Propaeduetikum Artikel | Netzneutralität - Vorfahrt für das freie Internet?
irena.grbic.uni-linz, 2. Jänner 2017, 16:26
Quelle: Vgl. Q15
Das jahrelange Ringen zwischen den großen Telekommunikationsunternehmen, Bürgerrechtlern und der EU hat ein Ende. Denn das Gremium der europäischen Regulierungsstellen für den Telekommunikationssektor (BEREC - Body of European Regulators for Electronic Communications), hat entschieden, dass es ab sofort klare Regeln zum Schutz der Netzneutralität gibt. (Vgl. Q2)
Was bis her geschah...
Im Oktober 2015 wurde von der EU ein Gesetz zur Netzneutralität beschlossen. Dieses war jedoch nicht eindeutig und konnte auf verschiedene Arten gelesen werden. Die Netzneutralität könnte somit untergraben werden, indem Teile des Gesetztes missbraucht werden. (Vgl. Q12)
Die Regulierungsstelle BEREC musste bis 6. August 2016 Leitlinien beschließen, um die unklare EU-Verordnung zu präzisieren. Diese neu beschlossenen Leitlinien entscheiden über die Zukunft der Netzneutralität in Europa. (Vgl. Q12)
Der Entwurf für die neuen Leitlinien wurde am 6. Juni 2016 von der BEREC vorgestellt und eine öffentliche Konsultation bis zum 18. Juli 2016 gestartet. Daraufhin musste die BEREC bis 30. August 2016 seine endgültigen Regeln veröffentlichen. (Vgl. Q12)
Das Prinzip der Netzneutralität
Unter dem Begriff Netzneutralität wird verstanden, dass grundsätzlich alle Daten bei der Übertragung innerhalb von Netzen gleich behandelt werden. Das heißt, es dürfen bestimmte Daten oder Kategorien von Daten nicht gegenüber anderen Daten bevorzugt oder gebremst werden, unabhängig davon, woher die Daten stammen oder an wen sie gerichtet sind. (Vgl. Q1)
Somit gibt es keine Daten, Dienste oder Nutzer erster und zweiter Klasse und auch keine wichtigen und weniger wichtigen Inhalte. Es wird nicht zwischen dem gezahlten Internettarif des Senders und Empfängers, der Art der Anwendung oder dem übermittelten oder empfangenen Protokoll unterschieden. (Vgl. Q10) Dadurch wird ermöglicht, dass bspw. Videos und Internet-Telefonate mit der selben Geschwindigkeit, wie E-Mails oder Webseiten durch das Netz zum Nutzer transportiert werden. (Vgl. Q1)
Es darf lediglich eine Einflussnahme stattfinden, wenn dies gegenüber dem Kunden transparent und Teil der Vertragsbedingungen ist. Somit wird ermöglicht, allen Kunden einen fairen Teil der bestehenden Netzwerkkapazitäten zur Verfügung stellen zu können. Folglich stellt die Netzneutralität eine der fundamentalen Voraussetzungen für ein freies und offenes Internet dar. (Vgl. Q10)
Warum ist eine Diskussion über Netzneutralität entstanden?
Heutzutage werden Produkte und Dienste, die Internetanbieter selbst verkaufen möchten, oftmals von anderen Anbietern von Anwendungen, welche keine Internetanbieter sind, günstiger oder kostenlos angeboten. Als Beispiele hierfür lassen sich Produkte für Kurznachrichten und Telefonate über das Internet nennen. Für die Anbieter dieser Anwendungen ergeben sich dadurch lukrative Geschäftsmodelle. Dazu werden jedoch die Infrastrukturen der Internetanbieter genutzt (Leitungen und Funkfrequenzen), was diesen ein Dorn im Auge ist. Denn parallel zur Steigerung der Beliebtheit des Internets, steigt auch die Menge der zu übertragenden Datenpakete, welche durch die Infrastrukturen der Internetanbieter transportiert werden muss. Daher war es die Intention mancher Internetanbieter, Anteile an den Kosten für den Ausbau neuer Infrastrukturen den Anbietern von Anwendungen in Rechnung zu stellen und somit neue Geschäftsmodelle einführen zu können. (Vgl. Q1) Als Beispiel wäre hier die Deutsche Telekom zu nennen. Diese kritisiert den einseitigen Profit bei der Partnerschaft von Netzbetreibern mit Internetunternehmen. Demnach werden von der Deutschen Telekom seit Jahren Milliarden in Infrastruktur und Netzaufbau investiert, währenddessen die Internetunternehmen hohe Rendite kassieren. (Vgl. Q10)
Von Kritikern dieses Modells wurde befürchtet, dass somit nicht mehr alle Daten, unabhängig vom Absender, gleich schnell zum Empfänger gelangen würden. Auch Netzaktivisten kritisierten das Modell, indem sie auf die weniger zahlungskräftigen Unternehmen verwiesen, welche unter der Bevorzugung bestimmter Dienste leiden würden. (Vgl. Q10)
Die immer häufiger vorkommende Priorisierung, Drosselung oder Sperrung bestimmter Art von Daten durch die Anbieter hat erhebliche Auswirkungen auf Wirtschaft, Innovation und Meinungsfreiheit. (Vgl. Q10)
Früher wurden die Daten von den Netzbetreibern lediglich transportiert. Sie wurden nicht analysiert in Bezug auf die Art der Daten, welche gesendet bzw. empfangen wurden. Die Netzbetreiber konnten und wollten die Datenpakete nicht untersuchen. Heutzutage verfügen Netzbetreiber aufgrund neuer Technologien, wie bspw. der „Deep Packet Inspection“ über Möglichkeiten, Anwendungen und Inhalte der einzelnen Datenpakete zu kontrollieren. (Q10) Durch die Deep Packet Inspection können Provider bestimmte Inhalte protokollieren, verlangsamen, berechnen oder komplett unterdrücken. Diese Technologie kann und wird oftmals dazu genutzt, um z. B. nur mehr politisch erwünschte Inhalte weiterzuleiten. Da die Deep Packet Inspection alle Inhalte analysiert, wird die Methode auch zur Überwachung eingesetzt. (Vgl. Q9)
Wie bereits erwähnt, kam es bereits letztes Jahr zu einer Übereinkunft zwischen dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission in Sachen Netzneutralität. Dieser Kompromiss garantierte einerseits den offenen Zugang zum Internet für Nutzer und Anbieter. (Vgl. Q3) Gleichzeitig jedoch befürchteten Bürgerrechtler und Internetfirmen aufgrund der unklaren Formulierungen der Verordnung, dass die Freiheit des Internets untergraben werden könnte. Gründe dafür stellten vor allem die Gestaltung des Zero Ratings und die Spezialdienste dar. (Vgl. Q2) Was genau unter den Begriffen Spezialdienst und Zero Rating zu verstehen ist, wird nachstehend erläutert.
Spezialdienste
Spezialdienste werden über das Internet angeboten. Im Vergleich zu einem normalen Dienst erhält ein Spezialdienst eine höhere Qualität durch den Internet-Provider. (Vgl. Q4) Bucht man als Konsument diesen Spezialdienst, wird garantiert, dass dieser Dienst problemlos übertragen wird. Wird hingegen nicht für einen Spezialdienst bezahlt, wird nicht garantiert, dass man den Dienst überhaupt nutzen kann. (Vgl. Q2) Somit können einzelne Online-Dienste, wie bspw. IPTV in besonderer Qualität gegen gesondertes Entgelt angeboten werden. (Vgl. Q8)
Eine Priorisierung dieser Art ist seit der neu beschlossenen Verordnung nun nicht mehr möglich, denn diese schreibt vor, dass eine Optimierung dieser Art objektiv notwendig sein muss für den Dienst auf den zugegriffen wird. Darüber hinaus muss durch den Internet-Provider sichergestellt werden, dass hinreichend Kapazität im Netzwerk zur Verfügung steht und somit die Qualität des Internetzugangs nicht untergraben wird. Dies bedeutet, ein „Spezialdienst“ darf keine diskriminierende „Überholspur“ sein. (Vgl. Q4)
Zero Rating
Unter dem Begriff „Zero-Rating“ wird ein Geschäftsmodell verstanden bei dem verbrauchte Daten bestimmter Dienste nicht auf das gebrauchte Datenvolumen eines Kunden gerechnet werden. (Vgl. Q5) Somit werden verschiedenen Datenverbindungen auf unterschiedliche Arten behandelt, um bestimmte Verbindungen zu einem Preis und weitere zu einem anderen Preis anbieten zu können. Im Grund genommen weicht diese Handlungsweise von der „klassischen“ Verletzung der Netzneutralität ab, ist jedoch praktisch gesehen dasselbe, da auch in diesem Falle der Internetprovider die Möglichkeit hat zu beeinflussen, welche Anwendungen und Dienste benutzt werden und welche nicht. Für jeden Konkurrenten eines Anbieters einer Anwendung für den Zero-Rating gilt, ergibt sich somit ein erheblicher Wettbewerbsnachteil, da zusätzliche Kosten entstehen, die Anwendung oder den Dienst ungehindert zu benutzen. Von derartigen Nachteilen sind besonders Startups sowie kleine und mittlere Unternehmen betroffen. (Vgl. Q4)
Seitens des Mobilfunkanbieters „Drei“ gibt es eine entsprechende Vereinbarung mit dem Musik-Streaming-Dienst Spotify. (Vgl. Q6)
Auch nach Erscheinen der neuen Verordnung bleibt die umstrittene Praxis des Zero Ratings in Grenzen erlaubt. Provider dürfen auch in Zukunft prinzipiell einzelne Dienste vom Datenlimit ausnehmen. Wenn das Datenlimit jedoch erschöpft ist, darf der priorisierte Dienst lediglich in gedrosselter Geschwindigkeit laufen. (Vgl. Q3)
Quelle: Vgl. Q7
Die Situation in Europa
Aus dem im Mai 2012 von der BEREC veröffentlichtem Bericht geht hervor, dass Verstöße gegen die Netzneutralität in der EU weit verbreitet sind. Etwa die Hälfte aller Nutzer von mobilem Breitbandinternet haben bspw. Verträge, welche den Providern erlauben, VoIP und P2P enzuschränken. (Vgl. Q9)
Prinzipiell gestaltet sich die Gleichbehandlung von Daten im Netz in allen EU-Mitgliedsstaaden schwierig. Mache Staaten, wie die Niederlande oder Slowenien, haben die Netzneutralität längst eingeführt. Dort ist diese auch der Grund für viel Dynamik und Innovation in der Wirtschaft. Hingegen sind jedoch zahlreiche anderer Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, zurückhaltender was die Durchsetzung der Netzneutralität betrifft. Denn diese sehen vor das Internet strenger durch Vorschriften zu regeln und den Telekommunikationsunternehmen und Firmen zu ermöglichen, die Netzneutralität einzuschränken. (Vgl. Q10)
Der Fall Spotify
Dass die neue EU-Verordnung zur Netzneutralität Wirkung zeigt, beweist der Fall von Spotify. Die Deutsche Telekom wird zukünftig auch den Datenverkehr beim Streaming von Spotify drosseln, wenn das inkludierte Datenvolumen des Vertrags aufgebraucht ist. Diese Regelung ist auch für jene Spotify-Kunden wirksam, denen aufgrund eines Zusatzvertrags von zehn Euro für das Musikstreaming bis dato keine Datenmenge abgezogen wurde. (Vgl. Q13)
Hingegen bleibt, die von vielen als Bevorzugung kritisierte Ausnahme von Spotify aus dem Datenvolumen, weiterhin bestehen. Trotz diesem Umstand sieht man nach Aufbrauchen des reglären vertraglich geregelten Datenvolumen durch die Finger. Dann nach der Drosselung der Geschwindigkeit ist ein Streaming von Musik nahezu unmöglich. (Vgl. Q13)
Auch in Österreich bietet der Mobilfunker "Drei" das gleiche Paket für die Spotify Nutzung an. Die „3Cloud“ wird mit dem Slogan „Nichts für den Datenverbrauch bezahlen“ beworben. Dieses und weitere Angebote werden nun von der Regulierungsbehörde RTR kritisch unter die Lupe genommen. Denn bei der RTR gingen zahlreiche Beschwerden mehrerer Kunden ein. (Vgl. Q12)
Vergehen durch den Mobilfunker Drei
Der RTR ist jedoch nicht nur das Angebot „3Cloud“ ein Dorn im Auge, sondern auch weitere Drei-Angebote, wie das „3 Film-Abo“ und „3Mobile TV“. Die Services funktionieren nach wie vor ungehindert, auch wenn das Datenvolumen eigentlich aufgebraucht wurde. Somit entsteht eine „Diskriminierung“ zwischen Services, die der EU-Verordnung zur Netzneutralität widersprechen. (Vgl. Q12)
Die RTR wird nun innerhalb der nächsten sechs Monate die konkrete technische Ausgestaltung dieser Produkte prüfen. Jedoch zeigt sich eine Kuriosität, da dem Mobilfunker Drei auch dann keine Strafe droht, wenn die RTR eine eindeutige Verletzung der Netzneutralität feststellt. Dies kommt daher, dass, im Gegensatz zahlreicher anderer EU-Staaten und auch hierzulande immer noch keine Strafmaßnahmen für die Verletzung von Netzneutralität festgelegt wurden. (Vgl. Q12)
Fazit & Ausblick
Die Diskussion um die Netzneutralität insgesamt ist noch nicht am Ende. Die neuen Leitlinien sollen nun ein Jahr in der Praxis erprobt werden. Danach werden dann gegebenenfalls Nachbesserungen gestartet. Netzaktivisten befürchten, dass Provider zukünftig auf andere Art und Weise Konsumenten zur Kasse bitten könnten. So wird zurzeit zwischen den Providern wieder über die Kosten für die Zusammenschaltung ihrer Netze diskutiert. Denn wer Daten direkt in den Backbone von Großprovidern wie der Deutschen Telekom einspeisen möchte, muss dafür eventuell zahlen. Weiters ist der Fortschritt bei der Debatte um Interconnection-Geschäfte genauso weit wie bei der Netzneutralität. Jedoch wird diese mit dem aktuellen Gesetz nicht abgedeckt. Somit ist es für Provider weiterhin möglich mit Großanbietern wie Netzflix separate Konditionen abzuschließen, ohne mit den Leitlinien in Konflikt zu geraten. (Vgl. Q3)
Letztlich ist der Grad der Netzneutralität in Europa nun davon abhängig, wie konsequent die nationalien Regulierungsbehörden die gemeinsamen Absichten umsetzen werden. (Vgl. Q2)
Quellen
Q1:
https://www.rtr.at/de/tk/TKKS_Netzneutralitaet#c28774 (zuletzt aufgerufen am 18.10.2016)
Q2:
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/eu-regelt-netzneutralitaet-das-bedeutet-die-regelung-fuer-die-nutzer-a-1109868.html (zuletzt aufgerufen am 17.10.2016)
Q3:
http://www.zeit.de/digital/internet/2016-08/netzneutralitaet-internet-eu-leitlinien-regulierer/komplettansicht (zuletzt aufgerufen am 18.10.2016)
Q4:
https://savetheinternet.eu/de/faq/#what-are-specialised-services (zuletzt aufgerufen am 18.10.2016)
Q5:
https://futurezone.at/netzpolitik/netzneutralitaet-in-europa-so-gut-abgesichert-wie-nie/218.551.902 (zuletzt aufgerufen am 18.10.2016)
Q7:
http://cdn1.spiegel.de/images/image-915410-videoposter16-isfe-915410.jpg (zuletzt aufgerufen am 20.10.2016)
Q8:
https://digitalegesellschaft.de/portfolio-items/netzneutralitat/ (zuletzt aufgerufen am 19.10.2016)
Q9:
https://digitalegesellschaft.de/wp-content/uploads/2012/12/DG_Handbuch_NN.pdf (zuletzt aufgerufen am 19.10.2016)
Q10:
Friedrichsen, Mike/Bisa, Peter (Hrsg.): Digitale Souveränität, Stuttgart, 2016
Friedrichsen, Mike: Der Einfluß der Netzneutralität auf die digitale Transformation in: Friedrichsen, Mike/Bisa, Peter (Hrsg.): Digitale Souveränität, Stuttgart, 2016, S. 177-191
Q12:
https://savetheinternet.eu/de/#info (zuletzt aufgerufen am 19.10.2016)
Q13:
https://futurezone.at/netzpolitik/deutsche-telekom-drosselt-spotify-drei-beraet-noch/189.868.080 (zuletzt aufgerufen am 19.10.2016)
Q14:
http://derstandard.at/2000045420433/Netzneutralitaet-Beschwerde-gegen-Mobilfunker-3-eingeleitet (zuletzt aufgerufen am 19.10.2016)
Q15:
http://economydecoded.com/wp-content/uploads/2015/02/shutterstock_Net_Neutrality_1.jpg
Q16:
https://savetheinternet.eu/de/images/net_neutrality_roadmap.svg (zuletzt aufgerufen am 19.10.2016)
Analyse von Datenpaketen
andrea.freilinger.uni-linz, 6. Jänner 2017, 09:33
Ich finde es sehr interessant, dass zur Steuerung von Datenströmen, aus wirtschaftlichem Eigeninteresse der Unternehmen, eine Analyse mittels Deep Packet Inspection durchgeführt wird. Wie im Artikel erwähnt werden damit auch die Inhalte auf ihre Motivation geprüft und dementsprechend rasch weitergeleitet oder auch nicht. Ist diese Methode sehr aufwändig in Bezug auf Zeit und Kosten? Andernfalls kann ich nicht verstehen, warum sich Facebook beispielsweise auf willkürliche Meldungen von Usern beruft um sittenwidrige oder kriminelle Inhalte doch zu überprüfen.
Dazu habe ich auf meinem Block unter Grenzen der Online-Kommunikation einen spannenden Fall angeführt.
Das "Recht" auf Internet im Sinne der Netzneutralität für alle in gleichem Ausmaß ist ein schöner Gedanke. Wenn Dienste in erweiterter oder verbesserter Form angeboten werden, wird man das wohl auf irgendeine Weise bezahlen müssen. Die Geschäftsmodelle und Verträge werden durch Kooperationen und Pauschalierungen immer unverständlicher für VerbraucherInnen.
Im Fall von Spotify wird das Drosseln der Geschwindigkeit wohl keine Lösung sein, wenn der Kunde/die Kundin dann de facto keine Leistungen mehr damit erzielen kann.