Aufgabe Der Erfolg des Ungreifbaren - Chance für neue Nischen?
Klaus.Schaechner.Uni-Sbg, 17. Juni 2011, 13:18
Immer mehr Liebhaber-Läden und kleine Nischengeschäfte kämpfen mit der Existenz oder haben schon längst geschlossen. Elektro-Großmärkte gruben diesen Händlern durch ihre schiere Größe das Wasser ab. Doch auch Media Markt und Co. sehen sich einer neuen Herausforderung gegenüber. Im Netz bieten iTunes und Amazon Musik, Filme und Software digital an und profitieren vom Long-Tail-Effekt, den einst Chris Anderson beschrieb. Welche Folgen resultieren daraus? Und ergeben sich vielleicht neue Nischen für den Einzelhändler? Ein Kommentar.
In der Altstadt meines Wohnortes gab es bis vor kurzem einen Laden, der gebrauchte Schallplatten und CDs verkaufte. Im ersten Stock eines Altbaus konnten Musik-interessierte Menschen wahre Raritäten entdecken und ihre eigenen Sammlerstücke feilbieten. Daneben gab es Poster, Merchandise und eine gemütliche Gesprächs-Atmopshäre, die man so nirgendwo sonst fand. Der Plattenladen schloss letztes Jahr seine Pforten, weil das Geschäft nicht mehr lohnte.
Goliath schlägt David
Klar, romantisch-verklärte Liebhaber-Läden haben es in Zeiten von Großfilialen ohnehin schon länger schwer: Media Markt, Expert und Saturn können es sich leisten eine eigene Musik-Abteilung zu führen, da sie die nötige Größe haben und die Kunden zudem mit anderen Produkten locken können. Von Online-Großhändlern wie Amazon gar nicht zu sprechen. Das Gleiche Phänomen zeichnet sich, etwas langsamer als bei der Musik, aber ebenso stetig in den Film und Videospiel-Märkten ab: Spezialisierte Läden dazu sind eine Rarität geworden, man findet sie kaum noch.
Neue Vertriebswege im Netz
Doch auch die Elektro-Großmärkte spüren einen kalten Wind, der ihre Verkaufszahlen umweht. Seit Jahren etablieren sich neue Vertriebswege für Unterhaltungs-Medien, die vor allem Online funktionieren. Apple hat es vorgemacht: Mit iTunes schaffte der Konzern mehr als ein Stück Musikverwaltungs-Software, sondern einen weltweiten Laden für digitale Medienprodukte, der vor allem den Musikmarkt revolutionierte. Songs und Alben im iTunes-Store nehmen keinen Platz im Regal weg - der digitale Speicher ist wesentlich günstiger als der physikalische Lagerplatz.
Die Profiteure des Long-Tail
Davon profitieren große wie kleine Künstler gleichermaßen. Große Künstler, weil sie durch ihre Marktposition ohnehin nach Belieben dominieren können, ganz gleich über welchen Vertriebsweg. Kleinere, unbekannte und alternative Künstler profitieren nun vom Long-Tail-Effekt (siehe Grafik): Ihre Alben waren früher nur in wenigen Plattenläden zu kaufen, wahrscheinlich auch noch lokal oder regional beschränkt. Durch die Natur des Internets kann die Musik unbekannterer Künstler weltweit erworben werden, ohne dass ihr Angebot wesentlich mehr Kosten für den Anbieter darstellt.
Der selbe Effekt lässt sich auf dem eBook-Markt beobachten, wo durch den Wegfall des Drucks noch viel mehr Produktions- und Lagerkosten wegfallen, als es bei Musik der Fall ist. Theoretisch lässt sich das Phänomen auch auf Film und Videospiele übertragen, doch bislang sehe ich den Long-Tail-Effekt vor allem bei Musik und Buch.
Chance für neue Nischen
Online-Vertriebsformen machen die CD-Abteilungen von Mediamarkt und Co. vielleicht schon bald obsolet. Daraus ergeben sich meines Erachtens neue Chancen für kleine Händler. Diese haben jetzt die Möglichkeit, durch individuelle Betreuung (die online gänzlich fehlt), durch besondere Aufmachung von Titeln (Sammlereditionen) oder einfach nur durch die Qualität des Greifbaren (Haltbarkeit, Haptik, Geruch) eine neue Nische zu schaffen und in ihr zu überleben. Kunst, und darunter verstehe ich alle Formen der Unterhaltung, hatte schon immer einen Stamm von Liebhabern. Diesen gilt es jetzt neu zu begeistern, nicht nur für die genial-einfachen Online-Käufe, sondern auch für die Vorzüge eines richtigen Geschäfts mit Betreuung, Beratung und allem Drum und Dran. Vielleicht gibt es dann ja irgendwann wieder einen Plattenladen in meinem Wohnort.
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