Aufgabe IKTs, Staat und Datenschutz: Privatheit im Wandel
Klaus.Schaechner.Uni-Sbg, 24. Mai 2011, 23:27
In internationalen Blogs lacht man über Deutschland, dem Land das Google Street View zu einer verpixelten Angelegenheit macht. Die Privatsphäre der Menschen müsse ja geschützt werden, argumentiert die Politik auch wieder bei den geplanten Kamerafahrten für Microsofts Streetside. Haben staatliche Datenschützer und Verbraucherschutzminister dieser Welt recht, wenn sie dadurch die Privatsphäre einzelner Bürger in Gefahr sehen? Und in welchem Verhältnis steht die Argumentation der Politiker, wenn man sich die Instrumente staatlicher Überwachung und Datensammelwut ansieht?
Ich will mich dabei gar nicht auf das Eingangsbeispiel Street View beschränken, da auch andere IKT-Phänomene weitreichende Datenschutzbedenken hervorgerufen haben. Hier sei Facebook zu nennen oder auch das mittlerweile weniger populäre studiVZ. Auch die juristische Argumentation überlasse ich gerne anderen: Im Fall Street View stehen z.B. diffuse Persönlichkeitsrechte gegen die Panoramafreiheit - ein Thema für die Justiz. Mich interessiert an dieser Stelle der Wert und der Wandel der Privatheit vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen von modernen IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien).
Analyse: Privatheit nach Beate Rössler und Jessica Heesen
Jessica Heesen (2009) greift im Sammelwerk 1984.exe auf ein Drei-Säulen-Modell der Privatheit von Beate Rössler (2001) zurück und erläutert wie sich diese im Zusammenspiel mit IKT verändern:
Dezisionale Privatheit
Durch die Allgegenwärtigkeit von IKT (Ubiquitous Computing) wird der technische Begleiter (Smartphone, Tablet etc.) aber auch Technik in der Öffentlichkeit (z.B. Kameras) in der Psyche als soziales Gegenüber (ein verallgemeinerter Anderer) wahrgenommen, "der uns als Partner, als Assistent, aber auch als Spion gegebübersteht" (Heesen 2009: 235). Die dezisionale Privatheit soll eigentlich die freie Entscheidungsmöglichkeit einer Person darstellen, wird so aber durch eine quasi-soziale Kontrollfunktion gestört. Heesen vergleicht diese Art des Überwachtseins mit Benthams Begriff des Panopticons, einem Gefängnis, in dem durch besondere Bauweise jeder Insasse zu jeder Zeit von den Wärtern beobachtet werden kann (vgl. 236). Im extremsten Fall führt dies zur Selbstdisziplinierung der Menschen (vgl. 236). Kritiker merken an, dass es in diesem Fall ein extremes Machtgefälle gibt, das durch die Möglichkeit der gegenseitigen Kontrolle mittlerweile nicht mehr unbedingt gegeben sein muss (vgl. 237) (z.B. fotografieren Demonstranten auf Protesten nun verstärkt die Polizei, die ihrerseits immer schon filmt um Straftaten zu belegen).
Lokale Privatheit
Das klassische Bild, das Privatheit mit dem eigenen Zuhause und Öffentlichkeit mit allem von Außen verbindet, gilt schon längst als veraltet. Die Öffentlichkeit dringt durch Medien (Fernsehen, Computer, Telefon) und veränderte Arbeitsstrukturen (Stichwort: Die Arbeit mit nach Hause nehmen) in das eigene Heim ein (vgl. Heesen 2009: 237f). Heesen entlehnt den Begriff der "Mobilen Privatisierung" von Raymond Williams und bezieht ihn daraufhin auf mobile technische Geräte: Denn wo das Zuhause von der Öffentlichkeit durchdrungen wird, bieten Smartphones und Co. (und in den 1980er-Jahren z.B. auch schon Walkmans, wie Heesen anmerkt) eine Privatheit zum Mitnehmen. Durch sie wird Unvertrautes heimisch und sie bieten Hilfestellungen bei Problemen (z.B. Apps für bestimmte Situationen): "Das Private als Schutzraum wird somit selbst mobil" (Heesen 2009: 240, Hervorheb. i. O.).
Informationelle Privatheit
Die informationelle Privatheit schließlich versteht den Privatheitsbegriff, wie er im Zusammenhang mit Informationspreisgabe im Internet verwendet wird: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. Heesen 2009: 241) und die Kontrolle darüber was mit den eigenen Daten geschieht. In Sozialen Netzwerken werden immer mehr persönliche Daten oder sogar der eigene Aufenthaltsort bereitgestellt. Zwar bieten solche Netzwerke fast immer die Möglichkeit sensible Daten nur bestimmten Gruppen (z.B. guten Freunden, Verwandten etc.) anzuvertrauen, jedoch ist auch diese Form des Selbstdatenschutzes problematisch, "als er ex negativo über das Verhalten und die Präferenzen der jeweiligen Nutzer berichtet" (Heesen 2009: 242).
Resumee: Welche Erkenntnisse gewinnen wir für die Diskussion?
Ich habe dieses Drei-Säulen-Modell zur Analyse des Privatheits-Begriffes gewählt, da ich es für sehr ansprechend halte und es sich, wie man bei Heesen sieht, gut mit kommunikationstechnischen Entwicklungen abgleichen lässt. Die Politik kritisiert also, dass Internetkonzerne wie Facebook und Google die Privatheit der Benutzer und Bürger (bei Street View) verletzen. Wenn man die Debatte um dieses Thema verfolgt, dann kann man nicht leugnen, dass Dienste wie Street View (lokale Privatheit) oder Facebook (informationelle Privatheit) die Privatsphäre der Menschen tangieren. Heesen und Rössler argumentieren aber z.B., dass der häusliche Bereich ohnehin schon lange von Öffentlichkeit durchdrungen ist.
Auf der anderen Seite muss man der Politik auch auf die Finger schauen. Einerseits werden Konzerne kritisiert, die sicher zurecht Debatten um Datenschutz provozieren. Auf der anderen Seite verletzt der Staatsapperat in all seinen Ausprägungen ebenfalls die Privatheit seiner Bürger auf vielen Ebenen. Hier nur ein paar Beispiele:
- dezisionale Privatheit: Überwachung von öffentlichen Räumen
- lokale Provatheit: Hausdurchsuchungen, Verwanzung von Wohnungen
- informationelle Privatheit: Zensus, Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung
Was will ich also festhalten? Ja, durch neue IKT verändert sich die Privatheit, aber nicht zwangsläufig zum Negativen (Mobile Privatisierung ist in meinen Augen z.B. eine angenehme Erscheinung). Ja, mächtige Internetkonzerne kommen im Zuge ihrer Profitmaximierung mit der Privatsphäre der Menschen in Konflikt. Aber: Die Politik versucht in meinen Augen lediglich auf diese Fälle aufmerksam zu machen und die eigenen massiven Übertretungen unter den Tisch zu kehren. Es lohnt sich also auch die Kritik zu hinterfragen und versuchen zu verstehen, was dahinter steckt.
Literatur
Heesen, Jessica (2009): Keine Freiheit ohne Privatsphäre. Wandel und Wahrung des Privaten in informationstechnisch bestimmten Lebenswelten. In: Gaycken, Sandro/Kurz, Constanze (Hg.): 1984.exe. Gesellschaftliche, politische und juristische Aspekte moderner Überwachungstechnologien. Bielefeld: Transcript.
Rössler, Beate (2001): Der Wert des Privaten. Frankfurt: Suhrkamp.
Backlink zum Connector "Datenschutzrecht"
Carla.Stenitzer.Uni-Sbg, 30. Mai 2011, 11:16
Vielen Dank für die Verlinkung deines Beitrags zum Connector. Der Vollständigkeit wegen hier auch der Backlink zum Connector "Datenschutzrecht", damit Interessierte auch andere Beiträge mit einem ähnlichen Themeninhalt einafch und schnell finden können.