaet-telekom-hoettges-startups-spezialdienste (1.12.2015)
2: http://www.lead-conduct.de/wp-content/uploads/2014/02/savetheinternet_monopoly.png (1.12.2015)
3: https://www.rtr.at/de/tk/NN-Prinzip-1 (2.12.2015)
4: https://www.rtr.at/de/tk/netzneutralitaet (1.12.2015)
5: http://www.sueddeutsche.de/digital/netzpolitik-der-bundesregierung-merkel-stellt-netzneutralitaet-infrage-1.2252640 (1.12.2015)
6: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Chile-schreibt-Netzneutralitaet-gesetzlich-vor-1039243.html (2.12.2015)
7: http://www.europarl.europa.eu/news/de/news-room/20151022IPR98802/Abschaffung-der-Mobilfunk-Roaming-Gebuehren-wird-2017-Wirklichkeit (3.12.2015)
8: http://www.zeit.de/2015/44/netzneutralitaet-eu-parlament-abstimmung-internet(4.12.2015)

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