Weblog-Journalismus
Samstag, 17. Januar 2004
Ethik des Bloggens
Sind Blogger nun Journalisten und müssen sie sich an dieselben professionellen Regeln halten, wie z.B. nicht einfach voneinander abzuschreiben? Inwieweit sollten sich nun Netztagebuch-Autoren an journalistische Standards halten?
Blogger schreiben auf jeden Fall öffentlich. Und die publizistische Macht der Blogger ist größer, als man vielleicht annehmen mag.

Diese Debatte kam in den USA in Gang als ein Journalist des Houston Chronicles in seinem eigenen Weblog seine Zeitung kritisiert und Nachrichten aus seiner eigenen Feder kommentiert hatte. Er tat dies jedoch nicht unter seiner richtigen Identität, sondern unter dem Pseudonym Banjo Jones.
In einem anderen Fall hat ein texanischer Blogger einfach Inhalte aus einem anderen beliebten Warblog übernommen.
Cyberjournalist.net hat jetzt eine Blogging-Ethik entworfen, die sich an Regeln für Schreib-Profis anlehnt.
Hier einige Auszüge: (10)
- Sei aufrichtig und ehrlich.
- Schreibe niemals aus einem anderen Blog ab.
- Identifiziere und verlinke zu der Nachrichten-Quelle - wenn möglich
- Stelle sicher, dass alle Inhalte korrekt und nicht übertrieben oder vereinfacht wiedergegeben sind.
- Niemals Fotos manipulieren, ohne dies deutlich zu machen.
- Niemals unrichtige Informationen veröffentlichen.
- Unterscheide zwischen Fakten, Kommentaren und tendenziöser Berichterstattung

Ein weiterer Anlass für diese Ethik-Debatte: Microsoft zahlte Bloggern einen Konferenzaufenthalt.
Die publizistische Macht der Blogger ist groß. Anders ist kaum zu erklären, warum Microsoft neben Journalisten und Analysten auch einige Netztagebuch-Autoren zu seiner Mobius-Konferenz eingeladen hat, wo Microsoft gewöhnlich neue Produkte und Ideen präsentiert.
Die Reisekosten nach Seattle inklusive Hotel wurden für die Blogger von dem Konzern übernommen. Nun herrschte in amerikanischen Weblog-Kreisen die Diskussion, inwiefern das den Weblog-Lesern gegenüber innerhalb der „Berichterstattung“ offengelegt werden müsse. Richtige Reporter echter Publikationen lassen derlei Gefälligkeit nicht zu - hier zahlt, nicht nur der journalistischen Unabhängigkeit willen, immer die Redaktion.

Weblog-Expertin Rebecca Blood, die kürzlich ein Handbuch zu dem Phänomen verfasst hat, widmete in ihrem Werk der „Ethik des Bloggens“ gleich mehrere Seiten. In sechs Unterpunkten zeichnet sie einen Verhaltenskodex auf, der sich kaum noch von dem professioneller Publikationen unterscheidet. Ergänzt ist er jedoch um spezifische Techniken des Internet, beispielsweise, dass online verfügbares Material zu einem Weblog-Eintrag zu verlinken sei - anstatt es womöglich zu unterdrücken: „Die Leser verdienen alle Fakten“, schreibt Blood. (11)

Die ersten Fälle, in denen Blogger mit dem Presserecht konfrontiert werden, dürften auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Daher veranstaltet die Rechtsfakultät der Yale-Universität Konferenzen, die Journalismus, Jura und Blogging zusammenbringt.

Auch Mitch Ratcliffe, Blogger und High-Tech-Berater, hat eine Ethikdebatte zum Thema Weblogs losgetreten. Das neue Medium brauche Regeln, sagt er im Interview mit der Netzeitung.
Ratcliffe ist Internetpionier, schrieb für „Macweek“ und „Digital Media“ und entwickelte für den Finanzdienst „On24“ die Inhalteplattform. Heute arbeitet er als Berater für AOL, ZDNet und Softbank - und plant, mit seinem Weblog Geld zu verdienen.

Mitch Ratcliffe ist nicht der Ansicht, dass journalistische Standards im Weblog-Bereich zur Anwendung kommen sollten oder müssten. Vielmehr glaubt er, dass sich die Blogger selbst ethische Fragen stellen müssten, genauso wie das andere Leute tun, die Menschen durch ihre Texte beeinflussen können. (12)

Die Reaktion auf die ethischen Fragen von Mitch Ratcliffe in der Weblog-Welt waren vielfältig.
Viele Leute haben die Idee diskutiert. Doc Searls schrieb einen „Mea Culpa“-Artikel, den Ratcliffe sehr gedankenvoll und diskussionsfördernd fand - von jemandem, der zu den Pionieren im Weblog-Bereich zählt. Er bekam auch viele defensive Mails von Bloggern und einige sehr vernünftige Antworten von ihnen. Sein Posting wurde doch von vielen Leuten als ein Edikt von oben fehlinterpretiert. (13)

Doch sehen die Leser große Weblogs bereits als glaubwürdige Quellen an, die mit großen Medien verglichen werden können?

Ratcliffe glaubt, dass viele Leute die Meinungen, die sie mit dem Schreiber teilen, mit dessen Glaubwürdigkeit verwechseln. Also nehmen sie die Kommentare eines konservativen „War-Bloggers“ oder eines liberalen „Business-Bloggers“ als endlich die Wahrheit. Dabei sollten sie kritischer als je zuvor lesen.

Ratcliffe sieht eine fortgesetzte Entwicklung der Art und Weise, wie die Menschen kommunizieren. Blogging ist nicht das letzte neue Ding. Aber es könnte einen interessanten Platz im Kommunikationsumfeld einnehmen, einen, der sich den „Jede Person ist ein Medium“-Vorhersagen der frühen Web-Ära annähert. (14)

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