Statement Die Schattenseiten des Long Tail

Fabian.Prochazka.Uni-Sbg, 22. Juni 2011, 09:10

Die Theorie des Long Tail ist bereits an vielen Stellen als eine eindeutig positive Entwicklung gekennzeichnet worden. Mit dem Long Tail wird eine Demokratisierung von Produktion und Vertrieb verbunden, die Nischenproduktion wird als Zukunft der Ökonomie im Web verstanden.

 

Die etwas andere Ausnutzung des Long Tail

Die Kenntnis um das Phänomen des Long Tail ermöglicht jedoch auch andere Arten, ihn auszunutzen. Ein durchaus fragwürdiges Geschäftsmodell, dass sich auf den Long Tail stützt, verfolgen sogenannte Content Farmen (oder Content Mills). Darunter versteht man Webseiten wie etwa Demand Media1, die massenweise Inhalte produzieren (z.B. Texte, Videos, Bilder usw.), die dem alleinigen Zweck dienen, Besucher auf eine Seite zu locken und dann mit Werbebannern Geld zu verdienen. Dazu werden die Inhalte der Seite möglichst stark auf eine gute Auffindbarkeit durch Suchmaschinen optmiert. Textbasierte Content Farmen trainieren etwa ihre Autoren, damit sie möglichst suchmaschinenfreundlich schreiben. Die Inhalte sind also nicht auf hohe Qualität oder Originalität ausgelegt, sondern darauf, via Suchmaschinen möglichst viele Besucher auf die Seite zu locken, um so die Klickraten auf die Werbebanner zu erhöhen.  

Dieses Phänomen ist nicht neu - bereits als die werbefinanzierten Geschäftsmodelle im Internet noch in den Kinderschuhen steckten, wurden Seiten erstellt, die einzig und allein dem Zweck dienten, dass Werbebanner auf ihnen bereitgestellt werden, um Klicks anzulocken. In den Anfangszeiten, als Suchmaschinen das Web noch nicht so dominierten wie heute, wurden dafür häufig einfache Domains verwendet, von denen man ausging, dass sie von Menschen auf der Suche nach bestimmten Webseiten ausprobiert werden.

Doch seit das Web zu einem ubiquitären Medium geworden ist, lässt sich mit diesem Geschäftsmodell das Phänomen des Long Tail ausnutzen und damit Geld verdienen. Spezialisiert sich eine Content-Farm beispielsweise auf Texte, so produziert sie täglich einige hundert davon - wenn jeder Artikel nur einige wenige Male gelesen wird (und davon nur einige wenige Leser auf Banner klicken), so kommt durch die schiere Masse der Texte trotzdem eine ertragreiche Klickrate auf die Werbebanner zustande, und das Unternehmen kann sich finanzieren.

 

Content-Farmen - das Beispiel Suite 101

Ein Beispiel für eine textbasierte Content Farm ist das "Autorennetzwerk" Suite101. Das kanadische Unternehmen wurde 1996 als Netzwerk von Hobbyautoren gegründet (vgl. Wikipedia) und mit den Jahren zur Content-Farm aus- und umgebaut. Im Jahr 2008 startete auch der deutsche Ableger (vgl. Van Rinsum 2010). Im Jahr 2010 waren bereits über 35.000 Artikel auf der deutschsprachigen Seite verfügbar (vgl. ebd.). Derzeit existieren Suite101-Seiten auf Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch. Die englischsprachige Seite hat derzeit etwa 24 Millionen Unique User pro Monat (vgl. McManus 2010). Die Autoren werden von einem Redaktionsteam ausgewählt und an den Werbeerlösen ihrer Artikel beteiligt - eine komfortable Situation für das Unternehmen, das so kaum Risiko trägt.

 

Die Zukunft des Webs - Eine menschenlose Textwüste?

Mit der möglichen zukünftigen Entwicklung dieser Content Farmen und ihren Konsequenzen für das Web beschäftigt sich ein Videobeitrag aus dem Elektrischen Reporter:

 

Der Beitrag skizziert eine düstere Zukunft des Webs in mehreren Schritten:

1. Die Content Farmen bauen ihr Geschäftsmodell aus und heuern in Billiglohnländern massenhaft Arbeiter an, die Texte schreiben, sie verlinken und verbreiten und Werbebanner klicken.

2. Die Textproduktion wird von Programmen übernommen, die menschlichen Autoren werden ersetzt.

3. Als letztes Bollwerk zur Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine fallen die sog. Captchas, den Bots steht damit das ganze Web zur Verfügung.

4. Die Bots schreiben Texte, klicken Banner und verlinken ihre Texte automatisch. Der gesamte Prozess aus schreiben und klicken wird von Maschinen übernommen, die werbetreibenden Unternehmen bezahlen Klicks, die nur noch von Bots getätigt werden. "Das Web ist auf dem besten Wege, ein riesiger, sich selbst zumüllender Automat zu werden". Die Suchmaschinen sind damit völlig überfordert und geben nur noch maschinengenerierte Texte aus, die perfekt auf die Suchalgorithmen abgestimmt sind.

5. Die werbetreibende Wirtschaft erkennt die Sinnlosigkeit, und zieht ihr Engagement in Onlinewerbung zurück. Damit bricht das gesamte System zusammen, die Aktienkurse verfallen völlig.

6. Das Vertrauen in die Onlinewerbung ist weg, mit dem Wegfallen der Werbefinanzierung geht auch ein Großteil der seriösen Unternehmen pleite, und das Web wird in Konsequenz nur noch von Non-Profit-Unternehmen, Universitäten und Web-Enthusiasten bevölkert.

 

Prognose?

Die hier skizzierte Entwicklung ist in vielen Punkten äußerst pointiert und wohl auch mit einem Augenzwinkern gemeint - trotzdem liegt in dieser industriellen Ausnutzung der Onlinewerbung ein gewisses Gefahrenpotenzial und das derzeit attraktive Geschäftsmodell der Content Farmen, die mit dem Long Tail Geld verdienen, findet eine Vielzahl von Nachahmern. Das Problem wurde auch bereits erkannt - so sieht etwa Techcrunch-Blogger Michael Arrington "The end of hand crafted content": "

"These models [Content Farmen, Anm. F.P.] create a race to the bottom situation, where anyone who spends time and effort on their content is pushed out of business. We’re not there yet, but I see it coming." (Arrington 2009)

Eine andere Position nimmt der Journalistikprofessor Jeff Jarvis ein, der die Gefahr der Überflutung des Webs mit Content Farm-Inhalten nicht sieht und ihr entgegensetzt, dass bessere Suchalgorithmen kommen werden, die qualitätsvolle Inhalte vom Content Farm-Müll trennen können. Ein Ansatz in diese Richtung sind etwa Googles Bestrebungen, soziale Aspekte wie Empfehlungen in die Suche zu integrieren. Die düstere Zukunftsprognose im Elektrischen Reporter nimmt zudem die werbetreibende Wirtschaft als Machtfaktor aus - es ist davon auszugehen, dass es den Unternehmen früher auffällt, wenn nur noch Bots ihre Banner klicken.

 

Update: Hochinteressanter Artikel über die Arbeitsbedingungen als Autor für AOL, die ihre Seiten ebenfalls als Content Farm betreiben: http://thefastertimes.com/news/2011/06/16/aol-hell-an-aol-content-slave-speaks-out/ Eindrückliches Zitat: "If AOL could find a good way for machines to write about Lady Gaga, they would almost certainly fire the writers who remain."

 

Endnoten:

(1) Einen lesenswerter Artikel zum Geschäftsmodell von Demand Media bietet Wired: http://www.wired.com/magazine/2009/10/ff_demandmedia/

 

 

1 comment :: Kommentieren

Bei dem vielen Optimismus...

philip.sinner.Uni-Sbg, 20. Juni 2011, 00:39

... und Zukunftsglauben in puncto Internet vergisst die Gesellschaft leider viel zu oft auch die Schattenseiten. Internet und New Economy laden ja auch zu schön zur immer neuen Blasenbildung ein. Danke für diesen Einblick.

 

Auch Magdalena Lagetar befasst sich mit der Optimierung für Suchmaschinen am Beispiel von Elektroautos.

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