Anonymität & Online-Kommentare
gertrude.dienstl-ottensamer.uni-linz, 17. Juni 2018, 22:16
Zusammenfassung des Artikels
Kommentare sind eine weitverbreitete Möglichkeit Artikel zu kommentieren. Leser können dadurch nicht nur zusätzliche Informationen erhalten oder teilen, sie tragen unter anderem auch zur Meinungsbildung bei. Bedenklich sind dabei jedoch einige Tendenzen wie etwa Diskussionen von geringer Qualität, gehässige Bemerkungen oder Angriffe auf Quellen. Weiters stellt die gleiche und faire Behandlung aller Kommentatoren (Inklusivität) eine Herausforderung dar. Kommentare sind eindeutig von Männern dominiert, lediglich bei einigen wenigen Bereichen wie Elternschaft, Mode oder Gesundheit nehmen Frauen verstärkt mittels Kommentaren an der Diskussion teil. Weibliche Gesprächspartner sind weiters oft Ziel von negativen Wortmeldungen inkl. Mobbing, Belästigung, etc. Dies alles hat Einfluss auf das Leseverhalten der User und auf die Berichterstattung der Journalisten.
Ein wesentlicher Punkt bei der Erstellung von Online-Kommentar-Systemen ist die Handhabung von User Identitäten. Diese reichen von der Nutzung realer Namen über Pseudonyme bis hin zu vollständiger Anonymität. Durch Anonymität kann die Anzahl der Kommentare erhöht werden, auch werden kontroversielle Themen öfter geteilt. Anonymität kann weiters ein Motivator sein, seine Meinung, die vielleicht bei Bekanntgabe des Namens zu sozialer Ablehnung führen könnte, zu posten. Gleichzeitig fördert Anonymität aber auch antisoziales Verhalten.
Die vorliegende Studie soll Aufschluss darüber geben, inwieweit sich die Änderung des Namens beim Verfassen von Kommentaren auswirkt.
Studiendesign
Das New York Times Kommentar System ermöglicht es eingeloggten Nutzer Kommentare zu posten. User können sich via Facebook, Google oder e-mail-Adresse + Passwort anmelden. Kommentare durchlaufen einen Pre-Moderation-Prozess bevor sie online gestellt werden. Dabei werden die Kommentare entsprechend den Community Guidelines geprüft und, wenn sie entsprechend aufschlussreich sind, als „NYT Picks“ markiert. Das System lässt weiters unterschiedliche Namen bei unterschiedlichen Kommentaren zu.
Im Zeitraum von 01.01.2014 bis 01.10.2015 wurden Metadaten wie Kommentartext, Name, Erstellungsdatum, User-ID, Artikel-URL, etc. von 4.172.286 Kommentare und 35.970 Artikel gesammelt. Aufgrund der User-ID konnte jedes Kommentar einer Person zugeordnet werden. Bei Usern, die mehr als eine Namensänderung in dieser Zeit hatten, wurde die komplette Kommentar-History bis 2007 herausgesucht. Im Mittelpunkt stand dabei die qualitative (geschlechterbezogene) Änderung des Namens. Zur Auswertung wurde das Tool „Sex Machine“ einer Python-Bibliothek herangezogen. Dadurch konnten die User in folgende Kategorien unterteilt werden: männlich, überwiegend männlich, weiblich, überwiegend weiblich sowie androgynous (nicht eindeutig zuordenbar). Bei 51,6% der User konnte das Geschlecht (männlich oder weiblich) bestimmt werden.
Definiert wurde eine Namensänderung als die Nutzung eines anderen Display-Namens beim nächsten Kommentar.
Ergebnisse
Namensänderung: Ausmaß & Charakterisierung
In der Studie konnte festgestellt werden, dass Namensänderungen erfolgten relativ selten (0,32%) erfolgten. Die Mehrheit dieser User (91,2%) hatte zwei Namen; lediglich 1,1% hatten 5 oder mehr Namen.
55,2% der Namensänderungen waren von männlich zu weiblich oder umgekehrt. Die anderen 45 % änderten den Namen dahingehend, dass dieser einem Geschlecht nicht eindeutig zurechenbar war (androgynous names).
60 % die ihren Namen für Kommentare änderten, änderten diesen wieder auf ihren alten Namen. Die Leser haben somit eine „Home“-Identität. Auch, dass ein Account von mehreren Familienmitgliedern genutzt wird, ist gering.
Namensänderung & Artikel
Generell werden Artikel seitens der Moderatoren Themenbereichen zugeordnet. Die Anzahl der Kommentare hängt dabei nicht nur vom Interesse der Nutzer ab, sondern auch von den Moderatoren, die eine gewisse Anzahl an Artikel für Kommentare freigeben.
Artikel aus dem Bereich „Meinung“ haben die zweit niedrigste Rate an Namensänderungen. Wenn es zu einer Namensänderung kam, dann war das Kommentar keinem Geschlecht mehr zuordenbar.
In Bereichen wie „NY / Region“, „Essen“, „Bildung“ und „dein Geld“ war die Rate der Namenänderung am höchsten. In den Bereichen „Technologie“ und „Sport“ gab es weniger Namensänderungen zu weiblich, gegenteiliges war im Bereich „Essen“ erkennbar. Relativ wenige Namensänderungen hin zu männlich gab es im Bereich „Bildung“, andere Bereiche wie „Essen“, „Dein Geld“ und „Kunst“ haben eine vergleichbar hohe Rate.
Die Autoren haben in diesem Bereich die Namensänderungen nochmals geclustert nach:
1) Verlust der Gender-Information: dies ist überdurchschnittlich bei den Bereichen „NY/Region“, „Essen“, „Bildung“, „Technologie“ und „US“ aufgetreten. Bei den Kategorien „Welt“ und „Meinung“ war dies unterdurchschnittlich.
2) Die bewusste Änderung des Geschlechtes von männlich auf weiblich oder umgekehrt: Bei „Dein Geld“ und „Kunst“ wurde überdurchschnittlich oft das Geschlecht gewechselt; in der Kategorie „Business Day“ unterdurchschnittlich
3) Die strategische Ausrichtung des Geschlechtes am Leserkreis. Dies war überdurchschnittlich beim Thema „Gesundheit“ zu erkennen; in der Kategorie „Crosswords/Games“ gab es unterdurchschnittlich oft Änderungen.
Über alle drei Cluster hinweg konnte weiters festgestellt werden, dass bei den Kategorien „NY/Region“ und „Essen“ am häufigsten zu Namensänderungen kam; im Vergleich bei „Welt“ und „Meinung“ am geringsten. Bei den beiden Kategorien „Dein Geld“ und „Kunst“ wurde überdurchschnittlich oft zu weiblichen oder männlichen Namen gewechselt, dies lässt vermuten, dass das Geschlecht in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle spielt. Interessant ist weiters, dass in der Kategorie „US“ User vermehrt den Namen dahingehend wechselten, dass nicht mehr zu erkennen war, ob dieser männlich oder weiblich ist.
Weiters konnten die Autoren individuelle Muster feststellen und zwar einerseits, dass einzelne User mehrere Kommentare mit unterschiedlichen Namen zu einem Artikel schrieb. Ein anderes Muster war, dass bei persönlichen Geschichten ebenfalls der Name geändert wurde.
Namensänderung: Informelle Signale an Moderator
In diesem Bereich wurden drei Faktoren herausgearbeitet, die hinsichtlich qualitativ hochwertiger Kommentare für Journalisten von Interesse sind. Das sind Kommentare die mit „NYT Picks“ gekennzeichnet wurden, Kommentar-Empfehlungen, die die Interessen der Community abbilden und den „personal experience score“. (Personal experience score bezieht sich auf die Verwendung bestimmter Wörter wie „Ich“, „Wir“, „Familie“ oder „Freunde“).
Es konnte festgestellt werden, dass es einen starken Zusammenhang zwischen Namensänderung und „personal experience score“ gibt. Dies impliziert, dass User, die ihren Namen verändern, öfter über persönliche Erfahrungen erzählen. Dieser Effekt konnte insbesondere bei Männern festgestellt werden, die ihren Namen dahingehend geändert haben, das er einem Geschlecht nicht mehr zuordenbar war.
Folglich wäre eine Sichtbarmachtung von Namensänderung für Moderatoren von Kommentaren eine wichtige und interessante Zusatzinformation, da diese interessante persönliche Beiträge kennzeichnen können bzw. Moderatoren auch steuernd eingreifen könnten.
Namensänderung & Emotionen
Die Datenauswertung zeigte, dass bei Kommentaren mit Namensänderung es zu einer höheren Anzahl an negativen Gefühls-Wörtern, Angst und Ärger-Wörtern sowie einer geringeren Anzahl an Wörtern mit positiven Emotionen kam.
Kritik und Ausblick
Die Autoren weisen abschließend nochmals darauf hin, dass es sich hier ausschließlich um eine quantitative Erhebung handelt und das weiterführende Forschungen im qualitativen Bereich interessant wären. Auch wurde nochmals thematisiert, dass, obwohl die User angemeldet sein müssen, keine direkten Rückschlüsse auf die tatsächlichen Personen gezogen werden können.
Fazit und eigene Meinung
Ich habe den Artikel gewählt, da er das Thema Anonymität im Netz diskutiert. Obwohl es sich um eine rein quantitative Studie handelte, konnte meiner Meinung nach sehr wohl gezeigt werden, dass ein Großteil der Personen im Netz unerkannt bleiben möchte. Insbesondere auch dann, wenn es sich um „Persönliches“ handelt, das direkte Umfeld bettroffen ist oder negatives Feedback erwartet wird. Interessant in diesem Zusammenhang wäre sicherlich eine qualitative Analyse insbesondere in Hinblick auf stereotypes Verhalten.
Außerdem ist die Namensänderung ein guter Hinweis für Moderatoren bzw. Journalisten, da sie dadurch bereits im Vorfeld steuernd eingreifen können und etwaiges unsoziales Verhalten vermindern bzw. interessante Kommentare weiterverfolgen können. Dies kann die Qualität des Artikels entsprechend erhöhen.
Zur Studie
elsa.wiesinger.uni-linz, 22. Juni 2018, 13:39
Wie bereits in deiner Zusammenfassung erwähnt, fördert Anonymität auch antisoziales Verhalten. In meiner Studie wurde erkannt, dass es dieser Vorteil vor allem zur Tarnung, sowie zum Vertuschen illegaler oder inkorrekter Aktionen im Netz genutzt wurde.