Gesellschaft und Web - Technische Soziologie und Mediatisierung

juergen.plank.uni-linz, 13. Dezember 2015, 14:59

Auf Basis des in der Lehrveranstaltung behandelten Themas "Gesellschaft und Web" möchte ich in diesem Artikel auf die zentralen Aspekte der Technischen Soziologie und Mediatisierung eingehen.

1. Technische Soziologie und Mediatisierung

 Seit Jahren schon durchdringen die Neuen Medien und neue Kommunikationstechnologien den privaten und häuslichen Lebensraum der Menschen und sind zu wesentlichen Komponenten des Alltags geworden. Diese neuen Technologien gelingt es eine Brücke zwischen privatem und öffentlichem Lebensraum zu schaffen. Als bestes Beispiel dafür, kann das Web 2.0 oder auch das Mobiltelefon gewählt werden. In modernen Kulturen gibt es eine Vielzahl von wichtigen Wechselbeziehungen zwischen der Technik und der Gesellschaft. Technische Soziologie beschreibt vor allem die Entstehung und Penetration von Techniken (Technikgenese), die gesellschaftlichen Strukturen der Technik, die technische Gestaltung und auch die sozialen Auswirkungen von Aneignung und Verbreitung – also den technischen Folgen. (vgl. Weyer 2008: 11)

 Dabei liegt die Perspektive weniger auf den materiellen, technischen Gütern an sich, sondern mehr auf den sozialen Prozessen. Technische Artefakte wie das Internet oder das Telefon sind aus soziologischer Warte erst interessant, wenn sie für gesellschaftliche Aspekte wie Kommunikationsprozesse Verwendung finden. Zentrum der Betrachtung ist also nicht das technische Gerät an sich, sondern der Vorgang des "Surfens" oder des Telefonierens (vgl. Weyer 2008: 11f)

1.1. Definition von Mediatisierung

 Die Bedeutung des medialen Wandels im Zusammenhang mit den Veränderungen des Alltagslebens und der Gesellschaft lässt sich mit dem Theorieansatz der Mediatisierung definieren. (vgl. Krotz 2007:23) In der deutschen Sprache gibt es eine Unterscheidung zwischen den Begriffen „Mediatisierung und Medialisierung“.

„Mediatisierung meint […] den Wandel gesamtgesellschaftlicher wie individueller medialer Potenziale und darauf bezogener Kommunikationspraktiken auf unterschiedlichen Ebenen und die damit zusammenhängenden Folgen für Alltag und Lebensbereiche, Wissensbestände, Identitäten und Beziehungen der Menschen sowie für Kultur und Gesellschaft. (Krotz/Thomas 2007:39)

 

1.2. Technik und Sozialdeterminismus

 Wie wird Technik in der Gesellschaft angenommen? Dazu gibt es zwei sehr konträre soziologische Perspektiven. Nämlich den Sozialdeterminismus und den Technikdeterminismus.

Das Konzept des Technikdeterminismus geht davon aus, dass Technik die Gesellschaft formt.

„Dieser Position zufolge verändert sich unser Leben nach Maßgabe der Technik, die in einem neuen Gerät oder einer Maschine untergebracht ist.“  (Burkart 2007: 16)

Laut Degele (2002: 24f) gibt es drei technikdeterministische Grundaussagen.

 

  1. Technischer Wandel erfolgt autonom und in Eigendynamik
  2. Technische Entwicklungen sind unabhängig vom menschlichen Streben, ein einmal eingeschlagener Weg ist irreversibel.
  3. Technischer Wandel bestimmt und verursacht den sozialen Wandel.

Die konträre Perspektive, die auch aus der Kritik am Technikdeterminismus hervorgeht, ist der Sozialdeterminismus.

„Die These des Sozialdeterminismus zeichnet das Bild ‚einer nahezu beliebig durch soziale Einflüsse gestaltbaren Technik.“ (Weyer 2008:31)

Hauptkritikpunkt des Sozialdeterminismus an der technikdeterministischen Perspektive ist, dass der Technikdeterminismus die Kreativität der User, den Gebrauch der Technik umzudeuten, ignoriere. Der Sozialdeterminismus möchte jenen Punkt hervorheben, dass die Art der Anwendung eines technischen Artefakts von Beginn an oftmals noch nicht genau festgelegt ist, sondern sich oftmals auch erst über kulturelle Vorstellungen über den Gebrauch ergibt.

Diesem Ansatz nach werden die verschiedenen Technologien immer wieder von den Benutzern umgedeutet. Erst wenn die kulturellen Vorstellungen geformt wurden, können sich die Techniken entwickeln. (vgl. Burkart 2007: 16f.)

 

Festzustellen ist, dass beide Ansätze die Aspekte Kultur und Technik von zu konträren Perspektiven aus betrachten und als zu einsitig gelten müssen.

„Ein extremer Kulturdeterminismus, für den der praktische Umgang mit einem technischen Apparat allein von kulturellen Vorgaben abhinge, wäre allerdings ebenso wenig geeignet, sozio-technische Entwicklungen verständlich zu machen, wie ein radikaler Technikdeterminismus.“ (Burkart 2007: 20)

2. Der Domestizierungsansatz

Als mögliche Antwort auf den Technikdeterminismus kann der Domestizierungsansatz fungieren.

„Unter dem Domestizierungsansatz wird (…) ein konzeptioneller Entwurf im Rahmen der Cultural Studies verstanden, der darauf abzielt, zu beschreiben und zu rekonstruieren, wie sich Menschen Medien in ihren Haushalten, Lebensformen und Alltagen zu Eigen machen.“ (Krotz/Thomas 2007:31)

Der Domestizierungsansatz beschreibt also die Analyse des Vorgangs, wie neue Medien in die privaten Lebensräume der Menschen Einzug finden und in einem Aneignungsprozess Bestandteil von privater Routine werden. (vgl. Röser 2007:20)

„Grundgedanke des Domestication-Ansatzes ist die Zähmung der „wilden“ Technologie durch die Nutzer. Diese integrieren eine Technologie in ihre Alltagsroutine (incorporation) und ihre räumliche Umgebung (objectification) und eigenen sich die Technologie schließlich auch symbolisch an, indem sie sich damit vor anderen Menschen zeigen und darüber sprechen (conversion).“ (Wirth/Pape/Karnowski 2007: 80)

2.1. Pro und Contra beim Domestizierungsansatz

Krotz und Thomas (2007: 32f) nennen einige Aspekte, die beim Domestizierungsansatz nicht vollständige Berücksichtigung finden.

Der Ansatz lässt zum Beispiel die theoretische Aufarbeitung des Terminus „Alltag“ offen.

„Damit wird ‚Alltag’ zu einem eher rituell verwendeten Begriff, der obendrein seinen Bezug zu kommunikationswissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen vergessen lässt.“ (Krotz/Thomas 2007:33)

Zweitens der Veralltäglichung einer Technologie im Kontext auf die Veränderung des Alltags und der Konsumenten oder Rezipienten nur bedingt Aufmerksamkeit geschenkt. Zentraler Punkt des Domestizierungsansatzes ist die Veralltäglichung von Technologien innerhalb privater Lebensräume, wie des privaten Haushalts. Dass dadurch langfristige Veränderungen und Konsequenzen für den Alltag entstehen, wird nur auf einer sehr allgemeinen Stufe betrachtet. Weiters vernachlässigt der Ansatz das nicht nur der User die Technik verändert, sondern dass auch der Nutzer während dieses Prozesses oftmals einen Wandel durchläuft. Das sind Domestizierungsprozesse als Teilkomponente der Mediatisierung der Gesellschaft und des alltäglichen Lebens und müssen in einem komplexen Kontext von Gesellschaft und Alltag und ihrer Kommunikationspotenziale betrachtet werden. (vgl. Krotz/Thomas 2007:33)

Eine der größten Stärken des Domestizierungsansatzes ist offenbar die Rücksichtnahme auf die unterschiedlichen Aneignungsweisen, z.B. in einzelnen sozialen Gruppen. Es existiert eine Vielzahl von lokalen Differenzen in der Art der Konsumption, die auf Basis von vorherrschenden Normen das private und öffentliche Verhalten bestimmen.

Röser (2007: 26) zählt vier Potenziale, die der Domestizierungsansatz auf den User und dessen Mediennutzung im privaten oder öffentlichen Alltag bietet.

  1. Prozessorientierung: Das Konzept beginnt beim Produkterwerb und verfolgt die Aneignung des Mediums prozesshaft

  2. Kontextorientierung: Medienhandeln wird als Komponente des Alltagshandelns und der sozialen Wechselbeziehung gesehen und mutet somit als Kontextorientierung an. Zudem wird die Interaktion zwischen medialem und nicht-medialem Handeln in Situationen des Alltags unter Rücksichtnahme des Rezipienten analysiert.

  3. Verbindugn von Mikro- und Makroebene: Das Konzept schlägt eine Brücke zwischen Mikro- und Makroebene, es führt Mikrountersuchungen durch und beschäftigt sich ebenso mit den Auswirkungen auf der Makroebene von Gesellschaft und Kultur sowie mit Fragen der Partizipation und sozialer Ungleichheit.

  4. Historisierung:  Historische Prozesse der Aneignung und Alltagsintegration von Medien zeichnen diesen Ansatz aus. Transformationsprozesse von Medien können so einfacher rekonstruiert werden, indem neben gegenwartsbezogenen auch historische Analysen ins Blickfeld rücken.

2.2. Domestizierungsprozess – Vom Experten zum Laien

Domestizierungsprozesse lassen die Menschen an neuen Medientechnologien teilhaben. Jene Technologien wandern zumeist von Experten zu Laien. Soziale Differenzen in Austattung- und Gebrauch werden so auch reduziert. (vgl. Röser 2007: 22f)

„Auf dem Weg zu einer ‚universellen Öffnung‘ müssen diese Medien […] eine Transformation von einer technischen ‚Rahmung‘ zu einer alltagskulturellen Kontextuierung vollziehen. Soziale Ungleichheit in Zugang und Nutzung spielt demnach bei dominant technisch gerahmten Medien zunächst eine besonders große Rolle.“ (Röser 2007:23)

3. Der Nutzenansatz – Uses-and-Gratifications-Approach

 

In welchem Ausmaß ein Medium im Alltag wirklich genutzt wird, hängt wesentlich von der Gratifikation ab, die man sich vom entsprechenden Medium verspricht. (vgl. Köchler 2003: 94)

 

Der Nutzenansatz knüpft direkt beim Uses-and-Gratifications-Approach an. Dieser Ansatz geht davon aus, dass sich die Rezipienten den entsprechenden Medien nicht voraussetzungslos zuwenden, sondern sich eine entsprechende Art von „Belohnung“, eine Befriedigung von Wünschen, Interessen und Bedürfnis dadurch erwarten und die Massenmedien somit als Gratifikationsinstanzen benutzen. (vgl. Burkart 2002: 94)

 

Der Nutzenansatz setzt sich aus 3 Hauptkomponenten zusammen:

 

  • Der Nutzung aufgrund der Bedürfnisbefriedigung

  • Der Idee vom aktiven Rezipienten

  • Der Theorie der symbolischen Interaktion   (vgl. Maletzke 1998: 119)

 

Der vorangehende Aufsatz soll einen theoretischen Exkurs über die individuelle Mediennutzung neuer Medien und des Web 2.0. thematisieren. Wie verhält sich in der Theorie die Partizipation und Aneignung (neuer) Medien? Mediennutzung unterliegt einem ständigen und kontinuierlichem Wandel und es wird weiterhin Aufgabe der Wissenschaft bleiben, mit diesem permanenten Wandel Schritt zu halten.

 

---Literatur:

 

Weyer, Johannes (2008): Techniksoziologie: Genese, Gestaltung und Steuerung soziologischer Systeme. Weinheim [u.a]: Juventa-Verlag

 

Krotz, Friedrich/Thomas, Tanja (2007): Domestizierung, Alltag, Mediatisierung: Ein Ansatz zu einer theoriegerichteten Verständigung. In: Röser, Jutta (Hg.): MedienAlltag. Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien. Wiesbaden: VS Verlag, S. 31-42

 

Burkart, Roland (2002): Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft. Wien, Köln: Böhlau/UTB 2002.

 

Burkart, Günter (2007): Handymania: Wie das Mobiltelefon unser Leben verändert hat. Frankfurt am Main [u.a]: Campus

 

Degele, Nina (2002): Einführung in die Techniksoziologie. München

 

Röser, Jutta (2007): Der Domestizierungsansatz und seine Potentiale zur Analyse alltäglichen Medienhandelns. In:  Röser, Jutta (Hg.): MedienAlltag: Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien. Wiesbaden: VS Verlag, S. 15-30.

 

Wirth, Werner/ Pape, Thilo von/ Karnowski, Veronika (2007): Ein integratives Modell der Aneignung mobiler Kommunikationsdienste. In: Kimpeler, Simone (Hg.): Die digitale Herausforderung: Zehn Jahre Forschung zur computervermittelten Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag, S. 77-90.

 

Köchler, Ingrid (2003): Telefongeschichte(n): Das vernachlässigte Medium der Kommunikationswissenschaft - Menschen erinnern sich an die Aneignung einer Technik. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Universität Wien.

 

Maletzke, Gerhard (1998): Kommunikationswissenschaft im Überblick. Grundlagen, Probleme, Perspektiven. Opladen. Westdeutscher Verlag.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Sehr interessanter Artikel

claudia.medek.uni-linz, 31. Dezember 2015, 19:58

...vor allem finde ich, dass der Uses-und-Gratifications Approach ein wichtiger Ansatz ist. Das Internet bietet seinen Nutzer unzählige Anwendungen und Möglichkeiten, und vor allem die Bedürfnisbefriedigung, angeknüpft auch an die Maslowsche Pyramide mit dem Wunsch nach Anerkennung als höchste Hierarchie, nimmt bei der Onlinenutzung sicherlich einen hohen Stellenwert ein. Die Möglichkeit, dass Menschen online Bedürfnisse befriedigen können, die in der realen Welt nicht erfüllt werden können, wird von diversten Autoren in Studien zur Internetsucht angesprochen.

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