Privatsphäre 2.0

K1.Webby.jku, 10. Oktober 2015, 19:06

Die Potentiale der IT sind immens, aber wird sie wirklich immer zu unserem Wohle eingesetzt?

Erst vor kurzem bin ich von GMail genötigt worden, ihrer neuesten Datenschutzerklärung zuzustimmen. Lese ich sie auch nur auszugsweise, kommt mir das Gruseln. Google scannt die Inhalte der E-Mails, um die Interessen der Benutzer herauszufinden. Google loggt alle Suchanfragen mit. Google erfasst personenbezogenen Daten, Cookies, Standortdaten, Geräte-IDs und IP-Adressen und führt diese Daten auch dienst- und geräteübergreifend zusammen.
Als Zweck wird hauptsächlich angegeben, relevantere Suchergebnisse und Werbung anzeigen zu können.

Facebook funktioniert ähnlich, Auszüge aus der Datenrichtlinie, siehe Facebook, Stand 5.10.2015:
„Wir können die Informationen, die wir von deinen unterschiedlichen Geräten sammeln, miteinander in Verbindung bringen, so dass wir dir auf allen deinen Geräten einheitliche Dienste zur Verfügung stellen können. Hier sind einige Beispiele für Geräteinformationen, die wir sammeln:
  - Attribute wie Betriebssystem, Hardware-Version, Geräteeinstellungen, Datei- und Software-Namen und -Arten, Batterie- und Signalstärke sowie Gerätekennungen.
  - Gerätestandorte, einschließlich spezieller geografischer Orte, beispielsweise über GPS, Bluetooth oder WLAN-Signale.
  - Verbindungsinformationen, wie Name deines Mobilfunk- oder Internetdienstanbieters, Browsertyp, Sprache und Zeitzone, Handynummer und IP-Adresse.“

„Wir verwenden uns zur Verfügung stehende Informationen, um dir direkte Links und Vorschläge zu unterbreiten. Beispielsweise können wir vorschlagen, dass dein Freund dich auf einem Foto markiert, indem wir die Bilder deines Freundes mit Informationen vergleichen, die wir aus deinen Profilbildern und den anderen Fotos zusammengetragen haben, auf denen du markiert wurdest. Wenn diese Funktion für dich aktiviert ist, kannst du über die Einstellungen für „Chronik und Markierungen“ kontrollieren, ob wir einem anderen Nutzer vorschlagen sollen, dich auf einem Foto zu markieren.“

„Wenn wir Standortinformationen haben, verwenden wir diese, um unsere Dienste für dich und andere individuell zu gestalten; z. B. indem wir dir beim Besuchen und Auffinden lokaler Veranstaltungen oder von Angeboten in deiner Umgebung helfen oder deinen Freunden mitteilen, dass du in der Nähe bist.“

Eben habe ich Google befragt, von wem die Aussage kommt, Facebook sei „Stasi auf freiwilliger Basis“. Es war der österreichische Kabarettist Michael Niavarani.
Und tatsächlich verfügt Facebook über zig-mal mehr vertrauliche Daten über jeden einzelnen von uns als die Stasi mit größtem Aufwand jemals über bestimmte ausgewählte Personen und Personenkreise herausfinden konnte.
Sogar wenn man Facebook gar nicht nutzt, werden Daten gesammelt. Als ich mich das erste Mal bei Facebook registrierte, wurden mir Freunde vorgeschlagen. Und es war für mich wirklich schlimm zu sehen, wie viele ich davon aus dem wirklichen Leben kannte.

Denkt man diese Entwicklungen weiter, führt das auch dazu, dass die weltumspannenden Datenkraken bald jegliche Ortsveränderung mitprotokollieren.
Wer momentan noch eine Möglichkeit darin sieht, einfach mal sein Handy zuhause zu lassen, um ein paar Stunden eine quasi unbeobachtete Spritztour genießen zu können, darf sich schon darauf gefasst machen, dass ab März 2018 eCall in der EU Pflicht wird und damit auch die letzten Automodelle „nachhause“ telefonieren.

Bis den Begehrlichkeiten der Behörden, diese Daten zu verwenden nachgegeben wird, ist es möglicherweise nur eine Frage der Zeit.

An Gerichte werden Daten ohnehin jetzt schon weitergegeben, das kann man beispielsweise ebenfalls in der Datenrichtlinie von Facebook nachlesen. Und auch im Zusammenhang mit Twitter bin ich auf einen interessanten Artikel gestoßen.
Kurze Zusammenfassung: Ein Jounalist retweetet eine bedenkliche Aussage, die ursprünglich von einem anonymen Twitter-Konto gesendet wurde. Jetzt steht er vor Gericht, und der Inhaber des anonymen Twitter-Kontos wird ebenfalls ausgeforscht.

Das Argument, dass man diese Dienste ja nicht verwenden müsse und damit seine Privatsphäre schützen könne wird immer fadenscheiniger. Gesellschaftlicher Zwang, sehr oft werden bei weitem nicht nur Daten gesammelt, die man freiwillig angibt, und Vorkehrungen / Einstellungen zum Schutz  der Privatsphäre benötigen Zeit, bedeuten oft ein krasses Minus an Komfort und sogar Insider und IT-Sicherheits-Profis wissen nicht über alle Kniffe Bescheid, wie man im Film Citizenfour über Edward Snowden in der Feueralarm-Szene sehr menschlich sehen konnte.

Oft hört man den Ausspruch: „Ich habe ja nichts zu verbergen!“, wie wenn es sich dabei nur um Illegales handeln könnte.
Es gibt aber auch viele andere Dinge, die nicht jeder gerne mit der ganzen Welt teilt. Konflikte, Niederlagen, gesundheitliche Probleme, legale private Interessen, die aber auch wirklich niemanden etwas angehen ("BONDAGE!" ;), unvorteilhafte Fotos, Hoppalas,… plötzlich und unverhofft kann jeder in die Lage kommen, doch etwas verbergen zu wollen.

Der Schutz der Privatsphäre ist zumindest theoretisch rechtlich verankert. Aber wie sieht es im Berufsleben aus, wo wir oft einen nicht unwesentlichen Teil unseres Lebens verbringen?

Personen des öffentlichen Lebens hatten auch vor dem Internet-Zeitalter schon mit dem Thema der Veröffentlichung privater Informationen zu kämpfen. Teilweise ein Kampf um Leben und Tod, wie man am tragischen Ende von Lady Diana 1997 sehen kann, das zwar nach wie vor nicht völlig geklärt ist, damals aber vor allem mit einer Verfolgungsjagd durch Paparazzis in Verbindung gebracht wurde. War es ein Komplott des britischen Königshauses, um sie davon abzuhalten, sexuelle Details über ihren Ex-Mann zu verbreiten (vgl Bericht der Bild-Zeitung), macht das in unserem Kontext nicht viel Unterschied.
Doch die Situation verschärft sich. Mittlerweile laufen im Parlament Live Streams mit und es wird live per Twitter kommentiert; das angeblich sichere Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel wird doch abgehört; das eigentlich vertrauliche Mail von Anna Fenninger an den ÖSV wird rasch veröffentlicht; und wenn der BMW-CEO Harald Krüger auf einer Messe eine Kreislaufschwäche erleidet gehen die Bilder davon innerhalb weniger Minuten um die ganze Welt.

Die berufliche Sphäre gilt nicht grundsätzlich als schützenswert – und doch liest man gelegentlich von Studien, die besagen, dass bzgl. Arbeitszufriedenheit ein ruhiges und geschütztes Umfeld für viele Menschen wesentlich ist. Viele Menschen fühlen sich beispielsweise nicht wohl wenn ihr Bildschirm einsehbar ist. Übrigens sind solche Überlegungen nicht neu, auch nach Feng Shui ist es verpönt mit dem Rücken zur Tür zu sitzen. Solche Dinge können auch krank machen!

ORF.AT zitierte am 15. August 2015 die US-Schauspielerin Christina Applegate mit der Schlagzeile: „Fotos überall: Christina Applegate tun junge Kollegen leid.“  Wörtlich: „Du baust Mist, und zwei Sekunden später kann es die ganze Welt im Internet sehen.“ Sie wurde bereits in den 1980er und 90ern bekannt und ist der Meinung, dass man damals nicht so belästigt wurde wie heute. Es scheinen keine Grenzen mehr zu existieren.

Manche Menschen kommen mit großen Talenten auf die Welt, aber normalerweise ist doch eine Entwicklung notwendig, gekennzeichnet durch gelegentliche Fehlschläge.
Früher war das nicht so schlimm, man hatte ohnehin zuerst ein kleines Publikum, gelegentliche Peinlichkeiten waren schnell vergessen, und aufgezeichnet wurde sowieso so gut wie nichts.
Heute sieht das anders aus, das Leben findet zu einem guten Teil im Web statt. Und damit ist alles erstens grundsätzlich weltweit zugänglich und zweitens auch Jahre später noch abrufbar. Für Betroffene eventuell schwierig, die Distanz zu ihrer Vergangenheit herzustellen, die sie sich für ihre Zukunft wünschen würden.

Welche persönlichen Erfahrungen kann ich hier anführen?

Geschichte 1 - manchmal deckt man alte Spuren im Netz erst durch Zufall auf:
Es war für die Verwandtschaft durchaus erheiternd, als der Neffe meines damaligen Lebensabschnittpartners auf Google seine Kontaktanzeige fand. Neben Portrait und diversen allgemeinen Daten, die bestimmt auch nicht für die Verwandtschaft gedacht waren, war vor allem eines angegeben: Dass er auf der Suche nach Männern war. Er schwor, dass er damals definitiv eine Frau suchte.
Als Informatiker bzw. Wirtschaftsinformatiker war es leicht für uns, eine mögliche Erklärung zu finden: Die entsprechende Tabelle wurde aus einer Datenbank geladen, in der die Inhalte sehr wahrscheinlich kodiert (0,1,2,…) abgelegt waren. Nun ist es lediglich notwendig, dass die Plattform im Lauf der Zeit die Art der Kodierung ändert, alte Daten nicht korrekt konvertiert und aus Frauen werden plötzlich Männer.
Genauso leicht ist es natürlich möglich, dass durch technisches Versagen oder aufgrund von technischen Änderungen Inhalte, die ursprünglich als vertraulich gekennzeichnet waren, irgendwann allgemein zugänglich werden.
Die Sache war ihm natürlich unendlich peinlich, und nach einem Mail an die Plattform war das Inserat zumindest dort eine Woche später gelöscht.

Geschichte 2 - Es gibt manchmal auch Spuren im Netz, die nicht ganz so leicht zu beseitigen sind:
Ca. 2001 besuchte ich eine LVA am IDV in deren Rahmen eine Webseite zu erstellen war. Nach Abschluss der LVA hatten wir plötzlich keine Schreibrechte mehr auf dieser Webseite, sie blieb aber online. Ich fragte am Institut an, um sie löschen zu lassen, bekam aber die Auskunft, dass das nicht möglich wäre. Auch einige Jahre später fand ich sie noch in den Suchergebnissen, mittlerweile dürfte sie aber gelöscht sein, jedenfalls kann ich sie jetzt bei Google nicht mehr finden.

Deshalb schreibe ich hier auch unter K1.Webby. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass ich deswegen völlig anonym wäre. Aber ein Pseudonym erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es später meine Entscheidung ist, ob ich mich in einem Kontext außerhalb dieses Propädeutikums auf die hier entstandenen Inhalte beziehen möchte. Oder ob Google für mich diese Entscheidung trifft.

Allgemein denke ich, dass gerade auch Unterlagen aus Ausbildungen und Kursen sensible Daten darstellen. Salopp gesagt: Wer will schon Jahre später von Fremden, eventuell einem potentiellen Arbeitgeber, nach Dingen beurteilt werden, die er/sie womöglich halbherzig, unter Zeitdruck oder ganz zu Beginn seiner der Ausbildung produziert hat? Vgl. dazu auch meinen Kommentar zur Öffentlichkeit der Lernblogs.

Davon, dass wir es im und außerhalb des Web hauptsächlich mit aufgeklärten, reifen und respektvollen Menschen zu tun haben, die die Fähigkeit haben, Ereignisse und ihre Bewertungen kritisch zu reflektieren und in den richtigen Kontext zu setzen, kann man nicht ausgehen, wie auch ein Kollege in einer Wortmeldung bemerkte.

Man sehe sich dazu mal folgenden Film an: Idiocracy (Pflichtfilm!) Ob es wirklich 500 Jahre dauert, bis wir dort angekommen sind?

Mittlerweile ist es ja zumindest innerhalb Österreichs relativ leicht möglich, Daten löschen zu lassen und unerwünschte Werbesendungen abzustellen. Bei vielen internationalen Anbietern beißt man nach wie vor auf Granit, weil es zwar theoretisch eventuell möglich wäre, sie nach dem für sie gültigen Recht zu klagen, der praktische Aufwand aber doch recht hoch ist.

Auch beim IDV ist man sich der Thematik mittlerweile schon mehr bewusst, wie ich heute etwas erleichtert feststellen konnte.
Und wie ich einigen Wortmeldungen in der LVA bereits entnehmen konnte, ist der Umgang mit unseren Daten und das gelegentlich damit verbundene Gewalterleben bei weitem nicht nur für mich als "Oldie" sondern genauso für die jüngeren Kollegen und Kolleginnen ein Thema.

Ich freue mich über eure Kommentare und Erfahrungen! Gerne auch offline... ;-)

2 comments :: Kommentieren

Was die Daten im vorliegenden Lernblogsystem betrifft,..

Hans.Mittendorfer.Uni-Linz, 5. Oktober 2015, 20:51

.. liegt es allein in Ihrer Hand, was Sie nach erfolgter Beurteilung damit machen. Mit einen "Maus-Klick" z.B. können Sie Ihren Blog als privat erklären, oder nur ausgewählgte Beitragäe (Artikel und Stataments) offline schalten.

Die weitere Mölglichkeit, Ihren Blog nur ausgewählten TeilnehmerInnen zugänglch zu machen und die sonstige Internet-Community auszusperren, wurde beretis angesprochen, jedoch nicht näher erläutert.

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Webwissenschaft ist interdisziplinär

mr.webwi.uni-linz, 6. Oktober 2015, 10:33

Sie haben das Beispiel Speakerskorner gebracht. Allerdings gibt es ja verschiedene Ebenen der öffentlichen Meinung.

Wenn ich öffentlich spreche, ist das Publikum klein, und das gesprochene befindet sich nur in den Köpfen der Leute.

Wenn ich im Fernsehen spreche, ist das Publikum deutlich größer, das gesprochene ist zwar dokumentiert, befindet sich aber dann in Archiven des Fernsehsenders oder privaten Kopien.

Wenn ich allerdings im Internet eine Meinung äußere, so ist das Publikum prinzipiell weltweit. Auch ist das Web hier weit "unvergesslicher". Einmal publizierte Nachrichten können zwar auf der eigenen Seite zurückgenommen werden, allerdings werden diese Nachrichten weiterhin in der Webpublishing Plattform gespeichert, es werden die Informationen in google weiterhin auffindbar sein. Webcrawlers, Wayback Machine usw. dokumentieren alle Inhalte inklusive Historie.

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