Aufgaben Partizipativer Journalismus
julia.ferrari.uni-linz, 5. Juni 2014, 13:45
Der Begriff Partizipativer Journalismus entstammt einer Reihe von Wortschöpfungen, zu denen auch "Amateurjournalismus", "Netzwerkjournalismus", "Parajournalismus" oder auch "Graswurzel-Journalismus" gehören. [Q2]
Aufgrund der raschen Entwicklungen im Kommunikations- und Medienbereich fiel es der Wissenschaft lange nicht leicht, einen passenden Begriff zu finden. In der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft hat sich aber in letzter Zeit der Begriff "Partizipativer Journalismus" durchgesetzt. [vgl. Q2]
„Partizipativer Journalismus ist die Tätigkeit eines Bürgers oder einer Gruppe von Bürgern, die eine aktive Rolle im Prozess der Recherche, des Berichtens, des Analysierens sowie des Verbreitens von Nachrichten und Informationen einnehmen. Ziel dieser Partizipation ist die Bereitstellung von unabhängigen, verlässlichen, genauen, ausführlichen und relevanten Informationen, die eine Demokratie benötigt.“ [Q1]
Internetnutzer von heute konsumieren nicht nur die Informationen, sie produzieren diese auch. Es wird kommentiert, recherchiert, publiziert und kritisiert: ohne großen Aufwand und ohne redaktionelle
Kontrolle. Inzwischen seien im deutschsprachigen Raum 200.000 bis 500.000 Blogs zu finden, konstatiert Markus Beckedahl, der Chefredakteur des Blogs Netzpolitik.org. Jeder Internetnutzer kann seinen eigenen Blog online stellen. Nun haben natürlich nicht alle diese Blogs journalistischen
Inhalt. Allerdings nutzen doch viele Menschen eben diesen Kanal, um Informationen, Meinungen oder Kritik zu veröffentlichen. Dementsprechend wichtig ist inzwischen der partizipative Journalismus geworden. Experten gehen sogar davon aus, dass 2021 die Hälfte der Nachrichten von Bürgerjournalisten und nicht mehr von professionellen Journalisten produziert wird.
Geschichte
Der Begriff partizipativer Journalismus stammt aus dem Bereich der anglo-amerikanischen Publizistik. Im deutschsprachigen Raum war seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts das Konzept der Gegenöffentlichkeit verbreitet. Das partizipative Element betont der norwegische Friedensforscher Johan Galtung, der ein Konzept für einen friedensfördernden Journalismus entwickelt hat. Vorläufer sind die alternativen Stattzeitungen der 70er und 80er Jahre, ebenso die Freien Radios der 80er Jahre. Wandzeitungen können auch ohne Social Web bzw. Social Media interaktive Projekte organisieren. Als Vorläufer des User Generated Content können auch Offene Kanäle, veröffentlichte Leserbriefe sowie Hörer-/Zuschaueranrufe als Teil laufender Sendungen angesehen werden. Sie sind dem partizipativen Journalismus aber nur zum Teil verpflichtet. [vgl. Q3]
Formen
Es gibt vier unterschiedlichste Ausprägungsformen des partizipativen Journalismus. [vgl. Q2]
- Weblogs
- Kollektivformate
- professionell-partizipative Nachrichtensites
- Leserreporter-Rubriken
"Bezüglich Qualität und Reichweite der durch partizipativen Journalismus konstituierten Gegenöffentlichkeit(en) sind markante Unterschiede festzustellen. Obwohl die Zahl der aktiv Partizipierenden auf der Ebene der Beitragselemente in professionellen Medienformaten in der Regel am höchsten ist, werden hier aufgrund rigider journalistischer Vorgaben aus inhaltlicher Perspektive am wenigsten Alternativen zur Berichterstattung der etablierten Medien artikuliert." [Q5]
Das Zusammenspiel zwischen Gegenöffentlichkeit und partizipativem Journalismus kann empirisch auf drei Ebenen konkret analysiert werden. Für die Einteilung ist ausschlaggebend, welche Foren der Gegenöffentlichkeit durch die verschiedenen Formen des partizipativen Journalismus eröffnet werden. Auf der ersten Ebene kann Gegenöffentlichkeit lediglich anhand von Beitragselementen hergestellt werden, d. h. Hinweise, Fotos oder Ergänzungen zur professionellen Berichterstattung. Hier sind die Leserreporter-Rubriken angesiedelt. Auf der zweiten Ebene kann sich Gegenöffentlichkeit bereits mithilfe von eigenständigen Beiträgen konstituieren. Diese Möglichkeit bieten die professionell-partizipativen Nachrichtensites. Auf der dritten Ebene eröffnet sich der Gegenöffentlichkeit schließlich das Forum vollständiger Medienformate, die individueller oder kollektiver Natur sein können. Schritt für Schritt wird auf jeder Ebene untersucht, ob die dortigen Formen des partizipativen Journalismus über das Potenzial zur Herstellung von Gegenöffentlichkeit verfügen und wie es sich gestaltet. [vgl. Q5]
Fazit
Die Konsistenz des partizipativen Journalismus ist mannigfaltig. Der neue Trend hat viele Facetten, gute wie schlechte. Es ist interessant zu sehen, dass sich die Menschen durch das Internet in die Tätigkeiten der Medien involvieren. Die Membran zwischen den Produzenten und Konsumenten wird immer durchlässiger. Beide Seiten können von dieser Entwicklung profitieren. Dieser Trend bietet leider nicht nur Vorteile. Durch den Wegfall der redaktionellen Institution kann der partizipative Journalismus nicht immer eine korrekte und ausgewogene Berichterstattung für sich beanspruchen. Allerdings zeigt die angeführte Studie, dass viele Autoren diesen Anspruch gar nicht haben. Es gilt den Blick des Lesers zu schärfen, was er für bare Münze nehmen kann und was er kritisch bewerten muss, um sich seine eigene Meinung zu bilden. Wie der Trend weiter geht, welche Form der Journalismus in den nächsten 50 Jahren annehmen wird, kann keiner sagen. Qualitativ hochwertiger Journalismus, ergänzt durch partizipativen Journalismus, wäre sicherlich eine wünschenswerte Option.
[Q1] http://de.wikipedia.org/wiki/Graswurzel-Journalismus
[Q2] Engesser, Sven (2008): Partizipativer Journalismus. Eine Begriffsanalyse. In: Zerfaß, Ansgar/ Martin Welker/Jan Schmidt (Hrsg.): Kommunikation, Partizipation, und Wirkungen im Social Web. Herbert v. Harlem Verlag, 2008, S. 47-71
[Q3] http://www.infospeed.de/partizipativer_journalismus.htm
[Q4] Engesser, Sven (2013): Die Qualität des partizipativen Journalismus im Web. Springer Verlag, 2013, insbes. insbes. S.16-21; S.29-42; S.53-124
[Q5] http://journalistik-journal.lookingintomedia.com/?p=143
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