Statement Die Notwendigkeit des Bildtelefons

Fabian.Prochazka.Uni-Sbg, 17. März 2011, 20:59

 

Eine beliebte technische „Neuerung“ in beinahe jeder Zukunftsvision ist die des Bildtelefons. Bereits 1883 zeichnete Albert Robida seine Vision von der „cabine telephonoscopique", mit der man in der Zukunft weit entfernte Gesprächspartner auch sehen kann:

Mann in der "cabine telephonoscopique", wo man seinen Gesprächspartner sehen kann

(Quelle: Mikrocontroller.net)

 

Weitere Visionen, in denen das Bildtelefon eine Rolle spielt, umfassen etwa Fritz Langs Metropolis und eine Vielzahl weiterer Zukunftsentwürfe, wie etwa in dieser Zeichnung von ca. 1930:

 

Bildtelefon im Café

(Quelle: Universität Duisburg Essen)

 

Auch in der Dokumentation „Richtung 2000“ wird das Bildtelefon als neue Art der Kommunikation des Jahres 2000 vorgestellt, die zu Vereinsamung und weiteren negativen Folgen führt (mit diesem Thema setzen sich Carla Stenitzer und Florian Kreibe auseinander). Das Bildtelefon, so scheint es, ist im Inventar der Zukunftsvisionen genauso wenig wegzudenken wie fliegende Autos und Marsstationen.

 

Geschichte einer gescheiterten Erfindung

Kommunikationsgeschichtlich ist das Bildtelefon jedoch keine Neuigkeit. Bereits im Jahr 1936 war es möglich, via "Weitverkehrs-Fernsehsprechverbindung" eine Bild- und Tonverbindung zwischen Berlin und Leipzig herzustellen (vgl. Flessner 2000: 36). Auf öffentlichen Postämtern konnte dieses Bildtelefon von der Bevölkerung verwendet werden. Die Technologie wurde von den Nationalsozialisten gefördert, die auch eine militärische Verwendung im Sinn hatten, etwa um die Front zu beobachten und um Befehle besser weitergeben zu können (vgl. ebd.: 38). Gescheitert ist das Projekt trotzdem - ein umständlicher Anmeldeprozess beim Postamt und die hohen Gebühren machten dem Bildtelefon der 1930er Jahre den Garaus (vgl. ebd.: 39).

 

Historisches Bildtelefon aus Russland

Historisches Bildtelefon aus Sowjet-Zeiten (Quelle: Wikipedia)

 

Auch in der Folgezeit wurden immer wieder Versuche unternommen, das Bildtelefon erfolgreich in den Markt einzuführen - mit mäßigem Erfolg. Projekte der Deutschen Telekom in den 1980er Jahren scheiterten genauso wie Versuche von Western Electric in den technikverliebten 1960er Jahren:

 

Werbeanzeige für das Picturephone, das wie ein kleiner Fernseher aussieht

Werbeanzeige für das "Picturephone" von Western Electric (Quelle: Human productivity lab)

 

Warum?

Es stellt sich die Frage, warum eine Technologie, die in beinahe jeder Zukunftsvision seit dem Ende des 19. Jahrhunderts einen Platz findet, sich nie durchzusetzen vermochte - obwohl sie bereits recht früh verfügbar war. Erst heute ist die Bildtelefonie über die Webcams und Videochats wie Skype oder Webdiensten wie Chatroulette bei den Menschen angekommen - aber immernoch telefonieren die meisten ausschließlich über den Hörer. Apple startete kürzlich mit "Facetime" auf seinem iPhone4 einen neuen Versuch, die Videotelefonie in den Mainstream zu bringen:




 

Eine Erklärung, warum sich das Bildtelefon bis dato nicht durchgesetzt hat, sind sicherlich die technischen Bedingungen. Videotelefonie in der Anfangszeit war umständlich und teuer, heute ist sie schlicht viel einfacher zu handhaben. Dieses Argument kann jedoch nicht das gesamte Phänomen erklären - beinahe jede Technik war in ihrem Anfangsstadium umständlich und kostenintensiv. Daneben muss es also noch ein anderes Erklärungsmodell geben, warum sich diese Technologie bis dato nicht durchgesetzt hat, obwohl sie technisch seit rund 80 Jahren möglich ist.

Ein meines Erachtens interessanter Ansatz zur Lösung des Problems findet sich in der Konzeption von technologischer Innovation nach Brian Winston. Winston sieht technischen Fortschritt als eine Kombination von technischer und sozialer Bestimmtheit, er vermeidet damit einen Technik- oder Soziodeterminismus. Nach Winston setzt sich der Prototyp einer Erfindung dann durch, wenn eine neue soziale Notwendigkeit eintritt, die ihn aus der technischen in die gesellschaftliche Sphäre hebt (vgl. Winston 2001: 14). Einfach formuliert: Eine Erfindung setzt sich nur durch, wenn sie auch aufgrund sozialer Bedingungen gebraucht wird, bzw. wenn ihr Nutzen erkannt wird. Die neue soziale Notwendigkeit ist in diesem Modell ein "Beschleuniger" (Winston 2001: 18), der für die Verbreitung der Technologie sorgt.

Bezieht man das Modell auf die Bildtelefonie, so kann argumentiert werden, dass bisher schlicht noch keine soziale Notwendigkeit für diese Technik bestand. Mit der postmodernen Pluralisierung der Lebensformen und vor allem der zunehmenden Mobilität, Flexibilität und Individualität der Gegenwart kann man diese Notwendigkeiten aber heute erkennen. Dargestellt werden sie im Werbefilm für Apples Facetime - der Familienvater, der auf Geschäftsreise sein Kind sehen möchte, die Großeltern, die das Enkelkind mit Diplom sehen wollen, die getrennten Liebenden. Phänomene, die in unserer Zeit häufiger werden, und vielleicht endgültig den Boden bereiten für die soziale Notwendigkeit der Bildtelefonie?

 

Literatur:

Flessner, Bernd (2000): Fernsprechen als Fernsehen. Die Entwicklung des Bildtelefons und die Bildtelefonprojekte der Deutschen Reichspost. In: Bräunlein, Jürgen/Flessner, Bernd (Hg.): Der sprechende Knochen. Perspektiven von Telefonkulturen. Würzburg: Königshausen und Neumann, S. 29-46.

Winston, Brian (2001): Ein Sturm vom Paradies. Technologische Innovation, Verbreitung und Unterdrückung. Die Informationsrevolution als Hyperbel. In: Engell, Lorenz/Vogl, Joseph (Hg.): Mediale Historiographien. Weimar: Univ.-Verlag, S. 9-22.

1 comment :: Kommentieren

simone.schoendorfer.uni-sbg, 23. März 2011, 21:51

Hallo Fabian, 

ich habe in meinem Statement an dein/euer Referat angeknüpft und ein Bild als Ausgangspunkt meines Beitrags genommen. Wenn du mein Statement lesen magst, freue ich mich über Kommentare.

LG, Simone

Verlinken :: Kommentieren


To prevent spam abuse referrers and backlinks are displayed using client-side JavaScript code. Thus, you should enable the option to execute JavaScript code in your browser. Otherwise you will only see this information.